Читать книгу Perfektionismus ist ein Arschloch - Attila Albert - Страница 5
ОглавлениеDer perfekte Start
Manchmal brauchst du dein halbes Leben, ehe es dir endlich klar wird: Es kann doch nicht nur an dir liegen, dass nie etwas perfekt läuft! Da rackerst du dich im Job ab, aber dann rutscht dir doch wieder ein Fehler durch oder ein Projekt geht sogar komplett schief. Da bemühst du dich in deiner Beziehung und Familie, alles richtig zu machen. Aber es findet sich garantiert jemand, der trotzdem etwas zu meckern hat. Selbst der Sommerurlaub hat seine Schattenseiten, wenn du erst einmal die Hotelrechnung gesehen hast und zu Hause auch noch feststellen musst, dass du fünf Kilo zugenommen hast. Geplant war doch das genaue Gegenteil. Was du auch anfängst, führt immer wieder zum selben deprimierenden Ergebnis: Nie läuft es, wie es sollte!
Da warst du vielleicht so stolz auf die PowerPoint, die du in nächtelanger Arbeit zusammengebastelt hast, und musst beim Präsentieren feststellen, dass peinlicherweise wieder Tippfehler drin sind. Der Chef verkündet, dass eure Abteilung jetzt ein »Excellence Center« werden soll, kann aber leider nur IT aus der frühen Steinzeit bereitstellen. Privat hast du dir vorgenommen, gesünder zu essen und mehr Sport zu machen, weißt aber jetzt schon, dass tausend Dinge deine Pläne durchkreuzen werden. Bei deinem angeblich »besten iPhone aller Zeiten« ist, wie immer, das Display zersprungen. Wenn du gerade Single auf Suche bist, muss ich dir sowieso nichts erzählen. Am besten, man redet sich ein, dass Dating irgendwie auch eine karitative Aktivität ist.
Einmal aber kommt der Moment, an dem du die Schuld nicht mehr länger bei dir oder anderen suchst. Sondern beginnst, an der Grundidee zu zweifeln: »Perfektion, hat es das überhaupt je gegeben?« Eltern, Lehrer, Ausbilder und Dozenten haben dich zwar immer zur Vollkommenheit ermahnt oder wenigstens dazu angehalten, sie anzustreben: »Ganz oder gar nicht«, »keine halben Sachen«, »volles Engagement«. Denkst du nun zurück, fällt dir unweigerlich auf, dass keiner von ihnen selbst perfekt war. Kann es sein, dass sie alle nur von einer Wunschvorstellung gesprochen haben, niemals von einer tatsächlich erreichbaren Realität, obwohl du das ganz selbstverständlich angenommen hattest?
Sicher gibt es Perfektion, allerdings nur in kurzen, exotischen Momenten. Dann zeigt sie sich, so wie die »Königin der Nacht« jährlich für einige Stunden ihre Blüte öffnet. Kurz darauf ist sie schon wieder verwelkt und müffelt nach Vergänglichkeit.
Einige wollen sich mit dieser ernüchternden Einsicht noch nicht abfinden und weiter Idealvorstellungen hinterherrennen: »Wenn ich mich nur mehr anstrenge, muss es doch klappen. Andere kriegen es auch hin, wieso nicht ich?« Aufwachen! Selbst eine Victoria Beckham hat Cellulite und einen Mann, der fremdgeht. Natürlich kann man sich das alles noch ein paar Jahre schönreden, weiter eigenen und fremden Ansprüchen hinterherjagen wie das Häschen einer baumelnden Möhre. Scheinbar so nah, dabei ewig unerreichbar. Doch du weißt inzwischen selbst, dass Perfektionismus nur anstrengender Selbstbetrug ist, der dir selbst am meisten schadet. Musst du nicht mehr haben!
Perfektionismus verdirbt dir einfach alles
Wer im Leben so richtig scheitern will, nimmt sich am besten vor, alles perfekt zu machen. Dann wird im Job nichts je fertig, kein Partner ist gut genug, und sogar im schönsten Karibikurlaub stören noch das Salz auf der Haut und der Sand im Bett. Seien wir ehrlich: Perfektionismus ist ein Arschloch. Er ruiniert dir selbst den größten Erfolg, wenn nicht noch das letzte i-Tüpfelchen ein funkelnder Diamant ist, und macht dich unnötig klein. Kurz: ein absolut unsympatischer Spielverderber!
Perfektionismus verunsichert, blockiert und zieht dich runter. Mit überzogen hohen Ansprüchen wirst du nicht besser, sondern ängstlicher, umständlicher und langsamer. Unzufrieden dazu: Mit den misstrauischen Augen des Perfektionisten sieht die Welt wie eine fortwährende Enttäuschung aus, dich selbst und die meisten Mitmenschen eingeschlossen. »Kann nicht einmal alles glattgehen!«, wird dein ständiger frustrierter Ausruf. Dabei ist das Ergebnis oft gar nicht so schlecht und fast immer vollkommen ausreichend – aber eben Welten von jener Perfektion entfernt, die mit dieser Einstellung der Normalfall sein sollte. Gezielt, aber doch wieder daneben geschossen!
