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ANKUNFT DER FAMILIE

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Sie hatte geduscht und verzweifelt versucht, ihren widerspenstigen Haaren einen pfiffigen Touch einzuföhnen. Aus Carmens Schatzkiste fischte sie ein weißes, schlichtes – wahrscheinlich dennoch höllisch teures – Sommerkleid heraus, zu dem sie silberne Riemchensandalen anzog. Mit leichtem Bedauern schickte sie den freundlichen Anatol weg, der ihr eine weitere Massage angeboten hatte. Kurz überlegte sie, ob sie sich noch ein Frühstück einwerfen sollte. Immerhin musste sie um zehn Uhr bei Charles im Büro sein. Allerdings war ihr Magen vor Aufregung so zugeschnürt, dass sie ohnehin nichts heruntergebracht hätte.

Als sie eine nun den Plattenweg entlanglief, fühlt sich Julia wie ein junges Mädchen.

Am Pool war Mathieu nicht mehr. Aber das hatte er ihr ja gesagt. Julia folgte dem Weg den Hügel hinunter, vorbei an der verwitterten Tennisanlage, bis die üppige Vegetation einen atemberaubenden Ausblick freigab. Hier war Julia bisher noch nicht gewesen.

Vor ihr lag das Mittelmeer unter einem perfekten Himmel mit zarten Schäfchenwolken. Die Wasserfläche war noch spiegelglatt. Am Horizont konnte sie die Silhouetten von mehreren Frachtern erkennen. Weiter vorne, in der Bucht von Cap Martin, lief das Meer türkisfarben aus. Die roten Hausdächer, die Julia zwischen den Wipfeln der Zypressen, Pinien und Palmen ausmachte, schmiegten sich an die Küste.

Julia holte tief Luft und genoss das Gefühl der Spannung und Vorfreude, das sie durchströmte. Lächelnd blickte sie sich um. Etwa einhundert Meter zu ihrer Rechten erkannte sie Mathieu, und ihr Herz klopfte bei seinem Anblick in ihrem Hals. Er hatte sie noch nicht entdeckt, und Julia nutzte die Gelegenheit, ihn wieder zu beobachten.

Eine Locke hing in seiner Stirn, wurde jedoch just in diesem Moment von seiner Hand nach hinten geschoben. Sein Arbeitsoutfit, wieder Jeans und T-Shirt, sah unbeschreiblich lässig an ihm aus. Neben Mathieu stand Charles, und die beiden waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Charles stützte sich auf seinen Gehstock. Mathieus linke Hand ruhte auf dem Griff seines Spatens. Mit seiner Rechten deutete Mathieu ab und an im Garten umher. Als er in ihre Richtung zeigte und sie sah, hielt er kurz inne. Ein Lächeln huschte über seine Züge, und Julia lächelte automatisch zurück.

Charles, der Mathieus Reaktion bemerkt hatte, drehte sich ihr nun ebenfalls zu. Er winkte sie erfreut heran. Julia räusperte sich und näherte sich den beiden Männern. Sie waren beide gleich groß und wirkten, als wären sie sehr vertraut miteinander. Sie erinnerte sich daran, wie verträumt Charles bei ihrer Hinreise nach Roquebrune sowohl von der Landschaft als auch von den Menschen der Region geschwärmt hatte. Offenbar kannten sich die beiden Männer schon lange.

„Julia, bonjour. Das ist ja eine Überraschung, Sie hier anzutreffen. Machen Sie einen Spaziergang?“, begrüßte Charles sie überschwänglich.

Julia lächelte ihn breit an und nickte nur. Sie wagte es kaum, Mathieu in die Augen zu schauen. Als sie doch den Kopf hob, begegnete sie seinem aufmerksamen Blick. Er lächelte sie verschwörerisch an. Julia schien es in diesem Moment, als würde die Welt nur aus ihnen beiden bestehen. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

Charles schien etwas gesagt zu haben.

Sie riss sich zusammen. „Wie bitte?“

„Ich hatte Sie gefragt, ob Sie Mathieu bereits kennen? Aber mir scheint, Sie tun es.“

Julia bemerkte, wie Charles schmunzelte. Oh nein, war ihre Verknalltheit so offensichtlich? Wie peinlich. So neutral wie möglich entgegnete sie: „Ja, wir haben uns bereits am Tag unserer Ankunft kennengelernt.“

Charles wandte sich Mathieu zu. „Also, dann haben Sie ja bereits meine zauberhafte Assistentin Julia kennengelernt. Sie kommt aus Deutschland. Spricht sie nicht ein hervorragendes Französisch?“

Mathieu nickte.

