Читать книгу Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1 - Augustinus von Hippo - Страница 8

4. Vortrag.

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Einleitung.

Vierter Vortrag.

Von da an, wo es heißt: „Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem Priester schickten“ usw. bis dahin: „Der ist’s, welcher tauft im Heiligen Geiste“ usw. Joh. 1, 19―33.


1.

Sehr oft hat eure Heiligkeit gehört und sehr gut wißt ihr, daß Johannes der Täufer, je erhabener er war unter den von Weibern Geborenen und je demütiger zur Erkenntnis des Herrn, desto mehr sich würdig machte, der Freund des Bräutigams zu sein; für den Bräutigam eifernd, nicht für sich; nicht seine Ehre suchend, sondern die seines Richters, dem er wie ein Herold voranging. So war es nun den vorausgehenden Propheten vergönnt, von Christus das Zukünftige anzukündigen, ihm aber, mit dem Finger auf ihn hinzuweisen. Denn wie Christus von denjenigen, welche den Propheten nicht glaubten, vor seiner Ankunft verkannt wurde, so wurde er von ihnen auch als Gegenwärtiger verkannt. Denn er war zuerst in niedriger Gestalt gekommen und verborgen, und zwar um so verborgener, je niedriger; die Leute aber, aus Stolz die Erniedrigung Gottes verachtend, kreuzigten ihren Erlöser und machten ihn zu ihrem Verdammer.


2.

Aber der zuerst verborgen kam, weil er niedrig kam, wird er vielleicht dereinst nicht offenbar kommen, weil erhaben? Ihr habt soeben den Psalm gehört: „Gott wird offenbar kommen, unser Gott, und er wird nicht schweigen“96. Er schwieg, um selbst gerichtet zu werden; er wird nicht schweigen, wenn er anfangen wird zu richten. Es würde nicht heißen: „Er wird offenbar kommen“, wenn er nicht zuerst verborgen gekommen wäre; noch auch würde es heißen: „Er wird nicht schweigen“, außer weil er zuerst geschwiegen hat. Wie hat er geschwiegen? Frage den Isaias: „Wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt ward, und wie ein Lamm vor seinem Scherer keinen Laut von sich gab, so öffnete er seinen Mund nicht“97. Kommen aber wird er offenbar und wird nicht schweigen. Wie offenbar? „Feuer wird vor ihm hergehen, und um ihn her gewaltiger Sturm“98. Jener Sturm hat die ganze Spreu hinwegzufegen von der Tenne, auf der jetzt gedroschen wird, und das Feuer hat zu verbrennen, was der Sturm hinweggefegt hat. Jetzt aber schweigt er; er schweigt als Richter, aber er schweigt nicht als Gebieter. Denn wenn Christus schweigt, was sollen dann diese Evangelien? was bedeuten die Stimmen der Apostel, die Psalmengesänge, die Aussprüche der Propheten? In diesem allem schweigt Christus nicht. Aber er schweigt jetzt, so daß er nicht straft; er schweigt nicht, so daß er nicht mahnt. Er wird aber in Herrlichkeit kommen zur Bestrafung und allen erscheinen, auch denen, die nicht an ihn glauben. Jetzt aber mußte er, weil er auch als Gegenwärtiger verborgen war, verachtet werden. Denn würde er nicht verachtet werden, so würde er nicht gekreuzigt werden; würde er nicht gekreuzigt werden, so würde er sein Blut nicht vergießen, der Preis, durch den er uns erlöst hat. Um aber den Lösepreis für uns zu geben, wurde er gekreuzigt; um gekreuzigt zu werden, wurde er verachtet; um verachtet zu werden, erschien er in Niedrigkeit.


3.

Indes weil er wie in der Nacht erschien im sterblichen Leibe, so zündete er sich eine Leuchte an, um gesehen zu werden. Diese Leuchte war Johannes99, von dem ihr schon vieles gehört habt; auch die gegenwärtige Lesung des Evangeliums enthält Worte des Johannes, zunächst, was die Hauptsache ist, das Bekenntnis, er sei nicht Christus. Es war aber eine solche Würde in Johannes, daß er für Christus gehalten werden konnte, und gerade darin zeigte sich seine Demut, daß er bekannte, er sei es nicht, obwohl man glauben konnte, er sei es. Also: „Dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem Priester und Leviten zu ihm schickten, um ihn zu fragen: Wer bist du?“. Sie würden aber niemand schicken, wenn sie nicht durch die Größe seines Ansehens dazu bewogen würden, weil er zu taufen wagte. „Und er bekannte und leugnete nicht.“ Was bekannte er? „Und er bekannte: Ich bin nicht Christus.“


4.

„Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elias?“ Sie wußten nämlich, daß Elias Christo vorangehen sollte. Denn keinem war unter den Juden der Name Christi unbekannt. Von diesem glaubten sie nicht, daß er Christus sei; nicht aber meinten sie, daß Christus überhaupt nicht kommen werde. Während sie auf den Kommenden hofften, nahmen sie an dem Gegenwärtigen Anstoß, sie stießen sich an ihm wie an einem niedrigen Steine. Denn jener Stein war noch klein; zwar war er schon vom Berge abgerissen ohne Anlegung von Händen, wie der Prophet Daniel sagt, er habe einen Stein gesehen, losgelöst vom Berge ohne Hände. Aber was folgt? „Und es wuchs“, sagt er, „jener Stein und wurde zu einem großen Berge, und erfüllte die ganze Oberfläche der Erde“100. Sehe also eure Liebe zu, was ich sage: Christus war vor den Augen der Juden bereits losgelöst vom Berge. Unter dem Berge will er das Reich der Juden verstanden haben. Allein das Reich der Juden hatte nicht die ganze Oberfläche der Erde erfüllt. Dort ward jener Stein losgelöst, weil dort der Herr in der Zeit geboren wurde. Und warum „ohne Hände“? Weil die Jungfrau ohne männliches Zutun Christum gebar. Schon war also jener Stein losgelöst ohne Hände, vor den Augen der Juden, aber er war niedrig. Nicht mit Unrecht, weil der Stein noch nicht gewachsen war und den Erdkreis erfüllt hatte. Dies hat Christus dargestellt in seinem Reiche, d. i. der Kirche, womit er das ganze Angesicht der Erde erfüllte. Weil er also noch nicht gewachsen war, stießen sie auf ihn wie auf einen Stein, und es erfüllte sich an ihnen, was geschrieben steht: „Wer auf diesen Stein fällt, wird erschüttert werden; auf die er aber fällt, diese wird er zermalmen“101. Zuerst sind sie über ihn, den niedrigen, gefallen, als erhaben wird er über sie kommen; aber um sie, wenn er als erhabener kommen wird, zu zermalmen, hat er sie zuerst als niedrig erschüttert. Sie stießen an ihn, und sie sind erschüttert worden, nicht zermalmt, sondern erschüttert; er wird kommen als erhaben und sie zermalmen. Aber den Juden ist zu verzeihen, weil sie an den Stein stießen, der noch nicht gewachsen war. Wer sind die, welche an den Berg stießen? Ihr erkennet bereits, von welchen ich rede102. Die, welche die auf dem ganzen Erdkreis verbreitete Kirche leugnen, stoßen nicht an einen niedrigen Stein, sondern an den Berg selbst, was jener Stein geworden ist, indem er wuchs. Die blinden Juden sahen den niedrigen Stein nicht; welch große Blindheit, den Berg nicht zu sehen?


5.

