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7. Vortrag.

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Einleitung.

Siebenter Vortrag.

Von der Stelle an: „Und ich sah und gab Zeugnis, daß dieser der Sohn Gottes ist“, bis dahin: „Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel auf- und niedersteigen über den Sohn des Menschen.“ Joh. 1, 34―51.


1.

Wir freuen uns über eure zahlreiche Anwesenheit, weil ihr über unser Erwarten eifrig erschienen seid. Das ist es, was uns erfreut und tröstet in allen Mühen und Gefahren dieses Lebens, eure Liebe zu Gott, der fromme Eifer, die sichere Hoffnung, der Eifer des Geistes. Ihr habt, als der Psalm gelesen wurde, gehört, daß der Hilflose und Arme in dieser Welt zu Gott ruft210. Denn es ist, wie ihr öfters vernommen habt und euch erinnern müßt, nicht die Stimme eines einzigen Menschen und doch wieder eines einzigen Menschen: nicht eines einzigen, weil die Gläubigen viele sind, viele Körner, seufzend unter der Spreu, zerstreut auf dem ganzen Erdkreise; eines einzigen aber, weil alle Glieder Christi sind und deshalb* ein* Leib. Dieses hilflose und arme Volk also kann sich nicht freuen an der Welt; sein Schmerz ist inwendig, wie auch seine Freude inwendig ist, wo es nur der sieht, der den Seufzenden erhört und den Hoffenden krönt. Die Freude an der Welt ist Eitelkeit. Mit großer Erwartung hofft man, daß sie komme, und wenn sie gekommen ist, kann man sie nicht festhalten. Wird ja dieser Tag211, der heute in unserer Stadt den Verdorbenen zur Ausgelassenheit dient, morgen natürlich nicht mehr sein, und sie selbst werden morgen das nicht mehr sein, was sie heute sind. Alles vergeht, alles enteilt, alles entschwindet wie Rauch, und wehe denen, die solches lieben. Denn jede Seele folgt dem, was sie liebt. „Alles Fleisch ist Heu, und alle Herrlichkeit des Fleisches wie die Blume des Feldes; das Heu verdorrt, die Blume fällt ab; das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit“212. Siehe zu, was du liebst, wenn du ewig bleiben willst. Aber du hattest Grund zu sagen: Wie kann ich das Wort Gottes erfassen? „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“


2.

Deshalb, Teuerste, möge zu unserer Dürftigkeit und Armut auch dies gehören, daß wir jene bedauern, welche für sich Überfluß zu haben scheinen. Denn ihre Freude ist wie die von Wahnsinnigen. Wie aber der Wahnsinnige sich gewöhnlich freut in seinem Wahnsinn und lacht, und der Gesunde ihn bemitleidet, so wollen auch wir, Teuerste, wenn wir die vom Himmel kommende Arznei gebraucht haben, weil auch wir alle Wahnsinnige waren, nunmehr gleichsam als Geheilte, da wir das, was wir einst liebten, nicht mehr lieben, wir wollen zu Gott seufzen über diejenigen, welche noch wahnsinnig sind. Denn er ist mächtig, daß er auch sie gesund mache. Es ist nötig, daß sie auf sich sehen und sich mißfallen. Sie wollen schauen und verstehen nicht, auf sich selbst zu schauen. Denn wenn sie einigermaßen die Augen auf sich richten, sehen sie, wie sehr sie sich zu schämen haben. Bis das geschieht, seien andere* unsere* Bestrebungen, andere die Erholungen unserer Seele. Mehr Wert hat unser Schmerz als ihre Freude. Was die Zahl der Brüder betrifft, so hat sich schwerlich einer aus den Männern von jener Festlichkeit hinreißen lassen; was aber die Zahl der Schwestern anbelangt, so schmerzt sie uns, und es ist dies um so mehr zu bedauern, weil dieselben nicht zur Kirche kommen, obwohl sie doch, wenn nicht die Furcht, so jedenfalls die zarte Scheu von der Öffentlichkeit zurückrufen sollte. Möge der Allsehende dies sehen und seine Barmherzigkeit helfen, damit alle geheilt werden. Wir aber, die wir zusammengekommen sind, wollen uns ergötzen an dem Gastmahl Gottes, und unsere Freude sei sein Wort. Denn er hat uns eingeladen zu seinem Evangelium, und er selbst ist unsere Speise, die süßer ist als alles andere, aber nur wenn man einen gesunden Geschmack im Herzen hat.


3.

Eure Liebe aber erinnert sich wohl, glaube ich, daß dieses Evangelium in passenden Lektionen der Reihe nach vorgelesen wird, und ich meine, es sei euch nicht entfallen, was bereits abgehandelt wurde, besonders das letztere von Johannes und der Taube. Von Johannes nämlich, was er Neues am Herrn durch die Taube kennen gelernt hat, obwohl er den Herrn schon kannte. Und gefunden wurde durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes dies, daß Johannes zwar schon den Herrn kannte, daß aber der Herr selbst so taufen werde, daß er die Macht zu taufen von sich auf niemand übertrage; das lernte er durch die Taube, weil zu ihm gesagt wurde: „Auf welchen du den Geist herabsteigen sehen wirst, wie eine Taube, und auf ihm bleiben, dieser ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“213. Was heißt das: „Dieser ist es“? Kein anderer, obwohl durch einen andern. Warum aber durch die Taube? Vieles ist darüber gesagt worden, und ich kann weder alles wiederholen, noch ist es notwendig; besonders jedoch um des Friedens willen, weil auch das Holz, welches draußen getauft wurde, von der Taube, da sie Frucht daran fand, zur Arche gebracht wurde. Ihr erinnert euch ja, daß Noe eine Taube aus der Arche entließ, die in der Flut schwamm und durch Eintauchen abgewaschen wurde, aber nicht untersank214. Nachdem sie also ausgesandt war, brachte sie einen Ölzweig herbei, aber er hatte nicht bloß Blätter, er hatte auch Frucht. Daher ist dies unsern Brüdern, die draußen getauft werden, zu wünschen, daß sie Frucht haben; die Taube wird sie nicht draußen lassen, sondern wird sie zur Arche zurückführen. Die Frucht aber ist ganz und gar die Liebe, ohne welche der Mensch nichts ist, was immer er sonst haben mag. Und dies haben wir in ausführlicher Weise als die Lehre des Apostels dargelegt und erwiesen. Er sagt nämlich: „Wenn ich die Sprachen der Menschen und der Engel redete, die Liebe aber nicht habe, so bin ich wie ein tönendes Erzgeschirr und wie eine klingende Schelle; und wenn ich alle Wissenschaft hätte und alle Geheimnisse wüßte und alle Weissagungen kennen und allen Glauben besitzen würde (was versteht er aber unter „allem“ Glauben?), so daß ich Berge versetzte, die Liebe aber nicht habe, so bin ich nichts. Und wenn ich all das Meinige unter die Armen verteilte und meinen Leib zum Verbrennen hergebe, die Liebe aber nicht habe, so nützte es mir nichts“215. Auf keine Weise aber können die, welche die Einheit zerreißen, sagen, sie hätten die Liebe. Das ist gesagt worden; laßt uns sehen, was folgt.


