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Beim Vorstellungsgespräch getäuscht

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Beim Vorstellungsgespräch wird das Wichtigste oft verschwiegen.

»Als ich mich damals bewarb, wirkte das Unternehmen auf mich ausgesprochen professionell und solide«, erinnerte sich Henrieke und lächelte ein wenig bitter. »Meine Vorgängerin saß sogar noch mit in meinem ersten Vorstellungsgespräch und beschrieb mir die Aufgaben. Sie hatte von sich aus gekündigt und sagte dazu nur, dass es für sie Zeit für etwas Neues wäre.«

Nachdem Henrieke die Stelle bekommen hatte, stellte sie fest, dass die Situation ein wenig anders war, als es anfangs schien. Ihre Vorgängerin hatte, so erfuhr sie von ihren neuen Kollegen, aus Frust gekündigt, »weil sie nichts bewegen konnte«. Henrieke bemerkte nach einigen Tagen viele leere Schreibtische, anscheinend waren noch mehr gegangen. Die Büros waren seit bald 15 Jahren nicht mehr renoviert worden, die Technik veraltet. Nur das Geschoss mit den Meetingräumen, in das auch Henrieke damals eingeladen worden war, hatte eine Modernisierung erhalten.

Erste Zweifel beschlichen sie. War es ein Fehler gewesen, hier zuzusagen – sollte sie noch in der Probezeit wieder auf Stellensuche gehen? Die Einarbeitungsphase versöhnte sie zunächst wieder. Sie war gut geplant mit vielen Gesprächen in den Abteilungen und verlief überraschend entspannt. Es schien nicht allzu hektisch zuzugehen. Viele Kollegen waren seit Jahrzehnten dabei und erzählten mit Stolz von früheren Zeiten und Erfolgen. Henrieke über ihren damaligen Eindruck: »Das fand ich charmant und dachte, das ist eben ein Traditionsbetrieb. Es muss ja nicht überall wie in einem Startup zugehen.« Außerdem sollte sie – so hatte es ihre neue Chefin bei der Einstellung ausdrücklich erklärt – daran mitarbeiten, dass das Unternehmen moderner würde.

»Als ich meine erste freie Stelle ausschreiben wollte, stellte ich fest, dass auch die Vorlagen für die Stellenanzeigen völlig überholt waren«, erzählte Henrieke. »Ich musste alle nötigen Texte und ein kurzes Firmenportrait schreiben und von der Geschäftsführung genehmigen lassen, was mich allein mehrere Tage kostete.« Ebenso bei anderen Aufgaben: »Als die ersten Mitarbeitergespräche anstanden, sah ich, dass die Bewertungsbögen zehn Jahre alt waren. Beim ersten Intranet-Eintrag stellte ich fest, dass es technisch und inhaltlich völlig vernachlässigt war. Es gab nicht einmal einen IT-Beauftragten, das sollten wir selbst klären, obwohl wir dafür weder die Zeit noch die Ausbildung hatten.«

Henrieke war in ein Unternehmen geraten, in dem seit Jahren nur noch das Nötigste getan und kaum noch investiert wurde, damit die Bilanzzahlen gut aussahen. »Mein Anspruch ist, professionelle Arbeit abzuliefern«, meinte sie. »Aber bei jeder Aufgabe musste ich bei null anfangen.« Ihre Kollegen schien das weniger zu stören. Viele kannten es gar nicht anders.

Der eigene professionelle Anspruch wird nicht immer von allen geteilt.

Henriekes Chefin reagierte auf die Klagen ihrer neuen Mitarbeiterin zunehmend genervt: »Sie hielt das für unnötige Umständlichkeiten. Mir stünde mein Perfektionismus im Weg. Ich sollte mich auf meine aktuellen Aufgaben konzentrieren und mich um nichts anderes mehr kümmern. Bei den Details hat sie gar nicht mehr zugehört.« In späteren Gesprächen, in denen Henrieke vehementer auf mehr Unterstützung von oben drängte, wurde der Ton schärfer: »Meine Chefin warf mir vor, dass ich mich ständig mit Dingen befassen würde, für die ich nicht zuständig sei. Bei meiner Vorgängerin hätte das alles ohne diese Probleme geklappt. Verschiedene Abteilungen hätten sich bereits über mich beschwert, ich würde zu wenig liefern!«

Als sich eine ähnliche Formulierung dann auch in ihrer ersten Zwischenbeurteilung fand, war Henrieke nahe daran, ihre Stelle zu kündigen, obwohl sie nichts Neues in Aussicht hatte. »Aber in der jetzigen Lage überlegt man sich das dreimal. Es ist doch ein solider Arbeitgeber, das Gehalt ist in Ordnung. Vielleicht sind meine eigenen Ansprüche wirklich zu hoch?«

Perfektionismus ist ein Arschloch

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