Читать книгу Das Alte Reich 1495 – 1806 - Axel Gotthard - Страница 12
c) Andere Reichsglieder
ОглавлениеNeben den sieben bis neun Kurfürsten gab es Hunderte weiterer Reichsstände – knapp vierhundert am Beginn der Frühen Neuzeit, knapp dreihundert an ihrem Ende. Das Reichsdach wölbte sich über große Quader und viele kleine, es gab einige Schütterzonen (vor allem im Schwäbischen und Fränkischen), wo die Herrschaftsverhältnisse besonders kleinräumig und verwinkelt waren. Bezog sich die Reichsstandschaft bei Reichsstädten auf die Kommune als Ganzes (ausgeübt hat sie der Rat), waren Reichsstände ansonsten Einzelpersonen: Personen, die über eine unterschiedlich reichhaltige Fülle von Rechten verfügten, die die Vorfahren über Jahrhunderte hinweg eingesammelt hatten; Personen, die über unterschiedlich große Territorien regierten, die ganz unterschiedlich hießen – da gab es nicht nur Fürstentümer, sondern auch Herzogtümer und Grafschaften, aber auch Land- und Markgrafschaften, gab es Wild- und Rheingrafen, Pfalzgrafen und Reichsburggrafen …
Reichsstandschaft Die Reichsstandschaft kam Personen oder Korporationen zu, die keinem Landesherrn untertan waren, ferner selbst Steuern ans Reich entrichteten und deshalb an der Schwelle zur Neuzeit ihr Teilnahmerecht am Reichstag durchgesetzt hatten. „Reichsstände“ waren also diejenigen „Reichsunmittelbaren“, die Sitz und Stimme am Reichstag besaßen.
Man kann die bunte Fülle vom Blickpunkt des frühneuzeitlichen Reichsrechts aus trotzdem auf einige Grundkategorien reduzieren. Sinnvoll ist, in Anlehnung an die Organisation des Reichstags, folgende Einteilung: geistliche und weltliche Kurfürsten; geistliche und weltliche Reichsfürsten; Reichsgrafen und Reichsprälaten; Reichsstädte.
Reichsfürsten – Reichsgrafen
Der Reichsfürstenstand hatte sich schon im hohen Mittelalter ausgebildet, vor allem die Belehnung nur und unmittelbar durch den König (lehnrechtliche Reichsunmittelbarkeit), aber auch Standeserhebungen und Gewohnheitsrecht konnten damals Reichsfürsten machen. Von den Reichsfürsten regierten einige Territorien, die die der geistlichen Kurfürsten und des Kurpfälzers an Umfang und Ressourcen überragten; dass das Rechtssystem des Reiches diese tatsächliche Machtfülle nicht honorierte, provozierte seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts die Forderung nach einer „parification“ des Fürstenstandes mit dem der Kurfürsten, also nach der politischen und zeremoniellen Gleichbehandlung. Viele kleinere Reichsfürsten hatten aber andere Sorgen, als sich an der Präeminenz der reichsständischen Führungselite zu reiben. Das gilt erst recht für die Reichsgrafen. Dass sie nicht Fürstenrang genossen, liegt an lehnrechtlichen Entwicklungen des Mittelalters, auf den Grafenbänken des neuzeitlichen Reichstags saßen die Nachkommen der Grafen und freien Herren der spätmittelalterlichen Lehnspyramide (vierter Heerschild). In der Frühen Neuzeit regierten sie ihre Untertanen nicht weniger effektiv oder modern als viele Reichsfürsten. Es handelt sich bei den neuzeitlichen Reichsgrafen um den Reichsfürsten in fast allem vergleichbare Landesherren, nur dass sie eben am Reichstag ein weniger gewichtiges Stimmrecht besaßen und dass sich unter den Grafschaften keine sehr großen Territorien befanden. Übrigens waren diese Personen alle adeligen Geblüts – was nicht den Umkehrschluss zulässt, dass Adelige im Regelfall reichsständisch oder auch nur reichsunmittelbar gewesen wären; die meisten Adeligen im Reichsverband waren nicht Landesherren (Ebene 2), sondern besonders privilegierte Untertanen eines solchen (Ebene 3).
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Reichsunmittelbar (reichsfrei, reichsimmediat) Reichsunmittelbar war im Alten Reich jede natürliche oder juristische Person, die keinem Landesherrn unterstand. Wer von einem Landesherrn regiert wurde (also „landsässig“ war), unterstand dem Kaiser damit nur „mittelbar“; zwischen den Reichsunmittelbaren und das Reichsoberhaupt hingegen schob sich keine („mediatisierende“) Zwischeninstanz.
Wer mit dem Alten Reich noch nicht sehr vertraut ist, hat zumeist mit drei Sachverhalten seine Schwierigkeiten – sie sollen deshalb im Folgenden nacheinander erklärt werden: Was eigentlich sind geistliche Reichsstände? Was Reichsstädte? Und was Reichsritter?