4.

] „Johannes gab Zeugnis“, denn er sah. Was für ein Zeugnis gab er? „Dieser ist der Sohn Gottes.“ Es mußte also derjenige taufen, welcher der eingeborene Sohn Gottes ist, nicht der aus Gnade angenommene. Die aus Gnade angenommenen Söhne sind Diener des Eingeborenen; der Eingeborene hat die Macht, die aus Gnade angenommenen den Dienst. Mag auch ein Diener taufen, der nicht zur Zahl der Söhne gehört, weil er schlecht lebt und schlecht handelt, was tröstet uns? „Dieser ist es, welcher tauft.“


5.

„Des andern Tages stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger, und als er Jesus dahin gehen sah, sprach er: Siehe, das Lamm Gottes.“ Fürwahr, er ist in besonderer Weise das Lamm; denn auch die Jünger wurden Lämmer genannt. „Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe“216. Dieselben wurden auch „Licht“ genannt. „Ihr seid das Licht der Welt“217, aber anders jener, von dem es heißt: „Er war das wahre Licht, welches jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt“218. So auch „Lamm“ in besonderer Weise, das allein makellos, sündelos, an dem kein Makel abgewaschen wurde, an dem keine Makel war. Denn wie? Wenn Johannes vom Herrn sagte: „Siehe, das Lamm Gottes“, war er selbst kein Lamm? War er kein heiliger Mann? War er nicht der Freund des Bräutigams? Also in besonderer Weise heißt es von jenem: „Dieser ist das Lamm Gottes“, weil einzig und allein durch das Blut dieses Lammes die Menschen erlöst werden konnten.


6.

Meine Brüder, wenn wir unsern Lösepreis erkennen, daß er nämlich das Blut des Lammes ist, wer sind die, welche heute das Fest des Blutes eines gewissen Weibes feiern? Und wie undankbar sind sie? Man nahm den Goldschmuck, sagen sie, vom Ohre eines Weibes, und es floß Blut, und man legte den Goldschmuck auf die Wage und das Blut überwog um vieles. Wenn nun das Blut eines Weibes so viel Gewicht hatte, um das Gold zum Sinken zu bringen, welches Gewicht hat dann, um die Welt zu beugen, das Blut des Lammes, durch welches die Welt geworden ist? Und zwar ist jener Geist ― ich weiß nicht welcher ―, damit er das Gewicht zum Sinken brächte, durch Blut versöhnt worden. Die unreinen Geister wußten, daß Jesus Christus kommen werde, sie hatten es von den Engeln gehört, die hatten es von den Propheten gehört und erwarteten seine Ankunft. Denn wenn sie dieselbe nicht erwarteten, warum schrieen sie: „Was hast du mit uns zu tun? Bist du gekommen, uns vor der Zeit zu verderben? Wir wissen, wer du bist, der Heilige Gottes“219. Sie wußten, daß er kommen werde, allein sie kannten die Zeit nicht. Aber was habt ihr im Psalm von Jerusalem gehört? „Denn Deine Knechte lieben ihre Steine und tragen Leid um ihren Schutt; Du wirst dich erheben“, sagt er, „und Dich Sions erbarmen; denn die Zeit ist gekommen, sich ihrer zu erbarmen“220. Als die Zeit kam, daß sich Gott erbarmte, erschien das Lamm. Was für ein Lamm, das die Wölfe fürchten? Was für ein Lamm ist das, welches getötet den Löwen tötete? Denn vom Teufel heißt es, er sei ein Löwe, welcher umhergeht und brüllt, suchend, wen er verschlinge221; durch das Blut des Lammes wurde der Löwe besiegt. Siehe da, die Schauspiele der Christen! Und was noch mehr ist, jene sehen mit den Augen des Fleisches Eitelkeit, wir mit den Augen des Herzens Wahrheit. Glaubet nicht, Brüder, der Herr habe uns ohne Schauspiele gelassen; denn wenn es keine Schauspiele gibt, warum seid ihr heute zusammengekommen? Siehe, was wir gesagt haben, habt ihr gesehen und Beifall gerufen; ihr hättet nicht Beifall gerufen, wenn ihr es nicht gesehen hättet. Und es ist etwas Großes, dies auf dem ganzen Erdkreis zu sehen, wie der Löwe durch das Blut des Lammes besiegt, die Glieder Christi den Zähnen des Löwen entrissen und mit dem Leibe Christi verbunden wurden. Also ich weiß nicht, was ein gewisser Geist nachgeahmt hat, daß er sein Blut durch Scheingebild erkauft haben wollte, weil er wußte, daß durch das kostbare Blut irgend einmal das Menschengeschlecht erlöst werden solle. Es machen sich nämlich die bösen Geister gewisse Schattenbilder von Ehre, um so diejenigen zu täuschen, die Christus anhängen. Bis zu dem Grade, meine Brüder, daß jene, die durch Amulette, durch Zaubersprüche, durch Kunstgriffe des Feindes zu verführen suchen, ihren Zaubersprüchen den Namen Christi beimischen ―; weil sie die Christen schon nicht mehr so verführen können, daß sie ihnen Gift geben, fügen sie etwas Honig hinzu, damit durch das Süße das Bittere verborgen bleibe und getrunken werde zum Verderben. Bis zu dem Grade, daß, wie ich weiß, zu gewisser Zeit jener Priester des Pileatus222 zu sagen pflegt: Auch Pileatus ist ein Christ. Wozu dies, Brüder, als weil die Christen anders nicht verführt werden können?


7.

