Читать книгу Der Traum von Kalifornien - Barbara Bayer - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеMir war absolut bewusst, dass ich dieses Gespräch nicht länger vor mir herschieben konnte, und das wollte ich auch nicht mehr. Es war an der Zeit, meine Mutter in meine Pläne einzuweihen. Etwas zittrig hielt ich mein Telefon. Ich atmete tief durch als es klingelte. Sie hob ab und ich verlor keine Sekunde.
»Mama, es gibt große Neuigkeiten und ich möchte nicht länger damit warten – ich muss es dir erzählen. Ich bereite gerade alles dafür vor, mit Leah nach San Diego zu ziehen. Ende nächsten Jahres. In 18 Monaten.«
Stille. Ich hörte keinen einzigen Ton von meiner Mutter. Kurz.
»Bist du des Wahnsinns? Haben dich alle guten Geister verlassen? Spinnst du?«, schrie sie ungehalten in das Telefon.
Ich war darauf vorbereitet und atmete tief durch.
»Mama, nein, bin ich nicht. Ich plane sorgfältig, überstürze nichts und bereite alles penibel vor«, versuchte ich zu beschwichtigen.
»Emilia, es tut mir leid, aber ich kann jetzt nichts dazu sagen.«
Sie legte unvermittelt auf.
Ich hatte mit allem gerechnet, aber einfach aufzulegen war nicht ihre Art.
Mit war bewusst, dass sie ihre Zeit brauchen würde, um diese Nachricht zu verdauen.
Das Telefonat mit Leahs Vater schob ich auf, bis alles fixiert war. Ich benötigte seine Zustimmung nicht, wollte ihn aber auch nicht verletzen. Damit war es für mich beschlossene Sache, zu warten.
Leah, die das Telefonat mitbekam, stand wie angewurzelt da. Sie lockerte die Situation aber sofort mit ihrer natürlichen, lustigen und unbeschwerten Art auf.
»Mama, das hat sich gerade angehört, als würdet ihr diese Situation spielen. Ich dachte mir schon, dass es mit Oma nicht einfach werden würde, aber das hier erinnerte mich schon sehr an eine spanische Telenovela. Drama, Drama, Drama.«
Wir mussten beide lachen.
»Wir werden unserer Familie Zeit lassen müssen. Sie werden sich an den Gedanken gewöhnen und ich hoffe, dass uns Oma und Onkel Nick schlussendlich unterstützen werden«, versuchte ich ihr mit hoffnungsvollem Tonfall zu vermitteln.
»Immerhin werden sie uns immer in unserem Strandhaus besuchen dürfen. Ist ja nicht gerade zu verachten«, trällerte Leah.
Sie ist so positiv, nimmt alles so leicht und schafft es immer, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
In den letzten Tagen hat sie sich viel mit Schulen, Häusern und Freizeitangeboten in unserer neuen Heimat auseinandergesetzt. Bei einem war sie sich immerhin absolut sicher. Unserem Haus. Warum auch immer, hat sie ein wahnsinnig schönes und wahnsinnig großes Haus in der Nähe des Strandes ausgewählt. Stolz zeigte sie mir Fotos.
»Hier werden wir wohnen Mama. Das ist mein Traumhaus und eines Tages gehört es mir. Dann können alle unsere Freunde und unsere ganze Familie bei uns schlafen. Immer. Sie haben sogar alle ein eigenes Bad. Und sieh mal, es hat eine Feuerstelle und einen Pool.«
Sie wirkte so überglücklich. Manchmal musste ich aufpassen, dass ich nicht so etwas wie: »Ja, man darf wohl noch träumen«, auf ihre überschwänglichen Hoffnungen erwiderte. Mir war dieser Zugang zu materialistischen Dingen eher fremd. Ich dachte immer klein. Zu klein. Ich musste sehr aufpassen, sie nicht auf den harten Boden der Tatsachen zu holen. Immerhin muss ich auch sagen, dass bisher immer alles funktioniert hat, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Sie denkt in sehr viel größeren Dimensionen und wird dafür belohnt.
