Читать книгу Festa mortale - Astrid Plötner - Страница 11
Оглавление8. Kapitel
Maike hatte während der gesamten Fahrt von Unna im Notarztwagen nach Dortmund die Hand von Torben gehalten und ihm dabei sanft mit dem Daumen über den Handrücken gestreichelt. Sein blasses Gesicht wirkte zerbrechlich wie hauchdünnes Porzellan. Seine Atmung verlief gleichmäßig, allerdings sei die Sauerstoffsättigung im Blut unzureichend, erklärte der Notarzt. Man wollte ihn zur Vorsicht auf die Intensivstation bringen. Dort lag Torben nun an mehrere Schläuche und Kabel angeschlossen und im Beisein seiner Mutter, die nicht lange nach ihm eingetroffen war. Über die anhaltende Bewusstlosigkeit machten sich die Ärzte Sorgen, ansonsten sei sein Gesundheitszustand stabil.
Als der Anruf von Jochen Hübner einging, drückte Maike das Gespräch schnell weg und verabschiedete sich leise. Dann eilte sie durch die verwinkelten Gänge des Gebäudes, bis sie endlich den Ausgang bei der Kinderchirurgie fand und befreit aufatmend ins Freie trat. Krankenhäuser waren ihr immer ein Gräuel gewesen. Die Kinderklinik südlich der Innenstadt war Teil der Klinikum-Dortmund-GmbH, das als das größte Krankenhaus Nordrhein-Westfalens galt.
Maike wählte die Rückruffunktion und blickte auf die rötliche Backsteinfassade der mehrstöckigen Kinderklinik, während sie wartete, dass Jochen das Gespräch annahm. An der Beurhausstraße näherte sich mit eingeschaltetem Martinshorn ein Rettungswagen, der das Klinikum auf der gegenüberliegenden Straßenseite ansteuerte. Er bog ein Stück weiter von der Straße ab, erst da konnte die Hauptkommissarin ihren Gesprächspartner verstehen.
»Hallo, Maike«, grüßte Hübner kurz. »Es haben sich Hinweise ergeben, dass die Sobeks nicht Torbens leibliche Eltern sind. Wenn es möglich ist, sprich Alessia Sobek darauf an.« Hübner brachte Maike mit knappen Worten auf den aktuellen Ermittlungsstand. »Die Staatsanwältin hat eine erste Dienstbesprechung heute um 18 Uhr im KK 11 anberaumt. Kommst du von der Kinderklinik ins Präsidium oder soll ich dich abholen lassen?«
Maike blickte auf die U-Bahnstation direkt vor ihrer Nase. »Macht euch keine Mühe, ich werde pünktlich sein.« Sie verabschiedete sich von Jochen, dabei fiel ihr Blick auf die mehrgeschossigen Gründerzeithäuser in einer Seitenstraße, wo sich im Erdgeschoss neben einem Getränkeshop auch eine Grillstube befand. Seit dem Frühstück um 9 Uhr hatte sie nichts mehr gegessen und nun zeigte ihr Smartphone bereits 16.15 Uhr an. Eine Viertelstunde später betrat Maike die Kinderklinik mit zwei Pizzakartons sowie zwei Bechern Coffee to go und steuerte erneut die Intensivstation an, wo sie eine Schwester bat, Alessia Sobek hinauszubitten. Kurz darauf gesellte sich die brünette Italienerin zu ihr und sie betraten gemeinsam den Aufenthaltsraum, wo sie sich an einen Zweiertisch setzten.
»Gibt es schon Neuigkeiten über den Gesundheitszustand Ihres Sohnes?«, begann Maike.