Sie sahen also den Niedrigen und erkannten ihn nicht. Er wurde ihnen gezeigt durch eine Leuchte. Denn zuerst sprach jener, welcher als der Größte unter den von Weibern Geborenen aufgestanden war: „Ich bin nicht Christus“. Und auf die Frage: „Bist du etwa Elias?“ antwortete er: „Ich bin es nicht.“ Christus sendet nämlich den Elias vor sich her, und doch sagte er: „Ich bin es nicht“, und regte so in uns eine Frage an. Denn es ist zu befürchten, es möchten die, welche es nicht genügend verstehen, meinen, Johannes habe das Gegenteil gesagt von dem, was Christus gesagt hat. Denn als an einer Stelle im Evangelium der Herr Jesus Christus einiges von sich redete, entgegneten ihm die Jünger: „Wie also sagen die Schriftgelehrten“, d. i. die Gesetzeskundigen, „daß zuerst Elias kommen müsse?“. Und der Herr antwortete: „Elias ist schon gekommen, und sie haben an ihm getan, was sie wollten, und wenn ihr es wissen wollt, es ist Johannes der Täufer“103. Der Herr Jesus Christus sprach: „Elias ist schon gekommen, und es ist Johannes der Täufer“; Johannes aber bekannte, da er gefragt wurde, er sei ebenso wenig Elias, wie er auch nicht Christus sei. Und gewiß, wie er in Wahrheit bekannte, er sei nicht Christus, so bekannte er in Wahrheit, er sei nicht Elias. Wie nun werden wir die Worte des Herolds ins richtige Verhältnis setzen zu den Worten des Richters? Es sei ferne, daß der Herold lüge; denn er verkündet das, was er vom Richter hört. Warum also sagt er: „Ich bin nicht Elias“, und der Herr: „Er ist Elias“? Weil in ihm der Herr Jesus Christus seine zukünftige Ankunft zum voraus darstellen und dies zum Ausdruck bringen wollte, daß Johannes im Geiste des Elias war. Und was Johannes bei der ersten Ankunft war, das wird Elias bei der zweiten Ankunft sein. Wie eine doppelte Ankunft des Richters, so zwei Herolde. Der Richter gewiß ist* er*, der Herolde aber sind es zwei, nicht zwei Richter. Denn der Richter mußte zuerst kommen, um gerichtet zu werden. Er sandte vor sich her den ersten Herold, er nannte ihn Elias, weil bei der zweiten Ankunft Elias dies sein wird, was bei der ersten Johannes war.


6.

Denn fürwahr, eure Liebe beachte, wie wahr ich rede. Als Johannes empfangen wurde oder vielmehr als er geboren wurde, da sagte der Heilige Geist von diesem Menschen dies als etwas voraus, das sich an ihm erfüllen sollte: „Er wird“, sagt er, „der Vorläufer des Allerhöchsten sein, im Geiste und in der Kraft des Elias“104. Also nicht Elias, sondern „im Geiste und in der Kraft des Elias“. Was heißt das: „im Geiste und in der Kraft des Elias?“ In demselben Heiligen Geiste nach der Art des Elias. Warum nach Art des Elias? Weil, was Elias bei der zweiten Ankunft sein wird, dies Johannes bei der ersten war. Richtig also antwortete jetzt Johannes im eigentlichen Sinne. Denn der Herr sagte figürlich: „Elias ist Johannes“; jener aber, wie bemerkt, im eigentlichen Sinne: „Ich bin nicht Elias“. Wenn du auf die typische Bedeutung der Vorläuferschaft achtest, so ist Johannes selbst Elias; denn was jener bei der ersten Ankunft war, das wird dieser bei der zweiten sein. Wenn du nach der Eigentümlichkeit der Person fragst, so ist Johannes Johannes, Elias Elias. Der Herr also sagt mit Recht in bezug auf die Vorbildlichkeit: „Er ist Elias“; Johannes aber sagt mit Recht im eigentlichen Sinne: „Ich bin nicht Elias“. Weder Johannes sagt etwas Falsches noch Christus, weder der Herold sagt etwas Falsches noch der Richter, aber nur, wenn du es recht verstehst. Wer aber wird es verstehen? Wer die Demut des Herolds nachahmt und die Erhabenheit des Richters erkennt. Denn nichts ist demütiger als dieser Herold. Meine Brüder, kein größeres Verdienst hatte Johannes als jenes wegen seiner Demut, weil er, obwohl er die Menschen täuschen und für Christus angesehen und für Christus gehalten werden konnte (von so großer Gnade nämlich und von so großer Würde war er), dennoch offen bekannte und sagte: „Ich bin nicht Christus“. „Bist du etwa Elias?“ Würde er nun sagen: Ich bin Elias, so würde ja Christus als bereits in der zweiten Ankunft ankommend richten, nicht vorerst in der ersten Ankunft gerichtet werden. Gleichsam als wollte er sagen: Auch Elias wird kommen, spricht er: „Ich [aber] bin nicht Elias“. Übrigens habet acht auf den Niedrigen, vor welchem Johannes kommt, damit ihr nicht zu fühlen bekommt den Erhabenen, vor welchem Elias kommen wird. Denn auch der Herr hat es so zusammengefaßt: Johannes der Täufer ist’s, der da kommen wird105. Im vorbildlichen Sinne kam dieser, im eigentlichen Sinne wird Elias selbst kommen. Dann wird Elias im eigentlichen Sinne Elias sein, jetzt war er der Ähnlichkeit nach Johannes; jetzt ist Johannes im eigentlichen Sinne Johannes, der Ähnlichkeit nach Elias. Beide Herolde liehen sich ihre Ähnlichkeit und behielten ihre Eigentümlichkeit bei; der eine Herr aber ist der Richter, mag ihm dieser oder jener Herold vorangehen.