An diesem Abend kamen Freunde zu Besuch. Julie, meine Freundin Mel und ihr Lebensgefährte Lukas schauten vorbei.
Mel und Lukas waren schon seit Jahren ein Paar. Sie wollten sich nie in die Enge einer Ehe zwängen, kamen aber gern mal wie ein altes verheiratetes Paar rüber. Wir vier waren seit Jahren ein eingeschworenes Team und uns konnte so schnell keiner trennen. Obwohl unsere Interessen grundverschieden waren. Ich liebte Actionsport und war die Spontanität in Person. Julie war ruhiger, plante gewissenhaft und achtete mehr auf ihre Ernährung, als sich beim Sport abzurackern. Mel und Lukas waren wanderlustig. Sie erklommen einen Gipfel nach dem anderen und schmiedeten ständig Pläne für die nächste Tour. Auch unsere Jobs hatten nur bedingt Ähnlichkeit. Ich war als Masseurin tätig. Selbstständig. Das war auch der Grund für den finanziellen Engpass. Durch die Verletzung musste ich für einige Zeit aussetzen. Krankenkassen oder Versicherungen kamen in dem Fall nicht für den Ausfall auf. Das musste ich alles nacharbeiten, um wieder Fuß zu fassen. Julie war mir mit ihrer Anstellung als OP-Schwester noch am ähnlichsten. Mel war Steuerberaterin und Lukas verdiente gutes Geld als Unternehmensberater. Eines vereinte uns aber: Die Liebe zu Menschen und unsere Empathie gegenüber unseren Mitmenschen.
Es klingelte an der Tür und etwas gedankenverloren dachte ich, dass Leah schon aufmachen würde. Als es aber nochmals klingelte, begriff ich endlich – Leah war bei Freunden und würde heute nicht zu Hause schlafen. Schnell schloss ich den dreien auf und bat sie herein. Sie waren so oft bei mir, dass sie sich wie zu Hause fühlten. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, belagerten sie schon meine Couch. Lukas stellte noch ein paar Bier in den Kühlschrank und gesellte sich dann ebenfalls auf das Sofa.
Ich hatte so ein Gefühl, dass wir einen lustigen Abend verbringen würden.
»Leute, ich habe Pizza bestellt. Zum Kochen blieb mir keine Zeit«, verkündete ich etwas angespannt in die Runde.
Mel war die Erste, die reagierte.
»Mach dir mal keinen Kopf Emi. Ich hoffe nur, du hast für mich gleich noch eine Portion Mais bestellt?«
Wie könnte ich vergessen, dass sie ihre Pizza immer mit Mais isst. Niemals würde ich das außer Acht lassen.
»Was denkst du denn Mel! Natürlich! Lukas, auf deinen extra Käse habe ich auch nicht vergessen und Julie, deine Veggie-Pizza kommt mit extra Artischocken.«
Alle waren zufrieden und ich war froh, dass meine Küche an diesem Abend kalt blieb.
Lukas war der Erste, der mich auf meine Pläne ansprach.
»Sag mal Emilia, wie hast du die Sache mit dem Auswandern denn jetzt vor anzugehen? Welche Pläne hast du und wann geht’s los?«
Alle schauten gespannt zu mir.
