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WIE IM FILM

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Als der Privatjet auf dem Flughafen in Nizza aufsetzte, überkam Julia leichte Panik. War es wirklich richtig gewesen, ihrem Leben der letzten Jahre so radikal den Rücken zu kehren? Sie schloss die Augen und wäre am liebsten noch eine Weile in dem weichen Sessel sitzen geblieben, um den ersten Schritt in den neuen Lebensabschnitt ein wenig hinauszuzögern.

Vor ihr räusperte sich jemand. Als sie die Augen öffnete, blickte sie in Charles de Bertrands Augen, die sie nachdenklich musterten. Er schien auf sie zu warten. Die Maschine stand still. Julia besann sich schlagartig auf ihre Aufgabe und gab dem Stewart ein Zeichen. Gemeinsam halfen sie Charles de Bertrand aus dem Sessel.

Die Tür des Fliegers glitt nach unten und wandelte sich so in eine Treppe. Julia schlug die unvergleichliche Mittelmeerluft, leicht verfälscht durch einen Hauch von Kerosin, entgegen. Ein Range Rover mit dunkel getönten Scheiben erwartete sie.

Der Fahrer, der am Fahrzeug gelehnt hatte, straffte die Schultern, hob zwei Finger zum Gruß an seine Mütze und übernahm Charles de Bertrand am Fuße der Treppe mit einer fröhlichen Begrüßung. Dann wandte er sich Julia zu. „Bonjour, Madame, ich bin Gerard. Ich fahre Sie.“

Julia schmunzelte, weil Gerards Chauffeurs-Outfit, insbesondere die Mütze, so stilecht war, dass sie sich wie in einem Disneyfilm vorkam.

Bereits nach nur gefühlt einer Minute stoppte das Fahrzeug wieder. Julia schaute verwirrt nach draußen. Gerard hielt ihr die Tür auf. Vor ihnen stand ein kleiner Helikopter. Sie konnte nicht vermeiden, dass ihr Mund offen stand. Das wurde ja immer besser! Sie war noch nie in einem Heli geflogen, und ihr Herz schlug in Vorfreude wie bei einem kleinen Mädchen.

Nachdem das leichtere Gepäck im Helikopter verstaut war, hoben sie mit viel Getöse ab. Gerard würde den Rest des Gepäcks mit dem Auto zum Haus bringen. Julia war zuerst ein wenig mulmig, als ihr Magen Richtung Boden sackte. Dann hatte sie allerdings keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Sie blickte auf das blinkende Mittelmeer, dessen spiegelglatte Fläche sich unter ihnen im Dunst verlor. Nach einem kleinen Schwenker über das Wasser flogen sie die eindrucksvolle Küstenlinie entlang. Julia konnte sich kaum sattsehen an den imposanten Villen und hellen Sandstrandabschnitten, der üppigen Vegetation und den schroffen Felsen des Hinterlandes.

Charles de Bertrand neben ihr schnalzte anfangs ein paar Mal missbilligend die Zunge und regte sich anscheinend darüber auf, welche neu errichteten Industriegebiete und Baukräne seit seinem letzten Besuch zur Verschandelung der Küste geführt hatten. „Kein Vergleich zum Flair der Sechziger- und Siebzigerjahre, junge Dame.“

Je mehr sie sich jedoch von Nizza entfernten und die sattgrünen Hügel der Côte d’Azur sichtbar wurden, hob sich seine Stimmung unvermittelt. Begierig wie ein Kind deutete er aus dem Fenster und erzählte Julia mit verträumtem Gesichtsausdruck Anekdoten zu einzelnen Hügelsilhouetten und einsamen Prachtvillen auf der Strecke.

Seine Laune steckte an, und als er plötzlich aufgeregt nach unten deutete, breitete sich unbändige Vorfreude in Julia aus. An der Küste sammelten sich recht hässliche Hochhäuser, die vereint jedoch unerklärlicherweise Eleganz ausstrahlten, um einen Yachthafen.

„Das ist Monaco, meine Liebe. Jetzt ist es nicht mehr weit. Da vorne liegt bereits Roquebrune“, erklärte ihr Arbeitgeber.

Julia blickte staunend auf die dicht gedrängten sandfarbenen Gebäude und die palmengesäumten Boulevards, die eindrucksvollen Yachten, die im Hafen lagen, und die imposante Palastanlage der Grimaldis. Das war es also: der Inbegriff von Dekadenz und Reichtum. Julia lächelte und entspannte sich. Sie hatte allmählich richtig Lust auf den Neuanfang bekommen.