Suchet also Christus nirgendwo als da, wo er selbst wollte, daß er euch gepredigt werde, und wie er euch gepredigt werden wollte, so haltet ihn fest, so schreibet ihn in euer Herz. Er ist eine Mauer gegen alle Angriffe und gegen alle Nachstellungen des Feindes. Seid ohne Furcht, er versucht nicht, außer wenn er darf; es ist gewiß, daß er nichts tut, es sei denn, daß es ihm gestattet wird oder daß er geschickt wird223. Geschickt wird er als böser Engel von der herrschenden Macht; gestattet wird es ihm, wenn er auf etwas losgeht, und dies, meine Brüder, geschieht nur, damit die Gerechten geprüft, die Ungerechten gestraft werden. Was fürchtest du also? Wandle im Herrn, deinem Gott, sei versichert: was er dich nicht leiden lassen will, leidest du nicht; was er dich leiden lassen will, ist die Geißel dessen, der heilt, nicht die Strafe dessen, der verdammt. Wir werden zur ewigen Erbschaft erzogen, und wir lehnen uns gegen die Züchtigung auf! Meine Brüder, wenn ein Knabe sich weigern würde, mit Faustschlägen oder Ruten von seinem Vater sich strafen zu lassen, wie würde er da als hochmütig erklärt werden, als unheilbar und undankbar gegen die väterliche Zucht? Und wozu erzieht der Vater den Sohn, der Mensch den Menschen? Damit er die zeitlichen Güter nicht verliere, die er ihm erwarb, die er ihm sammelte, die er nicht verloren gehen lassen will, die er selbst, der sie hinterläßt, nicht ewig behalten konnte. Er belehrt den Sohn, nicht damit er sie mit ihm besitze, sondern daß er sie nach ihm besitzen soll. Meine Brüder, wenn der Vater den Sohn als seinen Nachfolger belehrt, und wenn der, den er belehrt, selbst auch ebenso an all dem vorbeigehen wird, an dem sein Lehrer vorübergehen wird, wie soll dann uns unser Vater erziehen, dem wir nicht nachfolgen, sondern zu dem wir gelangen224 und mit dem wir auf ewig in der Erbschaft bleiben werden, eine Erbschaft, die nicht dahinwelkt, noch stirbt, noch Hagelschauer kennt? Er selbst ist die Erbschaft und der Vater zugleich. Ihn werden wir einst besitzen, und wir sollten jetzt nicht erzogen werden? Nehmen wir also die Züchtigung des Vaters auf uns. Lasset uns nicht, wenn uns der Kopf schmerzt, zu Zauberern gehen, zu Wahrsagern und Heilmitteln des Wahnes. Mein Brüder, soll ich euch nicht bedauern? Täglich muß ich die Erfahrung machen, daß solche Dinge vorkommen, und was soll ich tun? Kann ich Christen noch nicht überzeugen, daß man seine Hoffnung auf Christus setzen müsse? Siehe, wenn einer, der ein Zaubermittel angewendet hat, stirbt (denn wie viele sind mit solchen Mitteln gestorben, und wie viele sind ohne solche Mittel am Leben geblieben?), mit welcher Stirne ist seine Seele zu Gott gegangen? Sie hat das Zeichen Christi verloren, das Zeichen des Teufels empfangen. Oder sagt er vielleicht: Ich habe das Zeichen Christi nicht verloren? Also hast du das Zeichen Christi zugleich mit dem Zeichen des Teufels gehabt? Christus will keinen gemeinsamen Besitz, sondern er will allein besitzen, was er erkauft hat. Er hat es so teuer erkauft, um es allein zu besitzen; du gibst ihm zum Genossen den Teufel, dem du dich durch die Sünde verkauft hast. „Wehe denen, die doppelten Herzens sind“225, die in ihrem Herzen einen Teil Gott geben, einen andern Teil dem Teufel geben. Erzürnt darüber, daß dort ein Teil dem Teufel gehört, geht Gott hinweg, und der Teufel wird das Ganze besitzen. Nicht umsonst sagt daher der Apostel: „Gebet dem Teufel keinen Raum“226. Laßt uns also, Brüder, das Lamm erkennen, laßt uns unsern Lösepreis erkennen.


8.

] „Es stand Johannes da und zwei von seinen Jüngern.“ Siehe, zwei von den Jüngern des Johannes; weil Johannes, der Freund des Bräutigams von solcher Art war, suchte er nicht seine Ehre, sondern gab der Wahrheit Zeugnis. Wollte er etwa, daß seine Jünger bei ihm blieben, um nicht dem Herrn zu folgen? Vielmehr er zeigte den Jüngern, wem sie folgen sollten. Sie hielten ihn nämlich für das Lamm, und er sprach: Was schaut ihr auf mich? Ich bin nicht das Lamm. „Siehe, das Lamm Gottes“, von dem er auch vorher gesagt hatte: „Siehe das Lamm Gottes“. Und was nützt uns das Lamm Gottes? „Siehe“, sagt er, „das da hinwegnimmt die Sünde der Welt.“ Als dies die zwei Begleiter des Johannes hörten, folgten sie jenem nach.


9.

Laßt uns sehen, was folgt. „Siehe, das Lamm Gottes“, so sprach Johannes. „Und es hörten ihn die zwei Jünger dies sagen und folgten Jesus nach. Als aber Jesus sich umwandte und sie ihm nachfolgen sah, sprach er: Was suchet ihr? Sie sagten: Rabbi (was so viel als Lehrer heißt), wo wohnst Du? Sie folgten ihm nicht so nach, als ob sie ihm bereits anhingen; denn es ist offenbar, daß sie ihm erst anhingen, als er sie vom Schiffe rief. Unter diesen beiden war Andreas, wie ihr eben gehört habt; Andreas aber war der Bruder des Petrus, und wir wissen aus dem Evangelium, daß der Herr den Petrus und Johannes vom Schiffe berief mit den Worten: „ Folget mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen“227. Und von da an hingen sie ihm vollends so an, daß sie nicht mehr von ihm wichen. Wenn die beiden also jetzt ihm folgen, so folgen sie ihm nicht, um ihn nicht mehr zu verlassen, sondern sie wollten sehen, wo er wohne, und tun, was geschrieben steht: „Die Schwelle seiner Türe betrete oft dein Fuß; steh auf und komme beständig zu ihm, und laß dich unterweisen durch seine Lehren“228. Er zeigte ihnen, wo er wohnte; sie kamen dahin und blieben bei ihm. Welch seligen Tag haben sie verbracht, welch selige Nacht! Wer mag uns sagen, was sie da vom Herrn gehört haben? Erbauen auch wir in unseren Herzen eine Wohnstätte und machen wir ein Haus, damit er dorthin komme und uns lehre, mit uns rede.


10.