7.

„Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elias? Und er sprach: Nein. Und sie sagten zu ihm: Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein. Sie sprachen also zu ihm: Wer bist du? Damit wir Antwort geben denen, die uns geschickt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin die Stimme des Rufenden in der Wüste“106. Dies hat Isaias gesagt107. In Johannes ist jene Weissagung in Erfüllung gegangen: „Ich bin die Stimme des Rufenden in der Wüste“. Was ruft er? „Bereitet den Weg des Herrn; machet zurecht die Pfade unseres Gottes.“ Haltet ihr nicht dafür, es sei Sache eines Herolds zu sagen: Gehet weg, machet Platz! Nur daß der Herold sagt: Gehet weg, während Johannes sagt: Kommet. Der Herold drängt vom Richter die Leute weg, Johannes ruft sie zum Richter. Oder vielmehr Johannes ruft zu dem Niedrigen, damit der Richter nicht als der Erhabene gefühlt werden muß. „Ich bin die Stimme des Rufenden in der Wüste, bereitet den Weg des Herrn, wie Isaias der Prophet gesagt hat.“ Er sprach nicht: Ich bin Johannes, ich bin Elias, ich bin ein Prophet. Sondern was sagte er? So heiße ich: „Ich bin die Stimme des Rufenden in der Wüste, bereitet dem Herrn den Weg“; ich bin die Weissagung selbst.


8.

„Die Abgesandten aber waren Pharisäer“ d. h. Führer der Juden. „Und sie fragten und sprachen zu ihm: Was taufest du also, wenn du nicht Christus bist noch Elias noch ein Prophet?“ Gleichsam eine Verwegenheit erschien es zu taufen; gleichsam fragen wollten sie: In welcher Person (butorität) taufst du? Wir fragen doch, ob du Christus bist; du sagst, du seiest es nicht; wir fragen, ob du vielleicht der Vorläufer desselben bist, da wir wissen, daß vor der Ankunft Christi Elias erscheinen wird; du bestreitest es zu sein; wir fragen, ob du nicht vielleicht ein lange vorher erschienener Herold bist, d. h. ein Prophet und somit diese Gewalt bekommen hast, und du erklärst kein Prophet zu sein. In der Tat, Johannes war kein Prophet, er war mehr als ein Prophet. Der Herr gab ihm das Zeugnis: „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Ein Rohr, das vom Winde hin- und hergetrieben wird?“ Gewiß, er ist kein Rohr, das vom Winde hin- und hergetrieben wird ― so mußt du in Gedanken ergänzen ―, weil Johannes nicht von der Art war, daß er vom Winde bewegt wurde; denn wer vom Winde bewegt wird, wird von jedem Geiste der Verführung umweht. „Aber was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Menschen in weichlichen Kleidern?“ Denn Johannes trug rauhe Kleider, nämlich ein Gewand aus Kamelhaaren. „Siehe, die weichlich gekleidet sind, sind in den Häusern der Könige.“ Ihr seid also nicht hinausgegangen, einen Menschen in weichlichen Kleidern zu sehen. „Aber was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Propheten? Ja ich sage euch, dieser ist mehr als ein Prophet“108, weil die Propheten lange vorher ihre Weissagungen gemacht haben, Johannes aber auf den Gegenwärtigen hinzeigte.


9.

