Читать книгу Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1 - Augustinus von Hippo - Страница 6

2. Vortrag.

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Einleitung.

Zweiter Vortrag.

Über die Stelle: „Es war ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes“ usw. bis dahin: „Voll der Gnade und Wahrheit“. Joh. 1, 6―14.


1.

Es ist gut, Brüder, daß wir den Text der göttlichen Schriften und besonders des heiligen Evangeliums, ohne eine Stelle zu übergehen, behandeln, so gut wir können, und nach unserem Vermögen genährt werden und euch darreichen, wovon auch wir genährt werden. Das erste Kapitel ist, wie erinnerlich, am vergangenen Sonntag behandelt worden, nämlich: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe geworden, und ohne dasselbe ist nichts geworden. Was geworden ist, ist in ihm Leben, und das Leben war das Licht der Menschen; und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfaßt“. Bis hierher, glaube ich, ist die Abhandlung gekommen. Ihr erinnert euch alle, die ihr da gewesen seid; und die ihr nicht da gewesen seid, glaubet es uns und denen, die da sein wollten. Nun also, weil wir nicht immer alles wiederholen können wegen derjenigen, die das hören wollen, was folgt, und es ihnen lästig ist, wenn das Frühere zum Schaden des Nachfolgenden wiederholt würde, so mögen diejenigen, welche nicht da waren, nicht nach dem Vergangenen verlangen, sondern mit denen, die da waren, jetzt auch das Gegenwärtige hören.


2.

Es folgt: „Es war ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes“. Dasjenige nämlich, was im Vorausgehenden gesagt wurde, ist über die unaussprechliche Gottheit Christi gesagt worden, und beinahe auf unaussprechliche Weise. Denn wer wird begreifen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“? Und damit dir nicht der Name „Wort“ gering erscheine durch den Gebrauch der täglichen Worte, so heißt es weiter: „und Gott war das Wort“. Eben dieses Wort ist es, worüber wir am gestrigen Tage34 viel geredet haben, und der Herr gebe, daß durch so vieles Reden wenigstens etwas in eure Herzen gedrungen sei. „Im Anfang war das Wort.“ Es ist (stets) dasselbe, es ist in derselben Weise; wie es ist, so ist es immer; es kann sich nicht ändern, d. h. es ist. Diesen seinen Namen hat das Wort seinem Diener Moses genannt: „Ich bin, der ich bin“, und: „Der da ist, hat mich gesandt“35. Wer also wird dies begreifen, da ihr seht, daß alles Sterbliche veränderlich ist; da ihr seht, daß nicht bloß die Körper sich ändern nach ihren Eigenschaften, durch Entstehen, Wachsen, Abnehmen, Sterben, sondern auch die Seelen selbst durch den Affekt verschiedener Willensstrebungen sich ausdehnen und teilen; da ihr seht, daß die Menschen sowohl die Weisheit erlangen können, wenn sie sich ihrem Lichte und ihrer Wärme nähern, als auch die Weisheit verlieren können, wenn sie sich davon in böser Stimmung entfernen? Da ihr also seht, daß dies alles vergänglich ist, was ist das, was* ist, wenn nicht eben das, was hinausgeht über alles, was so* ist, daß es* nicht* ist? Wer also möchte dies begreifen? Oder wer, wie immer er auch die Kräfte seines Geistes anstrenge, um nach Möglichkeit das, was ist, zu erreichen, möchte zu dem, was er wie auch immer im Geiste erfaßt hat, gelangen? Denn es ist so, wie wenn einer von ferne das Vaterland sieht und ein Meer dazwischen liegt; er sieht, wohin er gehen soll, aber er hat keinen Weg, wo er gehen könnte. So wollen wir zu jener unserer Unwandelbarkeit (stabilitas) gelangen, wo das ist, was wahrhaft ist, weil dies allein immer so ist, wie es ist; dazwischen liegt das Meer dieser Welt, wo wir gehen, obschon wir bereits sehen, wohin wir gehen; denn viele sehen nicht einmal, wohin sie gehen. Damit also ein Weg wäre, auf dem wir gehen könnten, kam von dorther der, zu dem wir gehen wollten. Und was hat er getan? Er bereitete ein Holz, durch das wir das Meer überschreiten könnten. Denn niemand kann das Meer dieser Welt überschreiten, außer er werde durch das Kreuz Christi getragen. Dieses Kreuz umfaßt manchmal auch einer, der schwach ist an den Augen. Und wer nicht von ferne sieht, wohin er gehen soll, der entferne sich nicht von ihm, und es wird ihn ans Ziel führen.


