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DER GÄRTNER IST IMMER...

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„Mathieu? Mathieu?!“

Julia beugte sich leicht vor und sah Pierre unter sich. Die Hände zu einem Trichter geformt, wiederholte er sein Rufen. „Mathieu, wo bist du denn?“

„Hier unten!“, antwortete eine tiefe Stimme aus dem dichten Buschwerk unterhalb Julias Terrasse.

Pierre hastete auf einem Pfad aus Steinplatten, der von hohem Gras fast überwuchert war, in Richtung der Stimme. Ob dieser Mathieu der Gärtner war? Er musste ein rechter Faulpelz sein.

Julia starrte stirnrunzelnd auf die struppigen Oleanderbüsche, zwischen denen Pierre verschwunden war. Der Garten machte, im Gegensatz zum Haus, einen eher ungepflegten, fast verwilderten Eindruck. Aber gerade diese Wildheit des Gartens erweckte in ihr den Entschluss, das Areal zu erkunden.

Sie zog rasch weiße Stoffschuhe an und verließ ihr Zimmer. Vor der Tür musste sie sich erst einmal orientieren, aus welcher Richtung sie zuvor mit Virginie gekommen war. Leichtfüßig sprang sie eine Wendeltreppe aus Stein hinab, die auch tatsächlich in den Garten mündete. Sie befand sich unterhalb ihrer Terrasse an der Stelle, an der sie Pierre hatte rufen hören. Zufrieden folgte sie dem Pfad der Steinplatten und fühlte sich ein wenig wie Alice im Wunderland.

Als sie den Weg ein paar Meter gegangen war, kam ihr Pierre entgegen. Er hatte den Gärtner Mathieu anscheinend gefunden, befand sich auf dem Rückweg und nickte ihr kurz zu.

An der nächsten Weggabelung stand Julia tatsächlich vor einem Swimmingpool. Wie alles im Garten wirkte auch dieser leicht vernachlässigt. Das Becken war sicher zwanzig Meter lang, und einige der hellblauen Fliesen am Boden waren gesprungen. Das Wasser erschien allerdings klar und wurde offensichtlich gereinigt. Auf einer verwitterten Holzterrasse stand etwa ein halbes Dutzend verblichener Holzliegen. An der gegenüberliegenden Seite des Pools sah Julia ein einstöckiges Gebäude mit Flachdach, das sich als Poolhaus entpuppte, das Waschräume und Umkleidekabinen beherbergte. Flauschige Badetücher und -mäntel warteten auf Schwimmer. Aber auch hier herrschte ein eher gestriger Charme vor, wie Julia bei ihrer Inspektion feststellte.

„Merkwürdig“, murmelte sie.

Sie drehte sich um. Das Haupthaus war von hier aus betrachtet fast vollständig von Bäumen verdeckt. Wenn sie wie jetzt rechts vom Poolhaus stand, konnte sie gerade noch eine kleine Ecke des Geländers einer Terrasse ausmachen, und Julia nahm an, dass es sich um ihre vor dem Dahlienzimmer handelte. Rechts vom Poolhaus führte ein weiterer Pfad mit Steinplatten in die Büsche.

Neugierig setzte Julia ihre Erkundungstour fort und passierte einen kleinen Gartenschuppen. Die in den Weg ragenden Zweige eines Feigenbaumes drückte sie zur Seite, dann bog sie in einen von einer Hecke umgebenen, leicht verrotteten Tennisplatz ohne Netz ein. Büschel von Unkraut hatten sich ihren Weg durch die vormals rote Asche zurückerobert. Tennis spielte hier wohl auch seit langer Zeit niemand mehr.

