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5. Kapitel Tante Cleo verheimlicht etwas

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Agathas Fahrrad hatte seit Monaten einen Platten. Es blieb den Kindern nichts anderes übrig, als sich auf Arnolds Rad zu verteilen. Ein Zwilling saß auf dem Sattel, der andere auf dem Gepäckträger mit Greta auf dem Arm. Herr Schmidt wurde in das Körbchen am Lenker verfrachtet. Er versuchte sich einzureden, dass das der beste Platz sei. Tatsächlich aber befürchtete er starken Fahrtwind, der seinem Fell – offiziell saufarben, aber er nannte es lieber grau meliert – nicht gut bekommen würde.

Sie wollten gerade losfahren, da entdeckten sie ihren Freund Moritz. Er wohnte im Haus gegenüber und saß wie immer auf dem Fensterbrett seines Zimmers. Von dort beobachtete er Amseln, Dompfaffen und anderes Federvieh. Seine absolute Lieblingsbeschäftigung.

»Happy Birthday!«, rief Moritz den Zwillingen zu, ohne sie auch nur anzusehen. Mit seinem Fernglas suchte er den Himmel ab.

»Habe heute Nacht seltene Exemplare gesichtet«, erklärte er mehr sich selbst. »So selten, dass ich nicht mal ihren Namen weiß. Muss unbedingt rausfinden, was das für Vögel waren. Riesendinger! Und einen Gestank haben die hinterlassen!«

Vögel. Allein das Wort ließ Agatha zusammenzucken.

»Wir müssen was Dringendes erledigen«, rief Arnold. »Kannst du unser Haus im Auge behalten?«

»Nichts leichter als das«, rief Moritz zurück. »Ich rühre mich sowieso nicht von der Stelle, bis ich diese Viecher noch einmal gesehen habe. Die waren so groß, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen!«

Und ob wir das können, dachte Agatha. Träumten sie etwa alle das gleiche?! Oder .... sie wagte es kaum zu denken: War es etwa kein Traum?! Gab es ihre nächtlichen Besucher wirklich?

Um sich abzulenken, trat Agatha kräftig in die Pedale. Außerdem wollte sie schnell bei Tante Cleo ankommen. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden. Manchmal meinte sie, riesige Schatten flögen über sie hinweg. Dann wieder spürte sie eine entsetzliche Kälte an ihrem ganzen Körper. Wie im dicksten Winter. Irgendwas stimmte einfach nicht. Aber wann immer Agatha den Kopf hob, war da nur der wolkenlose Himmel. Die Angst ließ sie immer schneller treten. Arnold schien es recht zu sein. Offenbar wollte er auch so schnell wie möglich runter von der Straße, ins Sichere.

Das Haus von Tante Cleo hatte genau die richtige Größe für eine Person. Es war butterblumengelb angestrichen, hatte ein spitzes Dach und der Vorgarten war über und über mit Rosen bepflanzt.

Wie üblich wollte Greta den Klingelknopf selbst drücken. Auch wenn das ein Weilchen dauerte – irgendwann gelang es ihr immer. Heute hatten die Zwillinge keine Geduld dafür. Agatha presste ihren Zeigefinger auf den Knopf und nahm ihn gar nicht mehr herunter. Arnold schlug mit der Faust gegen die Tür. Herr Schmidt, der die Anspannung spürte, bellte, so laut er konnte. Tante Cleo sollte endlich die verdammte Tür aufmachen.

»Ja-haaa, komme gleich«, trällerte eine Stimme. Wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Ihre Tante stand vor ihnen, eingehüllt in eine Wolke von betörendem Bäckereiduft. Tante Cleos schwarzer Lockenkopf war leicht mit Mehl bestäubt und um den Bauch trug sie eine gestreifte Schürze.

Agatha wollte gerade loslegen und alles erzählen. Doch Tante Cleo klatschte in die Hände und schnitt ihr das Wort ab.