Charles runzelte nachdenklich die Stirn. „Mathieu hat wunderbare Pläne für das Grundstück“, wandte er sich wieder an Julia. Da schien ihm etwas einzufallen. „Julia, wie gut, dass ich Sie schon so früh treffe. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne unser Treffen heute vorverlegen. Meine Familie wird gegen Mittag ankommen, und so bleibt uns wenig Zeit. Je früher wir heute anfangen, umso besser kommen wir voran.“ Er rieb sich mit leuchtenden Augen die Hände.

Er schien sich auf seine Familie ebenso zu freuen wie auf die Fortsetzung seiner Memoiren. Doch sie seufzte innerlich: aus der Traum eines aufregenden Vormittags mit Mathieu. Wie bedauerlich. Sie blickte Mathieu mit einem Achselzucken entschuldigend an. An seinem Blick konnte Julia erkennen, dass er ebenfalls enttäuscht war. Charles hatte sich bereits abgewandt.

Kaum hörbar flüsterte Mathieu: „Ein andermal dann.“

Julia strahlte ihn an. „Oui, ein andermal.“ Sie nickte Mathieu zu und folgte Charles zum Haus.

Julia erlebte gemeinsam mit Charles einen produktiven Vormittag, nur unterbrochen von einem phänomenalen Frühstück, das ihnen Virginie im Arbeitszimmer servierte. Charles schilderte Julia seine Zeit in der Schweiz bis zu dem Tag, an dem er ein Praktikum im bedeutenden Bankhaus de Bertrand in Zürich begonnen hatte. Wieder verging die Zeit wie im Fluge, und erst das Geräusch eines sich nähernden Helikopters riss beide aus ihrer Gedankenwelt.

Charles lächelte freudig und erhob sich hastig. „Das werden sie sein.“

Julia war bereits routiniert darin, ihn dabei dezent zu stützen.

In diesem Augenblick öffnete Estelle die Tür und rief aufgeregt: „Sie sind da, Monsieur Charles. Sie sind da!“

„Ich hab’s gehört, meine Liebe.“

Vor dem Haus hatte sich bereits das Empfangskomitee aufgestellt. Julia schmunzelte, als sie sich mit Charles neben Virginie stellte. War es tatsächlich erst knappe drei Wochen her, seit sie selbst hier angekommen war? Es kam ihr eher wie Monate vor.

Einen Augenblick später bog auch schon Pierre mit dem Golfcart um die Ecke. Neben Pierre saß Philippe de Bertrand. Diesmal war er leger gekleidet in Jeans und weißem Hemd. Julia stellte anerkennend fest, wie gut er aussah. Als er Julia erkannte, lächelte er ihr vertraulich zu.

Auf der Rückbank saß die perfekteste Frau, die Julia je gesehen hatte. Obwohl sie sicherlich schon knapp sechzig war, strahlte sie eine gepflegte Präsenz aus, die Julia den Atem verschlug. Wie eine Königin, so huldvoll blickte sie auf die Wartenden. Das musste Charles’ Frau Inès sein. Sie trug einen aprikotfarbenen Hosenanzug, unter dem ein goldfarbenes T-Shirt hervorblitzte. Neben Brillantohrringen gehörte eine edle Uhr zu ihren Accessoires. Ihr blond gesträhntes Haar war kunstvoll hochgesteckt.

Neben ihr saß wohl die Tochter des Hauses, Salomé, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sie hatte wenig Ähnlichkeit mit dem frechen, bezopften Mädchen auf dem Foto, das Julia in Charles’ Büro betrachtet hatte. Im Gegensatz zu Inès waren ihre Haare nicht blond, sondern fast schwarz. Ihre Kleidung war mit Jeans und Bluse eher unauffällig. Als einzigen modischen Akzent machte Julia den modern geschnittenen Pony über dem stufigen Haarschnitt aus.

Unter viel Hallo, begleitet von den obligatorischen Küsschen, wurden die Ankömmlinge begrüßt. Julia war ein wenig befangen, als sie Inès die Hand reichte. Diese betrachtete sie interessiert und ignorierte ihre förmliche Begrüßung, indem sie die verblüffte Julia herzlich an sich zog und ihr ebenfalls zwei Küsschen verpasste.

„Ah, Julia. Wie schön, Sie endlich kennenzulernen. Charles und Philippe haben in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Und das will etwas heißen!“

Julia spürte, wie sie leicht errötete.

