Читать книгу Toni Taubenheimer - B. Andersen - Страница 9

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Tilia.

„Ich will mit!“ rief Arthur, aber Toni packte ihn an der Schulter.

„Bist du verrückt!“ zischte sie, „wer weiß, wo wir hier sind! Wir gehen zurück. Komm.“ Sie zog ihn an der Hand hinter sich her und kroch in die Baumhöhle.

Hier drinnen war soviel Platz, dass sie beide stehen konnten.

Mit den Händen befühlte sie die Wände. Sie ekelte sich ein bisschen, denn sie fürchtete, in der Dunkelheit auf Spinnen und anderes Getier zu stoßen. Gab es hier denn keine Leiter? Oder Sprossen in den Wänden?

Verzweifelt drehte sie sich im Kreis. Irgendwie musste doch auch das andere Mädchen hier hochgekommen sein. Oder konnte sie fliegen? Die seltsame Schweinedame konnte das ja auch.

Doch Toni fand nichts.

Arthur hatte ihr schweigend zugesehen.

Es half nichts. Offensichtlich mussten sie dem Schwein folgen und es fragen. „Wenn nämlich das Schwein die Feder verloren hatte“, kombinierte Toni, „dann heißt das ja, dass es auch irgendwie von oben gekommen ist. Vielleicht weiß es auch den Weg zurück.“

„Okay, Planänderung“, sagte Toni zu Arthur, „Wir folgen dem Schwein.“

Als sie ins Sonnenlicht traten, sahen sie gerade noch einen rosigen Rücken, der durch die Grashalme hüpfen. Vor ihnen streckte sich eine weite hohe Wiese, auf der in großen Abständen gewaltige Bäume standen. Einige sahen so aus wie der Baum, aus dem sie geklettert waren und ließen ihre Äste bis auf den Boden hängen. Andere reckten ihre Kronen stolz in die Höhe. Hin und wieder gab es auch Grüppchen von Bäumen, die eng beieinander standen.

Toni spürte Arthurs Hand in ihrer. Das war meistens ein Zeichen dafür, dass er müde wurde.

„Hoffentlich ist es nicht weit“, betete sie stumm. Ein Spaziergang mit einem müden Arthur war nämlich alles andere als ein Spaziergang.

Sie marschierten los. Bald jedoch war der rosa Punkt verschwunden. Stattdessen kreuzte eine Schar Gänse, deren glatte Körper im Sonnenlicht glänzten, ihren Weg. Voran lief eine große Gans, vermutlich die Mutter, und hinter ihr vier Gänseküken, die allesamt schnatterten.

„Wenn es hier sprechende Schweine gab“, überlegte sie sich, „konnten die hier vielleicht auch sprechen.“

„Hallo?!“ rief sie den Gänsen nach, „wir suchen ein Schwein, ein Schwein namens Mira, wisst ihr, wo wir es finden könnten? Oder ein Mädchen mit grünen Haaren?“

Sie meinte, ein kurzes Zögern im Gänsemarsch wahrgenommen zu haben, doch die Gänse konnten augenscheinlich nicht reden oder wollten es nicht, jedenfalls marschierten sie einfach weiter. Toni beschloss, ihnen zu folgen. Immerhin waren sie nicht so schnell wie Mira.

Nach einer Weile sah sie ein Haus hinter einem der großen Bäume hervorlugen. Beim Näherkommen erkannte sie, dass es eigentlich aus mehreren unterschiedlich großen Häuschen gebaut war, die sich hufeisenförmig um einen gepflasterten Hof reihten. Es war ruhig in dem Hof, nur hin und wieder hörte man ein Schnauben und Scharren, ein Tier brüllte, es roch nach warmem Fell und nach Stall, aber auch nach Sommer, und dann flogen noch Gerüche durch die Luft, die angenehm in Tonis Nase kitzelten, obwohl sie sie nicht hätte beschreiben können.

Die Dächer waren allesamt rot oder orange oder sogar ein bisschen gelb, während die meisten Wände weiß waren, einige waren aber auch hellblau oder in einem zarten Violett gestrichen. An den Wänden reihten sich Blumentöpfe mit rosafarbenen Malven und weißen und roten Rosen. „Mama hätte ihre helle Freude an ihnen“, dachte Toni. Die Gänse watschelten auf den Hof und dann zielstrebig auf eine Tür zu, die einen Spalt offen stand.

