Читать книгу Das Meer der Legenden - Babsi Schwarz - Страница 7

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Blau.

Die Sehnsucht nach den azurblauen Untiefen,

den tanzenden Lichtstrahlen,

die immer weiter verblassten, je tiefer man tauchte.

Das endlose Dunkel, die Stille,

das ruhige Gluckern in den Ohren.

Kühles, salziges Wasser, das die Lungen flutete und

die fiebrige Hitze aus dem Kopf verbannte.

Ozeanblau war der Drink, den der Kapitän der Piraten in der Hand hielt. Das Getränk feuerte die Sehnsucht nach dem Wasser in Mavi erneut an. Ihre Kehle war trocken. Wie konnte sie entkommen? Einige Menschen lümmelten auf Sitzsäcken und in Hängematten. Die leichtbekleidete Frau, die sich an der Schulter des Kapitäns anlehnte, lächelte. Mavi biss die Zähne zusammen. Sie würde jedem die Augen auskratzen, der ihr zu nahetrat.

»Hallo, kommt ruhig näher, ihr braucht keine Angst zu haben. Niemand wird euch ein Haar krümmen oder irgendetwas tun, was euch zuwider wäre. Setzt euch, nehmt euch etwas zu trinken und zu essen«, verkündete Kapitän Tayon mit einem Lächeln und deutete auf Sitzkissen und umgedrehte Kisten, auf denen Teller mit Brot, Käse und Trauben lagen.

In einer Hängematte, die an zwei Balken befestigt war, faulenzte ein junger Mann mit dunklem Haar und wachen Augen, der die Gruppe neugierig beäugte.

»Harten Alkohol gibt’s auch, falls ihr die Visage von Käpt’n Tayon nicht ertragen könnt«, rief er von seiner Position aus. Die Piraten lachten alle, nur Tayon rollte mit den Augen.

»Skip. Charmant wie immer. Wenigstens du findest mich schön, oder Sumiré?«

Die leichtbekleidete Frau kicherte nur schelmisch und ließ ihn sitzen, um sich Wein nachzuschenken.

»Ihr könnt ruhig näherkommen, die Jungs tun euch nichts«, sagte sie im Vorbeigehen und ließ sich auf einem Sitzkissen nieder, der Wein schwappte beinahe über den Rand ihres Glases.

Die Perlenketten um ihre Hüften klimperten bei jeder Bewegung. Mavi entdeckte eine ihrer eigenen Schmuckkreationen am Handgelenk der Frau. Die kleinen weißen Muscheln bildeten einen angenehmen Kontrast zu der gebräunten Haut.

Zögerlich setzten die Gefangenen sich ebenfalls, versuchten möglichst viel Abstand zu den Piraten zu halten. Niemand wagte es, die Getränke oder das Essen anzurühren als wären es Opfergaben auf einem Schrein der Staubgötter.

Mavi kniete sich hin, um ihre geröteten Füße zu verbergen und nicht in Versuchung zu geraten an der Haut zu kratzen und zu zupfen. Die Sehnsucht nach dem Meer wurde immer stärker. Um ihren Durst nach Wasser zu beruhigen, fasste sich Mavi ein Herz und nahm etwas von dem Wein, nachdem sie die Frau namens Sumiré ebenfalls davon trinken sah.

»Was wollt ihr von uns?«, fragte eine der Gefangenen unsicher.

Tayon grinste und beugte sich vor. Sofort wichen alle ein Stückchen zurück und er hob beschwichtigend die Hände bevor er aufstand. Aus nächster Nähe konnte Mavi ihn besser inspizieren.

Die schwarzen Tätowierungen auf seinen Armen waren eng ineinander verschlungen, Seemonster, Anker und Wörter, die Mavi aus der Ferne nicht entziffern konnte. Sie bemerkte auch Narben in unterschiedlichen Schattierungen – einige davon schienen noch recht frisch zu sein. Seine Locs hatte er mit einem Band zu einem losen Zopf gebunden. Die weichen Gesichtszüge und das strahlende Lächeln würden sie jedenfalls nicht blenden. Er war ansehnlich und sah gepflegter aus als man es von einem Seefahrer erwarten würde. Er hatte gerade Zähne und noch alle Finger und Zehen.

Vorsichtig ließ er sich in der Nähe von Mavi nieder und zog einen Teller mit Früchten und Brot heran. Er aß etwas davon, um zu zeigen, dass keinerlei Gift oder Drogen beigemischt worden waren.

