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8. In der Höhle des Elends. (Fortsetzung)

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Das Klirren der den Riegel ersetzenden Kette war eben verstummt, als unter Riekchen's Hand die Thür sich öffnete und gleich darauf Doctor Bergmann's freundliche Stimme erschallte.

»Fürchten Sie sich nicht, mein liebes Kind,« sprach er zu der von seiner Hand geführten Gräfin, und zugleich ließ er beim Eintreten das ihn in seinen Bewegungen hindernde Bündel, welches er so lange getragen hatte, fallen; »in den Wohnungen des Elends können Sie nicht erwarten, etwas Anderes, als nacktes Elend zu finden, und es ist immer gut, dergleichen kennen zu lernen, um das eigene Glück besser zu würdigen und sich vor strafbarer Ueberhebung zu bewahren.«

»Doctor, wohin haben Sie mich gebracht?« flüsterte die Gräfin entsetzt, sobald sie nach ihrem Eintritt einen Blick um sich geworfen.

»An eine Stelle, wohin Ihre gute Mutter mich ebenfalls begleitet haben würde, mein liebes Kind,« antwortete der Doctor, einen Augenblick stehen bleibend, um seiner Gefährtin hinreichend Muße zu gönnen, sich an ihre Umgebung einigermaßen zu gewöhnen - »an eine Stelle, wohin warme Herzen, wie das Ihrige, zeitweise gehören, um Qualen und Noth zu lindern, aber auch, um zu lernen. Ja, mein liebes Kind, lernen Sie hier, wie viele Menschen von Dem glücklich gemacht werden könnten, was von ihren bevorzugten Mitmenschen, der Eitelkeit und dem Hochmuthe fröhnend, leichtsinnig verschleudert, vergeudet und in den Koth getreten wird. Lernen Sie, wie viele Thränen getrocknet werden könnten mit den Schätzen, die vornehmen Lastern und sträflichen Neigungen mit verbrecherischem Leichtsinn geopfert werden. Lernen Sie; glauben Sie, die Blicke Ihrer verklärten Mutter seien jetzt gerade auf Sie gerichtet, und streben Sie, den schönen, kindlichen Gedanken Ihrem Glauben einzuverleiben, daß jede Thräne, die Sie hier trocknen, durch eine Thräne des Dankes und der Freude von Ihrer auf Sie niederschauenden Mutter vor dem Throne des Allmächtigen belohnt werde.«

Als die Blicke der Gräfin auf die verwunderungsvoll zu ihr emporschauenden Augen des Kindes fielen, wich die Scheu vor einem Gefühle des unendlichsten Mitleids, der tiefsten Theilnahme.

»Armes Kind!« sagte sie mit einem Ausdrucke, der ihren väterlichen Freund veranlaßte, schnell nach seiner Dose zu greifen und demnächst mit dem Taschentuche über sein Gesicht hinzufächeln. »Aber tröste Dich, liebe Kleine, Dir soll ein besseres Loos zu Theil werden,« fuhr sie fort, dem vor Erstaunen sprachlosen Kinde die Hand reichend; »ich will Dich mit mir nehmen ...«

»Nicht doch, nicht doch,« unterbrach sie der Doctor, dessen gutes Gesicht vor Stolz und Freude über seinen Liebling leuchtete, »das ist nicht die rechte Art, Gutes zu thun. Man muß nicht blindlings den ersten Herzensregungen folgen, oder man fesselt sich die Hände zu sehr, um auch noch Anderen nachdrückliche Hülfe zuwenden zu können. Prüfen, mein liebes Kind, prüfen und wie ein kluger Arzt nach dem Sitze des Leidens forschen, und dann mit Ueberlegung helfen und rathen, anstatt bei Einzelnen die Vorsehung zu spielen, sie mit einem ganzen Füllhorn voll ungeahnter und ungehoffter glänzender Wohlthaten zu überschütten und darüber andere, vielleicht geignetere, um nicht zu sagen: bedürftigere Unglückliche zu vernachlässigen. Das arme Kind hier vor uns möchten Sie plötzlich, wie in einem Märchen, in schimmernden Glanz versetzen; wer sagt Ihnen aber, daß dadurch sein Glück begründet würde? Wer sagt Ihnen, daß Sie im Sinne seiner kranken Mutter handelten, oder seines Vaters ...?«

»Ich habe keinen Vater, er ist lange todt,« unterbrach das Kind den Doctor schüchtern.