„Was suchet ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi (was soviel heißt als Lehrer), wo wohnst du? Er sprach zu ihnen: Kommet und sehet. Und sie kamen und sahen, wo er wohnte, und sie blieben bei ihm an jenem Tage; es war aber um die zehnte Stunde.“ Glauben wir, dem Evangelisten sei nichts daran gelegen, uns zu sagen, die wievielte Stunde es war? Ist es möglich, daß er wollte, wir sollten dabei auf nichts achten, nichts suchen? Es war die zehnte Stunde. Diese Zahl bedeutet das Gesetz, weil in zehn Geboten das Gesetz gegeben wurde. Es war aber die Zeit gekommen, daß das Gesetz aus Liebe erfüllt werden sollte, weil es von den Juden nicht aus Furcht erfüllt werden konnte. Darum sagt der Herr: „Ich bin nicht gekommen das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen“229. Mit Recht also folgen ihm jene beiden um die zehnte Stunde auf das Zeugnis des Freundes des Bräutigams, und um die zehnte Stunde hörte er: „Rabbi“, was so viel als Lehrer heißt. Wenn um die zehnte Stunde der Herr „Rabbi“ hörte, und die Zahl „zehn“ sich auf das Gesetz bezieht, so ist der Lehrer des Gesetzes kein anderer als der Geber des Gesetzes. Es sage niemand: Ein anderer hat das Gesetz gegeben und ein anderer lehrt das Gesetz. Und Barmherzigkeit ist auf seiner Zunge, darum lehrt er barmherzig das Gesetz, wie es von der Weisheit heißt: „Gesetz aber in Barmherzigkeit trägt sie auf der Zunge“230. Fürchte nicht, du möchtest das Gesetz nicht erfüllen können, nimm die Zuflucht zur Barmherzigkeit. Wenn es zu viel wird, das Gesetz zu erfüllen, bediene dich jenes Vertrages, bediene dich der Handschrift, bediene dich der Bitten, die dir der himmlische Rechtskundige aufsetzte und abfaßte.


11.

Die nämlich eine Rechtssache haben und beim Kaiser ein Gesuch einreichen wollen, suchen einen geübten Rechtskundigen, um sich von ihm die Bittschrift aufsetzen zu lassen, damit sie nicht etwa, wenn sie ihre Bitte in ungehöriger Weise vorbringen, nicht bloß nicht erlangen, um was sie bitten, sondern sogar noch eine Strafe bekommen statt eines günstigen Bescheides. Da also die Apostel zu bitten suchten und nicht wußten, wie sie den Kaiser d. i. Gott angehen sollten, sprachen sie zu Christus: „Herr, lehre uns beten“, d. h. du unser Rechtsrat und Beisitzer oder vielmehr Beisitzer Gottes, setze für uns Bitten auf. Und es lehrte sie der Herr nach dem Buche des himmlischen Rechtes, er lehrte sie, wie sie beten sollten, und in dem, was er lehrte, setzte er eine gewisse Bedingung: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“231. Wenn du nicht rechtmäßig bittest, wirst du als Schuldiger dastehen. Zitterst du vor dem Kaiser, nachdem du als Schuldiger erwiesen bist? Bring das Opfer der Demut, bring das Opfer der Barmherzigkeit, sprich im Gebete: Vergib mir, weil auch ich vergebe. Aber wenn du es sagst, tu es auch! Denn was willst du tun, wohin willst du gehen, wenn du im Gebete gelogen hast? Nicht bloß wirst du, wie es bei Gericht heißt, der Wohltat eines Erlasses verlustig gehen, sondern du wirst überhaupt keinen Erlaß erlangen. Denn nach dem bei Gericht geltenden Rechte darf dem, der im Bittgesuch gelogen hat, das nicht zugute kommen, was er erlangt hat. Doch dies geschieht bei den Menschen, weil ein Mensch getäuscht werden kann; es konnte der Kaiser getäuscht werden, da du bei ihm das Bittgesuch einreichtest; denn du sagtest, was du wolltest, und dem du es sagtest, der weiß nicht, ob das wahr ist; er überließ dich dem Gegner zur Überführung, so daß du, wenn du vor dem Richter der Lüge überführt wirst (weil jener, nicht wissend, ob du gelogen hast, die Bitte nur gewähren konnte), gerade dort der Wohltat des Erlasses verlustig gehen wirst, wohin du den Erlaß gerichtet hast. Gott aber, der weiß, ob du lügst oder die Wahrheit sagst, benimmt sich nicht so, daß es dir bei Gericht nichts nütze, sondern er läßt dich gar nichts erlangen, weil du dich unterfangen hast, die Wahrheit anzulügen.


12.

Was willst du also tun? Sag es mir. Das Gesetz in allen Stücken erfüllen, so daß du in keinem anstoßest, ist schwer; eine Schuld also ist sicher. Willst du nicht ein Heilmittel gebrauchen? Seht, meine Brüder, welches Heilmittel der Herr gegen die Krankheiten der Seele bestimmt hat. Welches also? Wenn du Kopfschmerzen hast, so loben wir es, wenn du dir das Evangelium auf das Haupt legst und nicht zu einem Amulett die Zuflucht nimmst. Denn dazu hat die Schwachheit der Menschen geführt und so sehr sind die Menschen zu bedauern, die zu den Amuletten laufen, daß wir uns freuen, wenn wir sehen, daß ein im Bette darniederliegender Mensch von Fieber und Schmerzen gequält wird und gleichwohl seine Hoffnung nur darauf setzte, daß er sich das Evangelium auf das Haupt legte, nicht weil es zu diesem Zwecke geschah, sondern weil das Evangelium den Amuletten vorgezogen wurde. Wenn nun das Evangelium auf das Haupt gelegt wird, damit der Kopfschmerz aufhöre, soll es dann nicht auf das Herz gelegt werden, damit es von den Sünden geheilt werde? Es geschehe also! Was soll geschehen? Es soll auf das Herz gelegt werden, das Herz soll geheilt werden. Gut ist es, gut, daß du dir wegen der Gesundheit des Körpers nur Sorgen machst, um sie von Gott zu erhalten. Wenn er weiß, daß sie dir nützt, wird er sie geben; wenn er sie dir nicht gibt, so war es nicht zuträglich, sie zu haben. Wie viele sind krank im Bett als Unschuldige, und wenn sie gesund geworden sind, schreiten sie zur Begehung von Verbrechen? Wie vielen schadet die Gesundheit? Der Räuber, der in den Hohlweg geht, um einen Menschen zu töten, wäre er nicht weit besser krank? Wer nachts aufsteht, um eine fremde Wand zu durchbrechen, wie viel besser wäre es für ihn, wenn er vom Fieber hin- und hergeworfen würde? Krank wäre er unschuldiger, gesund ist er verbrecherisch. Gott weiß also, was uns zuträglich ist; seien wir nur darauf bedacht, daß unser Herz von den Sünden gesunde; und wenn wir vielleicht am Leibe gezüchtigt werden, so wollen wir ihn um Abwendung bitten. Der Apostel Paulus bat ihn, daß er den Stachel des Fleisches hinwegnehme, und er wollte ihn nicht hinwegnehmen. Ist er etwa deshalb aus der Fassung gekommen? Hat er etwa aus Betrübnis sich für verlassen erklärt? Im Gegenteil, er erklärte sich nicht für verlassen, weil nicht hinweggenommen wurde, was er hinweggenommen wissen wollte, damit jene Schwachheit geheilt würde. Denn dies fand er in der Stimme des Arztes: „Es genügt dir meine Gnade; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet“232. Woher also weißt du, daß Gott dich nicht heilen will? Noch ist es dir zuträglich, gezüchtigt zu werden. Woher weißt du, wie faul das ist, was der Arzt schneidet, indem er das Messer in die faulen Teile führt? Weiß er nicht die Art233, was er tun soll, wie lange er es tun soll? Zieht etwa das Wehklagen dessen, der geschnitten wird, die Hand des kunstrecht schneidenden Arztes zurück? Jener schreit, dieser schneidet. Ist der grausam, der auf den Schreienden nicht hört, oder ist er vielmehr barmherzig, da er der Wunde nachgeht, um den Kranken zu heilen? Dies, meine Brüder, habe ich deshalb gesagt, damit keiner etwas suche außer der Hilfe Gottes, wenn wir vielleicht die Züchtigung des Herrn zu fühlen haben. Sehet zu, daß ihr nicht zugrunde gehet, sehet zu, daß ihr nicht vom Lamme weichet und vom Löwen verschlungen werdet.