Salomé war neben ihre Mutter getreten und drängte sie spielerisch zur Seite. „Darf ich auch endlich mal die berühmte Julia begrüßen. Hallo, ich bin Salomé. Aber hier in Südfrankreich nennt mich eigentlich jeder Zaza.“

Julia wurde noch verlegener. Ehe sie sich’s versah, fand sie sich in Salomés Armen wieder. Julia sah dabei in Philippes Augen, der entschuldigend die Schultern zuckte.

„Ich bin nicht alleine daran schuld. Mein Vater hat auch seinen Teil dazu beigetragen.“ Wie zuvor Salomé bei ihrer Mutter, schubste Philippe Salomé energisch beiseite und riss Julia fast in seine Arme.

Sie war so überrumpelt, dass sie kaum wusste, wie ihr geschah. Du meine Güte! So gut kannten sie sich nun wirklich nicht. Sie hatten sich doch erst einmal kurz getroffen. Julia verstand nicht, weshalb jeder so tat, als wäre sie ein lang vermisstes Familienmitglied. Aber sie hatte ja bereits bei Charles gesehen, wie herzlich und vertrauensvoll er sich ihr gegenüber verhielt. Ihr Vorurteil, reiche Leute wären eher blasiert und unnahbar, musste sie auf jeden Fall streichen.

Philippe hielt sie länger als nötig in seinen Armen. Julia spürte, wie sich ihre Atmung gegen seine breite Brust hob und senkte. Sein herbes Aftershave stieg ihr in die Nase. Streichelten seine Hände etwa über ihren Rücken? Julia nestelte sich aus seiner Umarmung. Mit einem Anflug von Irritation schaute sie ihn an. Philippe überging ihren fragenden Blick und wandte sich herzlich an Estelle. Dann betrat die Gesellschaft munter plaudernd das Haus, und wenig später servierte Estelle einen aufwändigen Lunch.

Julia genoss die angeregte Atmosphäre und war wieder erstaunt über den herzlichen Umgang miteinander. Unweigerlich dachte sie an ihre eigene Familie.

Sie war ein Einzelkind und nach Auffassung ihrer Mutter viel zu selten „zu Hause“. Sie hatte es damals kaum übers Herz gebracht, ihren Eltern beizubringen, dass sie in die Schweiz ziehen würde. Ihre Eltern waren zwar auch herzliche Menschen. Allerdings nicht so offensichtlich wie die de Bertrands. Vielleicht lag es an der provenzalischen Umgebung, dass alles so unbeschwert schien. Zugegebenermaßen war das Reihenhaus ihrer Eltern in einem Kölner Vorort nicht mit diesem Ort vergleichbar. Dort gab es auch keine Estelle und keine Virginie, die wie gute Geister umherflatterten und alle lächelnd verwöhnten. Außerdem durfte man nicht vergessen, sie alle waren in Urlaubsstimmung.

Salomé hatte sich den Platz neben Julia ergattert und Philippe dabei triumphierend angegrinst. Es fehlt noch, dass sich die Geschwister gegenseitig die Zunge herausstrecken, dachte Julia.

Salomé war eine interessante Gesprächspartnerin. Julia betrachtete die Tochter des Hauses, die sie auf Anfang dreißig schätzte, aufmerksam. Ihre strahlend hellblauen Augen leuchteten, und sie gestikulierte leidenschaftlich, als sie von ihrem Leben in New York erzählte, wo sie zurzeit in einer Dependance des familieneigenen Bankhauses arbeitete.

„Ich habe übrigens während des Sommers Geburtstag, und ich wollte eine kleine Party schmeißen. Hast du Lust, zu kommen?“, fragte Salomé.

„Ja, selbstverständlich. Wann denn? Ich habe nämlich auch bald Geburtstag, am 4. August.“

Salomé kreischte entzückt auf und klatschte begeistert in die Hände. „Das gibt es doch nicht. Das wird dann ja wohl die Party des Jahres! Philippe, hast du das mitbekommen? Julia hat am selben Tag wie ich Geburtstag.“

„Moment mal, die Party des Jahres feiere ja wohl immer noch ich!“, warf Charles mit gespielter Empörung ein.