»Ich möchte euch ein Angebot machen. Mein neues Piratenschiff ist groß und wir brauchen jede helfende Hand, die wir kriegen können«, erklärte er und tunkte eine Ecke Brot in eine Schüssel mit Hummus. »Ich frage das nicht nur euch, sondern alle an Bord, die mir vielversprechend erscheinen. Vielleicht leidet ihr unter einem strengen Lehrmeister, einem aufdringlichen Ehemann oder den Zwängen in euren kleinen Dörfern. Daher lade ich euch ein: Wer möchte, kann sich meiner Crew anschließen. Egal, was ihr könnt, wir finden eine Arbeit und einen Platz für euch.«

Ein Gefangener runzelte irritiert die Stirn, eine Frau beugte sich zu ihrem Nachbarn und flüsterte etwas. Tayons Augen leuchteten und er lehnte sich vor, als er fortfuhr.

»Abenteuer! Unbekannte Länder! Schätze! Alles, was in Büchern steht, könnt ihr selbst hautnah erleben. Ihr wärt keine Diener, keine Arbeiterinnen, keine Bauern oder irgendjemandes Ehefrau. Nein. Ihr hättet einen Namen und eine Bedeutung. Und dieselben Rechte wie jeder andere auf dem Schiff. Ihr würdet euren Anteil der Beute erhalten. Und ihr könnt gehen, wann immer ihr wollt. Freiheit. Freiheit ist mir das höchste Gut. Deswegen heißt mein Schiff auch so: Ominira.«

Mavi war zufrieden als Schmuckmacherin und ihr gefiel es nicht, wenn jemand dieses einfache und ehrliche Leben herabwürdigte. Er romantisierte seine Verbrechen.

»Und der Haken?«, fragte Mavi skeptisch.

Sie erstickte den winzigen Teil von ihr, der diesen irrwitzigen Träumen glauben wollte. Die Meere zu besegeln hörte sich verlockend an, aber unter den blutroten Flaggen eines Piraten lebte man nicht in Freiheit, sondern auf der Flucht. Wenn Käpt’n Tayons Worte ehrlich gemeint waren, war er ein verträumter Tölpel. Schlimmstenfalls ein hinterlistiger Tyrann.

»Du wirst im Nu Falten bekommen, wenn du immer so ein finsteres Gesicht ziehst«, sagte er und tippte ihr an die Stirn.

Mavi wollte ihn anzischen, doch sie hielt sich zurück und zog die Augenbrauen noch fester zusammen. Tayon stand auf und umkreiste die Gruppe mit federnden Schritten. Zwei junge Männer redeten leise über das Angebot, verstummten jedoch als Tayon sich näherte.

»Und wenn wir eurer Crew nicht beitreten wollen?«, fragte eine Blondine.

»Dann esst und trinkt und geht zurück in eure Kajüte. Morgen früh legen wir in Sonnenfels an und geben das Schiff mit den Geiseln – also euch – gegen Gold und Vorräte an die Hafenwache von Port Bravidor.«

Die Frau runzelte besorgt die Stirn. »Wird das denn gut gehen?«

Tayons Grinsen wurde noch breiter. Die Piraten tauschten amüsierte Blicke aus.

»Wer weiß?«, flötete der Mann mit den stechenden Augen aus der Hängematte.

»Skip, mach ihnen keine unnötige Angst«, sagte Sumiré mit einem Gähnen und streckte sich.

Mavi beäugte die Piraten misstrauisch. Was für einen seltsamen Haufen hatten sie hier vor sich? Einerseits redeten alle von Abenteuern, Freiheit und Schätzen wie kleine Kinder, gleichzeitig strahlten sie eine kühle Professionalität aus.

Zumindest Tayon schreckte auch nicht davor zurück, sein Messer einzusetzen. Skip, der Mann mit den wachen Augen thronte in der Hängematte wie ein hungriger Berglöwe. Die Frau namens Sumiré bewegte sich wie eine Katze und ihr Körper war kurvig, aber muskulös. Die Schwielen an ihren Händen und vereinzelte Narben auf ihrer goldbraunen Haut ließen darauf schließen, dass sie eine Kämpferin war. Oder auf seltsame Vorlieben der Piraten.

Beides verhieß nichts Gutes.

Mavi überlegte, wie sie entkommen konnte, aber die Angst erstickte alle aufkeimenden Pläne. Würde morgen bei der Geiselübergabe alles gut gehen? Nicht selten brannten nachher sowohl das Handels- als auch das Piratenschiff lichterloh. Sie zählte im Kopf die verbleibenden Stunden, während ihre Füße und Finger weiter vor schmerzender Hitze pochten. Sie hatte vielleicht noch zwei Tage bevor es gefährlich für ihre Gesundheit wurde. Sie musste ins Meer.

Bald.

Was, wenn sich die Geiselnahme hinzog? Wenn die Soldaten der Hafenwache sie verhören würden? Wenn sie noch mehrere Tage unter Deck festsaß?