13.

Wir haben also gesagt, warum in der zehnten Stunde; sehen wir, was folgt. „Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer aus den zwei, welche das von Johannes gehört hatten und ihm nachgefolgt waren. Dieser findet seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, was so viel heißt als Christus.“ Messias ist hebräisch, Christus griechisch, Unctus (d. h. der Gesalbte) lateinisch. Denn von der Salbung heißt er Christus. Salbung ist griechisch Chrisma; also Christus der Gesalbte. Er ist der Gesalbte in einziger Art, der Gesalbte in vorzüglichem Grade; deshalb werden zwar alle Christen gesalbt, er aber in besonderer Weise. Höre, wie es im Psalm heißt: „Darum hat Dich, o Gott, Dein Gott mit dem Öle der Freude gesalbt über Deine Genossen“234. Seine Genossen nämlich sind alle Heiligen; doch er ist einzigartig der Heilige der Heiligen, einzigartig der Gesalbte, einzigartig Christus.


14.

„Und er führte ihn zu Jesus. Jesus aber sah ihn an und sprach: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du wirst Kephas genannt werden, was Petrus heißt.“ Nichts Großes, daß der Herr sagte, wessen Sohn jener sei. Was ist groß für den Herrn? Er wußte alle Namen seiner Heiligen, die er vor Grundlegung der Welt vorbestimmt hat; und du wunderst dich, daß er zu* einem* Menschen sagte: Du bist der Sohn von diesem und wirst so genannt werden? Ist es etwas Großes, daß er ihm den Namen änderte und aus Simon Petrus machte? Petrus aber kommt von petra (Fels), der Fels aber ist die Kirche; also ist in dem Namen „Petrus“ die Kirche versinnbildet. Und wer ist sicher außer derjenige, der auf einen Felsen baut? Und was sagt der Herr selbst? „Wer diese meine Worte hört und sie befolgt, den werde ich gleichmachen einem klugen Manne, der auf einen Felsen baute (er gibt den Versuchungen nicht nach); es fiel ein Regen, es kamen Ströme, es wehten Winde und stießen auf jenes Haus, und es fiel nicht ein; denn es war auf einen Felsen gebaut. Wer meine Worte hört und sie nicht befolgt“ (schon möge ein jeder von uns fürchten und sich hüten), „den werde ich gleich machen einem törichten Manne, der sein Haus auf Sand baute; es fiel ein Regen, es kamen Ströme, es wehten Winde und stießen auf jenes Haus, und es fiel ein, und sein Fall war groß“235. Was nützt es, daß der in die Kirche eintritt, der auf Sand bauen will? Wenn er nämlich hört und es nicht befolgt, baut er zwar, aber auf Sand. Denn wenn er nichts hört, baut er nichts; wenn er aber hört, baut er. Aber wir fragen, wo. Denn wenn er hört und es befolgt, baut er auf einen Felsen; wenn er aber hört und es nicht befolgt, baut er auf Sand. Es gibt zwei Klassen von solchen, die bauen: entweder bauen sie auf einen Felsen oder auf Sand. Wie steht es also mit denen, die nicht hören? Sind sie sicher? Nennt er sie sicher, weil sie nichts bauen? Sie sind bloßgestellt dem Regen, den Winden, den Strömen; wenn sie kommen, raffen sie jene hinweg, noch bevor sie die Häuser einstürzen. Also gibt es nur* eine* Sicherheit: bauen und zwar auf einen Felsen bauen. Wenn du hören willst, aber nicht befolgen, so baust du, allein du baust ― einen Einsturz; wenn die Versuchung kommt, stürzt sie das Haus ein und mit dem eingestürzten Hause rafft sie dich hinweg. Wenn du aber nicht hörst, bist du bloßgestellt, du wirst durch jene Versuchungen selbst weggerissen. Höre also und handle danach; darin besteht das einzige Hilfsmittel. Wie viele sind vielleicht heute, da sie bloß hörten, aber nicht danach handelten, vom Strome dieser Festlichkeit fortgerissen worden? Denn indem sie hörten, aber nicht danach handelten, kam wie ein Fluß diese Festlichkeit, der Strom schwoll an, er wird vorübergehen und vertrocknen, aber wehe demjenigen, den er fortgerissen hat! Das also wisse eure Liebe, daß, wer hört und nicht danach handelt, nicht auf einen Felsen baut und nicht zu dem großen Namen gehört, den der Herr so sehr empfohlen hat. Er hat dich aufmerksam gemacht. Denn würde Petrus so schon vorher geheißen haben, so würdest du das Geheimnis des Felsens nicht so erkennen und würdest meinen, er heiße so zufällig, nicht durch die Vorsehung Gottes; darum wollte er, daß er zuvor anders heiße, damit schon aus der Namensänderung die hohe Bedeutung des Geheimnisses nahe gelegt würde.


15.

„Und am folgenden Tage wollte er nach Galiläa gehen und er trifft den Philippus. Er spricht zu ihm: Folge mir nach. Er war aber aus der Stadt des Andreas und Petrus. Und Philippus traf den Nathanael“ (nachdem Philippus vom Herrn schon berufen war). „Und er sprach zu ihm: Von dem Moses im Gesetze geschrieben hat, und die Propheten, den haben wir gefunden, Jesus, den Sohn Josephs“. Er wurde ein Sohn dessen genannt, mit dem seine Mutter vermählt war. Denn daß er ohne Verletzung ihrer Jungfräulichkeit empfangen und geboren wurde, wissen alle Christen aus dem Evangelium. Dies sagte Philippus zu Nathanael. Er fügte auch den Ort bei: „von Nazareth“. „Und es sprach zu ihm Nathanael: Von Nazareth kann etwas Gutes kommen.“ Wie ist das zu verstehen, Brüder? Nicht wie einige es aussprechen. Denn man pflegt es auch so vorzutragen: „Kann von Nazareth etwas Gutes kommen?“ Es folgt die Aufforderung des Philippus, und er sagt: „Komm und sieh“. Auf beide Vortragsweisen kann diese Aufforderung folgen, ob man es nämlich als Bejahung vorträgt: „Von Nazareth kann etwas Gutes kommen“, worauf jener sagt: „Komm und sieh“, oder ob man es als Zweifel und das Ganze als Frage vorträgt: „Kann von Nazareth etwas Gutes kommen? Komm und sieh“. Ob man es also in dieser oder in jener Weise vorträgt, die folgenden Worte dürften nicht entgegen sein; es ist darum unsere Sache, nachzuforschen, wie wir diese Worte lieber verstehen wollen.