»So hast Du wenigstens noch eine Mutter,« fuhr dieser bedauernd fort, indem er auf die kranke Frau wies, die sich krampfhaft unter ihrer dürftigen Decke wand, »und die würde es gewiß nicht gern sehen, wenn Du von ihr getrennt lebtest. - Nein, meine liebe Renate, wir müssen anders zu Werke gehen, wir müssen den Leiden der unglücklichen Frau auf den Grund zu kommen suchen und bei ihr auch mit unserem Beistande beginnen. Und sehen Sie dieselbe nur an, sie leidet sehr.«

»Gewiß leidet sie furchtbar,« pflichtete Renate bei, indem sie näher an das Lager der Kranken herantrat, wie um sich zu überzeugen, daß Alles Wirklichkeit sei; »Gott, mein Gott, wie ist es möglich?« sprach sie sodann leise. »Arme Frau, Ihnen soll geholfen, Ihre Lage soll erleichtert werden; aber es fehlt Ihnen an Allem, sagen Sie daher, welches Ihre nächsten Wünsche sind, und ich will mich beeilen, dieselben zu erfüllen.«

Seit dem Eintritte des Doctors und dem ersten Anblicke der Gräfin hatte die Unglückliche sprachlos da gelegen.« Sie erwartete, in dem von dem Arzte mitgebrachten Zeugen einen vielleicht eben so alten Mann zu finden, und statt dessen trat ein junges Mädchen vor sie hin, dessen Liebreiz sie fast blendete. Als Renate aber in so herzlicher Weise zu ihr sprach, als sie Worte der Theilnahme und des Wohlwollens vernahm, wie deren seit vielen Jahren nicht an sie gerichtet worden waren, da krampfte ihr Herz sich schmerzhaft zusammen, und bittere, heiße Thränen entströmten ihren Augen.

O, was hätte sie darum gegeben, aufrichtig und vertrauensvoll zu dem betrübt zu ihr niederschauenden holdseligen Wesen sprechen zu dürfen! Allein diese Erleichterung war ihr nicht gegönnt, die Blicke ihres grausamen Manne waren durch die Thürspalte auf sie gerichtet, und nur zu genau wußte sie, daß derselbe seine Drohung ausführen, auf die leiseste Andeutung ihres Geheimnisses aus seinem Verstecke hervorbrechen und den Doctor sammt seiner jugendlichen Begleiterin aus der Thür weisen würde.

Das Schweigen wäre ihr nicht so schwer geworden, allein daß sie diejenigen, die gekommen, um ihre Noth zu lindern, hintergehen und täuschen sollte, wie das Kind sie bereits getäuscht hatte, das war es, was sie in die grenzenloseste Verzweiflung trieb, sie förmlich betäubte. Und wäre es ihr wirklich gelungen, um Erbarmen für ihre Tochter zu flehen, das Herz der Fremden trotz des brutalen Auftretens ihres Mannes zu erweichen, mußten dieselben nicht zurückbeben vor der Verderbtheit eines Kindes, welches ruhig seinen Vater verläugnete, während derselbe lauschend nur wenige Schritte von ihm saß? Alle diese Gedanken bestürmten auf einmal den Geist der Unglücklichen, und selbst die Thränen, welche ihren Augen in Fülle entströmten, verschafften ihrem gequälten Herzen keine Erleichterung.

Nachdem sie sich endlich wieder einigermaßen gefaßt hatte, hob sie ihre Hände wie beschwörend zu Renaten empor.

»Liebe, junge Dame,« rief sie unter Schluchzen aus, und eine wilde Verzweiflung sprach aus ihren trüben Augen, »wie konnten Sie es wagen, diese Höhle des Elends zu betreten, sich der Gefahr auszusetzen, mit der verpesteten Luft dieses Hauses Ihre Gesundheit zu vergiften?«

»Lassen Sie das, gute Frau,« entgegnete Renate mit rührender, aufmunternder Freundlichkeit, »das sind Nebensachen; sprechen Sie nur gerade heraus, wo Ihnen Hülfe am meisten Noth thut. Aber Sie sind ja gräßlich gebettet, ein Glück, daß der Doctor auch daran dachte.«

So sprechend, eilte sie davon, um das in eine Decke eingeknüpfte Bündel, dessen Schwere ihre Kräfte fast überstieg, herbeizuschleppen.

»Was ich in der Geschwindigkeit zusammenraffen konnte, habe ich genommen,« fuhr sie geschäftig fort, indem sie das Bündel öffnete; »hier sind zuerst zwei wollene Decken, die Ihnen und Ihrem armen Töchterchen gut thun, wenigstens so lange, bis wir für ein regelmäßiges Bett gesorgt haben werden. Auch etwas Wäsche bringe ich mit; sie wird Ihrem Töchterchen zwar nicht passen, allein Sie müssen sich schon so lange damit behelfen, bis ich anderes Zeug habe anfertigen lassen. Eben so ist es mit den Strümpfen; aber nun beruhigen Sie sich auch und sagen Sie, ob Sie Hunger oder Durst empfinden, oder ob Sie für das Kind irgend etwas wünschen.