Der Helikopter näherte sich dem dicht besiedelten Hügel Roquebrunes. Julia erspähte unzählige Prachtvillen, deren Swimmingpools türkis glitzernd in der Sonne lagen. Während der Pilot den Helikopter langsam über einer runden Plattform absenkte, löste sich ein junger Mann, der kaum älter als achtzehn sein konnte, von einem wartenden Golfcart und lief in leicht gebückter Haltung gegen den Wind der auslaufenden Rotorblätter auf sie zu.

„Bienvenu, Madame. Bienvenu, Monsieur de Bertrand“, begrüßte er sie und half zuerst Julia aus dem Hubschrauber.

„Ah, Pierre! Sie sind aber groß geworden.“ Erfreut ergriff Charles de Bertrand Pierres Hand und ließ sich, von ihm gestützt, zu dem Golfcart führen. Zu Julia gewandt, erklärte er: „Pierre ist der Enkel unserer Haushälterin Estelle, und ich kenne ihn schon sein ganzes Leben. Pierre, das ist Julia Sandhagen, meine Assistentin.“

Pierre nickte Julia freundlich interessiert zu. Nachdem alles verstaut war, setzte Pierre das Cart in Bewegung und sie erklommen rappelnd einen bekiesten Weg, der in sanften Serpentinen den Hügel hinaufführte.

Nach der letzten Kehre, die sich um eine eindrucksvolle Pinie wand, blieb Julia abermals vor Staunen der Mund offen stehen. Vor ihr lag ein verwinkeltes, großes Haus, das mit seinen unzähligen Balkonen, pflanzenbeschatteten Treppchen, kleinen Terrassen und Türmen wie ein kleines Schloss anmutete. Blaue Fensterläden umrahmten die unzähligen Fenster und Balkontüren. Sie erkannte das Haus vom Bild in de Bertrands Büro wieder, doch in natura wirkte alles noch viel imposanter. Julia assoziierte sofort eine Villa aus dem alten Rom. Ehrwürdig gewachsene Bäume, vornehmlich gigantische Schirmpinien, Zypressen und Palmen, warfen ihre Schatten auf einen Vorplatz. Auf der Eingangstreppe hatte sich das Personal für den Empfang des Hausherrn versammelt. Wie bei Downton Abbey, ihrer Lieblingsserie um einen englischen Landsitz, dachte Julia entzückt.

Als die Reifen des Carts im Kies knirschend zum Stehen kamen, holte Charles de Bertrand tief Luft. „Ah, tut das gut, wieder hier zu sein.“

Schon stürmte eine etwa sechzigjährige Frau auf den Wagen zu. „Oh, Monsieur Charles, wie schön, Sie zu sehen. Eine solche Freude!“, rief sie. Ihr Gesicht zeigte mütterliche Freude.

Charles de Bertrands Gesicht leuchtete ebenfalls freudig auf, und Julia vermutete, er musste sich zurückhalten, die rundliche Frau nicht zur Begrüßung in seine Arme zu schließen. Er wandte sich zu Julia. „Darf ich vorstellen, das ist Estelle. Seit ich denken kann, die gute Seele dieses Hauses. Estelle, das ist meine Assistentin für diesen Sommer – Julia. Sie spricht übrigens fließend Französisch, Sie müssen sich also nicht auf Deutsch abmühen“, zwinkerte Charles ihr vertraulich zu.

Als hätte Charles seine lange verlorene Tochter vorgestellt, umfasste Estelle Julias Hand mit beiden Händen und drückte diese herzlich. „Oui, wir haben Sie bereits erwartet und das Dahlienzimmer für Sie hergerichtet. Sie wollen sicherlich erst einmal ankommen und sich nach der Reise ausruhen.“ Freundlich zwinkerte sie Julia zu und zog sie leicht Richtung Eingang.

Julia folgte ihr verblüfft. „Ja … aber … ich muss mich um Monsieur de Bertrand kümmern.“

„Ach was, das können Sie auch später noch. Hier sind genug eifrige Helfer. Sie sollen doch ein wenig Freizeit haben.“

Julia stellte nach einem Blick über ihre Schulter beruhigt fest, wie Charles de Bertrand ihr entspannt nachwinkte. Am Eingang knickste eine junge Frau vor ihr und stellte sich als Virginie vor. Julia schätzte sie auf Anfang zwanzig.