„Was taufst du also, wenn du nicht Christus bist noch Elias noch ein Prophet? Johannes antwortete ihnen und sagte: Ich taufe im Wasser, mitten unter euch aber steht derjenige, den ihr nicht kennt.“ Denn niedrig wie er war, wurde er nicht gesehen, und deshalb wurde eine Leuchte angezündet. Sehet, wie er Platz macht, er, der für etwas anderes gehalten werden könnte. „Er, der nach mir kommt, ist mir vorausgegangen“, d. h., wie wir schon erklärten109, er ist mir vorgesetzt worden. „Dessen Schuhriemen aufzulösen ich nicht würdig bin.“ Wie hat er sich erniedrigt! Und deshalb ist er erhöht worden; denn wer sich erniedrigt, wird erhöht werden110. Daraus soll eure Heiligkeit ersehen: Wenn Johannes sich so sehr erniedrigt hat, daß er sagte: „Ich bin nicht würdig, den Riemen aufzulösen“, wie sollten sich dann jene erniedrigen, die sagen111: Wir taufen; was wir geben ist unser, und was unser ist, ist heilig. Jener sagt: Nicht ich, sondern er; diese sagen: Wir. Johannes ist nicht würdig, den Schuhriemen aufzulösen. Wenn er sich dessen für würdig erklären würde, wie demütig wäre er schon deshalb? Und wenn er sich für würdig halten und so sagen würde: Jener kommt nach mir, der mir vorangegangen ist, dem ich nur die Schuhriemen aufzulösen würdig bin, so hätte er sich sehr verdemütigt. Da er sich aber nicht einmal dazu für würdig erklärt, so war er gewiß voll des Heiligen Geistes, indem er so als Diener den Herrn anerkannte und aus einem Diener ein Freund zu werden verdiente.


10.

„Dies geschah zu Bethania, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte. Des andern Tags sah Johannes Jesus zu sich kommen und sprach: Siehe das Lamm Gottes, siehe, das da hinwegnimmt die Sünden der Welt.“ Niemand maße sich an und sage, daß* er* die Sünde der Welt hinwegnehme. Habet acht, gegen welche stolzen Menschen Johannes den Finger erhob. Noch waren die Häretiker nicht geboren und schon wurde auf sie hingewiesen; gegen jene rief er damals vom Flusse aus, gegen die er jetzt vom Evangelium aus ruft. Es kam Jesus, und was sagt jener? „Siehe das Lamm Gottes.“ Wenn der Unschuldige ein Lamm ist, dann wäre auch Johannes ein Lamm. Aber wer ist unschuldig? In wieweit unschuldig? Alle kommen aus jenem Stamme und aus jener Geschlechtsfolge, von der David seufzend klagt: „Siehe, in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, und in Sünden hat mich meine Mutter genährt“112. Ein Lamm also ist jener allein, der nicht* so* in die Welt eintrat. Denn er ist nicht in Ungerechtigkeit empfangen, weil er nicht von der sterblichen Natur des Menschen empfangen wurde, noch auch hat den in Sünden seine Mutter im Schoße genährt, den die Jungfrau empfing, die Jungfrau gebar, sie hat ihn im Glauben empfangen und im Glauben aufgenommen. Also „siehe das Lamm Gottes“. Er hat nicht die Abstammung von Adam, nur das Fleisch nahm er von Adam, die Sünde nahm er nicht an. Der nicht aus unserer Masse sie Sünde annahm, der ist es, welcher unsere Sünde hinwegnimmt. „Siehe, das Lamm Gottes, siehe, das da hinwegnimmt die Sünde der Welt.“


11.

Ihr wißt, daß gewisse Leute bisweilen sagen: Wir nehmen den Menschen die Sünden ab, die wir heilig sind. Denn wenn der, welcher tauft, nicht heilig ist, wie kann er dann die Sünde des andern tilgen, da er doch selbst voll der Sünde ist? Gegen solche Reden wollen wir* unsere* Worte nicht richten, diesen wollen wir uns auswählen: „Siehe das Lamm Gottes, siehe, das da hinwegnimmt die Sünde der Welt“. Nicht auf Menschen sollen Menschen vertrauen, nicht zu den Bergen soll der Sperling seine Zuflucht nehmen, auf den Herrn setze er sein Vertrauen113; und wenn er die Augen zu den Bergen erhebt, von wo die Hilfe ihm kommen wird, so erkenne er, daß seine Hilfe vom Herrn kommt, der Himmel und Erde gemacht hat114. Von so großer Würde war Johannes, daß er gefragt wird: Bist du Christus? Er antwortet: Nein. Bist du Elias? Er antwortet: Nein. Bist du ein Prophet? Er antwortet: Nein. Warum also taufst du? „Siehe das Lamm Gottes, siehe, das da hinwegnimmt die Sünde der Welt; dieser ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir vorangegangen ist, weil er vor mir war.“ „Nach mir kommt er“, weil er später geboren ist; „vorangegangen ist er mir“, weil er mir vorgezogen worden ist; „vor mir war er, weil im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“.


12.

