Читать книгу Reisen ist ein Kinderspiel - Axel N. Halbhuber - Страница 9

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Nimm ein Kind an die Hand und lass dich führen. Es wird dich in eine Welt entführen, die du schon längst vergessen hast.

Ein Sprichwort, sicher ein chinesisches

Prolog

Warum es vollkommen egal ist,
dass sich das Kind nicht an eine Reise erinnern wird

Schade, dass er sich nicht daran erinnern wird. Ich konnte den Satz nicht mehr hören. Das ganze Gespräch darum nervte. Auf »Ich fliege mit Valentin ans Meer« antworteten Freunde und Bekannte: »Na geh, schade, dass er das später nicht mehr wissen wird.« »Ich fahre mit ihm nach Madrid« – »Ein Pech, dass er nichts von der Stadt mitbekommen wird.« Ich erzählte von Reisen mit dem damals etwa einjährigen Dauerentdecker, Berg, Wüste, Schiff, Rad, wasauchimmer – schade, schade, Pech, Pech, Erinnerung, Erinnerung.

Das Problem an dem Satz: Er ist Unsinn. Aus drei Gründen. Erstens: Dieser Logik folgend sollten wir Kinder bis zum merkfähigen Alter von drei oder vier Jahren in gepolsterte Zimmer sperren und nur grundversorgen. Wozu ein Buch vorlesen, merkt sich ja eh nix, das Kind. Wozu Bausteine, Tiergärten und Babytanzen, wenn das ignorante Krabbelwesen nur an Steckdosen interessiert ist. Schade, dass er sich nicht daran erinnern wird haben Jungeltern ausgesprochen, die mit ihrem Spross wöchentlich zur Babymassage (!) gingen – weil Berührung der Haut, weil frühkindliche Prägung, weil blablabla. Und der Sand in Jordaniens Wüste? Der salzige Nordwind an Dänemarks Küste? Die Gerüche exotischer Früchte auf den Märkten von Amman?

Wer ein Baby versorgt, weiß, dass im Leben anfangs nichts von Dauer ist. Jede Windel ist bald wieder voll, jeder Säuglingswamst bald wieder leer. Aber alles ist ein kleiner Schritt zum großen Sein. Alles dient der Entwicklung, der Prägung, und wieso sollen gerade fremde Städte, Länder und Welten das nicht tun? Johann Nestroy hat gesagt: »In den ersten Lebensjahren eines Kindes bringen ihm die Eltern Gehen und Sprechen bei …« – da kann man das Reisen dazuzählen. Beendet hat er den Satz mit »… in den späteren verlangen sie dann, dass es stillsitzt und den Mund hält«. Dazu zähle ich das Nichtreisen.

Zweitens wurde ich jenen gegenüber misstrauisch, die mir den Satz entgegenschleuderten. Warum reisen die überhaupt? Was ist Reisen? Ist es nicht der salzige Geschmack im Mund, wenn man zu lange auf die Brandung geschaut hat? Das Brennen in den Augen, wenn der Sonnenuntergang sich dem Ende zuneigt? Die erste mexikanische Delikatessen-Heuschrecke zwischen den Zähnen, die erste vergorene Stutenmilch in den Bergen Kirgistans? Berichten wir nicht genau diese Erlebnisse den Daheimgebliebenen? Wir stellen uns hin, mit glänzenden Augen, und sagen: »Dieses Bistro, gleich ums Eck vom Eiffelturm, haben wir entdeckt, das war umwerfend.« Der Satz »Und da waren wir auf dem Eiffelturm« garniert bestenfalls die Parodie einer Diashow. Wir reisen für den Moment, nicht für die bloße Erinnerung. Es ist eine grundsätzliche Frage, die man sich stellen muss.

Man soll Menschen nicht einteilen, aber ich teile sie in Reisende und Urlauber. Oder anders: Ich teile das Wegfahren in Reisen und in Urlaube. Nun mag die Erinnerung bei Urlauben ein epochaler Bestandteil sein, Urlaub dient ja neben der Erholung auch dem Neid, im Büro, bei Verwandten und Freunden. Da werden Poolliege und Frühstücksbuffet zu Sights, wer gibt schon mit dem Kellerbistro an, in dem man die besten Froschschenkel bekommt?

Es wäre also klug, sich der Frage zu stellen, wofür man reist. Um die Bilder ins Album zu bekommen oder ins Herz? Lustiges Paradoxon: Urlauber fotografieren zwar Sehenswürdigkeiten, schreiben auf Postkarten aber, wie Einheimische, Essen und Wetter sind. Erinnerung versus Gefühl. Kinder verbinden das, sie nehmen Kulturen über Menschen und Momente wahr, nicht über Geschichtsbücher.

Aber bezogen auf Schade, dass er sich nicht daran erinnern wird ist selbst dieser Unterschied egal. Das Kind reist nämlich auch im Urlaub. Es klettert auf eine fremde Strandliege genauso wie auf eine antike Säule. Für das Kind ist beides wie ein Kellerbistro.

Drittens: zu den »Reisenden«. Jene, die in jungen Jahren Backpacker waren und in mittleren Jahren noch immer etwas erkunden wollen, die sich einlassen auf das Land und dessen Leute, die eine Nacht im Mehrbettzimmer noch immer wegstecken, wenn es sich lohnt. Die als Erwachsene noch immer die All-inclusive-Komfortzone verlassen, um auf den höchsten Berg der griechischen Urlaubsinsel zu steigen. Menschen, die für erfülltes Fortsein einen Erkenntnisgewinn brauchen, der über den Clubtanz hinausgeht. Die nicht »endlich einmal liegen und ausruhen«, sondern »endlich einmal aufrecht gehen und wach sein« wollen.

Reisen ist ein Kinderspiel

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