Читать книгу Der Traum von Kalifornien - Barbara Bayer - Страница 3

Kapitel 1

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Der Tag, an dem die Entscheidung fiel, unsere beiden Leben, das meiner Tochter Leah und meines um 180 Grad zu drehen, war keinesfalls ein einfacher. Es war ein Samstag im März. Ich saß zu Hause, starrte in die kalte Frühlingslandschaft hinaus und fragte mich, wie mein Leben weitergehen sollte. Ich wusste, dass mir etwas fehlte. War mir bewusst, dass ich gerade nicht am richtigen Ort war. Konnte den Gedanken, die nächsten Jahre hier zu verbringen, nicht ertragen. Ich als Freigeist, fühlte mich eingesperrt.

Meine 13-jährige Tochter Leah schlief noch, als ich gedankenverloren in die Weite blickte. Durch das verschmierte Fenster, raus in den Garten und an der Hecke vorbei, in die noch vom Winter gebeutelte Landschaft. Die Sonne ging auf der anderen Seite des Hauses auf und beleuchtete meine Wohnzimmerseite um diese Uhrzeit nur schwach. Gelb-oranges Licht drang bereits über das Dach, verlief aber im Morgentau. Ich fühlte mich unsicher und in leicht in Panik versetzt. Was mache ich hier bloß? Warum lasse ich mein Leben derart an mir vorbeiziehen? Warum nehme ich es einfach so hin, an einem Ort zu leben, an dem ich nicht sein möchte?

Immer öfter nahmen Gedanken dieser Art Besitz von mir. Immer öfter fragte ich mich, ob es nicht noch mehr für mich geben würde. Mehr von dem, was ich liebte.

Leah genoss es, an den Wochenenden ausgeschlafen und voller Energie in den Tag zu starten. In der Regel hörte ich bis in den späteren Vormittag hinein keinen Mucks von ihr.

Ich schätzte die Ruhe, die mir in der Früh geschenkt wurde. Ich sog den Morgen tief in mich auf und grübelte, was ich anstellen konnte, damit mir die Decke nicht auf den Kopf fallen würde.

Na klar, putzen. Also putzte ich. Ich entfernte die verschmierten Fingerabdrücke an den Fenstern. Ich versuchte, dem Staub an den Jalousien den Garaus zu machen und spritze die Terrasse ab. Das Badezimmer wurde auf Hochglanz poliert und die Küche neu organisiert.

Das wäre geschafft. Das Haus war vorzeigbar. Hatte es an meiner Gefühlswelt etwas verändert? Eher nicht. Aber was machte das schon. Ich hatte es beinahe aufgegeben, dass sich in diesem Leben, noch Vieles ändern würde. Der Tag nahm einen unspektakulären Verlauf und am Abend griff ich zum Telefon, um mich bei meiner besten Freundin Julie zu erkundigen, wie es bei ihr lief.

Sie hob nach dem zweiten Klingeln etwas gestresst und abgekämpft ab.

»Hallo?«

»Hey, ich bin’s. Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht?«

»Ganz gut eigentlich. Ich habe eine Kollegin gerettet, die einen Aufstand machte, weil sie für den dritten Wochenenddienst in Folge eingeteilt wurde. Ich bin froh über das zusätzliche Geld. Mich vermisst zu Hause niemand und ich kann es mir frei einteilen. Warum sollte ich die Chance nicht nutzen, um meine Reisekasse etwas aufzubessern. Was tut sich bei dir? Wie war dein Samstag?«

»Ich habe ausgeschlafen, geputzt und geträumt.«

Julie kannte mich gut und wusste, dass ich nicht auf das Putzen eingehen wollen würde. Aber auf das Träumen. Dafür war ich immer zu haben.

»Geträumt hast du? Lass mich raten. Von Wellen, die an den Strand donnern, während du sie reitest, und heißen Surfer Boys?«

Wir mussten beide laut loslachen. Aber sie hatte recht. Ich träumte von San Diego und allen schönen Facetten dieser unglaublich lebendigen Stadt.

Ich fantasierte von Sonnenuntergängen am Strand und langen Tagen in der kalifornischen Sonne.

»Erwischt. Ach Julie, es tut mir so weh, dass ich dieses Jahr nicht dort sein kann. Wir werden diesen Sommer keine Dosis Südkalifornien abbekommen. Wir werden unsere Lieben nicht sehen und keinen heißen, weichen Sand unter den Füßen spüren.«

Ich konnte Leah aus dem Augenwinkel sehen und wusste, dass sie alles gehört hatte. Ihr Gesicht verzog sich zu einer traurigen Leinwand, mit der sie jeder heulenden Schauspielerin in Liebesdramen Konkurrenz machen könnte. Sie senkte ihren Kopf und ich konnte einen langen Seufzer hören.