„Und ich kannte ihn nicht“, sagte er, „aber damit er Israel kund würde, deshalb bin ich gekommen, taufend im Wasser. Und Johannes zeugte und sprach: Ich sah den Geist vom Himmel herabkommen wie eine Taube und auf ihm bleiben; und ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, im Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Auf welchen du den Geist herabkommen siehst und auf ihm bleiben, dieser ist es, welcher im Heiligen Geiste tauft; und ich sah es und gab Zeugnis, daß dieser ist der Sohn Gottes“115. Gebe eure Liebe ein wenig acht: Wann hat Johannes Christus kennen gelernt? Er wurde nämlich gesandt, um im Wasser zu taufen. Es ist gefragt worden: Warum? „Damit er Israel kund würde“, sagte er. Was hat die Taufe des Johannes genützt? Meine Brüder, wenn sie etwas genützt hat, so würde sie jetzt noch fortbestehen und die Menschen mit der Taufe des Johannes getauft werden und so zur Taufe Christi kommen. Aber was sagt er? „Damit er Israel kund würde“, d. h. damit gerade Israel, dem Volke Israel Christus kund würde, kam er zu taufen im Wasser. Es empfing Johannes das Amt der Taufe, um im Wasser der Buße dem Herrn den Weg zu bereiten, da er nicht selbst der Herr war; allein nachdem der Herr erkannt war, war er überflüssig, ihm den Weg zu bereiten, weil er für die ihn Erkennenden selbst der Weg wurde; daher dauerte die Taufe des Johannes nicht lange. Aber wie wurde der Herr gezeigt? Als niedrig, so daß deshalb Johannes die Taufe116 empfing, damit in ihr der Herr selbst getauft würde.


13.

Und hatte der Herr nötig, getauft zu werden? Ich antworte schnell auch mit einer Frage: Hatte der Herr nötig, geboren zu werden? Hatte der Herr nötig, gekreuzigt zu werden? Hatte der Herr nötig, zu sterben? Hatte der Herr nötig, begraben zu werden? Wenn er also eine so große Erniedrigung für uns auf sich nahm, sollte er die Taufe nicht auf sich nehmen? Und was nützte es, daß er die Taufe des Dieners empfing? Daß du dich nicht weigertest, die Taufe des Herrn zu empfangen. Eure Liebe gebe acht. Es sollte in der Kirche einige höher begnadete Katechumenen geben. Denn du kannst bisweilen einen Katechumenen wahrnehmen, der sich allen geschlechtlichen Umgangs enthält, der Welt Lebewohl sagt, auf alles Besitztum verzichtet und es an die Armen verteilt, und er ist ein Katechumenus, vielleicht in der Heilslehre mehr als viele andere Gläubige unterrichtet. Für diesen steht zu befürchten, er möchte betreffs der heiligen Taufe, durch welche die Sünden nachgelassen werden, bei sich selbst sagen: Was kann ich noch mehr empfangen? Siehe, ich bin besser als dieser und jener Gläubige, wobei er an Gläubige denkt, die entweder verheiratet sind oder vielleicht unwissend oder noch ihre Güter im Besitz haben, die er selbst schon an die Armen verteilt hat, und sich für besser haltend als den, der bereits getauft ist, dürfte er sich weigern, zur Taufe zu kommen, indem er sagt: Ich soll das empfangen, was dieser und jener schon hat. Und er stellt sich wohl jene vor, die er verachtet, und es erscheint ihm, gleichsam unwürdig, das zu empfangen, was die Geringeren empfangen haben, weil er sich bereits besser vorkommt, und doch sind alle Sünden noch auf ihm, und wenn er nicht zur heilsamen Taufe kommt, wo die Sünden gelöst werden, so kann er trotz all seiner Vorzüge nicht in das Himmelreich eingehen. Aber damit der Herr jenen Hochstehenden zu seiner Taufe einlade, auf daß ihm die Sünden vergeben würden, kam er selbst zur Taufe seines Dieners, und obwohl er selbst nicht hatte, was ihm vergeben werden oder was an ihm abgewaschen werden sollte, so empfing er doch vom Diener die Taufe und redete den übermütigen und stolzen Sohn, der sich vielleicht weigert, mit den Unwissenden das zu empfangen, was ihm das Heil bringen kann, gleichsam mit den Worten an: Wie sehr machst du dich breit? Wie sehr erhebst du dich? Wie groß sind denn deine Vorzüge? Wie groß deine Gnade? Kann sie größer sein als die meinige? Wenn ich nun zum Diener kam, kannst du dich weigern, zum Herrn zu kommen? Wenn ich die Taufe des Dieners empfing, kannst du dich weigern, vom Herrn getauft zu werden?