3.

Also, meine Brüder, das möchte ich euch ans Herz gelegt haben: wenn ihr fromm und christlich leben wollt, dann schließet euch an Christus an nach dem, was er für uns geworden ist, damit ihr zu ihm gelanget nach dem, was er ist und nach dem, was er war. Er kam, um für uns das zu werden (was er nicht war), indem er das für uns geworden ist, worauf die Schwachen getragen werden und das Meer der Welt überfahren und zum Vaterland gelangen; da wird es keines Schiffes mehr bedürfen, weil man kein Meer zu überfahren hat. Besser ist es also, im Geiste das nicht zu sehen, was ist, und dennoch vom Kreuze Christi sich nicht zu trennen, als dasselbe im Geiste zu sehen und das Kreuz Christi zu verachten. Gut ist es überdies und sogar sehr gut, wenn es möglich ist, daß man sowohl sehe, wohin die Reise geht, als auch an das sich halte, worauf man auf der Reise getragen wird. Dies vermochten die großen Geister der Berge, welche Berge genannt worden sind, die ganz besonders das Licht der Gerechtigkeit erleuchtet; sie vermochten es und sahen das, was ist. Denn sehend sagte Johannes: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Sie sahen das, und um zu dem zu kommen, was sie von ferne sahen, trennten sie sich nicht vom Kreuze Christi und verachteten nicht die Niedrigkeit Christi. Die Kleinen aber, welche dies nicht verstehen können, aber vom Kreuze und Leiden und von der Auferstehung Christi sich nicht trennen, werden in demselben Schiffe zu dem geführt, was sie nicht sehen, in welchem auch jene zum Ziele kommen, die sehen.


4.

Dagegen aber hat es gewisse Philosophen dieser Welt gegeben, und sie suchten den Schöpfer durch das Geschöpf, weil er durch das Geschöpf gefunden werden kann, indem der Apostel ganz klar sagt: „Das Unsichtbare an ihm wird seit der Erschaffung der Welt durch das, was geworden ist, erkennbar angeschaut; auch seine ewige Kraft und Gottheit, so daß sie unentschuldbar sind“. Und er fährt fort: „Denn obwohl sie Gott erkannt hatten“; er sagt nicht: Weil sie ihn nicht erkannt hatten, sondern: „Denn obwohl sie Gott erkannt hatten, so haben sie ihn doch nicht als Gott verherrlicht oder Dank gesagt, sondern wurden eitel in ihren Gedanken und ihr unverständiges Herz ward verfinstert“. Warum ward es verfinstert? Er sagt weiter noch bestimmter: „Denn für weise sich haltend, sind sie Toren geworden“36. Sie sahen, wohin man kommen müsse, aber undankbar gegen den, der ihnen verlieh, was sie sahen, wollten sie sich selbst zuschreiben, was sie sahen, und stolz geworden, verloren sie, was sie sahen, und sie wandten sich zu den Götzen und Bildern und zum Dienste der Dämonen, um das Geschöpf anzubeten und den Schöpfer zu verachten. Aber das haben sie getan als solche, die bereits gestrauchelt waren; daß sie aber strauchelten, kam von ihrem Stolze; da sie aber stolz wurden, hielten sie sich für weise. Diese also, von welchen der Apostel sagt: „Obwohl sie Gott erkannt hatten“, sahen das, was Johannes sagt, daß durch das Wort Gottes alles geworden ist. Denn sowohl dies findet sich in den Büchern der Philosophen, als auch, daß Gott einen eingeborenen Sohn hat, durch welchen alles ist. Sie konnten das sehen, was ist, aber sie sahen es von ferne, sie wollten sich nicht an die Niedrigkeit Christi halten und doch würden sie in diesem Schiffe sicher zu dem gelangt sein, was sie von ferne zu sehen vermochten, und wertlos ward ihnen das Kreuz Christi. Man muß über das Meer, und du verachtest das Kreuz? O stolze Weisheit! Du verhöhnst den gekreuzigten Christus; er ist es, den du von ferne gesehen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“. Aber warum ist er gekreuzigt worden? Weil dir das Holz seiner Niedrigkeit nötig war. Denn von Stolz warst du aufgebläht und weit von jenem Vaterlande verstoßen; und durch die Fluten dieser Welt ist der Weg unterbrochen, und es ist keine Möglichkeit, zum Vaterland hinüber zu gelangen, außer du werdest vom Holze (des Kreuzes) getragen. Du Undankbarer, du verhöhnst den, der zu dir gekommen ist, damit du zurückkehrest. Er ist der Weg geworden, und zwar durch das Meer. Darum wandelte er auf dem Meere37, um zu zeigen, daß es einen Weg gibt auf dem Meere. Aber du, der du nicht wie er auf dem Meere wandeln kannst, laß dich tragen vom Schiffe, laß dich tragen vom Holze; glaube an den Gekreuzigten und du wirst zum Ziele gelangen können. Deinetwegen ist er gekreuzigt worden, um Demut zu lehren, und weil er, wenn er so käme wie Gott, nicht anerkannt würde. Denn wenn er so käme wie Gott, käme er nicht für diejenigen, welche Gott nicht sehen konnten. Denn nicht nach seiner Gottheit kam oder ging er, da er allgegenwärtig ist und von keinem Raum begrenzt wird. Aber als was kam er? Als Mensch erschien er.