Abgekämpft stehst du also da und fragst dich irgendwann: »Wieso schaffe ich es nicht besser?« Dabei darfst du stolz auf dich sein! Du musst nicht ständig 150 Prozent leisten, um 100 Prozent in Ordnung zu sein. Falls dein Chef das sagt: Das ist ein Trick, damit du für die Firma ständig über deine Grenzen gehst.
»Mir ist klar, dass ich nach meinen Standards nie abarbeiten kann, was mir mein Teamleiter jeden Tag auf den Schreibtisch legt«, sagte mir eine Klientin. »Ich versuche es trotzdem, obwohl es mich fertigmacht. Wie schraube ich meine eigenen Maßstäbe herunter, ohne den Respekt vor mir selbst zu verlieren?«
Tiefere Ursachen
Wahrscheinlich hast du dich schon ähnlich gefragt, warum du immer wieder gegen eine Wand aus eigenen Erwartungen anrennst, sei es im beruflichen oder privaten Leben, obwohl du es längst besser weißt. Typische Antworten klingen so:
»Ich habe eben hohe Ansprüche an mich selbst.«
»Ich tue nur, was ich von anderen auch erwarte.«
»Es ist eine Sache des Respekts vor sich und anderen.«
Doch Perfektionismus hat tiefere Ursachen: übergroße Angst vor Kritik, der Wunsch, um jeden Preis bewundert zu werden, die Ablenkung von derzeit nicht lösbaren Problemen oder das gut gemeinte Bestreben, sie zumindest vor anderen zu verbergen.
Wir werden diese Gründe gemeinsam besprechen und wie du dich davon befreien kannst – aber auch, was der Unterschied zu einem positiven Streben nach Qualität und Leistung ist. Denn keiner wünscht sich ja, dass alles einfach nur abschlafft, so angenehm es manchmal wäre, eine nachlässige kleine Schlampe zu sein, die alles entspannt gegen die Wand fahren lässt, sich dann in den Feierabend beziehungsweise auf die Fernsehcouch verabschiedet und mit nichts mehr weiter zu tun hat.
Gesunder Pragmatismus bringt dich weiter
Dieses Buch will dich zu einem entspannten Pragmatismus ermutigen und dir die Wege dahin zeigen: erreichen, was dir wirklich wichtig ist, aber dich nicht länger aufreiben für etwas, das langfristig gar keine Rolle spielt und oft noch nicht einmal wahrgenommen werden wird. Perfektionismus ist wunderbar in einigen wichtigen Momenten, als Dauerzustand aber unmöglich und unnötig. Du fährst dein Auto schließlich auch nicht durchweg im höchsten Gang, weil sonst einiges zu Bruch ginge.
»Soll ich mich denn jetzt hängen lassen und es gar nicht mehr versuchen?«, fragst du dich vielleicht beunruhigt. »Nur noch hinnehmen, was sich von selbst ergibt?« Keine Sorge! Hier findest du kein Plädoyer für Mittelmäßigkeit und Fatalismus, sondern Unterstützung dabei, deine Aufgaben sinnvoll zu gewichten: Wo lohnt es sich, um das bestmögliche Ergebnis zu kämpfen, und wo darfst du es bei einer soliden Durchschnittsleistung belassen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen?
Von überzogenen Erwartungen abgrenzen
In meinem ersten Buch, Ich mach da nicht mehr mit, ging es darum, wie du maßlosen Forderungen anderer – von Eltern, Kollegen, Partnern, Kindern – Grenzen setzen kannst. Hier geht es darum, wie du dich vor überzogenen Erwartungen an dich selbst schützt. Erfahrungen aus zehn Jahren Coaching-Praxis sind eingeflossen, viele Begegnungen aus meiner langjährigen Tätigkeit als Journalist, aber auch persönliche Einsichten.
Ich darf an dieser Stelle verraten, dass ich früher auch einmal ein Perfektionist war, aber mittlerweile geheilt bin. Als junger Mann brach ich mein berufsbegleitendes BWL-Studium nach vier (von sechs) Semestern ab, weil ich meine Noten zu mittelmäßig fand. Erst Jahre später holte ich den Abschluss nach. Als ich mit dem Joggen anfangen wollte, meldete ich mich direkt für einen Marathon an. Ich kam nach den 42,195 Kilometern ins Ziel, zog mir dabei aber eine langwierige Fußverletzung zu. Viele berufliche Chancen verpasste ich, weil ich lange nur für perfekte Leistungen anerkannt werden wollte. Alles andere – Kontakte, Beziehungen – kam mir wie faule Kompromisse vor.
Gemeinsam erkunden wir, wie auch du dich aus der Perfektionismus-Falle befreien kannst und entspannt erfolgreich wirst. Ganz praktisch und mit viel Humor. Der verbissene Perfektionismus hat uns lange genug den Spaß verdorben. Jetzt ist der perfekte Start für ein bisschen mehr Pragmatismus. Denn gut genug ist im wahren Leben doch meist am besten!
Attila Albert