»Das ist aber eine Überraschung! Nein, eigentlich ist es keine Überraschung. Ich hatte im Gefühl, dass ihr vorbeischauen würdet.«

Arnold runzelte die Stirn. Das war typisch für ihre Tante, immer hatte sie ein Gefühl oder eine Vorahnung oder wollte ihnen die Zukunft voraussagen. Für ihn war das nur Hokuspokus. Auch er wollte dringend den Grund ihres Besuchs loswerden, aber Tante Cleo plapperte einfach weiter.

»Na, ihr konntet es wohl einfach nicht abwarten, ihr Geburtstagskinderchen! Herzlichen Glückwunsch!« Sie drückte Arnold und Agatha je einen Kuss auf die Wange. Auch Greta bekam einen Schmatzer verpasst. Bloß Herr Schmidt, der erwartungsvoll seinen Kopf vorstreckte, wurde enttäuscht. Tante Cleo schaute ihn nur kurz an und sagte: »Ach, Herr Schmitz ist also auch dabei. Na, dann mal rein in die gute Stube.« Es ärgerte Herrn Schmidt sehr, dass es niemand für nötig hielt, die Tante zu verbessern. Herr Schmitz, das klang ja wie Pommfritz. Er beschloss, sie nur noch Tante Klo zu nennen. Das hatte sie davon.

Als die Kinder über den Flur liefen, atmeten sie tief ein. Es roch so gut nach Vanille, Zimt und Kakao! Nach heiler Welt. Sie folgten dem leckeren Duft geradewegs in die vollgestopfte Küche.

»Setzt euch, setzt euch«, sagte Tante Cleo.

Das war leichter gesagt als getan. Zwar gab es am Fenster einen Tisch und auch drei Stühle. Aber den ersten belegten Marmeladengläser, auf dem zweiten thronte ein Käsesoufflé und auf dem letzten Stuhl stand ein Backblech mit Keksen.

»Das sind Erdbeerdoppeldecker nach dem Rezept meiner Oma Odetta«, sagte Tante Cleo. Sie deutete auf das goldgerahmte Porträt, das über dem Herd hing. Es zeigte eine grauhaarige Frau, die einen Kochlöffel wie ein Zepter in der Hand hielt.

Greta machte sich sofort über das Gebäck her. Geschickt löste sie Ober- von Unterteil und leckte die Marmelade genüsslich ab. Die trockenen Reste ließ sie auf den Boden fallen, wo Herr Schmidt schon Position bezogen hatte. Das war Teamwork ganz nach seinem Geschmack!

»Tante Cleo«, versuchte Agatha es erneut. »Wir sind gekommen, weil –«

Das Klingeln des Küchenweckes unterbrach sie.

»Die Minicalzone sind fertig!«, rief Tante Cleo. »Habt ihr schon zu Mittag gegessen?«

Arnold blickte prüfend auf die Uhr, denn für Tante Cleo war immer Essenszeit. Es war tatsächlich schon halb zwölf! Eine schwache Hoffnung keimte auf: War es vielleicht möglich, dass ihre Eltern längst wieder zurück waren?

»Ich geh mal zu Hause anrufen«, murmelte Arnold. Auf dem Weg zum Telefon, das im Flur an der Wand hing, verscheuchte er Herrn Schmidt, der an einer kostbar aussehenden Kommode das Bein heben wollte. Bei dem letzten Besuch hatte er sich den Ohrensessel im Wohnzimmer vorgenommen, weil Tante Cleo ihn vom Sofa komplimentiert hatte. »Hunde gehören nicht auf Polstermöbel«, hatte sie gesagt. Auf ein Geschirrtuch hatte er sich legen sollen! Mit Löchern drin!

Agatha, die mittlerweile einen Teller Minicalzone vor sich hatte, versuchte erneut, Tante Cleo die Lage zu erklären. Diese wollte aber einfach nicht zuhören. Ohne Punkt und Komma plapperte sie von einem vierstöckigen Heidelbeerkuchen. Jetzt rollte sie sogar Skizzen aus! »Die erste Füllung besteht aus normaler Vanillecreme, dann kommt eine feine Sahneschicht, in die ich ein wenig Rumaroma gebe und –«

Agatha hielt es nicht mehr aus. »Aufhören!«, rief sie und presste die Hände auf ihre Ohren. »Aufhören! Tante Cleo! Verstehst du nicht? Mama und Papa sind verschwunden! Ihr Zimmer ist verwüstet. Da sind Spuren von einem Kampf!«

Verschwunden. Kampf. Endlich schien die Tante ihr zuzuhören. Vor lauter Schreck setzte sie sich auf das Soufflé.

»Wa-was, ich meine, wo… wovon redest du da?«

Nun erzählte Agatha ihr von den Blutspuren und dass sie im ganzen Haus nach ihren Eltern gesucht hatten. Ein bisschen kleinlaut fügte sie hinzu: »Sogar in der Dachkammer waren wir.«

»Ihr wart in Leos Zimmer?«, wiederholte Tante Cleo.

Agatha nickte. »Wir waren überall. Auch in diesem Mörderraum im Keller mit diesem wahnsinnigen Roboter. Wir haben die Bildschirme gesehen, mit den Liveübertragungen von deinem Haus.« Sie machte eine kleine Pause. »Deshalb sind wir ja überhaupt hier! Damit du uns das Ganze erklären kannst.«

Tante Cleo blinzelte. »Mein Haus? Auf einem Bildschirm? So ein Quatsch. Das hast du geträumt.« Hastig begann sie, das Soufflé von ihrem Hinterteil zu kratzen.

Lügen kann sie genauso schlecht wie ihr Bruder, dachte Agatha. Langsam wurde sie sauer. »Mensch, Tante Cleo, ich bin doch nicht blöd! Außerdem haben Arnold und Greta das auch alles gesehen!«

Greta, die auf dem Schoß ihrer Schwester saß und Türme aus den Erdbeerdoppeldeckern baute, blickte strahlend auf, als sie ihren Namen hörte. »Geta, schauen«, rief sie und nickte.

Da meldete sich Arnold. »Agatha, komm schnell her! Ich glaube, ich habe eine gefunden!«

Er stand mitten im Flur, den Telefonhörer hatte er sich unter das Kinn geklemmt. Mit dem Kopf machte er eine kleine Bewegung Richtung Garderobenspiegel. »Da oben, siehst du? Eine Kamera!«

Agatha folgte seinem Blick. Tatsächlich: An der Kante des Spiegels hing eine etwa daumengroße Kamera.

Agatha drehte sich zu ihrer Tante, die erdbeerdoppeldeckerrot anlief. »Bist du immer noch der Meinung, ich hätte alles nur geträumt?« Agatha schob sich eine Haarsträhne in den Mund und kaute nervös darauf herum.

»Nachtisch, irgendjemand?«, fragte Tante Cleo mit schwacher Stimme.

Die Zwillinge antworteten nicht. Mit über der Brust verschränkten Armen standen sie einfach nur da und sahen ihre Tante an.

»Leo, euer Vater …«, begann Tante Cleo. »Er, wie soll ich sagen, er, also … er ist ein …«

»Er ist ein – was?«, platzte es aus Agatha heraus. Die Strähne fiel aus ihrem Mund.

Ihre Tante kratzte sich am Kopf. Dann lächelte sie: »Er ist ein Erfinder. Ja, genau. Ein Erfinder. Und ich habe mich bereit erklärt, seine Erfindungen zu testen. Bevor er sie patentieren lässt. Das macht man nämlich so.«

»Was soll das hier für eine Erfindung sein?«, fragte Arnold skeptisch. Er nickte noch einmal Richtung Kamera.

»Eine ... eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung. Euer Vater hat Spaß am Basteln und da dachte ich, tu ich meinem Bruder den Gefallen.« Tante Cleo holte hörbar Luft. »So, jetzt muss ich aber mal schauen, ob die Vanilletörtchen fertig sind.« Damit ließ sie die Kinder stehen.

Schwanzwedelnd folgte Herr Schmidt Tante Klo in die Küche, voll froher Erwartung – so einer Tante fällt ja auch mal etwas Leckeres runter. Freundlicherweise würde er sich dann darum kümmern. Nach wenigen Metern wurde der Dackel von den Zwillingen überholt. Auch wenn die Vanilletörtchen die besten Törtchen der Welt waren: So leicht würden sie sich nicht abspeisen lassen!

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