„Ich bringe Sie zu Ihrem Zimmer, Madame.“ Sie winkte Pierre. „Pierre, du holst bitte das Gepäck von Madame und trägst es ins Dahlienzimmer hoch, und sobald Gerard da ist, bringst du den Rest.“

Der Junge machte sich eifrig an seine Aufgabe. Julia fühlte sich wie in einem Traum: das Personal, der Knicks, die Kiesauffahrt. Das durfte doch alles nicht wahr sein, schmunzelte sie innerlich über diese Klischee-Wunderwelt, die ihr Zuhause für die nächsten Wochen sein sollte.

Virginie führte Julia über mehrere Treppchen und Wandelgänge zu einem Wohntrakt, der in einem ruhigen Teil des Hauses lag. Das Innere des Hauses schien vollständig modernisiert und war geschmackvoll im mediterranen Stil eingerichtet. Die Ausstattung war zu schlicht, um billig zu sein. Julia war erleichtert, dass sie weder die kühle Atmosphäre der Sechzigerjahre noch die Seidentapeten-Opulenz, die sie von einer französischen Villa an der Côte d’Azur erwartet hatte, umgab.

Julia folgte Virginie, die eine große Flügeltür geöffnet hatte und sie hineinbat. Als sie den Raum betrat, musste sich Julia schon wieder ermahnen, rasch den Mund zu schließen, der sich beim Anblick des Dahlienzimmers staunend geöffnet hatte. Das war wohl eher eine Dahlien-Suite: ein hoher Raum, der auf der gesamten südlichen Wandfläche von Terrassentüren gesäumt war, vor denen lichte Vorhänge im Wind flatterten. Vor einem der Fenster entdeckte sie einen großen Schreibtisch aus hellem Holz, auf dem ein MacBook mit Drucker stand. In der gegenüberliegenden Ecke neben der Tür lud eine Sitzkombination zum Ausruhen ein. Hinter dem Sofa hing ein großformatiges modernes Ölgemälde, das einen Dahlienstrauß andeutete.

Das Hausmädchen hatte einen großen Schrank zu ihrer Rechten geöffnet, in den eine komplette kleine Küchenzeile integriert war. „Falls Sie sich mal einen Tee machen möchten, Madame. Selbstverständlich bringen wir Ihnen alles, was Sie wünschen, auch aufs Zimmer. Was es auch sein mag. Wählen Sie die Siebzehn.“ Virginie deutete auf ein Telefon beim Schreibtisch. Schnell durchquerte sie den Wohnraum und öffnete eine weitere Flügeltür zum angrenzenden Schlafzimmer.

Julia holte tief Luft, so beeindruckt war sie. Ein Himmelbett in zarten mediterranen Blautönen nahm den halben Raum ein, und Julia hatte nicht übel Lust, wie ein junges Mädchen vor Freude darauf herumzuspringen. Vom Bett aus blickte man über die bodentiefen Fenster auf das blinkende Mittelmeer. Angrenzend erspähte Julia ein schickes Badezimmer in weiß-grauem Marmor und Glas mit einer riesigen Badewanne. Sowohl vom Bad als auch vom Schlafzimmer aus gelangte man in einen weiteren Raum, einen begehbaren Kleiderschrank. Ihr eigenes Kleiderzimmer!

Virginie hatte Julias Staunen registriert und grinste. „Wunderschön, nicht? Ich finde, Sie haben das schönste Gästezimmer im Haus“, strahlte sie Julia nicht ohne Besitzerstolz an. In diesem Moment hörten sie ein leises Klopfen. „Das wird Pierre mit dem Handgepäck sein. Soll ich Ihnen später beim Auspacken helfen, wenn Gerard mit dem großen Gepäck angekommen ist, Madame?“

Julia wurde bewusst, dass ihr Kofferinhalt den Kleiderraum gerade mal zu einem Zehntel füllen würde. Sie sandte einen stillen Dank an ihre Kölner Freundinnen Carmen, Stella und Elena, die sie immerhin mit der passenden Kleidung versorgt hatten. Da sie es nicht erwarten konnte, endlich die auf sie einstürmenden Eindrücke zu verarbeiten und allein zu sein, schüttelte sie den Kopf. „Das ist nicht nötig. Danke, Virginie.“

„Wenn Sie eine Hausführung möchten, wählen Sie bitte ebenfalls die Siebzehn, und ich komme und zeige Ihnen alles. Ansonsten gibt es um acht Uhr ein leichtes Dîner im großen Speisezimmer. Die Terrasse ist die nächsten paar Tage noch im Umbau, deswegen wird im Moment noch drinnen serviert. Soll ich Sie um kurz vor acht hier abholen und Ihnen zeigen, wo es ist?“

Julia schaute rasch auf ihre Armbanduhr. Sie hatte also noch drei Stunden Zeit für sich. Sie nickte dankbar und schloss die Tür hinter Virginie und Pierre. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und starrte fassungslos auf ihr neues Reich. Vielleicht sollte sie sich kneifen, um aus diesem Prinzessinnentraum zu erwachen. Das war allerdings das Letzte, wonach ihr der Sinn stand.