»Nein. Er ist immer noch bewusstlos. Vermutlich wurde ihm eine Überdosis des Betäubungsmittels gespritzt.« Sie hatte Mühe, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten, und ihre Stimme klang weinerlich, als sie weitersprach. »Torben ist so zart.« Sie rieb sich die Augen. »Ich bete jede Sekunde, dass er das Verbrechen an seinem Vater nicht bewusst miterleben musste.«
Maike nickte. Sie nippte an ihrem Kaffee und griff nach einem Stück Pizza. »Frau Sobek«, begann sie, »meine Kollegen haben eine Geburtsurkunde von Torben gefunden, die eine Jessika Waas und einen Jens Müller als leibliche Eltern Ihres Sohnes ausweist. Warum haben Sie uns das verschwiegen?«
Die Italienerin verschränkte die Arme vor der Brust, ihr Gesichtsausdruck wirkte verbissen. »Das ist unmöglich!«, sagte sie knapp.
»Unmöglich, weil Sie Torben selbst zur Welt gebracht haben, oder unmöglich, da diese Urkunde nicht existieren darf?«, fragte Maike.
Alessia Sobek griff nach ihrem Kaffee und trank den Becher halb leer. »Ihre Kollegen müssen sich irren. Torben ist mein Sohn!«
Maike zog ihr Smartphone aus der Hose. »Ich werde ein Foto der Urkunde anfordern.« Sie schickte eine Kurznachricht an Teubner, kurz darauf konnte sie Alessia Sobek das Dokument zeigen.
»Dieser Idiot«, murmelte sie. »Ich dachte, Thomas hätte alle Unterlagen vernichtet. Wir besitzen eine legitime Geburtsurkunde vom Standesamt, die Thomas und mich als leibliche Eltern ausweist.«
»Die Sie aber nicht sind?«, hakte Maike nach.
Torbens Mutter seufzte und ließ die Hand, mit der sie gerade nach einem Stück Pizza greifen wollte, sinken. »Nein. Nach zwei Totgeburten haben mir die Ärzte empfohlen, auf eigene Kinder zu verzichten. Das Risiko sei zu groß. Wir wollten damals ein Baby adoptieren. Ganz legal. Allerdings sind die Hürden, die das Jugendamt setzt, sehr hoch.« Sie griff nun doch nach der Pizza, nahm einen winzigen Biss, spülte mit einem Schluck Kaffee nach und warf dann schwungvoll ihre langen Haare auf den Rücken. »Man musste immer wieder Fragen beantworten und warten. Das zog sich bei uns schon fast ein Jahr hin. Ich glaube, eine Schwierigkeit war, dass ich gebürtige Italienerin bin, obwohl ich doch einen deutschen Pass habe. Man hat das nie so direkt gesagt, aber … na ja … Dann ging es um die Wohnverhältnisse, die Berufstätigkeit, die psychologische Eignung, Gesundheit und was weiß ich nicht noch alles. Und plötzlich ergab sich die Sache mit Torben.« Sie lächelte, lehnte sich zurück und biss erneut zaghaft von der Pizza ab.
»Die Sache mit Torben müssen Sie mir genauer erklären«, forderte Maike.
»Dazu kann ich leider nicht viel sagen«, erwiderte Alessia Sobek. »Ich war damals mit den Nerven ziemlich am Ende. Schon schlimm genug, dass ich keine Kinder gebären sollte, da machte mir das Jugendamt noch das Leben schwer. Und plötzlich kam Thomas mit einem Baby nach Hause. Ich sah das kleine Würmchen mit den damals noch blauen Augen und war sofort verliebt.« Sie lächelte versonnen. »Als ich ihn auf dem Arm hielt, spürte ich ein Glücksgefühl, als sei ich tatsächlich Mutter geworden. Für kein Geld der Welt hätte ich das Baby wieder hergeben wollen.«
»Das ist ja alles schön und gut«, erklärte Maike ungeduldig und stand auf. »Mich interessiert: Woher hatte Ihr Mann das Baby?«
Die Gesichtszüge von Alessia Sobek spiegelten einen gewissen Trotz wider. »Das hat Thomas mir damals nicht gesagt. Er meinte, es sei besser für mich, keine Einzelheiten zu wissen.«
»Und damit gaben Sie sich zufrieden?«
Alessia Sobek warf das angebissene Pizzastück zurück, schloss den Karton und stand schwungvoll auf. Mit ihrer kräftigen Figur schob sie den Stuhl so rasant zurück, dass er umfiel. Zwei Mütter, beide mit Kopftuch, die am anderen Ende des Aufenthaltsraums mit ihren etwa 6-jährigen Kindern Karten spielten, blickten neugierig herüber. »Haben Sie eine Ahnung, wie es ist, wenn man sich über alles in der Welt ein Baby wünscht, es aber nicht klappt? Wissen Sie, wie es sich anfühlt, zwei Mal ein totes Baby zur Welt zu bringen?« Ihre Augen blitzten wütend, ihre Stimme hatte einen schrillen Klang angenommen.