16.

Wie dieser Nathanael beschaffen war, zeigen wir im Folgenden: Höret, wie er war; der Herr selbst gibt Zeugnis. Als groß ist der Herr erkannt durch das Zeugnis des Johannes, als glückselig ist Nathanael erkannt durch das Zeugnis der Wahrheit. Wenn auch der Herr nicht durch das Zeugnis des Johannes bekannt gemacht würde, er gab für sich selbst Zeugnis ― weil ihm für sein Zeugnis die Wahrheit genügt. Allein weil die Menschen die Wahrheit nicht fassen konnten, so suchten sie die Wahrheit durch die Leuchte, und darum wurde Johannes gesandt, damit durch ihn der Herr gezeigt würde. Höre den Herrn, wie er dem Nathanael Zeugnis gibt. „Und es sprach zu ihm Nathanael: Von Nazareth kann etwas Gutes kommen. Es spricht zu ihm Philippus: Komm und sieh. Und es sah Jesus den Nathanael zu ihm kommen und sagt von ihm: Siehe, wahrhaft ein Israelite, in welchem kein Falsch ist.“ Ein großes Zeugnis! Das wurde weder zu Andreas gesagt, noch zu Petrus gesagt, noch zu Philippus, was von Nathanael gesagt wurde: „Siehe, wahrhaft ein Israelite, in welchem kein Falsch ist“.


17.

Was tun wir also, Brüder? Sollte dieser der erste sein unter den Aposteln? Er wird nicht bloß nicht als der erste unter den Aposteln erfunden, sondern auch nicht der mittlere noch auch der letzte unter den Zwölfen ist Nathanael236, dem der Sohn Gottes ein solches Zeugnis gab, indem er sprach: „Siehe, wahrhaft ein Israelite, in welchem kein Falsch ist“. Fragt man nach der Ursache? So weit der Herr sie mitteilt, finden wir sie wahrscheinlich. Wir müssen nämlich erwägen, daß Nathanael gelehrt und gesetzeskundig gewesen sei; deshalb wollte ihn der Herr nicht unter die Jünger einreihen, weil er Unwissende erwählte, um durch sie die Welt zu beschämen. Höre den Apostel, der also spricht: „Sehet denn“, sagt er, „eure Berufung, Brüder; denn nicht viele Weise nach dem Fleische237, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme; sondern das Schwache vor der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen, und was unansehnlich ist vor der Welt und verachtet, das hat Gott erwählt, und das, was nicht ist, wie das, was ist, um das, was ist, zunichte zu machen“238. Wenn ein Gelehrter erwählt würde, so würde er vielleicht sagen, er sei deshalb erwählt, weil seine Gelehrsamkeit erwählt zu werden verdiente. Da unser Herr Jesus Christus den Nacken der Stolzen brechen wollte, so hat er nicht durch einen Redner den Fischer gesucht, sondern durch einen Fischer hat er den Kaiser gewonnen. Groß war Cyprian der Redner, aber zuerst war Petrus der Fischer, durch den nachher nicht bloß der Redner, sondern auch der Kaiser gläubig werden sollte. Kein Vornehmer, kein Gelehrter wurde anfänglich erwählt, weil Gott das Schwache vor der Welt erwählte, um das Starke zu beschämen. Es war also jener groß und ohne Falsch; deshalb allein wurde er aber nicht erwählt, damit niemand meine, der Herr habe Gelehrte erwählt. Und eben von seiner Gesetzeskunde kam es, daß, als er hörte: „von Nazareth“ (denn er hatte die Schriften durchforscht und wußte, daß von dorther der Heiland zu erwarten war, was anderen Schriftgelehrten und Pharisäern kaum bekannt war) ―, dieser im Gesetze wohlerfahrene Mann also, als er den Philippus sagen hörte: „Wir haben den gefunden, von dem Moses im Gesetze geschrieben hat und die Propheten, Jesus von Nazareth, den Sohn Josephs“, da, als er den Namen „Nazareth“ hörte, wurde er, der die Schriften sehr gut kannte, zur Hoffnung aufgerichtet und sprach: „Von Nazareth kann etwas Gutes kommen“.


18.

Nun wollen wir das übrige von ihm erwägen. „Siehe, ein wahrer Israelite, in welchem kein Falsch ist“. Was heißt: „in welchem kein Falsch ist“? Vielleicht hatte er keine Sünde? Vielleicht war er nicht krank? Vielleicht hatte er keinen Arzt nötig? Das sei ferne. Niemand ist hier so geboren, daß er jenen Arzt nicht bedürfte. Was will es also sagen: „in welchem kein Falsch ist“? Forschen wir etwas sorgfältiger nach; es wird bald an den Tag kommen im Namen des Herrn. „Dolus“ (Falsch) sagt der Herr, und jeder, der die lateinischen Worte versteht, weiß, daß es eine Falschheit ist, wenn man anders handelt als man vorgibt. Eure Liebe merke auf. Dolus ist nicht dolor; ich sage dies deshalb, weil viele Brüder, die des Lateinischen weniger kundig sind, so reden, daß sie sagen: Dolus illum torquet, statt dolor. Dolus ist Trug, Verstellung. Wenn einer etwas im Herzen birgt und anders redet, so ist es dolus, und er hat gleichsam zwei Herzen: er hat eine Falte des Herzens, wo der die Wahrheit sieht, und eine andere, wo er die Lüge erzeugt. Und damit ihr wisset, daß dies Falschheit (dolus) ist, so heißt es in den Psalmen: „Falsche Lippen“ (labia dolosa). Was heißt das: „Falsche Lippen“? Es folgt: „Im Herzen und im Herzen haben sie Böses geredet“239. Was heißt das: „im Herzen und im Herzen“, als: mit doppeltem Herzen? Wenn also in jenem kein Falsch war, so hat ihn der Arzt für heilbar erklärt, nicht für gesund240. Denn etwas anderes ist gesund, etwas anderes heilbar, etwas anderes unheilbar; wer krank ist mit Hoffnung, heißt heilbar; wer hoffnungslos krank ist, unheilbar; wer aber schon gesund ist, bedarf des Arztes nicht. Der Arzt also, welcher kam, um zu heilen, sah jenen heilbar, weil kein Falsch in ihm war. Wie war in ihm kein Falsch? Wenn er ein Sünder ist, bekennt er sich als Sünder. Denn wenn er ein Sünder ist und sich für gerecht ausgibt, so ist Falsch in seinem Munde. Er lobte also in Nathanael das Bekenntnis der Sünde, nicht erklärte er ihn für keinen Sünder.