5.

Weil er also so Mensch war, daß in ihm die Gottheit verborgen war, so wurde vor ihm her ein großer Mensch gesandt, durch dessen Zeugnis er als mehr erfunden würde denn als Mensch. Und wer ist dies? „Es war ein Mensch.“ Und wie sollte der etwas Wahres von Gott sagen können? „Von Gott gesandt.“ Wie hieß er: „Sein Name war Johannes“. Warum kam er? „Dieser kam zum Zeugnisse, daß er Zeugnis gebe vom Lichte, damit alle durch ihn glauben möchten.“ Wie beschaffen war der, welcher Zeugnis geben sollte vom Lichte? Etwas Großes war dieser Johannes, hervorragend durch Verdienste, groß an Gnade, groß an Würde! Bewundere ihn, bewundere ihn ganz und gar, aber als einen Berg. Ein Berg aber ist in der Finsternis, wenn er nicht vom Lichte bestrahlt wird. Also bewundere Johannes so, daß du auch hörest, was folgt: „Er war nicht das Licht“, damit du nicht, indem du den Berg für das Licht hältst, Schiffbruch am Berge leidest, keinen Trost findest. Doch was sollst du bewundern? Den Berg als Berg. Erhebe dich aber zu dem, der den Berg erleuchtet, der deshalb emporragt, damit er zuerst die Strahlen empfange und deinen Augen melde. Also: „Er war nicht das Licht“.


6.

Warum also kam er? „Sondern daß er Zeugnis gebe vom Lichte.“ Wozu das? „Damit alle durch ihn glauben möchten.“ Und von welchem Lichte sollte er Zeugnis geben? „Er war das wahre Licht.“ Warum ist hinzugefügt: „das wahre“? Weil auch ein erleuchteter Mensch Licht genannt wird; aber das wahre Licht ist jenes, welches erleuchtet. Denn auch unsere Augen werden Lichter genannt, und doch, wenn nicht entweder während der Nacht eine Lampe angezündet wird oder am Tage die Sonne scheint, sind jene Lichter zwecklos offen. So war auch Johannes ein Licht, aber nicht das wahre Licht, weil er, wenn nicht erleuchtet, Finsternis wäre, aber durch Erleuchtung ist er ein Licht geworden. Würde er aber nicht erleuchtet, so wäre er Finsternis, wie alle Gottlosen, zu denen der Apostel, als sie bereits glaubten, sagte: „Ihr waret einst Finsternis“. Jetzt aber, weil sie den Glauben angenommen hatten, was (sind sie)? „Jetzt aber“, sagt er, „Licht im Herrn“38. Würde er nicht hinzusetzen: „im Herrn“, so würden wir es nicht verstehen. „Licht“, sagt er, „im Herrn“, Finsternis waret ihr nicht im Herrn. „Denn ihr waret einst Finsternis“; da hat er nicht beigefügt: „im Herrn“. Also Finsternis in euch, Licht im Herrn. So war auch jener „nicht Licht, sondern er sollte Zeugnis geben vom Lichte“.


7.