Maike schüttelte langsam den Kopf. »Frau Sobek, wir suchen den Mörder Ihres Ex-Mannes. Wir müssen dabei jeder Spur nachgehen. Es ist durchaus möglich, dass diese Geschichte von damals eine Rolle bei dem Mordfall spielt. Schließlich war zunächst Torben verschwunden, und wir wissen immer noch nicht, ob er gestern mit Ihrem Mann mitgegangen ist oder vielleicht sogar mit dem Mörder Ihres Mannes.«
Die Kinnlade von Alessia Sobek klappte herunter. Sie hob den Stuhl wieder auf und setzte sich. »Sie glauben, Torbens leibliche Eltern könnten mit dem Mord an meinem Ex-Mann zu tun haben?«
Maike setzte sich ebenfalls. »Wir können es jedenfalls nicht ausschließen. Wir stehen ja noch ganz am Anfang der Ermittlungen.«
Alessia Sobek rieb sich die Handflächen an ihrer schwarzen Hose trocken. »Ich kann Ihnen dennoch nicht helfen. Natürlich habe ich Thomas noch einige Male auf die Herkunft des Babys angesprochen, er hat sich jedoch nie zu den Umständen geäußert. Es tut mir leid.«
»Die Namen Jessika Waas und Jens Müller sagen Ihnen nichts?«
Torbens Mutter schüttelte den Kopf.
Maike blickte die junge Frau einen Moment schweigend an. Sie glaubte ihr. Warum hätte sie lügen sollen? »Sie sagten gestern, Ihre Ehe sei nicht besonders glücklich gewesen. Als Sie sich von Ihrem Mann trennten, kam das Thema von Torbens Herkunft da noch einmal auf den Tisch? Haben Sie ihn damit vielleicht unter Druck gesetzt, um an das Sorgerecht zu gelangen? Schließlich hätte ihm diese Geschichte beruflich zum Verhängnis werden können.«
Der Blick der Italienerin wirkte überrascht. »Nein«, sagte sie. »Ich habe tatsächlich kurz an diese Möglichkeit gedacht. Aber ich hätte mir wohl auch selbst geschadet. Zudem erschien mir das Risiko zu groß, dass Torben auf diese Weise erfahren würde, dass wir nicht seine leiblichen Eltern sind.«
»Wie würden Sie Ihren Ex-Mann einschätzen? Glauben Sie, er arbeitet immer auf seriöse Art und Weise? Oder gab es andere Fälle, die dem der illegalen Babyvermittlung ähnlich sind?«
Alessia Sobek hob die Schultern. »Ich habe mich nie sonderlich für die Arbeit von Thomas interessiert. Ich war damals viel zu fokussiert auf seine ständigen Frauengeschichten. Außerdem sind wir inzwischen vier Jahre geschieden. Sie sollten seine Sekretärin fragen. Die kann Ihnen über sein Geschäftsgebaren gewiss Auskunft geben.«
»Was wissen Sie über die Hobbys Ihres Ex-Mannes?«
Alessia Sobek schaute nervös auf die Uhr. »Wir sitzen hier nun schon über eine halbe Stunde. Ist das wirklich wichtig? Mein Gott … damals hat er viel gemalt, um runterzukommen. Das hat ihn entspannt. Er liebte die See und das Segeln. Das spiegelte sich auf seinen Bildern wider. Ach ja, und sein Schießtraining natürlich, das war ihm heilig.«
»Hat er das Schießen nur als Hobby gesehen oder fühlte er sich bedroht? Wann hat er damit begonnen?«
Die Italienerin seufzte und wurde immer unruhiger. »Als wir uns kennenlernten, war er bereits Sportschütze. Sein bester Freund war Polizist, der hat ihn wohl dahingebracht. Und wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich möchte zurück zu Torben.« Ihre Stimme nahm einen gereizten Tonfall an und sie machte Anstalten, aufzustehen. Im selben Moment öffnete sich die Tür des Aufenthaltsraums und eine Großfamilie trat ein. Die etwa zehn Personen stürmten mit großem Bohei auf die beiden Frauen mit den Kleinkindern zu und begrüßten sie überschwänglich. Alessia Sobek stand auf und wirkte überaus genervt.