»Liebe, junge Dame,« brachte die leidende Frau endlich mit Mühe hervor, »wie könnte ich noch etwas wünschen, nachdem Sie mich so überglücklich durch Ihre reichen Geschenke gemacht haben? Gegessen und getrunken haben wir, auch zu morgen früh ist noch etwas Milch vorhanden, und das Geld, welches der Herr Doctor mir einhändigte, ist ebenfalls noch nicht ganz ausgegeben worden. Nur eine Bitte habe ich an Ihr edles Herz, meine liebe, junge Dame, es ist die Bitte einer um ihr Kind besorgten Mutter.«

»Sprechen Sie, gute Frau,« versetzte Renate freundlich; »ich bin ja nur hier, um Ihnen meinen Beistand anzubieten.«

»Ich bin krank, sehr krank; schon seit Wochen habe ich diese kalte Stelle nicht verlassen, und unsere wenigen Möbel mußten zerschlagen werden, um nur hin und wieder etwas Feuer und Wärme zu schaffen. Meine arme Tochter hat so viel zusammengebettelt, daß wir nothdürftig unser Leben zu fristen vermochten; aber auch ihre schwachen Kräfte müssen bei der schrecklichen Kälte schnell ihr Ende erreichen.

»Ja, ich fühle mich sehr krank, und wenn ich nun stürbe, was sollte dann wohl aus meiner verwaisten Tochter werden? Ich habe ihr, so lange ich lebe, freilich nichts Anderes zu bieten, als das tiefste Elend, allein sie weiß doch, wohin sie gehört und daß es wenigstens Ein Herz auf Erden giebt, welches in Liebe für sie schlägt. Bin ich aber erst todt, so wird sie von fremden Menschen herumgestoßen und geschlagen werden, bis sie endlich der Last erliegt und vielleicht unter freiem Himmel von ihren Leiden erlöst wird. Darum, liebe junge Dame, und auch Sie, lieber Herr, erbarmen Sie sich meines Kindes, und ich will in meinen letzten Augenblicken freudigen Herzens allen Segen des Himmels auf Sie herabflehen und mich ohne Murren von meinem Kinde trennen.«

»Trösten Sie sich, liebe Frau,« versetzte Renate, die Thränen des innigsten Mitgefühls von ihren Wangen entfernend, »um Ihr Töchterchen brauchen Sie nicht besorgt zu sein; es soll für dasselbe in angemessener Weise gesorgt werden. Aber denken wir jetzt an Ihren eigenen Zustand; Sie sind krank, man sieht es Ihnen an, doch vielleicht ist Ihr Zustand noch gar nicht besorgnißerregend - nicht wahr, Herr Doctor?« wendete sie sich darauf an diesen; »und wäre er wirklich besorgnißerregend, so giebt es Arzneimittel genug, jede Gefahr zu beseitigen und Ihnen Ihre volle Gesundheit wiederzugeben. Sind Sie nicht derselben Meinung, Herr Doctor?«

Als die Gräfin zum ersten Male fragte, schien der Doctor es gänzlich überhört zu haben. Ueberhaupt hatte Renate bisher das Wort allein geführt; denn sobald sie mit der Kranken das Gespräch begonnen hatte, war der Doctor leise zurückgetreten, und wie sein lieblicher Schützling beim Anblicke fremder Leiden Alles um sich her vergaß und nur an die schnelle Linderung der schrecklichen Noth dachte, so beobachtete er wieder mit innigster Freude die junge Gräfin.

Ja, er freute sich innig, in der That so sehr, daß er mehrfach seine Zuflucht zu der Tabaksdose nehmen mußte und sich sogar nicht entblödete, einen stillen Accord auf seinem spanischen Rohr zu blasen und dem kleinen Mädchen, welches, starr vor Erstaunen, mit weit geöffneten Augen zu ihm emporschaute, demnächst einen leisen Schlag mit demselben spanischen Rohr auf den Rücken zu geben.

Als Renate zum zweiten Male fragte, war er eben im Begriff, mit festen Schritten und geräuschvoll aufgestoßenem Stocke einen Kreis auf dem ihm zu Gebote stehenden beschränkten Raume zu beschreiben; doch schien ihm dabei kein einziges der zwischen der Gräfin und der Kranken gewechselten Worte entgangen zu sein. Er kehrte sich nämlich kurz um, und neben der unglücklichen Frau niederknieend, ergriff er deren Hand, um sich von ihrem Pulsschlage zu überzeugen.

»Noch immer Fieber,« sagte er, ohne indessen in seinem Wesen Bedenken zu verrathen; »aber es kann nicht anders sein. Aufregung und Noth tragen das Ihrige dazu bei; im Ganzen erscheint mir der Zustand nicht besorgnißerregend und mehr aus einer furchtbaren Erschöpfung, welche ein Wechselfieber stets mit sich führt, zu entspringen. Entbehrungen und Mangel an geeigneter Pflege haben Sie vorzugsweise so weit heruntergebracht. Also Muth, liebe Frau, das soll anders werden, und zwar bald, wenn auch nicht mehr heute Abend, denn Alles auf einmal läßt sich nicht machen. Die erste Noth ist gehoben, und damit müssen wir vorläufig zufrieden sein; ich habe Ihnen übrigens Arznei mitgebracht, die Sie genau nach Vorschrift nehmen müssen.«

Nachdem er sodann mittels des eisernen Löffels, den das Kind herbeibrachte, der Kranken von der Arznei verabreicht, breitete er die beiden Decken sorgfältig über sie hin, wobei Renate ihm hilfreiche Hand leistete, und dann sich an das Kind wendend, rieth er diesem, für die nächste Nacht ebenfalls seine Zuflucht an der Seite der Mutter unter den Decken zu nehmen.