Wo aber ist das Licht selbst? „Es war das wahre Licht, welches erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt“. Wenn jeden Menschen, der kommt, dann auch den Johannes. Er selbst also erleuchtete den, von welchem er gezeigt werden wollte. Eure Liebe verstehe. Er kam nämlich zu den matten Geistern, zu den kranken Herzen, zu dem geschwächten Auge der Seele39. Dazu war er gekommen. Und wie konnte die Seele sehen, was auf vollkommene Weise ist? So, wie es häufig vorkommt, daß man an einem beleuchteten Körper die aufgegangene Sonne erkennt, die wir mit den Augen nicht wahrnehmen können. Denn auch die, welche kranke Augen haben, sind fähig, eine von der Sonne beleuchtete und bestrahlte Wand zu sehen, oder einen Berg oder Baum oder etwas Derartiges sind sie zu sehen fähig; und in einem anderen beleuchteten Körper zeigt sich ihnen als aufgegangen die Sonne, für deren Anblick sie noch keine geeignete Sehkraft haben. So also waren alle jene, zu denen Christus gekommen war, noch nicht ganz fähig, ihn zu sehen; er bestrahlte den Johannes, und durch ihn, der bekannte, daß er bestrahlt und erleuchtet sei, selbst aber nicht bestrahle und erleuchte, wurde jener erkannt, welcher erleuchtet, wurde jener erkannt, welcher erhellt, wurde jener erkannt, welcher erfüllt. Und wer ist dies? „Der jeden Menschen erleuchtet“, sagt er, „der in diese Welt kommt“. Denn hätte er sich von dort nicht entfernt, so hätte er die Beleuchtung nicht nötig; aber darum bedarf er hier der Erleuchtung, weil er von dort sich entfernt hat, wo der Mensch immer erleuchtet sein konnte.


8.

Wie also? Wenn er hierher kam, wo war er? „Er war in dieser Welt“. Er war hier und kam hierher; er war hier der Gottheit nach, er kam hierher dem Fleische nach; denn da er hier war der Gottheit nach, konnte er von den Toren, Blinden und Ungerechten nicht gesehen werden. Die Ungerechten eben sind die Finsternis, von der es heißt: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt“40. Siehe, er ist auch jetzt hier und er war hier und ist immer hier; er ging nie weg und ging nirgends weg. Du hast eine Hilfe nötig, damit du siehest, was nie von dir weggegangen ist; du sollst dich nicht entfernen von dem, der sich nie entfernt; du sollst ihn nicht verlassen, und du wirst nicht verlassen werden. Falle nicht, und er wird dir nicht unsichtbar werden. Wenn du fällst, wird er dir entfallen41; wenn du aber stehst, ist er dir gegenwärtig. Aber du bist nicht festgestanden; erinnere dich, von wo du herabgefallen bist, von wo dich der herabgestürzt hat, der vor dir gefallen ist. Er hat dich nämlich herabgestürzt, nicht mit Gewalt, nicht durch einen Stoß, sondern durch deinen Willen. Denn hättest du dem Bösen nicht zugestimmt, so würdest du stehen, würdest erleuchtet bleiben. Nun aber, weil du bereits gefallen und krank geworden bist am Herzen, mit dem jenes Licht gesehen werden kann, kam er so zu dir, daß du ihn sehen konntest, und erwies sich als einen solchen Menschen, daß er von einem Menschen ein Zeugnis begehrte. Von einem Menschen begehrt Gott ein Zeugnis, und Gott hat zum Zeugen einen Menschen; Gott hat zum Zeugen einen Menschen, aber um des Menschen willen; so schwach sind wir. Mit einer Leuchte suchen wir den Tag, denn eine Leuchte ist Johannes genannt worden, indem der Herr sagt: „Er war eine brennende, Licht gebende Leuchte, und ihr wolltet auf eine Stunde frohlocken in seinem Lichte; ich aber habe ein größeres Zeugnis als das des Johannes“42.


9.

