Читать книгу Toni Taubenheimer - B. Andersen - Страница 6

Оглавление

Hinter der Mauer.

Arthur stand plötzlich neugierig neben ihr.

„Hast du eine Post bekommen?“ fragte er.

Toni hob das Papier auf und faltete es vorsichtig auseinander.

„Wir brauchen die Feder“, stand dort in geschwungenen großen Buchstaben. „Ganz dringend.“

Und darunter: „Bitte.“ Neben dem Bitte war ein Gesicht gemalt, das von grünen Haaren umrahmt wurde. Es lächelte.

„Äh, ja“, antwortete Toni, „Post.“

„Ich will auch eine Post!“ sagte Arthur und griff nach dem Papier. Toni hob schnell den Zettel in die Höhe.

„Und nun?“ überlegte sie, „ich habe sie nicht dabei.

Soll ich sie holen gehen und sie durch den Türspalt schieben? Aber wenn ein anderer sie dann findet? Sie war bestimmt ziemlich wichtig. Oder sollte ich besser hineingehen? Aber ganz alleine? Und wann?“

Arthur bettelte so lange, bis sie ihm den Brief gab. Er sah sich die Buchstaben an und stellte enttäuscht fest, dass es außer den beiden gemalten Gesichtern keine weiteren Bilder gab. Zum Glück fragte er nicht nach dem Mädchen mit den grünen Haaren. Er wollte jetzt nach Hause.

Toni überlegte rasch. Was sollte sie tun? Heute abend konnte sie nicht noch einmal hierherkommen. Sie musste noch ihre Hausaufgaben machen, und außerdem gab es bald Abendbrot. Plötzlich merkte sie, wie hungrig sie war.

Sie beschloss, ebenfalls eine Nachricht zu hinterlassen.

„Morgen“, schrieb sie unter ihr Gesicht, „bestimmt“, und klemmte das Papier in dem Türspalt fest, wo es hoffentlich niemand finden würde außer dem grünhaarigen Mädchen.

Als Toni und Arthur nach Hause kamen, waren ihre Eltern schon da, und ihre Mutter brutzelte gerade ein warmes Abendessen zusammen, das sie alle heißhungrig verspeisten.

Viel später, als Toni schon in ihrem Bett lag, kam ihre Mutter noch einmal in ihr Zimmer.

„Mama?“ fragte Toni, „weißt du, wer hinter der blauen Mauer wohnt?“

„Welche blaue Mauer?“

„Die in der Goldbergstraße, dort wo Enja wohnt. Die mit der Tür.“

„Da wohnt niemand. Aber reingeschaut habe ich natürlich noch nie. Ich glaube, das ist einfach ein verwildertes Grundstück. Frag doch mal Frau Badewasser“, fügte sie schmunzelnd hinzu, „die weiß doch sonst immer alles.“

Toni grinste zurück. Ihre Mutter mochte Frau Badewasser nicht, weil die sich immer darüber aufregte, wie verwahrlost Toni und Arthur angeblich waren, weil ihre Mutter in der Bibliothek arbeitete. Und überhaupt unerzogen. „Ich kenne ja andere Leute mit Kindern in deeem Alter“, pflegte Frau Badewasser mit Betonung zu sagen, „die sind aber ganz anders erzogen. Aber ganz anders.“

Frau Taubenheimer hatte nach anfänglichem Bemühen beschlossen, die Nachbarin großräumig zu ignorieren, doch seitdem machten Toni und ihre Mutter kleine Witze über sie, die Herr Taubenheimer manchmal, wenn sie es zu arg trieben, mit den Worten beendete: „Auch Frau Badewasser wird ihre guten Seiten haben“, denn Herr Taubenheimer hatte die seltene Gabe, an jedem Menschen etwas Gutes zu finden.

Tonis Mutter küsste ihre Tochter auf die Nasenspitze (wobei sie sich auf die unterste Sprosse der Leiter stellen musste), und verließ dann, das Licht hinter sich ausknipsend, das Zimmer.