Zögernd folgte sie ihnen. Vielleicht hatten die Vögel sie ja wirklich verstanden und führten sie zu der kleinen Schweinedame?

Zumindest sollte sie es versuchen. Toni suchte nach einer Klingel oder Glocke, und als sie nichts fand, klopfte sie zögerlich an die Tür, die sich ein Stückchen weiter öffnete.

Ansonsten geschah nichts.

Toni fand, dass es auf eine Portion Mut mehr oder weniger an diesem Tage auch nicht mehr ankam und stieß ganz langsam die Türe weiter auf.

„Sie sind hier?? Wieso sind sie hier? Sie dürfen nicht hier sein! Wenn sie uns verraten!?“ hörte sie eine Stimme. Toni sah in einen großen, hellen Raum, der vermutlich die ganze Grundfläche des Häuschens beanspruchte. Auf einem Tisch stand Mira mit ausgebreiteten Flügeln. Ein Mädchen beugte sich über sie und nestelte an einem ihrer Flügel herum. Obwohl Toni nur ihren Rücken sah, wusste sie, dass es das Mädchen von dem Grundstück hinter der Mauer war, denn ihre schimmernden grünen Haare ergossen sich über ihre Schultern bis fast zu den Hüften.

„Aber es sind Kinder“, quiekte das Schwein, „Kinder sind harmlos. Man muss nur aufpassen, dass sie einen nicht vor lauter Begeisterung zerdrücken, besonders wenn man so klein ist wie ich.“

„Tooni, ich habe Durst“. jammerte da Arthur laut.

Das Mädchen mit den grünen Haaren drehte sich um. Jetzt, wo Toni sie schon einmal gesehen hatte, sah sie eigentlich ziemlich harmlos aus. Wenn man mal von dem Grün ihrer Haut und den grünen Haaren absah. Aber das war ja nicht gefährlich, nur irgendwie ungewöhnlich. Aber warum nicht. Vielleicht gab es ja irgendwo Menschen mit grünen Haaren. Ihre Oma pflegte immer zu sagen: „Es gibt nichts, was es nicht gibt.“

Die Blicke des Mädchens richteten sich auf Arthur.

„Sind sie das?“ fragte sie, an Mira gewandt.

Mira nickte.

Sie blickte auf Toni. Auf Arthur. Und wieder zurück zu Toni.

Dann entspannten sich ihre Züge. Offensichtlich hatte sie festgestellt, dass die beiden harmlos aussahen.

„Hallo“, sagte sie, „ich heißte Tilia. Und wie heißt ihr?“

„Ich bin Arthur“, sagte Arthur, offensichtlich beflügelt von der Hoffnung, hier etwas zu trinken zu bekommen, „und ich will roten Saft.“

„Sollst du haben“, antwortete das fremde Mädchen.

„Und ich bin Toni, Arthurs Schwester, und wir, äh, wir wollten gar nicht… . Es war...“ „Ein Versehen,“ wollte Toni sagen, doch da fiel Tilia ihr schon ins Wort.

„Schon gut“, sagte sie, „jetzt seid ihr schonmal hier. Eigentlich finde ich das ziemlich mutig, durch so ein Erdloch zu rutschen. Ich hole erstmal etwas zu trinken.“

Der Saft war köstlich. Kalt und klar und nicht zu süß, genau richtig, und Toni und Arthur spülten die Flüssigkeit in einem Zuge hinunter. Tilia reichte auch gelbe saftige Früchte, die die beiden hungrig verspeisten.

„Was machst du hier?“ fragte Arthur kauend. Jetzt, wo er getrunken hatte, war er wieder munter.

„Wie, was ich hier mache?“ sagte Tilia, „ich wohne hier im Park und, tja, jetzt ist es ja sowieso egal, ich hüte hier das Haus.“

„Was ist ´hüten`?“ fragte Arthur.

„Das Haus heißt das Haus Zwischen den Welten“, erklärte Tilia, „und es ist ein Haus für sonderliche Geschöpfe aller Art, die zum Beispiel auf der Durchreise sind.“

„Durchreise?“ Auch Toni war neugierig.