»Am allerliebsten wäre mir natürlich, in der Green Card Lottery zu gewinnen, den Interviewprozess und sämtliche nötigen Termine hinter mich zu bringen und dann Ende nächsten Jahres auszuwandern. Die Auslosung ist nächsten Mai. Gewinnen wir, so steht als nächstes ein Termin bei einem Arzt an, den die Botschaft aussucht. Damit gehen sie sicher, dass man nicht gleich beim ersten Problem zusammenklappt. Nein, Scherz beiseite. Man muss gesund sein und das wird überprüft. Danach geht es zu einem Interview-Termin auf die US-Botschaft in Wien. Wenn alles gut geht, lässt man die Pässe dort und bekommt sie mit einem vorläufigen Visum zugeschickt. Falls das nicht funktioniert, weil wir in der Lottery nicht gewinnen, versuche ich mein Glück mit einem Unternehmer-Visum. Ihr wisst ja, dass meine Praxis zwar gut geht, ich aber körperlich fast nicht mehr in der Lage bin, alle Kunden zu versorgen. Ich möchte in den Staaten eine neue, ganzheitlich orientierte Praxis aufbauen. Mit Massage, Ernährungsberatung, Coaching und Workouts. Dazu muss ein Businessplan ausgearbeitet werden und sämtliche Verträge müssen bereits fixiert sein. Ich brauche also vorab bereits ein Geschäftslokal, eine gewisse Summe muss ebenfalls vor dem Antrag auf das Visum in Ausstattung und Sonstiges investiert werden und das Wichtigste, ich muss Jobs schaffen. Das ist das A und O bei dieser Art von Visum.«
Lukas unterbrach mich an dieser Stelle.
»Jaja, das hört sich alles ganz schlüssig an, aber woher willst du das Geld für die Investition nehmen? So eine Praxis kostet doch eine Menge. Ich hatte einen Kunden, der etwas Ähnliches in Angriff genommen hat und unter 80.000 Euro lief da gar nichts.«
Ich atmete tief durch, denn ich wusste, dass ihnen das, was jetzt kam, missfallen würde.
»Ich verkaufe das Haus.«
Stille. Wieder mal. Sie rissen die Augen auf, hielten die Luft an und wussten alle nicht so recht, was sie sagen sollten.
Mel ergriff schließlich das Wort.
»Emi, das Haus hast du dir so hart erarbeitet. Du hast so sehr für diesen Kredit gekämpft. Der süße Garten, die Terrasse … das willst du jetzt alles wieder hergeben?«, fragte sie vorsichtig.
»Ich weiß, es ist bitter. Ich wünschte, ich könnte es vermieten und wieder zurück, falls wir in den USA auf die Nase fallen, aber das geht nicht. Ich brauche das Kapital, falls ich auf ein Unternehmer-Visum zurückgreifen muss.«
Julie, die sich die ganze Zeit über zurückhielt, meldete sich lautstark zu Wort.
»Leute, das hier ist doch kein Verhör. Lasst Emilia mal etwas Luft. Ich finde, wir sollten sie auf alle Fälle unterstützen. Wir kennen sie gut genug, um zu wissen, dass sie es so oder so durchziehen wird. Sie muss es dabei nicht auch noch unnötig schwer haben. Emi, ich bin für dich da und komme was wolle: Ich stehe hinter dir.«
Ein kollektives »Wir auch« beendete das Gespräch zu diesem Thema.
Nach einigen Flaschen Bier, die gekippt wurden, fiel das Gespräch doch nochmals auf das Thema Amerika.
»Sag mal, Emilia, hast du nie eine Heirat mit einem Ami in Betracht gezogen? Für das Visum meine ich?«, fragte Lukas.
»Lukas, ich habe noch nicht mal eine Heirat mit irgendeinem Mann in Betracht gezogen. Und nein, ich würde niemals für ein Visum heiraten. Die Ehe an sich ist doch schon überholt. Mich dann noch für einen Aufenthaltstitel abhängig zu machen, kommt nicht in Frage. Nie im Leben.«
Das war eindeutig. Lukas dachte aber nicht im Traum daran nachzugeben.
»Aber es wäre doch eine Option und gar nicht mal so eine schlechte. Ich betreue im Moment einen Kunden. Er stammt aus den USA, ist Miteigentümer einiger Firmen und will im europäischen Raum investieren. Er hat Geld, sieht gut aus und könnte dir auch noch eine Green Card besorgen. Ist doch perfekt, oder?«, meinte er mit einem Grinsen im Gesicht.