»Und nun, meine gute Frau,« redete er darauf die Kranke wieder an, »ist Alles geschehen, was nur immer geschehen konnte. Sie dürfen sich vollständig über die Zukunft beruhigen, und erinnere ich Sie daran, daß diese liebe Dame hier der Zeuge ist, den mitzubringen ich versprach. Sie können also rückhaltlos sprechen und Ihr Herz, ohne Scheu vor irgend welchen nachtheiligen Folgen, erleichtern und vor uns ausschütten; denn nicht als Richter sind wir gekommen, sondern als Aerzte des Leibes und des Gemüths. Fassen Sie sich daher und seien Sie überzeugt, wenn es in unseren Kräften steht, dann soll das Unrecht, auf welches Sie bei meinem ersten Besuche hindeuteten, gesühnt und ausgeglichen werden.«

»Ich als Zeuge?« fragte Renate befremdet, jedoch so, daß nur der Doctor sie verstand.

»Ja, mein liebes Kind; erschrecken Sie nicht, es handelt sich nicht um eine öffentliche Gerichtssitzung, sondern um die Möglichkeit, vielleicht auch noch anderen Bedrängten mit Rath und That zur Hand zu gehen - aber was ist Ihnen?« wendete er sich darauf an die Kranke, als diese wieder heftig zu schluchzen begann; »Ihre Ruhe müssen Sie bewahren, meine gute Frau. Weshalb sich beunruhigen, wenn man sich unter Freunden befindet? Ueberwinden Sie die Scheu, sprechen Sie die ersten Worte, und Sie werden sehen, daß die anderen leichter nachfolgen.«

»Ja, ich will, und mag Gott meinem armen Kinde gnädig sein!« rief die Frau laut aus, indem sie sich halb emporrichtete.

Da knackte die Kammerthür leise. Es erklang, als ob die zunehmende Wärme in dem Gemache die feuchten Breter zusammengezogen und dadurch das Geräusch verursacht habe.

Dem Doctor und seiner jungen Gefährtin war das Geräusch entgangen; auf die Kranke dagegen übte es eine Wirkung aus, als sei dadurch plötzlich eine tödliche Krisis hervorgerufen worden.

Mit einem tiefen Seufzer sank sie auf ihr Lager zurück, ihre Hände rangen sich in einander und starr waren ihre Blicke auf die geborstene Decke gerichtet.

»Fassen Sie Muth, Frau,« versetzte der Doctor, nachdem er Renaten einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen hatte; »Sie sehen hier meine Begleiterin; bedenken Sie, es ist beinahe Mitternacht, und ich darf das liebe Kind nicht zu lange Einflüssen aussetzen, die ihrer Gesundheit nachtheilig werden können. Fassen Sie also Muth und beginnen Sie.«

»Herr Doctor,« stöhnte die Frau verzweiflungsvoll, ich kann nicht - nein, ich weiß nichts! Es war nichts, ich sprach im Fieber - ich sehnte mich darnach, Sie wiederzusehen! Um weitere Hülfe von Ihnen zu erlangen, nahm ich meine Zuflucht zu einer Nothlüge.«

»Aber, liebe Frau, ich wäre ja auf alle Fälle wiedergekommen. Oder glauben Sie, ich hätte es über mich gewinnen können, Sie ohne Hülfe in Ihrem Elende sitzen zu lassen?« erwiderte der Doctor, und seine lebhaften Augen blitzten argwöhnisch hin und her, als hätte er die Ursache der so unerwarteten Sinnesänderung erspähen wollen; denn daß die Frau Etwas auf dem Herzen habe, was sie schwer bedrückte, bezweifelte er nicht, eben so begriff er aber auch, daß sie ihn in diesem Augenblicke aus irgend einem geheimnißvollen Grunde hinterging.

»O, Sie sind so gut, so edel, so wohlthätig!« flehte die Unglückliche weiter. »Aber Herr Doctor, ich beschwöre Sie, dringen Sie nicht weiter in mich - denn - ich weiß nichts - als daß der Tod für mich eine Wohlthat wäre!«

»Dann eignen sich Ihre Mittheilungen wohl nicht für das Ohr eines jungen Mädchens?« fragte der Doctor ernst, seine Stirn in sinnende Falten legend.

»Ja - Nein - ich weiß nicht,« flüsterte die Kranke mit bebenden Lippen.

»Nun nun, beruhigen Sie sich,« versetzte der Doctor wieder in milderem Tone, während er mit Renate einen Blick des Einverständnisses austauschte, »ich will ja nicht mit Gewalt in Sie dringen. Vielleicht fühlen Sie sich zu einer andern Zeit besser aufgelegt, und wir sind gern bereit, wiederzukommen. Was meinen Sie zum Beispiel zu morgen Abend?«

Die geängstigte Frau sann eine Weile nach, bis das leise Knacken der Thür sich wieder vernehmen ließ.