Also gab er zu verstehen, daß er wegen der Menschen durch die Leuchte gezeigt werden wollte zum Glauben der Gläubigen, damit durch eben diese Leuchte seine Feinde beschämt würden. Denn Feinde waren jene, die ihn versuchten und sagten: „Sag uns, in welcher Macht tust du dies?“ Er sprach: „Ich will euch auch eine Frage vorlegen. Saget mir: Woher ist die Taufe des Johannes? Vom Himmel oder von Menschen“. Und sie wurden verwirrt und sprachen bei sich: Wenn wir sagen: Vom Himmel, so wird er uns sagen: Warum also habt ihr ihm nicht geglaubt? [Denn er hatte für Christus Zeugnis gegeben und gesagt: „Ich bin nicht Christus, sondern jener“]. Wenn wir aber sagen: Von Menschen, so haben wir das Volk zu fürchten, es möchte uns steinigen; denn sie hielten Johannes für einen Propheten“. Die Steinigung fürchtend, noch mehr aber das Bekenntnis der Wahrheit fürchtend, setzten sie der Wahrheit eine Lüge entgegen, „und die Bosheit hat wider sich selbst gelogen“43. Sie sagten nämlich: „Wir wissen es nicht“. Und weil sie sich selbst verschlossen, indem sie zu wissen leugneten, was sie doch wußten, machte auch der Herr ihnen nicht auf; denn sie klopften nicht an. Es heißt nämlich: „Klopfet an, und es wird euch aufgetan werden“44. Nicht aber daß sie bloß nicht anklopften, damit ihnen aufgemacht würde, sie versperrten sich durch ihre Leugnung die Türe selbst. Und der Herr spricht zu ihnen: „Auch ich sage euch nicht, in welcher Macht ich dies tue“45. Und sie werden beschämt durch Johannes, und es erfüllte sich an ihnen das Wort: „Ich habe meinem Christus eine Leuchte bereitet; seine Feinde will ich mit Schande bedecken“46.


10.

„Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden“. Glaube nicht, daß er so in der Welt war, wie die Erde in der Welt ist, der Himmel in der Welt ist, Sonne, Mond und Sterne in der Welt sind, Bäume, Tiere und Menschen in der Welt sind. Nicht so war er in der Welt. Aber wie war er denn darin? Wie ein Künstler, der beherrscht, was er gemacht hat. Denn nicht so hat er gewirkt wie ein Zimmermann arbeitet. Denn außerhalb ist der Kasten, den er macht; er steht an einem andern Orte, wenn er verfertigt wird; und obwohl er in der Nähe ist, der Werkmeister selbst befindet sich doch an einem andern Orte und steht nur äußerlich dem gegenüber, was er verfertigt; Gott baut die Welt einwohnend, baut als einer, der überall zugegen ist und begibt sich nicht erst irgendwohin; nicht gewissermaßen von außen her behandelt er den Stoff, den er verarbeitet. Durch die Gegenwart seiner Majestät macht er, was er vollbringt; durch seine Gegenwart leitet er, was er vollbracht hat. So also war er in der Welt, wie der, durch den die Welt geworden ist. Denn „durch ihn ist die Welt geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt“.


11.

Was heißt dies: „Die Welt ist durch ihn geworden“? Der Himmel, die Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, wird Welt genannt. Nach einer anderen Bedeutung hinwieder werden Welt die Liebhaber der Welt genannt. „Die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt.“ Haben denn die Himmel ihren Schöpfer nicht erkannt, oder haben die Sterne ihren Schöpfer nicht erkannt, den sogar die Dämonen bekennen? Alles allüberall hat Zeugnis für ihn abgelegt. Aber welche haben ihn nicht erkannt? Diejenigen, welche wegen ihrer Liebe zur Welt „Welt“ genannt wurden. Denn durch Liebe wohnen wir mit dem Herzen; durch ihre Liebe (zur Welt) verdienten sie genannt zu werden wie das, wo sie wohnten. Wie wir sagen: Jenes Haus ist schlecht, oder: Jenes Haus ist gut, aber nicht bei dem, das wir schlecht nennen, die Wände anklagen, oder bei dem, welches wir gut nennen, die Wände loben, sondern unter dem schlechten Hause die schlechten Bewohner und unter dem guten Hause die guten Bewohner verstehen, so auch unter „Welt“ jene, welche wegen ihrer Liebe zur Welt darin wohnen. Wer sind diese? Jene, welche die Welt lieben; denn sie wohnen mit dem Herzen in der Welt. Denn jene, welche die Welt nicht lieben, weilen nur dem Fleische nach in der Welt, aber mit dem Herzen wohnen sie im Himmel, wie der Apostel sagt: „Unser Wandel aber ist im Himmel“47. Also „die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt“.


12.