„Das ist mir gleich, Antoine. Ich brauche die Lieferung spätestens morgen Vormittag.“

Julia fuhr herum: Sie war nicht allein. Mit dem Rücken zu ihr nahe bei der Hecke stand ein schlanker Mann, der mit der einen Hand ein Handy ans Ohr hielt und sich mit der anderen Hand heftig durch braune halblange Locken fuhr. Er trug eine mit Erde verschmutzte Jeans und ein verblichenes olivfarbenes T-Shirt, das im Rücken eine Schweißspur aufwies. Seine Füße steckten in einer Art Bergsteigerstiefel. Neben dem Mann lagen eine Spitzhacke und ein Eimer.

Julia wusste nicht, weshalb, aber sie konnte den Blick kaum von seinen breiten Schultern und der feuchten Spur, die sich vom Nacken bis zum Hosenbund zog, abwenden. Obwohl sie sein Gesicht noch nicht gesehen hatte, strahlte er eine enorme männliche Präsenz aus: Typ kerniger Naturbursche. Fasziniert starrte sie auf die definierten, braun gebrannten Unterarme und registrierte, wie perfekt die Jeans um seine Hüften saß.

Ihr Herz klopfte aus unerfindlichen Gründen heftiger, als es in einer solchen Situation notwendig war. Der Mann – er mochte ungefähr vierzig Jahre alt sein – wandte ihr nun sein Profil zu, während er mit unzufrieden gekräuselter Stirn in sein Telefon lauschte. Er schien sie immer noch nicht bemerkt zu haben.

Die Nachmittagssonne tauchte die ganze Szenerie in ein fast kitschiges orangenes Licht.

„Ich meine es ernst, Antoine. Das ist ein wichtiger Auftrag. Vermassel es mir nicht.“

Der unfreundliche Gesichtsausdruck, den er dabei aufsetzte, tat seinem guten Aussehen keinen Abbruch. Seine Stimme war trotz seines offensichtlichen Ärgers angenehm und tief und brachte Julias Sinne zur höchsten Anspannung.

Julia folgte mit den Augen der markanten Linie seiner Wange und registrierte seinen leichten Bartschatten. Der Mann hatte etwas Herbes, Ungebändigtes an sich. Die Nase war ein wenig zu groß, das Kinn schroff, die Lippen ausdrucksstark und jetzt, wo er offensichtlich schlechter Stimmung war, an der ihr zugewandten Seite fast abweisend hochgezogen. Aus demselben Grund war seine Stirn gefurcht.

Sein ganzes Äußeres strahlte Ablehnung aus.

Sein ganzes Äußeres zog Julia magnetisch an.

Irgendwie kam ihr seine Kinnpartie vage bekannt vor. Bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, beendete der Mann sein Telefonat und bemerkte, wie Julia ihn anstarrte. Julia zuckte ertappt zusammen und spürte zu ihrem Ärger, wie Hitze in ihre Wangen stieg. Zugleich schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf.

Wie lange sie ihn wohl so angegafft hatte? Was musste er von ihr denken? Ob das der Gärtner war? Wie hieß er noch mal? Ah, Mathieu. Was für eine Lieferung? Handelte der mit Drogen? Dürfen Gärtner so gut aussehen? Kernig. Männlich. Oh Gott, Julia, sag doch was! Plötzlich schienen ihre Französischkenntnisse zu versagen.

Als hätte der Gärtner ihre Gedankensprünge an ihrem Gesicht ablesen können, begann er, zu grinsen. Er nahm seine Spitzhacke auf und stützte sich auf deren Stiel, während er unverhohlen zurückgaffte. Er musterte sie von oben bis unten und zog sie mit seinem Blick förmlich aus. Ihr wurde heiß.

Oh weh, dachte Julia. Wie megapeinlich! Gleichzeitig fiel ihr auf, wie schön sein Mund wurde, wenn er lächelte. Das Lächeln glättete auch die Zornesfurche zwischen seinen Brauen, und Julia war von dieser Wandlung seiner Gesichtszüge hingerissen. Sie spürte einen impulsiven Drang, mit den Fingern seine Lachfältchen links und rechts des Mundes zu erkunden. Als seine eindringliche Inspektion endlich ihre Augen erreicht hatte, wurde es einen Moment ganz still in ihr. Sie versank in seinen schönen Augen und war gefangen von dem Gefühl der Nähe, das dieser Blick auslöste. Dann mahnte sie eine innere Stimme, sich nicht völlig lächerlich zu machen.

Julia räusperte sich. „Bonsoir, Monsieur“, fiel ihr als einzig sinnvoller Satz ein.

An seinem amüsierten Schnauben bemerkte sie, wie läppisch der Satz in dieser seltsamen Situation klang. Dann verflog sein Lächeln.

„Bonsoir, Madame“, entgegnete er, nahm den Eimer auf und wandte sich schon halb ab, um den Tennisplatz zu verlassen.

Leichtes Bedauern stieg in Julia auf. Sie wollte nicht, dass er ging.

„Ich bin Julia. Ich wohne im Haus“, brach es atemlos aus ihr heraus, während sie mit einer vagen Geste Richtung Villa fächelte. Spontan zückte sie ihre Hand zur Begrüßung.

Der Mann hielt inne und drehte sich ihr zu. Zögerlich stellte er seinen Eimer wieder hin und wischte seine rechte Hand an seiner Jeans ab, ohne den Blick von ihren Augen zu lassen.

Seine Augen waren braungrün und von dichten dunklen Wimpern umrahmt. Sein Blick sog Julia in unergründliche Tiefen, und ihr Herz begann, aufgeregt zu flattern. Als seine Hand ihre umfasste, blinzelte Julia, so sehr genoss sie seine körperliche Wärme. Dabei war es ein lauer Spätnachmittag. Von Nahem machte sie einzelne silbrige Fäden, die sein Haar durchzogen, aus. Der Druck seiner Hand war kräftig, doch ließ er sie abrupt los, so, als hätte er sich verbrannt.

„Mathieu. Ich mache den Garten“, erwiderte er kurz angebunden und betrachtete nachdenklich seine Hand.

„Ich weiß“, konnte Julia nur sagen.

Mathieus Augen verengten sich kurz, dann tippte er noch einmal grüßend an die Stirn und verließ den Tennisplatz.

Als seine Schritte verklungen waren, löste sich Julia aus ihrer Starre. Sie vergrub stöhnend ihr Gesicht in den Händen.

„Oh, Julia. Bist du vierzehn oder was?“, schalt sie sich halblaut. Ärgerlich kickte sie einen Kieselstein über den Tennisplatz. Dann wurde ihr bewusst, was gerade mit ihr geschehen war. Oh Mann! Gab’s so etwas wirklich? Sie starrte auf einige Erdkrümel, die seine Berührung auf ihrer Hand zurückgelassen hatte. Sie schienen kostbarer als Gold.

Ein jubelndes Gefühl wärmte unvermittelt ihre Brust, und sie lief den Plattenweg zurück. Sie musste Stella unbedingt sofort alles erzählen. Alles. Auch, dass sie sich gerade in den gut aussehenden Gärtner verknallt hatte.


Als Mathieu seine Arbeitsutensilien auf der Ladefläche seines Lieferwagens verstaute, dachte er immer noch über die merkwürdige Begegnung mit dieser Frau nach.

Gerade hatte er sich noch über Antoines Schusseligkeit geärgert. Er hatte seinem Gehilfen ausdrücklich die Anweisung gegeben, für heute Nachmittag Natursteinblöcke für den Bau neuer Mauereinfassungen zu bestellen. Dieser Träumer hatte sich jedoch in den Daten um eine Woche vertan. So lohnte sich der Beginn der weiteren Arbeiten jedoch nicht, sodass Mathieus Zeitplan gefährdet war. Und die Hauptterrasse musste auch so schnell wie möglich fertig werden, denn die Hausgäste waren heute angereist.

Dies war der erste richtig große Auftrag in dieser Reichengegend, der hoffentlich viele andere nach sich ziehen würde, wenn er ihn zufriedenstellend abschloss. Er durfte sich keinen Fehler erlauben, hatte er gedacht.