»Nein nein, nicht heute, nicht morgen!« rief sie flehentlich aus. »Lassen Sie mich unbeachtet verderben, lassen Sie die junge Dame nie wieder dieses Haus betreten, denn ich weiß nicht, was ich Ihnen mittheilen könnte!«

»Tausend Welt noch einmal, es ist ja schon gut,« entgegnete der Doctor, indem er in einer Anwandlung von Ungeduld schnell einen Kreis in der Stube abschritt, »wir wollen ja gar nichts wissen! Aber nun trösten Sie sich, sonst hilft Ihnen die Medicin nicht und alle meine Mühe ist vergebens. Machen Sie, daß Sie bald einschlafen, und morgen im Laufe des Tages werde ich mich wieder nach Ihnen umsehen. Vielleicht bringe ich Ihnen noch einige andere Erleichterungen mit, nicht wahr, mein liebes Kind?« wendete er sich darauf an Renate, die mitleidig die sich krampfhaft windende Frau betrachtete.

»Gewiß, Herr Doctor,« antwortete Renate, mit einer Stimme, welche ihre ganze Herzensgüte, ihre ganze Bereitwilligkeit, zu helfen, ausdrückte. »Aber soll ich nicht etwas Geld hinterlassen?«

Der Doctor sann eine Weile nach.

Plötzlich schritt er nach dem Feuerherde hin, auf welchem ein zusammengeknittertes Stück blaues Papier seine Aufmerksamkeit erregt hatte, und ohne sich um Renatens oder des Kindes verwunderte Blicke zu kümmern, führte er das Paier, nachdem er es geglättet und von beiden Seiten betrachtet hatte, an die Nase.

Der Geruch desselben übte offenbar Einfluß auf seine Entscheidung aus, denn er warf das Papier in's Feuer, worauf er sich schnell wieder der Gräfin zuwendete:

»Nein, mein theures Kind, geben Sie das Geld mir, ich werde das Nöthige besorgen und veranstalten, denn die Frau selbst ist nicht im Stande, ihr Lager zu verlassen, und das Kind? Das würden schöne Einkäufe werden, die ein acht- oder neunjähriges Mädchen besorgte! Nein, nein, bleiben wir bei meinem Vorschlage - und nun gute Nacht, beste Frau; noch einmal rathe ich Ihnen, versuchen Sie, zu schlafen. Morgen sehen wir uns wieder.« So sprechend, bot er Renate den Arm, und ohne dieser zu gestatten, noch besonders Abschied zu nehmen, oder die Ergüsse der Dankbarkeit von Seiten der Mutter abzuwarten, schritt er hastig der Thür zu, bei welcher sich das Kind bereits aufgestellt hatte, um sie nach der Straße hinaus zu begleiten.

Kaum waren der Doctor und seine Begleiterin von dem kleinen Hofe in den finstern und schmalen Gang des Hauptgebäudes getreten, da schlüpfte der Gauner aus seinem Versteck, und nachdem er mittels der bekannten Klingel den übrigen Hausbewohnern das Zeichen gegeben, daß ›die Luft wieder rein sei‹, trat er noch einmal an das Lager seiner Frau.

»Es hätte Dir das Leben gekostet, hättest Du ein Wort zu viel gesagt!« redete er sie an, ohne zu verbergen, daß er sich in einer heitern Stimmung befand. »Aber Du bist gescheidt gewesen, und das war gut. In der Kammer ist mir erst recht klar geworden, was für ein Schatz der lumpige Papierfetzen für mich werden kann. Sollst aber auch Dein Theil haben, und auch Du, Riekchen,« wendete er sich an das eben eintretende Kind. »Vorläufig behelft Euch indessen mit der Freundschaft des Doctors und seiner hübschen Gefährtin und thut, was sie Euch angerathen haben - ich meine, schlafen.«

»Und Du?« fragte die Frau vorwurfsvoll, als sie bemerkte, daß ihr Mann den Kragen seines Rockes emporschlug und ein Paar zerrissene Soldatenhandschuhe anzog.

»Ich? Was sollte ich wohl thun? Ich gehe, um Euch nicht zu stören und mir ein anderes Unterkommen zu suchen.«

»Hast Du denn gar kein Erbarmen? Gieb mir das Blatt zurück und glaube mir, die rechtliche Verwendung desselben bringt uns größeren Segen, als die Ausführung des Planes, den Du vielleicht ersonnen hast!«

»Was weißt Du von meinen Plänen?« hohnlachte der Bösewicht, indem er davonschritt. »Ich werde den Fetzen so zu verwenden suchen, daß es nicht allein Euch, sondern auch mir zu Gute kommt, ja, und zwar ordentlich zu Gute - hahaha!«

Er lachte noch, als der hölzerne Riegel der Stubenthür hinter ihm in den ausgekerbten Pflock sank; er lachte noch, als er über den kleinen, durch die Schnee-Anhäufungen fast ungangbar gewordenen Hof hinschritt. Dann aber wurde er still, denn wo das Verbrechen auf seinen dunklen Pfaden einherschleicht, da fürchtet es überall Verrath, und sorgfältig vermeidet es jedes Geräusch, welches unberufenen Ohren seine Nähe verkünden könnte. -

»Alles vergebens!« stöhnte die von Seelenleiden und körperlichen Qualen gefolterte Frau, als sie die Hausthür hinter ihrem Manne dumpf in's Schloß fallen hörte. »Ich muß es dulden, ohne hindernd einschreiten zu dürfen, wenn ich nicht ihn und auch mich in's Zuchthaus bringen will! Hu, wie es mich eisig kalt überläuft!«

Und wie um sich dadurch der sie unablässig verfolgenden Schreckbilder zu erwehren, rief sie ihr Töchterchen herbei.