„Er kam in sein Eigentum“: weil dies alles durch ihn geworden ist. „Und die Seinigen nahmen ihn nicht auf“. Wer sind die Seinigen? Die Menschen, die er gemacht hat. Die Juden, die er zuerst gemacht hat, damit sie über allen Völkern seien. Denn die anderen Völker beteten Götzenbilder an und dienten den Dämonen; jenes Volk aber war aus dem Samen Abrahams geboren; sie waren vorzugsweise die Seinigen, weil auch dem Fleische nach, das er anzunehmen sich würdigte, ihm verwandt. „Er kam in sein Eigentum und die Seinigen nahmen ihn nicht auf“. Nahmen sie ihn überhaupt nicht auf, nahm ihn keiner auf? Ist also keiner selig geworden? Denn niemand wird selig werden, außer wer Christus bei seiner Ankunft aufgenommen hat.


13.

Allein er fügte hinzu: „Alle aber, die ihn aufnahmen“. Was verlieh er ihnen? Großes Wohlwollen! Große Barmherzigkeit! Er ist als der einzige geboren, und wollte nicht einer bleiben. Viele Menschen nehmen, wenn sie keine Kinder haben, bei vorangeschrittenem Alter andere an Kindes Statt an und tun mit ihrem Willen, was sie vermöge ihrer Natur nicht vermochten: so machen es die Menschen. Wenn aber jemand einen einzigen Sohn hat, so hat er um so mehr Freude an ihm, weil er einmal alles allein besitzen wird und niemand hat, der mit ihm die Erbschaft teile, so daß er ärmer wird. Nicht so Gott: gerade diesen Einzigen, den er gezeugt und durch den er alles erschaffen hatte, sandte er in die Welt, damit er nicht allein wäre, sondern an Kindes Statt angenommene Brüder hätte. Denn wir sind nicht von Gott geboren wie jener Eingeborene, sondern durch seine Gnade an Kindes Statt angenommen worden. Jener Eingeborene kam nämlich, um die Sünden zu lösen, in die wir verstrickt waren, so daß er uns wegen dieses Hindernisses nicht als Kinder annehmen konnte; die er sich zu Brüdern machen wollte, löste er selbst und machte sie zu Miterben. Denn so spricht der Apostel: „Wenn aber Sohn, dann auch Erbe durch Gott“48, und wiederum: „Erben Gottes und Miterben Christi“49. Er trug kein Bedenken, Miterben zu haben, weil sein Erbe nicht klein wird, wenn es viele in Besitz genommen haben. Sie selbst ja werden, wenn er sie besitzt, sein Erbe, und er hinwieder wird ihr Erbe. Höre, wie sie sein Erbe werden: „Der Herr sprach zu mir: Mein Sohn bist du; ich habe dich heute gezeugt. Fordere von mir, und ich will dir die Völker zu deinem Erbe geben“50. Und wie wird er ihr Erbe? Er sagt im Psalme: „Der Herr ist der Anteil meines Erbes und meines Kelches“51. Wir sollen ihn besitzen, und er soll uns besitzen; er soll uns besitzen als Herr, wir sollen ihn besitzen als unser Heil, wir sollen ihn besitzen als unser Licht. Was also hat er denen gegeben, die ihn aufnahmen? „Er gab ihnen die Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“, damit sie am Holze (des Kreuzes) sich festhalten und das Meer überschreiten.


14.

Und wie werden sie geboren? Geboren werden sie zweifellos, weil sie Kinder Gottes und Brüder Christi werden. Denn wenn sie nicht geboren werden, wie können sie Kinder sein? Aber die Menschenkinder werden aus Fleisch und Blut und aus dem Willen des Mannes und aus ehelicher Umarmung geboren. Wie aber werden jene ihm geboren? „Nicht aus dem Geblüte“ (ex sanguinibus) des Mannes und Weibes. Sanguina52 ist nicht lateinisch, allein weil im Griechischen der Plural steht, so wollte es der Übersetzer lieber so ausdrücken und gleichsam weniger lateinisch reden nach den Grammatikern, und doch den wahren Sachverhalt erklären nach dem Gehöre der Schwachen. Würde er nämlich „Blut“ in der Einzahl sagen, so würde er nicht erklären, was er wollte; denn die Menschen werden aus dem Geblüte (ex sanguinibus) des Mannes und Weibes geboren. So wollen wir also sagen: fürchten wir nicht die Rute der Grammatiker, wenn wir nur zur festen und sicheren Wahrheit gelangen. Der tadelt, der es versteht, undankbar dafür, daß er es verstanden hat53. „Nicht aus dem Geblüte, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes.“ Fleisch hat er für Weib gesetzt, weil es aus einer Rippe gemacht worden war; Adam sprach: „Das ist nun Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleische“54; und der Apostel sagt: „Wer sein Weib liebt, liebt sich selbst; denn niemand haßt ja sein Fleisch“55. Es steht also Fleisch für Gattin, wie manchmal auch Geist für Gatte. Warum? Weil dieser regiert, jene regiert wird, dieser herrschen, jene dienen soll. Denn wo das Fleisch herrscht und der Geist dient, ist das Haus verkehrt. Was ist schlechter als ein Haus, wo das Weib die Herrschaft über den Mann hat? Recht aber ist das Haus, wo der Mann befiehlt, das Weib gehorcht. Recht also ist der Mensch, wo der Geist herrscht, das Fleisch dient.