Maike erhob sich ebenfalls. »Gehen wir auf den Flur«, rief sie gegen die Lautstärke im Raum an. »Ich habe nur noch zwei Fragen.« Maike sah, wie Alessia Sobek ihre fast unberührte Pizza in den Müll warf. Auch, wenn ihre eigene jetzt kalt geworden war, sie würde sie gleich im Auto essen, das forderte ihr knurrender Magen. Sie nahm die leeren Kaffeebecher und warf sie in einen bereitstehenden Mülleimer, dann verließ sie hinter Alessia Sobek den Aufenthaltsraum und schloss die Tür hinter sich. »Sie haben heute früh mit Ihrem Mann telefoniert. Wann war das? Kam Ihnen sein Verhalten dabei merkwürdig vor oder wirkte er so wie immer?«
Die Italienerin verdrehte die Augen und schlug den Weg Richtung Intensivstation ein. »Was weiß ich? Ich war stinksauer, weil ich dachte, Thomas habe Torben bei sich. Aber nein … er hat reagiert wie immer, wenn ich auf hundertachtzig war: überlegt und besonnen. Er hat das Gespräch ziemlich abrupt beendet, weil es bei ihm an der Tür geklingelt hat.«
Maike hob überrascht die Augenbrauen. »Wann genau war das? Hat er gesagt, wen er erwartet?«
Alessia Sobek zog ihr Smartphone aus der Hosentasche und wischte einige Male darüber. »Ich habe ihn um 11.36 Uhr angerufen. Das Telefonat hat keine zwei Minuten gedauert. Thomas meinte, es müsse die Polizei sein, die sein Büro durchsuchen will. Da hat er sich wohl geirrt.«
Maike bedankte sich. Sie hatten inzwischen den Eingang zur Intensivstation erreicht. »Eine letzte Frage, dann sind Sie mich los. Hatte Ihr Ex-Mann Feinde? Fällt Ihnen irgendjemand ein, der ihm nach dem Leben trachten könnte?«
Alessia Sobek betätigte die Klingel zur Intensivstation und nannte kurz darauf ihren Namen. Der Türöffner summte und sie drückte die Tür einen Spalt auf. »Wie ich Ihnen gestern bereits sagte, konnte Thomas sehr dominant sein und wusste, seinen Willen durchzusetzen. Damit hat er sicher vielen Menschen auf die Füße getreten. Dennoch wüsste ich niemanden, der dafür einen Mord begehen könnte. Aber mein Kontakt zu ihm beschränkte sich in den letzten vier Jahren auf das Nötigste.«
Maike bedankte sich und wünschte alles Gute für Torben. Als sie sich umdrehte, stieß sie fast mit dem Arzt zusammen, der Torben im Krankenwagen begleitet hatte. Er und auch die beiden Sanitäter waren sehr freundlich und zuvorkommend gewesen. Auch was die Bereitstellung ihrer DNA anging. Sie nickte dem Mann zu und hielt ihn zurück. Möglicherweise konnte er ihr Neuigkeiten über Torbens Gesundheitszustand geben.