Etwas angewidert blickte ich zu Lukas.
»Nein! Das ist keineswegs perfekt. Ich kenne den Typen nicht und will ihn auch nicht kennenlernen. So etwas kommt für mich nicht in Frage. Und ganz abgesehen davon, will ich so oder so keinen schnöseligen Investor. Den Plan kannst du dir ganz schnell wieder aus dem Kopf schlagen, Lukas.«
Das hatte gesessen. Dachte ich.
Ich war noch nie der Typ, der andere ausnutzte. Konnte nicht mit jemanden zusammen sein, weil er Geld oder Ruhm hatte. Das war nicht meine Art. Außerdem wollte ich für meine Sache kämpfen. Wollte alles dafür geben, es allein zu schaffen. Dieser Ansatz war bestimmt nicht immer der Einfachste, aber ich konnte mit gutem Gewissen sagen, dass ich immer alles schaffte, was ich mir vornahm.
Als es spät wurde, wechselten wir in unsere Lieblingsbar.
Das Beer House war unsere zweite Heimat. Ich ging zwar nicht wahnsinnig oft aus, aber wenn ich rauskam, dann immer ins Beer House. Es war eine gemütliche Bar mit mäßig lauter Musik und freundlichen Kellnern, die wir allesamt kannten.
Luis war heute da und begrüßte uns von weitem. Er machte uns einen Tisch fertig und nahm die Bestellung auf.
»Einmal IPA für alle«, bestellte Lukas, ohne zu fragen.
Ist gut, wir alle stehen auf den herben Geschmack und freuten uns.
Als das Bier gebracht wurde, hatte es Lukas plötzlich besonders eilig den Tisch zu verlassen und jemand zu begrüßen. Es kam schon mal vor, dass er wen kannte. Das war bei seinem Job auch nicht verwunderlich, aber so schnell war er in der Regel nicht weg.
Mel verdrehte die Augen.
»Ach Leute, ich weiß auch nicht. Immer das Gleiche. Wir gehen aus und Lukas verschwindet zu einem seiner Kunden. Kann er nicht einmal sitzen bleiben und seine Kunden mit einem einfachen ›Hallo und Tschüss‹ abspeisen?«, beklagte sich Mel bei uns.
Wir sahen Lukas nach, wie er einem großen, gut gebauten Mann – sicher an die 190 cm groß – die Hand schüttelte. Sie gaben sich gegenseitig einen leichten Klapps auf die Schulter und vertieften sich schnell in ein Gespräch. Ich konnte meinen Blick nicht von dem Mann abwenden. Er strahlte förmlich. Selbstbewusst stand er da und war sich seiner Ausstrahlung im Klaren. Er hatte etwas längeres, blondes Haar. Ein bisschen struppig, aber keineswegs ungepflegt. Seine Augen konnte ich von der Ferne nur schwer erkennen. Es lag aber gewiss ein Funkeln darin. Als ich gedankenverloren dasaß und den Fremden anstarrte, drehten sich beide Männer zu uns um und Lukas zeigte in unsere Richtung.
Scheiße. Wie peinlich. Da mustert man einmal einen Mann etwas genauer und wird sofort dabei erwischt.
»Emi, was ist denn los? Du läufst ja komplett rot an!«, quietschte Julie vergnügt.
»Julie, siehst du nicht, dass Lukas mit dem Typen auf uns zukommt?«, entgegnete ich ihr.
»Ja und? Ist doch nur wieder einer seiner Geschäftspartner. Kein Grund zur Aufregung. Sonst machst du doch auch nicht so ein Drama, wenn er einen Kunden vorstellt.«
Mel grinste und konnte sich schon denken was los war.
»Da sieh mal einer an, gibt es also doch noch einen Funken Hoffnung, dass wir einen Mann für die unnahbare Emilia finden?«, witzelte Mel.