Geistliche Reichsstände
Im Alten Reich konnten geistliche Würdenträger auch Landesherren sein, insbesondere waren es die Bischöfe. Ihre Herrschaft erstreckte sich damals über zwei unterschiedlich weit gespannte Kreise. Der größere, das war die Diözese – hier war der Bischof geistliches Oberhaupt, vergleichbar einem modernen Bischof in einer modernen Diözese. Anders als dieser regierte aber ein Bischof des Alten Reiches einen Teil des Diözesangebiets, das Hochstift (bei Erzbischöfen: das Erzstift), auch als Landesherr: erließ Verordnungen, zog Steuern ein, kurz, war Territorialobrigkeit wie ein weltlicher Reichsfürst auch. Wir sprechen deshalb verdeutlichend von „Fürstbischöfen“. Vererbte sich das Amt eines weltlichen Landesherrn in der Dynastie, wurden die zölibatär lebenden Fürstbischöfe vom Domkapitel auf Lebenszeit gewählt. Geistliche Territorien waren Wahlfürstentümer. Neben den Fürstbischöfen gehörten zur Reichskirche, zur Germania Sacra, auch die so genannten Reichsprälaten, Vorsteher von Klöstern und klosterähnlichen frommen Einrichtungen, die reichsunmittelbar geblieben waren, sich also dem Zugriff der umliegenden größeren Territorien hatten entziehen können und nun geistliche ‘Miniterritorien’ bildeten (manchmal waren es lediglich einige Gebäude). Ihre Vorsteher – das Wort Landesherr erweckt bei so wenig Land falsche Vorstellungen – hatten Sitz und Stimme am Reichstag.
Reichsstädte
Reichsstädte waren Stadtgemeinden, die sich weitgehend selbst regierten (natürlich die Regeln des Reichsverbandes zu respektieren hatten), die Landeshoheit übte der Stadtrat aus. Im Gegensatz zu diesen „selbstherrlichen“ unterstand die viel größere Zahl der „stadtherrlichen“ Städte der Landeshoheit eines nicht zur Gemeinde gehörenden Stadtherrn (eines Fürsten beispielsweise oder eines Grafen – desjenigen Reichsstands eben, in dessen Territorium die Land- oder Residenzstadt lag). Die neuzeitliche Gruppe der Reichsstädte hat zwei mittelalterliche Wurzeln: einmal Bischofsstädte, die sich in den Wirren des Investiturstreits ihrem geistlichen Stadtherrn entwunden haben – die dann so genannten „Freien Städte“; zum anderen königliche bzw. kaiserliche Stadtgründungen, die angesichts der Schwäche der Zentralgewalt im späten Mittelalter zunehmend als „des Reichs Städte“ angesehen wurden. Als sich an der Schwelle zur Neuzeit der Reichstag ausformte, bildeten diese beiden Gruppen zusammen eine Kurie.
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Reichsstädte Stadtgemeinden, die reichsunmittelbar waren und die Reichsstandschaft besaßen. Reichsritter Adelige Herrschaftsträger, die reichsunmittelbar waren, aber im Gegensatz zu Fürsten und Grafen nicht die Reichsstandschaft besaßen.
Reichsstädte konnten klein und verschlafen sein oder aber nach damaligen Maßstäben stattliche Metropolen mit einem nicht unbeträchtlichen, ebenfalls vom Stadtrat regierten Territorium ringsum; Straßburg und Nürnberg unterhielten reichsstädtische Universitäten. Am Beginn der Neuzeit florierten manche Reichsstädte ökonomisch, was auch beträchtlichen kulturellen Glanz ermöglichte, doch verarmten sie dann sukzessive, auch aus politischen Gründen (Druck der umgebenden größeren Territorien). Den ökonomischen Bedeutungsverlust flankierten Oligarchisierungsprozesse und häufige interne Unruhen. Auch die Zahl der Reichsstädte nahm ab; als das Reich zugrunde ging, gab es noch ein halbes Hundert.
Reichsritter
Reichsritter waren nicht am Reichstag votierende Reichsunmittelbare: so weit die juristische Definition. Historisch gesehen, erwuchsen die Reichsritter dem ritterschaftlichen oder niederen Adel des späten Mittelalters, einem Stand, der einstige Reichsministerialen, auch abgesunkene Edelfreie umfasst und in den Heerschildordnungen unter den Fürsten und Grafen platziert hat. In Schwaben, in Franken und am Rhein gelang es vielen dieser Adeligen, sich dem Zugriff jener größeren Landesherren, der Fürsten zumal, die die Lehnsabhängigkeit der Ritter gerne in Landsässigkeit verwandelt hätten (und anderswo verwandelt haben), zu entziehen, sie behaupteten eigene ‘Zwergterritorien’. Da diese für den Aufbau fortschrittlicher administrativer Strukturen zu klein und vielfach den Zudringlichkeiten der umgebenden größeren Territorien ausgesetzt waren, schlossen sich die reichsunmittelbar gebliebenen Ritter noch im 16. Jahrhundert mit Unterstützung der damaligen Kaiser (die die Chance zum Aufbau einer besonders kaiserhörigen Klientel erkannten) zu einer Organisation zusammen, zur „Reichsritterschaft“. Die Korporation umfasste etwa 350 Familien, diese dürften ungefähr 1600 oder 1700 Kleinstterritorien vorgestanden haben.
Es gab drei Ritterkreise, wichtigste Organisationseinheit waren jedoch die 15 Ritterkantone. Den Kanton leitete ein kollegiales Direktorium oder ein Hauptmann, ihm zugeordnet war ein bescheidener Regierungsapparat, eine Kanzlei. Zwar übte der einzelne Reichsritter in seinem Gebiet Herrschaftsrechte aus – aber kann man ihm wie einem Fürsten oder Reichsgrafen die Landeshoheit attestieren? Sie war im Grunde zwischen ihm und der Korporation geteilt. Der einzelne Ritter bestimmte beispielsweise den Glauben seines Ländchens, hielt Gericht; hingegen durfte er keine neuen eigenen Steuern einführen, es oblag ihm lediglich, herkömmliche Abgaben der Untertanen einzuziehen und Kantonalsteuern umzulegen: die Steuerhoheit lag beim Kanton.