19.

Als darum die Pharisäer, welche sich für gerecht hielten, den Herrn tadelten, daß er sich als Arzt unter die Kranken mischte, und sagten: „Siehe, mit welchen er ißt, mit Zöllnern und Sündern“, erwiderte der Arzt den Unverständigen: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken; ich bin nicht gekommen die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder“241. Das will sagen: Weil ihr euch für gerecht erklärt, da ihr doch Sünder seid, so haltet ihr euch für gesund, weiset die Arznei zurück, erlanget die Gesundheit nicht. Darum hielt sich jener Pharisäer, welcher den Herrn zum Mahle eingeladen hatte, für gerecht; jenes kranke Weib aber drang in das Haus ein, wohin es keine Einladung erhalten hatte, und aus Verlangen nach dem Heile keck geworden, trat sie hinzu, nicht zum Haupte des Herrn, nicht zu den Händen, sondern zu den Füßen; sie wusch sie mit Tränen, trocknete sie mit den Haaren, küßte sie, salbte sie mit Salböl, schloß als Sünderin Friede mit den Füßen des Herrn. Es tadelte jener gleichsam als Gesunder den Arzt, jener Pharisäer, der dort zu Tisch saß, und sprach bei sich: „Wenn dieser ein Prophet wäre, wüßte er, was für ein Weib ihm die Füße berührt hat“. Er vermutete aber deshalb, er kenne sie nicht, weil er sie nicht abwies, gleichsam um nicht von unreinen Händen berührt zu werden; er aber kannte sie, ließ sich berühren, um berührt sie zu heilen. Der Herr, der in das Herz des Pharisäers sah, legte ein Gleichnis vor: „Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfzig Denare schuldig, der andere fünfhundert. Da sie nichts hatten, um zu bezahlen, schenkte er es beiden. Wer hat ihn nun mehr geliebt? Und jener: Ich glaube, Herr, der, dem er mehr geschenkt hat. Und zu dem Weibe sich wendend, sprach er zu Simon: Siehst du dieses Weib? Ich trat in dein Haus, du hast mir kein Wasser für die Füße gegeben, sie aber hat mit ihren Tränen meine Füße gewaschen und mit ihren Harren getrocknet; du hast mir keinen Kuß gegeben, sie aber hat nicht aufgehört, meine Füße zu küssen; du hast mir kein Salböl gegeben, sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. Darum, sage ich dir, werden ihr viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“242. Das will sagen: Du bist mehr krank, aber du hältst dich für gesund; du meinst, dir sei weniger zu vergeben, da du doch mehr schuldig bist. Gut hat jene, weil in ihr kein Falsch war, die Arznei verdient. Was heißt das: in ihr war kein Falsch? Sie bekannte ihre Sünden. Das lobt er auch an Nathanael, daß an ihm kein Falsch war; denn viele Pharisäer, die voll Sünden waren, gaben sich für gerecht aus und trugen Falschheit in sich, weshalb sie nicht geheilt werden konnten.


20.

Er sah also bereits jenen, in welchem kein Falsch war und sprach: „Siehe, wahrhaft ein Israelite, in welchem kein Falsch ist. Da sagte zu ihm Nathanael: Woher kennst du mich? Der Herr antwortete und sprach: Ehe dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen“, d. h. unter dem Feigenbaum. „Es erwiderte ihm Nathanael und sagte: Rabbi, Du bist der Sohn Gottes, Du bist der König Israels“. Etwas Großes konnte dieser Nathanael darin erkennen, daß gesagt wurde: „Als du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen, ehe dich Philippus rief“. Denn er machte diese Äußerung: „Du bist der Sohn Gottes, Du bist der König Israels“, wie geraume Zeit später Petrus, worauf der Herr zu ihm sagte: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jona, denn Fleisch und Blut haben dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist“243. Und da nannte er ihn Fels und lobte den Grundstein (firmamentum) der Kirche wegen dieses Glaubens. Dieser sagt schon jetzt: „Du bist der Sohn Gottes, Du bist der König Israels“. Warum? Weil zu ihm gesagt wurde: „Ehe dich Philippus rief, als du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen“.


21.

Es ist zu untersuchen, ob jener Feigenbaum etwas bedeutet. Denn höret, meine Brüder. Wir finden, wie ein Feigenbaum verflucht wurde, weil er bloß Blätter und keine Frucht hatte244. Als beim Beginn des Menschengeschlechtes Adam und Eva gesündigt hatten, machten sie sich aus Feigenblättern Schürzen245; unter den Feigenblättern sind also die Sünden zu verstehen. Es war aber Nathanael unter dem Feigenbaum, gleichsam im Schatten des Todes. Es sah ihn der Herr, von dem es heißt: „Denen, die im Schatten des Todes saßen, ist ein Licht aufgegangen“246. Was also wurde zu Nathanael gesagt? Du sprichst zu mir, o Nathanael: „Woher kennst du mich“? Nunmehr sprichst du bereits mit mir, weil dich Philippus rief. Schon vorher sah er, daß der, welchen er durch den Apostel berief, zu seiner Kirche gehöre. O du Kirche, o du Israel, in welchem kein Falsch ist, wenn du das Volk Israel bist, in welchem kein Falsch ist, so hast du jetzt schon Christus durch die Apostel erkannt, wie Nathanael Christus durch Philippus erkannte. Aber in seiner Barmherzigkeit hat er dich gesehen, bevor du ihn erkanntest, als du unter der Sünde lagest. Denn haben denn etwa wir zuerst Christus gesucht, und nicht vielmehr er uns? Sind etwa wir, die Kranken, zum Arzt gekommen, und nicht vielmehr der Arzt zu den Kranken? War nicht jenes Schaf verloren gegangen, und der Hirte suchte es unter Zurücklassung der neunundneunzig und fand es und trug es dann freudig auf seinen Schultern zurück? War nicht jene Drachme verloren gegangen, und das Weib zündete ein Licht an und suchte sie im ganzen Hause, bis sie dieselbe fand? Und als sie dieselbe gefunden hatte, sprach sie zu ihren Nachbarinnen: „Freuet euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte“247. So waren auch wir verloren gegangen wie ein Schaf, wie eine Drachme, und unser Hirte fand das Schaf, aber er suchte das Schaf; das Weib fand die Drachme, aber es suchte die Drachme. Wer ist das Weib? Das Fleisch Christi248. Was ist das Licht? „Ich habe meinem Christus eine Leuchte bereitet“249. Also gesucht sind wir worden, damit wir gefunden würden; nachdem wir gefunden sind, reden wir. Laßt uns nicht stolz sein, da wir, bevor wir gefunden wurden, verloren gewesen wären, wenn wir nicht gesucht worden wären. Es sollen also die, welche wir lieben und die wir dem Frieden der katholischen Kirche gewinnen wollen, zu uns sprechen: Was wollt ihr uns? Was sucht ihr uns, wenn wir Sünder sind? Deshalb suchen wir euch, damit ihr nicht verloren gehet; wir suchen, weil auch wir gesucht wurden; wir wollen euch finden, weil auch wir gefunden wurden.