In dem Moment spürte ich eine sehr sanfte, fast schon beiläufige Berührung an meinem Rücken.
Lukas’ Kunde streifte mich, als sie sich an unseren Tisch stellten. Ich hatte nichts dagegen. Ich genoss es sogar für einen Moment. Lange schon hatte ich kein Herzklopfen mehr, aber irgendetwas an diesem Mann löste es aus. Ich wusste, dass ich nach wie vor knallrot war und versuchte erst gar nicht es zu vertuschen. Vielleicht hatte ich Glück und man würde es dem Alkohol zuschreiben.
»Leute, das ist Jason. Er ist einer meiner Kunden und im Moment aus den USA zu Besuch. Jason, das ist meine Lebensgefährtin Mel und zwei meiner engsten Freundinnen, Julie und Emilia.«
Daher wehte also der Wind. Deshalb war er so schnell weg. Dieser Mann war also derjenige, von dem er vorhin erzählte. Na warte, Lukas. Dieses Spiel musst du allein spielen.
Julies Augen funkelten und sie begann ein Gespräch mit Mr. America. Er war zwar nicht zu 100 Prozent ihr Typ, sie würde ihn aber bestimmt nicht von der Bettkante stoßen. Immerhin hatte sie auch ein Fable für Amerika und seine Männer.
Mein Gesicht nahm hingegen wieder eine normale Farbe an und ich unterhielt mich mit Mel, während Lukas mich beobachtete.
Allerdings konnte ich nicht umhin und mein Blick wanderte hin und wieder zu Jason.
Seine breiten Schultern luden dazu ein, den Kopf darauf zu legen. Ich konnte nun auch seine Augenfarbe erkennen. Blitzblau. Wie der Ozean, den ich so sehr liebte. In ihnen konnte man sich verlieren. Das war sicher.
Das Gespräch zwischen Julie und Jason lief gut, geriet kaum ins Stocken und ich konnte sehen, wie sie ihren Kopf ein paarmal nach hinten warf und laut lachte. Es gefiel ihm sichtlich, sie zum Lachen zu bringen. Eine Spannung fühlte ich zwischen den beiden aber von Beginn an nicht. Ich denke, auch Julie war schnell bewusst, dass das nicht ihr Seelenverwandter war.
Jason blickte mich über Julies Schulter hinweg immer wieder an. Ich fühlte seinen Blick auf mir, versuchte aber, mich so gut es ging zu distanzieren. Es war nicht meine Absicht, die Unnahbare zu spielen. Ich hatte schlichtweg keine Lust auf eine Situation, die mein Leben komplizierter machen würde, als es bereits war.
Dass aber genau dieses Verhalten dazu führt, dass sich Männer angezogen fühlen, spielte mir in dem Fall nicht wahnsinnig in die Karten. Als sich Julie kurz mit Mel auf die Toilette verzog, schaute mir Jason direkt ins Gesicht und er schien sich in meinen Augen zu verlieren.
Lukas musste woanders sein, denn an unserem Tisch standen nun nur mehr Jason und ich.
»Emilia, richtig?«, fragte er in nahezu einwandfreiem Deutsch, mit leichtem Akzent.
Sexy, dachte ich mir.
»Genau, Emilia«, stotterte ich etwas unbeholfen.
Was löste dieser Mann nur in mir aus, dass ich nun kein vernünftiges Wort mehr herausbrachte?
»Schön dich kennenzulernen. Ich liebe deine dunklen Augen. Ich könnte sie stundenlang ansehen«, entgegnete mir Jason mit einem verträumten Blick.
Er war es wohl gewohnt, dass Frauen sich ihm mir nichts, dir nichts zu Füßen legten. Da war er bei mir an der falschen Adresse.
»Danke, die habe ich von meiner Mutter«, sagte ich knapp.
Das Thema auf die Mutter oder den Ex zu lenken nahm jeder Sauce die Würze.
»Deine Mutter muss wunderschön sein.«
Ach echt? Die Tour. