Читать книгу Reisen ist ein Kinderspiel - Axel N. Halbhuber - Страница 19
ОглавлениеÜber Schnee kann ein Schmetterling nicht urteilen.
Chinesisches Sprichwort
Schneemann und Stallbub
Kleine Entdecker:
Warum Hütte und Bauernhof perfekte Basislager sind
Der erste Griff in den Schnee ist unangenehm. Ein nasses Weiß, ein kalter Stich. Als Valentin zum ersten Mal in den Schnee greift, ist er elf Monate alt. Er kann das Weiß nicht fassen, es zerrinnt in den Händen. Für einen, der erst seit ein paar Monaten greifen kann, ist es ziemlich ernüchternd, dass etwas nicht fassbar ist. Ich schaue ihn an, verständnislose Skepsis im kleinen Gesicht. Warum sind wir hier, warum ist es kalt? Und können wir bitte wieder in die Hütte?
Valentins erste Begegnung mit Schnee findet vor unserer Urlaubshütte statt, 300 Höhenmeter oberhalb des Örtchens Tauplitz, in der Kulisse des prächtigen Berges Grimming. Hier, wo von Süden kommend das Ausseerland beginnt, bilden Tal und Berg eine wunderbare Balance. Die Berge sind mächtig – einerseits das Tote Gebirge, andererseits die Ostseite des Dachsteinmassivs. Dazwischen ein breites Land, nicht nur eine Talfurche, in die es die Sonne nur ein paar Minuten am Tag schafft. Es ist eine gute Kulisse für eine einwöchige Winterfrische, und die Egghartguthütte ist ein perfektes Quartier dafür. Am Hang gelegen, Blick Richtung Grimming, die Ausstattung zwischen urig und komfortabel, die Lage zwischen Ort Tauplitz und Tauplitzalm. Man erreicht in zehn Forststraßen-Gehminuten die Mittelstation des Sesselliftes, der aus Tauplitz-Urlaubern Tauplitzalm-Skifahrer macht.
Es ist ein Ort, an dem sich ein Elfmonatiger dem Element Schnee in angemessenem Tempo nähern kann. Denn Kinder brauchen beim Reisen länger, sie verarbeiten Eindrücke nicht im Schlaf, sondern im Spiel. Schön langsam. Nach dem ersten Griff spielt Valentin noch ein paar Minuten mit dem weißen Zeug, aber dann ist es auch wieder gut. Er kann noch nicht gehen und das Herumsitzen im Schnee sieht tatsächlich wenig gemütlich aus.
Die beiden aufregendsten Momente eines Hüttenurlaubes sind das Hinausgehen – kalte Luft, Kulisse, Licht und Schnee – und das Wiederhineingehen. Wenn die Kachelofenwärme auf die Backen knallt, die Wärme wieder in den Körper kriecht. Aus der Stube der Duft von Essen und der Lärm einer geselligen Runde. Denn es sind auch die Besuche, die einen Hüttenurlaub so besonders machen. Es wird immer schwieriger, Urlaube mit Freunden zu koordinieren. Sobald Kinder da sind, ist es fast unmöglich. Den einen ist die Sonne zu heiß, den anderen das Ziel zu weit. Die einen bringen Babyclubs ein, die anderen eine grundsätzliche Abscheu davor. Bei einer Hütte in Österreich fügen sich die Dinge oft: Einer bucht, andere schließen sich an, Platz gibt es immer irgendwie. Das Ziel ist leicht erreichbar, man kann auch nur ein paar Tage vorbeischauen.
Für Valentin machen die vielen Besuche diesen Urlaub noch spezieller. Wenn Mama dem Männchen aus Schnee eine Karotte ins Gesicht steckt und Papa beim Langlaufen die Rodel nachziehen will und hinfällt. Wenn Anni-Oma und Karl-Opa mit ihm im Bob-Schlepptau Runden durch das weiße Wunderland ziehen. Wenn Tauftante Britta und Onkel Alexander sich Schnee ins Gesicht werfen. Valentin gluckst vor Freude.
Trotzdem beginnt die Schneeromanze meines Sohnes zögerlich. Bei der Ankunft siechen nur ein paar Flecken Weiß auf braunen Hängen dahin. Es ist einer dieser Jänner ohne Schnee. Valentin genügt aber anfangs ohnehin ein Fleck, um festzustellen, dass das nicht sein Element ist. Er gehört anfangs zum Team »Wiederhineingehen«. Zum massiven Tisch in der Stube, auf dem man im Gegensatz zum heimischen Esstisch sitzen darf. Mama steckt die Karotte jetzt in sein Gesicht.
Am dritten Tag schneit es endlich in Tauplitz. Ab da begeistert den elfmonatigen Valentin in der Egghartguthüttenstube vor allem das Fenster, an dem außen der patzige Schnee klebt. Ich schleiche aus der Hütte. Forme einen Schneeball und zeige mich Valentin. Er gluckst wieder. Als mein Schneeball an der Scheibe vor seinem Gesicht zerplatzt, kann er sich vor Freude nicht mehr halten. Er zeigt hinaus, er will hinaus.
Irgendwann verlieben sich alle Kinder in das Element Schnee. Vor allem der Unschuld wegen. Nichts darf man werfen, außer einen Schneeball. Nie soll man auf seine Nase fallen, außer in den Schnee. Aus sonst nichts lässt sich in wenigen Minuten ein Karottennasen-Valentin bauen. Valentin verliebt sich am dritten Tag in den Schnee. Er erträgt die dünne Strumpfhose, die dicke Strumpfhose, den Babybody, den dicken Pullover, die Sturmhaube, noch eine Haube, Fäustlinge und sitzt im weichen Regenbogenoverall mitten im verschneiten Land. Fällt um und lacht. Greift dem Schneemann ins Gesicht. Der fällt um. Valentin lacht.