Das Kind kam und schmiegte sich, unter die Decken kriechend, dicht an seine Mutter an.

»Ach, wie weich und warm sind die schönen Decken!« murmelte es nach einigen Minuten schlaftrunken. »Mutter, wenn es doch gar nicht wieder Tag werden wollte, es liegt sich jetzt so schön hier!«

Die Mutter warf einen eigenthümlichen Blick auf die blauen Gasflämmchen, die über den verglimmenden Kohlen des niedergebrannten Holzes tanzten; ein zweiter Blick flog nach dem verbogenen eisernen Handgriff hinauf, mittels dessen man dem Rauch und mit diesem herausströmenden Gase den Weg nach dem Schornsteine abschneiden konnte, und dann schauderte sie heftig zusammen. Fester drückte sie ihr schlafendes Kind an sich, heiße Thränen drangen in ihre Augen, und »Lieber Gott im Himmel, verzeihe mir meine Sünden!« tönte es leise von ihren Lippen.

Tiefe Stille ringsum; unter der Lumpenhülle schlugen zwei Herzen in treuer Liebe an einander, die der holde Schlummer in süße Vergessenheit ihrer traurigen Lage versenkt hatte.

Von den anderen Theilen des baufälligen Hauses herüber erschallte unheimlich der wilde, unsittliche Gesang von Menschen, die sich durch widerwärtige Mittel gegen die Kälte und das Bewußtsein ihres Daseins zu betäuben suchten. Ueber der Stadt aber, über den noch immer glänzend erleuchteten Palästen der Reichen wie über den traulichen Wohnungen betriebsamer Bürger und den Höhlen des Lasters und des Elends funkelten gleich hell und friedlich die Sterne von dem klaren, winterlichen Himmel nieder. - -

»Die unglückliche Frau ist entweder selbst eine schlaue Betrügerin, oder sie steht unter dem Banne eines gefährlichen Menschen, der eine unerhörte Tyrannei über sie ausübt,« begann der Doctor, sobald er mit der Gräfin am Arme auf die Straße hinausgetreten war.

»Es ist nicht möglich,« entgegnete Renate, in tiefen Zügen die erfrischende Luft einathmend.

Der Doctor pfiff, wie in Gedanken, ein kurzes Signal; die Gräfin lächelte, trotz ihrer ernsten Stimmung, über des Doctors vermeintliche Zerstreutheit.

Sie konnte nämlich nicht sehen, daß auf das Signal aus dem Schatten desselben Hauses, welches sie eben verlassen hatten, ein in einen weiten Mantel gehüllter Mann trat, der ihnen in bestimmter Entfernung durch die engen Straßen hin nachfolgte.

»Und dennoch ist es nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich,« bekräftigte der Doctor endlich seinen Ausspruch; »jedenfalls umgiebt die Frau ein geheimnißvolles Dunkel, welches zu durchdringen ich wohl die Kraft besitzen möchte. Zuerst will sie mir ein Geheimniß anvertrauen, welches ihr das Herz abzustoßen droht; sie will mir ein Mittel in die Hände geben, andere Menschen vor Unheil zu bewahren oder ihnen bereits zugefügtes Unrecht wieder zu sühnen; sie bittet sogar, daß ich einen Zeugen mitbringen möge, und nun, da wir kommen, läugnet sie plötzlich Alles ab.«

»Dabei schien sie aber wirklich von schweren Seelenleiden heimgesucht zu sein,« versetzte Renate begütigend, denn es schmerzte sie, den Doctor an der Aufrichtigkeit der unglücklichen Frau, die in ihren Augen durch das Elend gleichsam geheiligt wurde, zweifeln zu hören.