14.

Denn damit ihr wisset, meine Brüder, daß der Herr nicht gezwungen wegen irgend eines Sündenbandes zu Johannes kam, so hat, wie die anderen Evangelisten berichten, als bei ihm der Herr zum Empfang der Taufe erschien, eben dieser Johannes gesagt: „Du kommst zu mir? Ich muß von dir getauft werden“. Und was entgegnete er ihm? „Laß es nur, es soll alle Gerechtigkeit erfüllt werden“117. Was heißt das: „Es soll alle Gerechtigkeit erfüllt werden“? Ich bin gekommen zu sterben für die Menschen, soll ich nicht getauft werden für die Menschen? Was heißt: „Es soll alle Gerechtigkeit erfüllt werden“? Es soll das Maß der Verdemütigung voll werden. Wie also? Sollte der nicht die Taufe empfangen von dem guten Diener, der das Leiden auf sich nahm von den bösen Dienern? Gebet also acht: Nach der Taufe des Herrn sollte wohl, wenn Johannes deshalb taufte, damit in seiner Taufe der Herr seine Demut offenbarte, sonst niemand mehr mit der Taufe des Johannes getauft werden? Viele sind nun aber (vorher) mit der Taufe des Johannes getauft worden; es wurde der Herr mit der Taufe des Johannes getauft, und die Taufe des Johannes hörte auf; gleich darauf wurde Johannes in den Kerker geworfen, und in der Folge ward niemand mehr mit jener Taufe getauft. Wenn also deshalb auch Johannes kam und taufte, damit die Demut des Herrn uns gezeigt würde, auf daß, weil dieser die Taufe vom Diener annahm, wir uns nicht weigern sollten, sie vom Herrn zu empfangen; sollte darum Johannes nur den Herrn taufen? Aber wenn Johannes nur den Herrn getauft hätte, so würde es nicht an solchen fehlen, die da meinen, die Taufe des Johannes sei heiliger gewesen als die Taufe Christi, als ob nämlich nur Christus verdient hätte, mit der Taufe des Johannes getauft zu werden, dagegen mit der Taufe Christi das Menschengeschlecht. Eure Liebe merke auf. Mit der Taufe Christi sind wir getauft worden, und nicht bloß wir, sondern auch der ganze Erdkreis, und es wird so getauft werden bis zum Ende. Wer von uns kann nun nach irgend einer Richtung hin mit Christus verglichen werden, dessen Schuhriemen aufzulösen Johannes sich für unwürdig erklärte? Wenn also Christus, der so erhabene Gottmensch, allein mit der Taufe des Johannes getauft worden wäre, was würden dann wohl die Menschen sagen? „Was für eine Taufe hatte doch Johannes! Eine hervorragende Taufe hatte er, ein unaussprechliches Sakrament; siehe, Christus allein verdiente mit der Taufe des Johannes getauft zu werden.“ Und so würde die Taufe des Dieners größer erscheinen als die Taufe des Herrn. Es sind aber auch andere mit der Taufe des Johannes getauft worden, damit nicht die Taufe des Johannes besser erschiene als die Taufe Christi; getauft wurde aber auch der Herr, damit, da der Herr die Taufe des Dieners empfängt, andere Diener sich nicht weigern sollten, die Taufe des Herrn zu empfangen. Dazu also war Johannes gesandt.


15.