„Zum Beispiel Mira“, sagte Tilia, „Mira kommt aus einem Kindertheater, weil der Geschichtenerzähler, der die Geschichte spielt, sozusagen zuviel Fantasie hatte.“

Das kam Toni irgendwie bekannt vor.

„Und was passiert dann?“

„Dann werden diese Figuren, entschuldige diesen Ausdruck, Mira, lebendig. Nur dann fangen die Probleme an. Wenn das herauskommt, müssen sie sich verstecken.“

„Aber warum denn?“ fragte Toni, „ich meine, das ist doch irgendwie total cool.“

„Ja, so cool aber auch wieder nicht“, grunzte Mira, „wenn das herauskommt und du hast keinen Menschen, der einen versteckt, sondern vielleicht überlegt, viel Geld mit dir zu verdienen... .“

„... zum Beispiel, indem er dich in einen Käfig steckt und ausstellen will...“, ergänzte Tilia.

„... dann ist das schrecklich“, beendete Toni diesen Satz, „ich verstehe.“

„Die einzige andere Möglichkeit ist, dass man sich immer stumm und steif stellt“, erklärte Mira weiter. „aber auf Dauer ist das ganz schön langweilig.“

„Und wohin reisen diese, hm, Figuren, dann weiter?“ fragte Toni.

„Es gibt da mehrere Möglichkeiten, aber das ist ziemlich kompliziert. Vielleicht erkläre ich das später einmal. Es ist wichtig, dass ihr nicht so lange fortbleibt von zuhause. Wie lange seid ihr denn schon hier?“

Toni hatte nicht auf die Zeit geachtet und zog ihr Handy hervor. Es war viel später als sie gedacht hatte. Ihre Eltern machten sich bestimmt schon ziemliche Sorgen.

Tilia fuhr fort: „Sobald ihr nämlich hier im Haus Zwischen den Welten seid, geht die Erinnerung an euch ganz langsam verloren. Das ist der Schutz dieses Ortes. Kurze Reisen gehen, aber längere... .“

Toni lief es eiskalt den Rücken hinunter. Das mit dem vergessen werden, konnte sie sich nicht vorstellen, aber ganz sicher würde es dies nicht riskieren.

„Wie kommen wir denn zurück?“

„Es ist ganz einfach. Ich zeige es euch.“

Bald standen sie vor dem hohlen Baum mit den vorhangartigen Zweigen. Toni musste sich eingestehen, dass sie ihn unter all den anderen Bäumen nicht wiedergefunden hätte.

Tilia zeigte ihnen eine kleine Erhebung in der Wand neben dem Eingang. Es war eine Art Hebel, mit dem man eine Stufe hinunterklappen konnte. Wenn man sich darauf stellte, erreichte man kleine Haken in den Wänden, an denen man sich hochhangeln konnte.

Tilia hob erst Arthur hinauf, der wie ein Äffchen hinaufkletterte.

Als er verschwunden war, blickte sie Toni in die Augen. „Kein Wort zu niemandem, verstanden? Wenn wir entdeckt werden … denk daran, was mit Mira hätte passieren können.“

Toni nickte. „Klar, kein Wort. In meiner Welt würde mir das sowieso keiner glauben.“

Sie duckte sich, um in die Höhle zu krabbeln, und drehte sich dann noch einmal um: „Sehen wir uns wieder?“

Tilia lachte. „Bestimmt. Jetzt, wo ihr uns entdeckt habt. Vielleicht sollte es so sein. Aber wartet, bis ich dir eine Nachricht schicke, es sollte erst einige Zeit vergehen. Ich möchte nicht entdeckt werden, es ist zu gefährlich. Dir ist doch niemand gefolgt, oder?“

Toni musste zugeben, dass sie nicht darauf geachtet hatte. Jetzt musste sie aber los, Arthur war ganz alleine dort oben.

Sie verabschiedete sich, setzte einen Fuß auf die Stufe und hangelte sich hinauf. Als Toni schon das Licht am oberen Ende sehen konnte, rief Tilia ihr noch hinterher: „Es wäre schön, eine Freundin zu haben.“

Doch das hörte Toni schon nicht mehr.

Toni Taubenheimer

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