Mavi erschrak, als sich Tayon wieder direkt neben ihr niederließ. Er verströmte den Duft warmen Holzes und frischer Meeresbrise. Ihr Inneres zog sich schmerzhaft zusammen in dem Verlangen endlich wieder Meerwasser zu kosten.

»Na, überlegst du, wie du am besten fliehen kannst?«, fragte er mit einem neckischen Lächeln und trank einen großen Schluck Wein. Mavi wich ein Stück zurück, die Hitze, die er ausstrahlte, ließ ihre Haut noch mehr jucken.

»Am einfachsten wäre es, mich betrunken zu machen. Und dann, wenn ihr wehrlos im Bett liege - Zack!«, er zeichnete mit seinem Daumen eine gerade Linie an seiner Kehle entlang, »Bin ich tot.«

»Dann habe ich eine Leiche. Und ein Schiff voller Piraten gegen mich aufgebracht«, erwiderte Mavi.

Musste er sich ausgerechnet mit ihr unterhalten? Sie verspürte Angst, aber auch Zorn. Wie flapsig er mit den Geiseln umging, obwohl er wusste, welche Angst und Qualen sie durchleiden mussten.

»Ha, du hast Recht. Also würdest du mich, den Geiselnehmer, als Geisel nehmen? Und dann? In einem Beiboot kämst du nicht weit. Oder meinst du, du könntest mit mir den ganzen Weg nach Port Bravidor rudern? Ich finde das klingt spannend. Willst du es auf einen Versuch ankommen lassen?«

Mavi starrte auf ihre Finger. Er wollte sie aushorchen. Sie würde ihm nicht den Gefallen tun, weiter zu plappern. Vor ihm würde sie keine Schwäche zugeben, auch wenn ihr Herz wild klopfte. Wein machte sie nicht redselig, aber schenkte ihr ein wenig Mut. Beherzt leerte sie ihren Becher.

»Ich denke, ich gehe schlafen«, sagte sie und stand auf.

»Wie, du willst nicht meiner Crew beitreten? Ziehst du den armen, eintönigen Alltag dem Reisen vor?«, fragte Tayon empört.

»Ja«, sagte Mavi und erneut brachen die Piraten in Gelächter aus.

Drei Frauen schlossen sich ihr an, die anderen schienen bleiben zu wollen. Mavi konnte es ihnen nicht verübeln. Das Angebot klang verlockend, aber es war wie der Pakt mit einem dunklen Magier. Mavi wollte nicht alles aufs Spiel setzen, dass sie ich nach dem Tod ihrer Mutter erarbeitet hatte.

Sie war eine selbstständige Schmuckmacherin, die seit kurzem endlich von ihrer Arbeit leben konnte. Ihr Leben war einfach, aber gut. Sie brauchte niemanden, der sie mit süßen Versprechungen umspülte und feine Risse im Fundament öffnete, das sie so mühevoll aufgebaut hatte. Der alles in Frage stellte, nachdem sie sich selbst seit Jahren nur zögerliche Antworten gegeben hatte.

»Eiskalt wie ein Fisch. Hat dich wohl abblitzen lassen, die Hübsche. Was, Tay?«, spottete Sumiré.

»Tröstest du mich, liebste Sumiré?«, fragte Tayon und streckte wie ein Kleinkind die Arme nach ihr aus.

»Vergiss es!«

Mavi rieb sich die trockenen Augen. Der Lärm und die Hitze dröhnten. Hinter der Tür wartete derselbe Pirat, der sie herbegleitet hatte. Mit einem Schnauben trieb er sie vorwärts, zurück ins Gemeinschaftsquartier. Eine der Frauen fing leise an zu weinen.

»Halte noch ein bisschen durch«, sagte Mavi zu ihr und zu sich selbst.

Im Gewirr des morgigen Tages konnte sie vielleicht unbemerkt ins Meer huschen. Zähne zusammenbeißen und durch. Wie seit zwei Jahren. Irgendwann würde es sich auszahlen.

Inzwischen fühlte es sich an, als würde sie über heiße Kohlen gehen, so sehr brannten ihre Füße. Die Dunkelheit in dem engen Gang schien sie einzuschließen, die stickige Luft schnürte ihr die Kehle zu. Zwei andere Frauen tuschelten über das Angebot von Kapitän Tayon. Mavi konnte dem Gespräch nicht folgen. Waren die Laternen im Flur erloschen?

»He, Mädel!«

Ihr wurde schwarz vor Augen und in der nächsten Sekunde gaben ihre Beine nach. Mavi merkte nicht mehr, wie ihr Körper unsanft auf dem Boden aufschlug.

Das Meer der Legenden

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