Salomé und Julia grinsten ihn nachsichtig an. In diesem Moment klopfte es, und Pierre betrat den Raum. „Madame Inès, Gerard ist soeben mit dem Gepäck und Ihrem Personal eingetroffen.“

Inès erhob sich und verließ den Raum. Salomé verdrehte schalkhaft die Augen. „Es ist unglaublich, wie viel Zeug Maman für den Sommer braucht.“

Julia war verwirrt. Hatte Pierre „Personal“ gesagt? „Aber wofür braucht sie denn weiteres Personal?“

Salomé lachte nur und winkte ab. „Das wirst du schon noch sehen. Eigentlich gar nicht schlecht, denn wir werden auch davon profitieren. Dir wird aufgefallen sein, wie gut sie aussieht. Das kommt ja schließlich nicht von ungefähr. Nein, da braucht es Trainer, Berater, Stylisten und, und, und.“

Julia blieb schon wieder der Mund offen stehen.

Salomé sprang auf und ergriff ihre Hand. „Komm, ich zeig dir, was ich meine.“

Als sie den Eingangsbereich passierten, mussten sie eine stattliche Anzahl von Koffern und Kisten umrunden. Inès stand vor einer Gruppe junger Menschen. Neben ihr stand eine streng gekleidete, sehr schlanke Frau, deren Haare zu einem Knoten zusammengefasst waren. Sie erläuterte den anderen die Hausregeln. Unwillkürlich assoziierte Julia mit ihr das Fräulein Rottenmeier aus dem Roman Heidi.

Auf Julias fragenden Blick rollte Salomé nur genervt mit den Augen und flüsterte: „Das ist Mademoiselle Courbier, die persönliche Assistentin meiner Mutter. Ich sage dir, die hat Haare auf den Zähnen.“

Julia entwich ein Kichern, was sogleich mit einem strengen Blick von Fräulein Rottenmeier quittiert wurde. Selbst Inès schien in deren Gegenwart wie verwandelt und schnalzte tadelnd mit der Zunge. Salomé zog Julia aus dem Haus, und sie brüllten vor Lachen wie junge Mädchen, sobald sie außer Hörweite waren.

„Oh mein Gott, die nimmt sich fürchterlich wichtig. Ich verstehe nicht, wie meine Mutter sich mit einer so spaßfreien Person umgeben kann. Da gibt es doch ...“

Salomé stockte in ihrem Satz und blickte mit offenem Mund über Julias Schulter. Julia drehte sich, um zu sehen, was Salomé so abgelenkt hatte. Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt war Mathieu aus einem Oleandergang getreten. Sein T-Shirt war verschwitzt und lehmverschmiert. Selbst sein Gesicht zierte ein breiter Erdstreifen. Den Spaten hatte er wie ein Wandersmann über die Schulter gelegt. Noch hatte er sie nicht entdeckt.

„Oh. Mein. Gott“, entfuhr es Salomé leise, die ihren Blick nicht von Mathieu lösen konnte.

Moment mal, der gehört mir!, dachte Julia empört. So sehr sie Salomé in diesen wenigen Stunden bereits ins Herz geschlossen hatte, durchfuhr Julia ein jäher Schreck. Konnte sie mit der attraktiven, reichen Salomé überhaupt mithalten, sollte es um die Gunst von Mathieu gehen? Julia konnte die Augen ebenfalls nicht von Mathieu wenden. Dieser war ihnen jetzt näher und hob den Kopf. Ein Strahlen ging über sein Gesicht, als er Julia erkannte. Er trat zu ihnen.

„Salut, Julia. Hast du einen schönen Tag?“, fragte er.

Julia verlor sich kurz in seinem Lächeln. Gebannt von dem Grübchen auf seiner Wange, antwortete sie automatisch: „Oui, Mathieu. Sehr. Merci.“

Salomé räusperte sich vernehmlich.

Julia besann sich. „Ah, das ist Salomé de Bertrand. Salomé, das ist Mathieu ...“ Sie hielt inne. Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass sie seinen Nachnamen gar nicht kannte. „Ach, ihr kennt euch doch sicher schon lange.“

„Nein, wir kennen uns bisher noch nicht. Mathieu Fontaine, sehr erfreut, Salomé“, sprang Mathieu hilfreich ein und nickte Salomé zu. Da er mit der Rechten den Spaten hielt, fügte er hinzu: „Ich schüttele Ihnen lieber nicht die Hand. Zu erdig.“

Salomé stutzte. „Mathieu Fontaine?“, überlegte sie. „Sind Sie hier aus der Gegend?“

Mathieu nickte und neigte fragend den Kopf. „Ja, ich lebe in Roquebrune. Sind wir uns vielleicht früher doch schon einmal begegnet?“

Salomé winkte ab und grinste ihn keck an. „Nein, nicht persönlich. Also, wenn überhaupt kennen wir uns nur vom Sehen. Aber ich muss zugeben, dass ich Ihren Namen in meiner Jugend öfter gehört habe.“

Mathieus Gesichtsausdruck versteinerte. Mit einem Male schien er es eilig zu haben. Er nickte Julia und Salomé zu.

