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4. Kapitel Gefahr im eigenen Haus
ОглавлениеDie Treppe sah nicht stabil aus. Sie führte steil hinab und es war nicht zu erkennen, wo sie endete. Agatha wollte es trotzdem darauf ankommen lassen: »Worauf warten wir noch?«, fragte sie.
Ihr Bruder zögerte kurz, dann hievte er sich Greta auf den Rücken, die vor Aufregung auf seinen Kopf trommelte. Herr Schmidt kläffte ungeduldig im Takt dazu.
Als erstes kletterte Agatha durch die Öffnung. Stufe um Stufe stieg sie nach unten, dicht gefolgt von den anderen. An der weiß getünchten Wand neben ihr hingen Fotografien in großen dunklen Rahmen. Auf einem der Fotos waren zwei große Männer mit zotteligem Haar zu sehen. Sie hielten zwei Babys in ihren Armen. Kein Zweifel: Das waren Agatha und Arnold mit ihren Patenonkeln Jamir und Jona! Ihre Eltern hatten ihnen oft erzählt, wie sie bei einem Besuch bei den beiden in den Bergen Kashondas geboren worden waren. Agatha spürte, wie sich das Amulett, das sie von Jamir und Jona zur Geburt bekommen hatte, an ihrem Handgelenk erwärmte. Sie blickte auf den grünen Turmalin, der von innen heraus leuchtete. Die fremden Schriftzeichen hoben sich deutlich hervor.
Ein anderes Bild lenkte sie ab: Es zeigte Thea und Tante Cleo, wie sie sich voreinander verbeugten. Beide trugen schwarze Stoffanzüge, die an asiatische Kampfkleidung erinnerten. Das Foto daneben interessierte vor allem Arnold: eine Unterwasserlandschaft, in der gestreifte Fische schwammen.
Auf den übrigen Bildern waren den Zwillingen unbekannte Menschen, Landschaften und Städte zu sehen. Beide waren fasziniert von der Aufnahme eines Waldes mit riesigen Bäumen. Direkt daneben hing eine scheinbar unendliche Wüstenlandschaft, in der sich ein Sturm zusammenbraute.
Die Zwillinge konnten sich kaum satt sehen. Aber sie mussten weiter, durch die Eisentür, die sie am Ende der Treppe erwartete. Die schwere Tür ließ sich erst bewegen, als sie sich alle gemeinsam dagegen stemmten.
Der Raum dahinter war ziemlich groß und roch nach Turnhalle. Der Boden war mit blauen Trainingsmatten ausgelegt. In einer Ecke standen Fitnessgeräte, ein Rudergerät und ein Laufband. Daneben lagen jede Menge Hanteln. In der Mitte des Raumes hing ein Boxsack, die Handschuhe hatte jemand achtlos auf den Boden geworfen. Am auffälligsten waren aber die Schwerter, die an einer der Wände hingen. Arnold nahm eines in die Hand und sackte sofort in den Knien ein, so schwer war es. Gegenüber befand sich eine ganze Kollektion an Messern und Dolchen, aber auch Pfeil und Bogen und merkwürdige, bunt verzierte Holzstäbe.
»Ähm, denkst du, was ich denke?«, fragte Arnold.
Agatha nickte. Ihre Eltern hatten sie immer vor Waffen jeglicher Art gewarnt. Agatha hatte ja nicht mal eine Spielzeugpistole bekommen, als sie vor Jahren an Karneval als Cowboy verkleidet hatte. Und jetzt das hier?
Herr Schmidt beschnüffelte aufmerksam den Raum. Ihm gefiel es hier. Außer nach Turnhalle roch es nach Thea und das war, gleich nach Greta, sein Lieblingsgeruch. Vor lauter Begeisterung achtete Herr Schmidt nicht darauf, wo er hinlief. So stolperte er über ein Seil, das den Boden entlang gespannt war. Entrüstet über das Hindernis, schnappte er zu. Mit aller Kraft begann Herr Schmidt an dem Seil zu ziehen.
Plötzlich gab es einen lauten Knall. Ehe die Zwillinge sich versahen, steuerte ein übergroßer Roboter direkt auf sie zu. Es schien, als hätte er hinter dem Laufband gelauert und auf den richtigen Moment des Angriffs gewartet. Sein Metallkopf drehte sich um 360 Grad, wie ein Überwachungsgerät. In seinen Augen blitzten Leuchtdioden auf. Als sich sein Blick auf die Kinder fokussierte, fuhren acht Arme aus seinem Metallkörper. Damit schlug und boxte er in alle Richtungen. Die Kinder waren einen Moment starr vor Schreck. Dann setzten ihre Reflexe ein.
»Pass auf, Agatha«, schrie Arnold.
Agatha duckte sich im letzten Moment, sonst hätte sie eine gewaltige Faust abbekommen.
»Er hat es auf Greta abgesehen«, rief sie und war schon wieder aufgesprungen.
Tatsächlich, der Roboter hatte sich um seine Achse gedreht und rollte brummend in die Mitte des Raumes. Dort saß Greta, völlig ungeschützt. Agatha konnte es kaum fassen: Dieser Roboter war feige. Er nahm sich tatsächlich die Kleinste vor! Agatha wurde wütend, so wütend wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Mit ihrer Wut spürte sie eine unglaubliche Kraft. Beinahe unbesiegbar fühlte sie sich! Mit hochrotem Kopf und lautem Gebrüll rannte sie auf den Roboter zu. So schnell, dass sie kaum noch zu sehen war. Mit voller Wucht stieß sie ihm in den harten Bauch. Der Roboter fiel hinten über – samt Agatha. Sie setzte sich auf seine Brust, wo die Schaltzentrale blinkte. Mit bloßer Faust hieb Agatha auf die Lichter und Schalter ein, in alle Richtungen stieben Funken davon. Kamen die von der Elektronik des Roboters oder ... aus Agatha selbst?! Es kümmerte sie kein bisschen. Agatha war ganz damit beschäftigt, das Metall zu zerbeulen. Bald stieg Rauch aus dem Roboterkopf empor. Es piepste ein paar Mal, dann breitete sich eine beruhigende Stille aus.
»Den hast du erledigt«, stellte Arnold fest und schluckte. Es war das erste Mal, dass er seine Schwester so gesehen hatte. So schnell, so stark. Fast wie eine Superheldin.
»Hast du dir weh getan?«
Agatha zuckte mit den Schultern. Vorsichtig tastete sie ihren Kopf nach Verletzungen ab. Es schien alles in Ordnung zu sein. Nur ihre Hände, die schmerzten höllisch! Vorsichtig beugte und streckte sie ihre Finger. Zum Glück hatte sie sich nichts gebrochen! Knöchelbrüche waren eine langwierige Sache ...
Erschöpft ließ Agatha sich auf den Boden sinken.
Herr Schmidt, der sie mit seinem Bellen die ganze Zeit über angefeuert hatte und der Meinung war, damit auch einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben, rannte zu ihr. Mit seiner langen Zunge leckte er über ihr Gesicht. Sie waren wirklich ein gutes Team! Hätte er mehr Zeit gehabt, er hätte richtig mitgemischt! Ausnahmsweise schrie Agatha beim Anblick seiner Zunge nicht sofort los – das musste er ausnutzen …
Arnold legte sich neben seine Schwester auf den Rücken und schloss die Augen. Auch er war von dem Schreck ziemlich mitgenommen. Die Zwillinge hätten absolut nichts dagegen gehabt, sich einen Moment einfach nur auszuruhen. Aber Greta, die den Kampf wie ein lustiges Schauspiel verfolgt hatte, machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Sie hatte den überdimensionalen Bildschirm entdeckt, der direkt über ihnen an der Decke befestigt war.
»Schauen«, verlangte sie. Offenbar hielt sie das Gerät für einen Fernseher. »Schauen. Schauen.« Das konnte Stunden so weitergehen. Wenn Greta sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie hartnäckig.
Widerwillig öffnete Arnold die Augen. »Agatha«, sagte er langsam und deutete nach oben. »Guck dir das an.«
Der Bildschirm war in zahlreiche kleine Felder unterteilt. Jedes zeigte eine Aufnahme aus dem Haus. Sie erkannten das Schlafzimmer ihrer Eltern, ihre Küche und ihr Wohnzimmer! Außerdem Übertragungen aus einem anderen Wohnzimmer. Das ihnen ebenfalls bekannt vorkam.
Es dauerte einen Moment, bis Agatha es zuordnen konnte. »Das ist doch das Wohnzimmer von Tante Cleo! « Sie setzte sich auf. »Ich erkenne ihr Sofa. »Und schau mal da! Das ist ihr Schlafzimmer. Sie liegt im Bett und schnarcht!«
Aufgeregt betrachteten sie die Ausschnitte. Da war die Eingangstür von Tante Cleos Haus zu sehen, ihr Badezimmer, die Küche sowie jeder andere Raum. Nach wenigen Sekunden wechselte die Kameraeinstellung automatisch.
»Warum wird unser Haus überwacht?«, fragte Arnold. »Und das von Tante Cleo gleich mit? «
Agatha stand auf.
»Das fragen wir sie am besten selbst«, schlug sie vor. »Und zwar so schnell wie möglich.«