Aber kannte er Christus, oder kannte er ihn nicht? Wenn er ihn nicht kannte, warum sprach er, als Christus zum Flusse kam: „Ich muß von dir getauft werden“? d. h., ich weiß, wer du bist. Wenn er ihn also schon kannte, dann lernte er ihn gewiß damals kennen, als er die Taube herabsteigen sah. Es ist zweifellos, daß die Taube auf den Herrn nicht eher herabstieg, als er aus dem Taufwasser emporstieg. Der Herr stieg, nachdem er getauft war, aus dem Wasser, die Himmel taten sich auf, und er sah über ihm die Taube. Wenn also die Taube nach der Taufe herabstieg, und Johannes, noch bevor der Herr getauft wurde, zu diesem sagte: „Du kommst zu mir? Ich muß von dir getauft werden“, so kannte er schon vorher den, zu dem er sagte: „Du kommst zu mir? Ich muß von dir getauft werden“. Wie also konnte er sagen: „Und ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, im Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Auf welchen du den Geist herabkommen siehst wie eine Taube und auf ihm bleiben, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“? Es ist dies keine kleine Frage, meine Brüder. Wenn ihr die Frage erkannt habt, habt ihr nicht wenig erkannt; es bleibt nur übrig, daß der Herr ihre Lösung gebe. Doch dies sage ich, wenn ihr die Frage erkannt habt, so ist es nicht wenig. Siehe, Johannes der Täufer, am Flusse weilend, steht vor euren Augen; siehe, da kommt der Herr, um getauft zu werden, da er noch nicht getauft ist. Hier die Stimme des Johannes: „Du kommst zu mir. Ich muß von dir getauft werden“. Siehe, er erkennt bereits den Herrn, von dem er getauft werden will. Getauft steigt der Herr aus dem Wasser, die Himmel öffnen sich, der Geist steigt herab, jetzt erkennt ihn Johannes. Wenn er ihn jetzt erkennt, wie konnte er dann vorher sagen: „Ich muß von dir getauft werden“. Wenn er ihn aber nicht (erst) jetzt erkennt, weil er ihn schon kannte, was ist es dann, daß er sagte: „Ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, im Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Über welchen du den Geist herabsteigen siehst und auf ihm bleiben wie eine Taube, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“.


16.

Brüder, wenn diese Frage heute noch gelöst werden soll, so wird es euch ohne Zweifel beschweren, weil schon viel gesagt wurde. Ihr möget aber wissen: diese Frage ist von der Art, daß sie allein schon der Partei des Donatus den Todesstoß gibt. Ich sage dies deshalb eurer Liebe, um euch gespannt zu machen, wie ich es zu tun pflege; zugleich auch, damit ihr für uns und für euch betet, auf daß sowohl uns der Herr verleihe, Würdiges zu reden, als auch ihr Würdiges zu fassen verdienet. Indessen lasset mich heute die Sache verschieben; aber dies will ich vorerst kurz bemerken, bis die Lösung selbst erfolgt: Fraget friedlich, ohne Streit, ohne Hader, ohne Zänkereien, ohne Feindschaft; forschet bei euch selbst und fraget andere, saget: Diese Frage hat uns heute unser Bischof vorgelegt, um sie ein anderes Mal mit der Gnade Gottes zu lösen. Doch mag sie gelöst werden oder nicht, glaubet nur, daß ich etwas vorgelegt habe, was mich bewegt; denn ich bin wirklich sehr bewegt. Johannes sagt: „Ich muß von dir getauft werden“, gleich als kenne er Christus bereits. Denn wenn er den nicht kannte, von dem er getauft werden wollte, dann sagte er ohne Grund : „Ich muß von dir getauft werden“. Er kannte ihn also. Wenn er ihn kannte, was ist es dann, daß er sagt: „Ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, im Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Über welchen du den Geist herabsteigen siehst und auf ihm bleiben wie eine Taube, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“. Was sollen wir sagen? Daß wir nicht wissen, wann die Taube gekommen sei? Damit sie sich nicht dahinter verstecken118, sind die anderen Evangelisten zu lesen, die das deutlicher dargelegt haben; und wir finden ganz klar, daß die Taube erst dann herabstieg, als der Herr aus dem Wasser emporstieg. Denn über dem Getauften öffneten sich die Himmel und über dem Getauften sah er den Geist herabsteigen119. Wenn er ihn erst nach der Taufe erkannt hat, wie kann er dann zu ihm, als er zur Taufe kam, sagen: „Ich muß von dir getauft werden“? Diese Frage überdenkt indes bei euch, diese erwäget bei euch, diese untersuchet bei euch. Gebe der Herr unser Gott, daß er sie, bevor ihr die Lösung von mir vernehmet, einem von euch vorher offenbare. Doch, Brüder, das sollt ihr wissen, daß bei der Lösung dieser Frage der Partei des Donatus betreffs der Taufgnade, wo sie den Unerfahrenen Nebel vormachen und den fliegenden Vögeln Netze spannen, wenn sie noch ein Schamgefühl haben, das Reden vergehen wird; der Mund soll ihnen ganz verstopft werden.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1

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