„Also ... hat mich gefreut.“ Mathieu wandte sich bereits wieder Richtung Plattenweg. Dann hielt er kurz inne und sah Julia an. Sein Blick schweifte zu ihren Lippen. „Bis dann“, sagte er rau.

„Bis dann“, wisperte Julia und blickte ihm nach.

Kaum war Mathieu um die Ecke verschwunden, konnte Salomé nicht mehr an sich halten. „Oh, oh. Da hat es aber zwei ganz schön erwischt.“ Sie klatschte in die Hände. „Unsere Julia und Mathieu Fontaine, ich glaube es einfach nicht.“

Julia holte tief Luft. Das konnte doch nicht so weitergehen, dass alle Welt sofort um ihre Gefühle für diesen Mann wusste. Hilflos zuckte sie die Achseln und grinste Salomé an.

„Du kennst ihn ja doch! Er schien es jedenfalls nicht so toll zu finden, dass du seinen Namen kennst. Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“

Lachend hakte sich Salomé bei Julia unter und zog sie wieder ins Haus.

„Ach was! Sein Name war nur einen Sommer lang bei einigen Mädchen meiner Clique sehr angesagt. Wie alt war ich da? … Ich glaube … siebzehn. Meine Freundinnen haben mich ziemlich genervt mit ihrer Schwärmerei für ihn. Ich hätte ihn eigentlich gleich erkennen sollen. Aber er war ein bisschen … erdig.“ Sie lachte laut auf.

Julia konnte an ihren glasigen Augen sehen, wie sie in weit entfernten Erinnerungen kramte. Ihre Neugier war geweckt. Sie fand es hochspannend, zu erfahren, wie Mathieu wohl damals gewesen war.

„Jetzt erzähl schon, Zaza!“

„Hach. Er war ... war so anders. Er war wild und schroff. Ganz anders als die braven Jüngelchen, mit denen wir sonst so loszogen. Wenn er den Strand langging, seufzten alle Frauen auf. Und nicht nur die jungen! Es war so wie in diesem Girl from Ipanema-Song, nur halt mit Mathieu Fontaine.“

„Und er? Hatte er eine Freundin?“

„Eine?“ Salomé lachte laut auf. „Ach, Julia. Ich weiß ja nicht, wie er heute ist. Aber ich habe doch gesagt, dass er wild war. Das machte ja gerade seinen Reiz aus. Ich glaube, neunzig Prozent der Mädchen damals waren total in ihn verknallt.“

Julia kaute nachdenklich ihre Unterlippe.

„Und du? Warst du auch in ihn verknallt?“

Belustigt begegnete Salomé ihrem zaghaften Blick. Dann wurde sie schlagartig ernst. „Nein, ich war damals immun gegen ihn. Ich hatte einen Freund.“

„Und das hat dich abgehalten?“

Salomé zuckte die Achseln. „Tja. Was wieder ein Beweis dafür wäre, wie dumm man mit siebzehn sein kann.“

Sie brach wieder in schallendes Gelächter aus, und Julia war erleichtert, dass ihr Anflug trüber Stimmung so rasch verflogen war. Kichernd betraten sie wieder den Essraum.

Inès erhob sich. „Da seid ihr ja! Ihr zwei Kichererbsen. Ich warte schon auf euch. Alleine macht es einfach keinen Spaß.“

Julia runzelte verwirrt die Stirn. Was meinte Inès?

Salomé hingegen klatschte wieder begeistert in die Hände. „Au ja, ich fange mit der Maniküre an, Julia nimmt das andere.“

Julia begriff, dass es sich also um ein Kosmetikprogramm handelte. Wow. Zuerst Massage, jetzt Kosmetik. Was für ein Leben. Aber was um alles in der Welt meinte Salomé mit „das andere“? Selbst Inès hatte bei Salomés Worten geschmunzelt. Salomé zog Julia am Arm hinter ihrer Mutter her, die den Speiseraum bereits verlassen hatte und dabei in unbestimmter Richtung mit den Fingern schnippte. Sogleich traten aus versteckten Ecken Fräulein Rottenmeier und ihr Gefolge zu ihr.

„Was meinst du mit das andere, Zaza?“, fragte Julia.

„Du wirst schon sehen.“ Salomé lächelte sibyllinisch und folgte der Prozession in Inès’ Gemächer.

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