»Ganz recht, mein liebes Kind, Sie haben eine scharfe Beobachtungsgabe, oder vielmehr, Ihr gutes Herz hat Sie diesmal wohl nicht getäuscht. Auch ich will gern das Beste glauben, so lange mir nicht Beweise vom Gegentheile vorliegen; allein ich kann nicht umhin, abermals zu behaupten, daß nicht Alles so ist, wie es sein sollte. Wem die Schuld beizumessen ist, hoffe ich herauszubringen; ohne Zweifel aber sind wir auf die eine oder die andere Art hintergangen worden. Denn wie wäre sonst das Papier, welches die deutlichsten Spuren trug, daß es vor ganz kurzer Frist sehr schlechtem Tabak zur Hülle diente, auf den Feuerherd gekommen? Nein, nein, mein liebes Kind, die Sache ist nicht klar; ein Mann ist während meiner Abwesenheit da gewesen - das Tabakspapier beweist es -, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er der Frau sammt dem Kinde den Daumen auf's Auge gedrückt hätte.«

»Sie beabsichtigen doch nicht etwa, den Unglücklichen deshalb unseren Schutz zu entziehen?«

»Tausend Welt, meine theure Renate, wie vermögen Sie Ihren alten Freund so zu verkennen? Nein, um Gottes willen nicht, im Gegentheil, ich werde meine Augen nur noch schärfer auf sie richten, um endlich hinter die Wahrheit zu kommen! Dabei sollen Ihre Aufträge nicht verabsäumt werden, und schon morgen will ich durch einen sichern Mann Alles, was Sie der Frau und ihrem Kinde zugedacht haben, zu denselben in's Haus schaffen lassen.

»Ja, sehen Sie, meine liebe Renate,« fuhr der Doctor plötzlich hastiger fort, indem er im Eifer der Gräfin seinen Arm entzog, einen Schritt zurücktrat und seinen Stock heftig auf die Erde stieß, »darum duldete ich auch nichts daß Sie der Frau baares Geld, einhändigten! Erstens fehlt solchen Leuten, die bereits so tief in's Elend gesunken sind, in den meisten Fällen die ruhige Ueberlegung, die sie in den Stand setzt, nach einem bestimmten Systeme zu handeln, die dringendsten Mängel herauszuerkennen und diesen zuerst, und zwar auf vernünftige Weise abzuhelfen, und dann wieder hätten wir vielleicht das Vergnügen gehabt, daß irgend ein beliebiger Strolch einen Theil des Geldes für Branntwein, Rauchtabak und wer weiß was sonst noch hingegeben hätte. Ja, so hätte es kommen können - Tausend Welt - und zu solchen Ausschreitungen muß man keine Gelegenheit bieten, und damit basta!«

Bei den letzten Worten stieß der immer mehr und mehr in Eifer gerathene alte Herr seinen Stock heftig auf die Erde, und sich dann schnell umkehrend, eilte er, seine kurzen Beine zu mächtigen Schritten zwingend, von der Gräfin fort.

»Lieber Herr Doctor, Sie wollen mich doch nicht mitten in der Nacht auf offener Straße allein stehen lassen?« rief Renate mit vorwurfsvoller Stimme, der man indessen anhörte, in wie hohem Grade ihres väterlichen Freundes eigenthümliches Wesen sie ergötzte.

»Tausend Welt, liebe Renate,« erwiderte der Doctor, indem er noch schneller wieder zurückkehrte und der Gräfin den Arm bot, »verzeihen Sie mir, mein gutes Kind, ich war ein Esel! Hm, mitten in der Nacht auf offener Straße und ganz allein! Seien Sie mir nicht böse, Sie kennen mich ja, habe manchmal wichtigere Dinge zu bedenken ...«

»Als Ihre gehorsame Renate,« schaltete die Gräfin mit erkünsteltem Ernst ein.

»Das wollte ich gerade nicht sagen, aber doch Aehnliches,« entgegnete der Doctor ruhig, mit beschleunigten Schritten aus der letzten engen Gasse in eine breite Straße biegend, in welcher etwa hundert Schritte weiter abwärts der eben von einer langsamen Rundfahrt zurückgekehrte Wagen sie erwartete; »ja, etwas Aehnliches - das Ganze kam indessen auf eine Entschuldigung heraus - ja, sich so etwas vorzustellen: mitten in der Nacht und ganz allein auf offener Straße, und dabei friert es, daß die Sterne vom Himmel fallen möchten; aber Sie haben noch junges, warmes, Blut, und da schadet Ihnen der nächtliche Spaziergang nicht, im Gegentheil, Sie werden doppelt gut darnach schlafen, und außerdem dürfen Sie sich sagen, daß Sie zwei arme, leidende Menschenseelen beglückt haben, was besser ist, als eine Gesellschaft bei der stolzen Gräfin Clotilde.«

»Wofür die leidenden Menschenseelen allein dem Doctor Bergmann zu Dank verpflichtet sind,« fügte die Gräfin mit unverkennbarer Herzlichkeit hinzu; »aber, lieber Herr Doctor, ich habe jetzt wirklich von dem Spaziergange genug und möchte gern meinen Wagen benutzen.«

»Wagen?« fragte der Doctor, überrascht, indem er stehen blieb und sich verwundert umschaute, denn er hatte nicht bemerkt, daß sie dicht an dem den Wagenschlag offen haltenden Diener vorübergeschritten waren und die Equipage sich bereits, ihnen folgend, in Bewegung gesetzt hatte.

»Ja, den Wagen, Herr Doctor,« wiederholte Renate, gegen ein schalkhaftes Lachen ankämpfend.