15.

Diese also „sind nicht aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren“. Damit aber die Menschen aus Gott geboren würden, ist zuerst Gott aus ihnen geboren, denn Christus ist Gott, und Christus ist aus den Menschen geboren. Er begehrte wenigstens eine Mutter auf Erden, weil er einen Vater bereits im Himmel hatte; geboren aus Gott ist der, durch den wir geschaffen werden sollten; geboren aus dem Weibe ist der, durch den wir neugeschaffen werden sollten. Wundere dich also nicht, o Mensch, daß du ein Kind (Gottes) wirst durch die Gnade, daß du aus Gott geboren wirst nach seinem Worte. Zuerst wollte das Wort selbst vom Menschen geboren werden, damit du sicher aus Gott geboren würdest und dir sagtest: Nicht ohne Grund wollte Gott vom Menschen geboren werden, und zwar aus keinem anderen als weil er mich einigermaßen für wert hielt, mich unsterblich zu machen und für mich sterblich geboren zu werden. Darum hat er, gleichsam damit wir uns nicht wunderten und entsetzten ob einer so großen Gnade, so daß es uns unglaublich erschiene, daß Menschen aus Gott geboren sind, den Worten: „sie sind aus Gott geboren“, gewissermaßen dich sicher machend, noch beigefügt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Was wunderst du dich also, daß Menschen aus Gott geboren werden? Schau hin auf den von Menschen geborenen Gott: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“.


16.

Weil aber „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“, hat er uns durch diese seine Geburt eine Salbe bereitet, damit die Augen unseres Herzens gereinigt würden und wir seine Hoheit sehen könnten durch seine Erniedrigung. Deshalb „ist das Wort Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“; es hat unsere Augen geheilt. Was folgt? „Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen.“ Seine Herrlichkeit könnte niemand sehen, wenn er nicht durch die Niedrigkeit des Fleisches geheilt würde. Warum konnten wir sie nicht sehen? Eure Liebe merke also auf, habet acht auf das, was ich sage. Dem Menschen war gleichsam Staub ins Auge gefallen, es war Erde eingedrungen und hatte das Auge verwundet, er konnte das Licht nicht sehen; das kranke Auge wird mit Salbe bestrichen; durch Erde war es verwundet und Erde wird darangelegt, damit es heilt. Denn alle Salben und Arzneimittel sind nur von der Erde. Vom Staube bist du blind geworden, vom Staube wirst du geheilt; also Fleisch hatte dich blind gemacht, Fleisch heilt dich. Fleischlich war nämlich die Seele geworden, indem sie fleischlichen Begierden zustimmte; deshalb war das Auge des Herzens blind geworden. „Das Wort ist Fleisch geworden“; jener Arzt hat dir eine Salbe bereitet. Und weil das Wort so kam, daß es durch das Fleisch die Schäden des Fleisches tilgte und durch den Tod den Tod vernichtete, darum ist an dir geschehen, daß, weil „das Wort Fleisch geworden ist“, du sagen kannst: „Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen“. Was für eine Herrlichkeit? Etwa wie er als Menschensohn geworden ist? Allein dies ist seine Erniedrigung, nicht seine Herrlichkeit. Vielmehr das, wohin das durch das Fleisch geheilte Auge des Menschen geführt wurde56. „Wir haben“, sagt er, „seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit“. Von der Gnade und Wahrheit werden wir, wenn der Herr uns Gelegenheit zu geben uns würdigt, ausführlicher an einer anderen Stelle im Evangelium handeln. Dies möge für jetzt genügen; erbauet euch in Christus, erstarket im Glauben, seid wachsam in guten Werken und weichet nicht vom Holze (Kreuze), wodurch ihr das Meer überschreiten könnet.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1

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