»Julie, ich muss aufhören. Leah ist da, sie grüßt dich und ich muss kurz mit ihr reden.«

Damit beendeten wir unser Gespräch und ich widmete mich meiner kleinen ansonsten mit einem sonnigen Gemüt gesegneten Tochter.

»Mama, bist du sicher, dass wir dieses Jahr nicht fliegen können?«

Es wirkte fast wie ein Betteln. Sie forderte mit ihrer Stimme, dass ich meine Mama-Superkräfte auspackte und es irgendwie doch noch möglich machte. So wie ich immer alles möglich machte für uns zwei. Reisen ins Disneyland, Surftrips nach Spanien, Kurztrips in die Berge. Am wichtigsten aber: Reisen nach San Diego, zu meiner ehemaligen Gastfamilie. Ich kann sie allerdings nicht mehr als solche bezeichnen. Dazu sind sie mir schon viel zu sehr ans Herz gewachsen. Sie sind Familie für mich. Ein Haufen Menschen, die ich liebe und die immer für mich und Leah da sind.

»Es tut mir leid, Schatz. Dieses Jahr können wir nicht fliegen. Die Umstände lassen es nicht zu. Hier kann nicht mal ich etwas ändern. Auch nicht, wenn ich es noch so sehr versuche und möchte.«

Unsere finanzielle Situation war in diesem Jahr aufgrund einer Verletzung von mir nicht sehr rosig. Ein längerer Aufenthalt in Kalifornien hätte die Situation kippen lassen. Das konnte ich nicht riskieren.

»Ich verstehe. Aber fair ist das nicht. Und überhaupt, warum müssen wir eigentlich hier in Österreich sitzen? Warum können wir nicht einfach dort wohnen?«

Dieser Satz gab mir einen heftigen Stich in mein Herz.

Warum können wir nicht einfach dort wohnen? Wie oft mir dieser Satz schon durch den Kopf gegangen ist. Seit ich zehn Jahre alt war, wollte ich nichts sehnlicher, als in San Diego zu wohnen. Ich wollte diese Stadt mit ihrem heftigen Pulsieren, ihren süßen Cafés und den unendlichen Stränden, jeden Tag genießen. Ich wollte den Rhythmus der Stadt in mich einsaugen und nie mehr verlieren. Doch das Leben spielte sich nicht so ab, wie ich mir das als Kind ausgemalt hatte. Es erfüllte mir meinen Traum nicht. Nicht einfach so. Im Gymnasium hatte ich noch die Hoffnung gehabt, in San Diego zur Schule gehen zu dürfen. Das hatte ich mich aber nie aussprechen getraut und da meine Mutter alleinerziehend war, wäre es auch nicht realistisch gewesen. Als mir bewusst wurde, dass ich es als Teenager nicht nach Kalifornien schaffen würde, stürzte ich etwas ab. Ich schmiss die Schule, begann zu arbeiten und dachte nur mehr wenig an den sonnigen Süden. Wenig, war in dem Fall vielleicht etwas untertrieben, denn es verging kein Tag, an dem ich nicht doch daran dachte. Aber aus Stunden, die ich mit Tagträumen verbrachte, wurden mit der Zeit nur mehr Sekunden. Ich schloss meine Ausbildung ab und arbeitete Vollzeit in einem Beruf, der mich nicht unbedingt ausfüllte oder glücklich machte und das auch in Zukunft nicht schaffen würde. Viel Zeit zum Verschnaufen blieb nicht und dann war auch schon Leah auf der Welt. Ein Sonnenschein der Seinesgleichen sucht: aufgeweckt, voller Energie, liebenswürdig und schlau. Wie konnte ich da noch meine Träume verfolgen? Uns ging es doch gut. Ihr Vater kümmerte sich um sie und ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihm. Wenn auch keine Beziehung mehr. »Mamaaa, warum können wir nicht dort wohnen?«, riss mich Leah aus meinen Gedanken. »Ach Schatz, hier ist unser Zuhause. Hier gehst du zur Schule. Hier sind deine Freunde und meine Arbeit. Hier ist unsere Familie.« »Aber nicht alle. Hier ist nicht unsere ganze Familie. Ein Teil unserer Familie ist nämlich in San Diego und vermisst uns ganz schrecklich.« »Du hast recht. Aber selbst, wenn all diese Dinge nicht relevant wären. Wie sollen wir denn zu einem Visum kommen? Die Green Card Lottery bietet eine Chance von 1:25 – im besten Fall. Eine Hochzeit kommt für mich nicht in Frage. Ich arbeite bei keiner Firma, die mich in die Staaten schicken könnte und ein Firmenimperium besitze ich auch nicht.« »Aber Mama, du findest immer einen Weg, wenn du nur möchtest. Du schaffst doch immer alles. Das kann doch keine Ausnahme sein!« Wie recht sie hatte. Ich schaffte tatsächlich immer alles, was ich mir in den Kopf setzte.

Der Traum von Kalifornien

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