In dieser Nacht träumte Toni von wilden Wolkenschwänen, die nicht fliegen konnten, weil sie eine Feder verloren hatten, und von Herrn Niebrüll, der mit dem Kopf zwischen den Wolken feststeckte und wild mit den Beinen strampelte. Und natürlich von Mädchen mit grünen Haaren, die in einer Höhle aus Brombeerranken und mannshohem Gras wohnten.

Am nächsten Tag wollte Toni gleich nach der Schule zur blauen Mauer gehen und die Feder dort abgeben, wobei sie natürlich hoffte, vielleicht noch einen Blick auf das fremde Mädchen erhaschen zu können, aber Frau Hirse, die Klassenlehrerin hielt sie auf.

„Antonia“, sagte sie, und Toni bemerkte, wie sie versuchte, ganz besonders freundlich zu klingen.

„Ich habe gestern deinen Aufsatz korrigiert, und, nunja, ich, also, er ist eigentlich sehr schön, sehr, hm, blumig, und, tja, auch fantasievoll. Nur leider, leider... .“ Sie rang nach Worten, „nur leider ist er total am Thema vorbei.“

Toni biss sich auf die Lippen. Am Thema vorbei, das kannte sie schon. Das bedeutete eine Fünf. Und das in einem Fach, das ihr eigentlich Spaß machte. Die Fantasie, die verflixte Fantasie, sie ging manchmal mit ihr durch wie ein übermütiges Pferd und rannte über fremde Wiesen.

Frau Hirse bemühte sich um gute Worte.

„Aber ich sehe da wirklich Potenzial bei dir, Antonia“, sagte sie, „es ist nur, … so wild. Naja, ich wollte dir das schon mal sagen, damit, hm, du morgen oder übermorgen, wenn ich, ähm, also, wenn ihr die Arbeiten wiederbekommt… .“

„Schon gut, Frau Hirse“, sagte Toni knapp, „danke.“ Sie packte ihre Tasche fester und ging.

Auf dem Nachhauseweg vergaß sie - verständlicherweise -, dass sie eigentlich an der blauen Mauer vorbeigehen wollte, sie nahm nämlich den anderen Weg, den, der am Kiosk vorbeiführte. Im Zweifelsfall half Lesen. Sie zählte das Geld in ihrer Hosentasche und kaufte sich einen Comic, den sie auf der nächsten Bank las. Es lohnte sich nicht, schon nach Hause zu gehen, denn in einer Viertelstunde sollte sie Arthur vom Kindergarten abholen. Erst als sie vor dem Kindergarten stand und Arthur ihr entgegenrief: „Ich will ein Schokobrötchen!“ fiel ihr wieder ein, dass sie doch eigentlich zur blauen Mauer hatte gehen wollte.

„Ich kauf dir eins“, sagte sie und hoffte inständig, dass sie noch genügend Geld im Portemonaie hatte, „aber dann gehen wir noch zur blauen Mauer, einverstanden?“

„Ok“, sagte Arthur friedlich und trottete neben ihr her in Richtung Schokobrötchen.

An der blauen Mauer versuchte Toni wieder, die Tür ein wenig aufzudrücken, denn – so hatte sie sich überlegt – es wäre wohl am besten, sie zumindest hinter die Tür zu legen. Wie sich herausstellte, ging die Tür leichter auf als gedacht, und Toni wollte gerade das Federding durch den Spalt schieben, als sich Arthur, den Mund voller Brötchenkrümel, unter ihr vorbeidrückte und in das verlassene Grundstück schlüpfte.

„Schietepiepen! Arthur!“ zischte Toni. Was sollte sie tun? Natürlich hinterher.

„Das ist cool, Toni“, sagte Arthur anerkennend, während er sich umsah, „hier kann man schpielen. Ich vertecke mich und du muss zählen! Aber noch nich!“ Und schon verschwand er im grünen Gras, das ihn um einige Kopflängen überragte.

Toni blieb fast das Herz stehen, und sie hoffte, dass Arthur es unheimlich finden würde und sogleich wieder zurückkommen würde. Doch er kam nicht zurück. Die hohen Halme bewegten sich hin und her. Dann war es still.

Toni Taubenheimer

Подняться наверх