»Richtig, da ist er ja; Tausend Welt, den muß ich wahrhaftig übersehen haben!«

»Ohne Zweifel,« bekräftigte Renate; dann aber sich dem Doctor zuneigend, flüsterte sie: »Sehen Sie den Mann dort? Mir war, als folgte er uns bereits in der letzten Straße, und jetzt steht er still.«

»Lassen Sie ihn nur stehen, mein liebes Kind,« versetzte der Doctor, indem er seinem Liebling in den Wagen half, »der thut Ihnen nichts und mir nichts, ich kenne ihn genau; er war beauftragt, uns zu folgen, denn dahin, wo wir heute Abend gewesen sind, geht man nicht, ohne wenigstens einen Freund in der Nähe zu wissen.«

»Aber um Gottes willen, wer ist es denn? Sie begreifen, lieber Herr Doctor, es kann mir nicht gleichgültig sein, wer meine Handlungen überwacht.«

»Ruhig, ruhig, meine gute Renate, der dort ist sicher und verschwiegen, und wenn Sie es durchaus wissen wollen: es ist mein Neffe, der sich auf Urlaub hier befindet.«

»Doch nicht der Heinrich?«

»Ganz richtig, mein Heinrich, der bei der Artillerie steht.«

»Und den haben Sie mir noch nicht zugeführt? Es muß wenigstens acht Jahre her sein, seit ich ihn nicht sah; er war damals Fähnrich.«

»Ist hier was zuzuführen; aber wollen Sie den Jungen wiedersehen, so wird er Ihnen nächstens seine Aufwartung machen.«

»Nun, Sie fahren nicht mit?« fragte die Gräfin, als der Doctor einen Schritt zurücktrat und den Diener bedeutete, den Kutschenschlag zu schließen.

»Nein, meine theure Renate; ich habe von hier aus nicht weit bis zu meiner Wohnung; außerdem muß ich mich auch um den Jungen kümmern, den ich, als ich zu Ihnen eilte, im Vorbeigehen aus dem Casino herausholte und mit kurzen Worten auf seinen Posten schickte. Also auf Wiedersehen morgen im Laufe des Tages!«

Die Gräfin reichte ihre Hand hinaus; offenbar wollte sie noch etwas sagen, allein der Wagen hatte sich auf des Doctors Ruf: »Vorwärts, nach Hause!« schon in Bewegung gesetzt.

»Braves, liebes Mädchen; gerade wie ihre Mutter,« sprach der Doctor laut vor sich hin, indem er dem Wagen mit hastigen Schritten nachfolgte.

»Unstreitig das beste Mädchen von der Welt, oder der Herr Doctor würden den steifgefrorenen Neffen darüber nicht ganz vergessen haben,« ertönte plötzlich eine heitere Männerstimme an seiner Seite, und zugleich schob sich ein Arm mit zutraulichem Wesen unter den seinigen.

»Tausend Welt, Junge, hatte Dich wahrhaftig vergessen!« fuhr der Doctor erfreut auf, ohne indessen seine Eile zu mäßigen. »Hast Deine Sache übrigens gut gemacht, ganz gut gemacht, bin sehr zufrieden mit Dir. Hm, nur etwas weiter zurück hättest Du bleiben müssen; sie hat Dich entdeckt und aus Anhänglichkeit an mich den Wunsch ausgesprochen, Dich in ihrem Hause zusehen; mußt also schlechterdings zu ihr.«

»Und warum sollte ich auch nicht?« fragte der Officier lachend.

»Das will ich Dir sagen: erstens liebe ich es nicht, meinen Herrn Neffen auf das Privilegium seiner Uniform hin in hochadelige Häuser einzuschmuggeln, und zweitens widerstrebt es meinem Gefühle, mir gestehen zu müssen, daß man meinem Herrn Neffen aus Anhänglichkeit an mich allerlei Höflichkeiten erweist.«

»Tausend Welt, lieber Onkel,« erwiderte der Lieutenant scherzend in des alten Herrn Weise, »vielleicht bewirke ich, daß, nachdem ich aus Anhänglichkeit an Dich zum ersten Male eingeladen wurde, man die Bekanntschaft mit mir meiner höchsteigenen Person wegen fortsetzt; schmeichele ich mir doch, eine stattliche Figur zu spielen, und da ich so sehr viel von meinem Onkel haben soll, kann ich unmöglich ganz einfältig sein.«

»Schlau genug bist Du,« grollte der Doctor wohlwollend, »verstehst Dich wenigstens vortrefflich darauf, Deinem alten Onkel die schwachen Seiten abzulauschen.«

Der Neffe lachte, der Onkel lachte, und dann plauderten sie wieder so lustig mit einander, als ob sie ein paar muthwillige Schulkameraden gewesen wären, die, nachdem sie sich etwas zu lange auf der Straße herumgetrieben, mit erheuchelter Furcht der sie zu Hause erwartenden Strafpredigten gedachten.

Ja, ja, die Frau Doctorin war eine liebe, gute Dame, aber auf Ordnung hielt sie streng, und nicht eher suchte sie die nächtliche Ruhe, als bis sie sich von dem glücklichen Eintreffen ihres Herrn Gemahls überzeugt hatte.

Der Meerkönig

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