22.

Da also Nathanael gesagt hatte: „Woher kennst Du mich?“ sprach der Herr zu ihm: „Bevor dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen“. O du Israel ohne Falsch, wer immer du bist, o Volk, das aus dem Glauben lebt, bevor ich dich durch meine Apostel rief, da du im Schatten des Todes warst und du mich nicht sahest, habe ich dich gesehen. Der Herr spricht darauf zu ihm: „Weil ich zu dir gesagt habe: Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen, glaubst du; du wirst Größeres als dies sehen“. Was heißt das: Du wirst Größeres als dies sehen? „Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen.“ Brüder, ich habe von einem gewissen Etwas gesprochen, welches größer ist als dies: „Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen“. Denn mehr ist, daß uns der Herr berufen und gerechtfertigt hat, als daß er uns im Schatten des Todes liegen sah. Denn was nützte es uns, wenn wir dort geblieben wären, wo er uns sah? Würden wir etwa nicht liegen bleiben? Was ist größer als dies? Wann sahen wir die Engel auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen?


23.

Schon habe ich einmal von diesen auf- und niedersteigenden Engeln gesprochen, aber damit ihr es nicht vergesset, sage ich es kurz, gleichsam in Weise der Erwähnung; denn ich würde es ausführlicher darlegen, wenn ich es nicht erwähnen, sondern jetzt erst mitteilen würde. Jakob sah im Traum eine Leiter und auf den Sprossen die Engel auf- und niedersteigen, und er salbte den Stein, den er sich unter das Haupt gelegt hatte250. Ihr habt gehört, daß der Messias Christus ist, ihr habt gehört, daß der Gesalbte Christus ist. Denn nicht so legte er den gesalbten Stein hin, daß er hinging und ihn anbetete, sonst wäre es Götzendienst, nicht ein Vorbild Christi. Es ist also ein Vorbild gewesen, bis das Vorbild sich verwirklichen sollte, und vorgebildet wurde Christus. Der Stein wurde gesalbt, aber nicht zum Götzenbild. Ein Stein wurde gesalbt; warum ein Stein? „Siehe, ich lege in Sion einen Stein, einen auserwählten, kostbaren, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden“251. Warum gesalbt? Weil Christus von Chrisma. Was aber sah er damals auf der Leiter? Auf- und niedersteigende Engel. So verhält es sich auch mit der Kirche, Brüder; die Engel Gottes sind die guten Prediger, die Christus verkündigen, d. h. sie steigen über dem Menschensohn auf und nieder. Wie steigen sie hinauf, wie steigen sie nieder? An einem haben wir ein Beispiel; höre den Apostel Paulus; was wir an ihm finden, das wollen wir betreffs der anderen Prediger glauben. Siehe, wie Paulus hinaufsteigt: „Ich kenne einen Menschen in Christus, der wurde vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel entrückt (ob im Leibe oder außer dem Leibe, weiß ich nicht, Gott weiß es) und hörte unaussprechliche Worte, die einem Menschen nicht gestattet ist zu sagen“252. Ihr habt nun gehört, wie er hinaufsteigt; höret, wie er niedersteigt. „Ich konnte zu euch nicht reden als zu Geistigen, sondern als zu Fleischlichen; als kleinen Kindern in Christo habe ich euch Milch zum Trank gegeben, nicht Speise“253. Siehe, herabsteigt der, welcher hinaufgestiegen war. Frage, wohin er aufgestiegen war. „Bis in den dritten Himmel.“ Frage, wohin er hinabstieg. Bis zur Darreichung der Milch an die Kleinen. Höre, daß er hinabstieg. „Ich bin“, sagt er, „ein Kind geworden mitten unter euch, wie eine Amme ihre Kinder pflegt“254. Wir sehen nämlich, wie Ammen und Mütter zu den Kindern herabsteigen, und wenn sie lateinische Wörter auszusprechen verstehen, verstümmeln sie dieselben und zerstoßen gewissermaßen ihre Sprache, damit aus der rednerischen Sprache kindliche Koseworte werden können; denn wenn sie so reden255, hört das Kind nicht, es kommt aber auch nicht vorwärts. Und ein redegewandter Vater, wenn er auch ein solcher Redner ist, daß von seiner Sprache der Marktplatz erdröhnt und die Tribünen erschüttert werden, er legt, wenn er ein kleines Kind hat, sobald er nach Hause gekommen, die forensische Beredsamkeit, zu der er sich erschwungen hatte, beiseite und steigt in kindlicher Sprache zum Kinde herab. Höre an an* einer* Stelle den Apostel, wie er hinauf- und herabsteigt, in einem Satze: „Denn sei es, sagt er, daß wir uns im Geiste überheben, es geschieht für Gott; sei es, daß wir uns bescheiden, es geschieht für euch“256. Was heißt das: „Wir überheben uns im Geiste für Gott“? Um das zu sehen, „was einem Menschen nicht gestattet ist zu sagen“. Was heißt: „Wir bescheiden uns für euch“? „Habe ich etwa erachtet, unter euch etwas zu wissen, außer Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten?“257. Wenn der Herr selbst hinauf- und hinabstieg, so ist klar, daß auch seine Prediger durch Nachahmung hinaufsteigen, durch die Lehrverkündigung hinabsteigen.


24.

Wenn wir euch etwas länger hingehalten haben, so geschah es absichtlich, damit die gefährlichen Stunden vorübergehen möchten; wir meinen, jene seien jetzt mit ihrer eitlen Feier fertig. Wir aber, Brüder, wollen, nachdem wir mit heilsamer Speise erquickt worden sind, das übrige tun, um den Tag des Herrn258 festlich zu begehen in geistigen Freuden, und wollen die wahren Freuden mit den eitlen Freuden vergleichen. Wenn wir uns entsetzen, mögen wir Bedauern haben; wenn wir Bedauern haben, mögen wir beten; wenn wir beten, mögen wir erhört werden, wenn wir erhört werden, gewinnen wir auch jene.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1

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