Im nächsten Moment hatte er sich von dieser schönen Frau angestarrt gefühlt. Ihre Verlegenheit, als er sie dabei ertappte, war so entzückend. Die hektische Röte, die in ihre Wangen gestiegen war, und das Zittern ihrer Stimme ließen sie wie ein Backfisch wirken. Zugleich strahlte sie die erotische Souveränität einer erwachsenen Frau aus, die in Mathieu lang verschüttetes Begehren weckte.

Er betrachtete ihre schmalen Fesseln in den flachen Turnschuhen, in deren Verschnürung sich ein Oleanderblatt verfangen hatte. Er registrierte, wie sich die Rundung ihrer Hüfte unter dem durchsichtigen geblümten Kleid andeutete. Ihre feuchten Haarspitzen, anscheinend frisch gewaschen, hinterließen einen schimmernden Film an ihren nackten Schultern. Er konnte unwirklich deutlich kleine Härchen im Gegenlicht ausmachen, die auf den Spitzen einer leichten Gänsehaut an dieser Stelle saßen. Dann heftete er seinen Blick endlich auf ihre grauen Augen, die seinen eindringlichen Blick ruhig erwiderten. Sofort machte sich ein merkwürdiges Ziehen in seiner Brust breit und fand seinen Weg in seine Lendengegend. Unmerklich wechselte er seine Haltung, um die peinliche Erregung, die ihn erfasst hatte, zu verbergen.

Er war so fasziniert gewesen von ihrem Anblick – und dann brachte ihn ihr förmlicher Gruß auf den Boden der Tatsachen zurück. Er hatte seinen Job zu erledigen und sonst nichts. Warum nur hatte sie ihn daraufhin nicht einfach gehen lassen können? Allein schon ihre Betonung, sie sei ein Hausgast, ließ ihn sich besinnen, dass ihre Welten meilenweit auseinanderlagen. Sie war augenscheinlich eine dieser reichen Tussis, die den Sommer über das wilde Leben an der Küste verbrachten. Ohne Gedanken an ihr Auskommen oder an Konsequenzen. Von solchen Frauen hatte er definitiv die Nase voll. Aber ihr Duft fand seinen Weg aus ihrem feuchten Haar in seine Nase.

Plötzlich war er zutiefst beunruhigt. Was wollte sie nur von ihm? Suchte sie einen kernigen, hart arbeitenden Typen, der sich von den verweichlichten Superreichen unterschied, als Bettgenossen für die Saison? Nein, danke. Nicht mit ihm. Nicht noch einmal.

Trotz seiner Abscheu bei diesem Gedanken regte sich unwillkürlich Verlangen in ihm. Nur widerwillig ergriff er ihre Hand, war er sich doch seiner erdigen Hände bewusst. Sie hatte ungewöhnliche graue Augen, die ihn magisch anzogen. Von ihrer Berührung stieg ein starkes Kribbeln in seine Hand, das unerträglich war. Er konnte sich einen Augenblick lang nicht entscheiden, ob er dem übermächtigen Drang, sie ganz nah zu sich zu ziehen, nachgeben sollte. Vor Schreck über diesen Impuls ließ er ihre weiche Hand abrupt los. So nah bei ihr hatte er den erregten Pulsschlag an ihrem Hals wahrnehmen können.

Das muss enden. Sofort!, war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen.

Also war er gegangen.

Während er sich anschnallte und losfuhr, überdachte er stirnrunzelnd ihren letzten Satz.

„Ich weiß“, hatte sie gesagt.

Was sollte das bedeuten? Was wusste sie denn über ihn?

„Gar nichts!“, schnaubte er seinem Augenausschnitt im Rückspiegel zu. Am besten, er vergaß diese Begegnung, entschied er, als er sich mit seinem Wagen langsam die Serpentinen gen Meer hinunterschlängelte.

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