Beschwingt machte sie sich erst einmal daran, ihren kleinen Koffer zu öffnen. Wie vermutet: Ihre wenigen Kleider würden sich in dem riesigen Raum verlieren, auch wenn sie später noch den Inhalt des großen Koffers einräumte. Als Julia ihre Zahnbürste aus ihrem Kulturbeutel kramte, bemerkte sie, dass bereits ein elektrisches Dentalcenter für ihre Mundhygiene bereitstand. Schmunzelnd ließ sie dennoch ihre Zahnbürste in das Glas auf der Marmorkonsole plumpsen, um so ihr Territorium zu markieren. Ihr Blick streifte das in die Wand eingelassene Soundsystem, das – wie Virginie ihr erklärt hatte – via Bluetooth von allen Räumen aus bedient werden konnte.

Kurzerhand streifte sie sich das Business-Outfit ab, das sie während der Reise getragen hatte, und öffnete die Glastür, die in das „Duschareal“ führte. Schmunzelnd erkundete sie die Funktionen der unzähligen Knöpfe in ihrer Dusche und gab einen spitzen Schrei von sich, als sich ein eiskalter Schwall blau illuminierten Wassers begleitet von Bossanova-Musik über ihr ergoss.

Nach der Dusche wickelte sie sich zufrieden in ein flauschiges Badetuch und wischte ausgelassen mit einem Handtuch Teile des beschlagenen Spiegels frei. Zu ihrem verschwommenen Konterfei mit Handtuchturban hauchte sie auf Französisch: „Allo, Madame! Comment allez-vous?“

„Mir geht es sehr gut!“, antwortete sich Julia, tanzte Richtung Himmelbett und gab endlich dem Drang nach, sich darauf zu werfen. Sie war allerdings zu aufgeputscht, um dort liegen zu bleiben, und sprang nach wenigen Minuten wieder auf.

Inzwischen stand ihr anderer Koffer auch im Kleiderzimmer. Gut gelaunt verstaute sie jedes einzelne Teil auf Bügeln und Regalen. Wie erwartet, blieb noch viel Platz für ausgiebige Shoppingtouren in Monaco. Sie konnte ja schließlich nicht ihr ganzes Gehalt für Notzeiten zurücklegen. Überwältigt von Carmens Kleidervielfalt verweilte sie einen Moment ratlos vor dem Regal. Dann entschied sie sich für ein zart geblümtes Sommerkleid und eine leichte Strickjacke. Prada las sie auf dem Etikett. Wie weich sich der Stoff anfühlte. Kein Vergleich mit ihren üblichen Sachen.

Sie drehte sich um und staunte über ihr Abbild im Spiegel. Das Kleid endete knapp über ihren Knien. Der geblümte leichte Stoff war fast transparent und ließ ihre durch das eng anliegende Unterkleid geformte Figur im Gegenlicht erahnen. Die geflochtenen Spaghettiträger brachten ihr schönes Dekolleté zur Geltung. Wer hätte gedacht, dass sie so sexy aussehen könnte? Na, ja, ein wenig Sonnenbräune könnte nicht schaden. Julia konnte dem Drang nicht widerstehen, sich einmal um ihre eigene Achse zu drehen, um das Schwingen des Kleides auszulösen.

Vergnügt trat sie mit nackten Füßen auf ihre Terrasse an das von der Juni-Sonne erwärmte Steingeländer. Während sie ihr feuchtes Haar kämmte, bewunderte sie die grandiose Aussicht auf das Mittelmeer. Eine stattliche Anzahl von großen Yachten dümpelte vor der Küste. Einzelne Wellenkämme blinkten in der Sonne. Ein hellblaues Glitzern durch die Pflanzen zu ihrer Linken ließ Julia vermuten, dass sich dort der Swimmingpool befand.

Julia sog tief die nach Rosmarin und Pinien duftende Luft ein und genoss die friedliche Spätnachmittagsstimmung. Sie schloss lächelnd über ihr Glück die Augen und konnte es gar nicht erwarten, ihrer Freundin Stella von allem zu berichten.

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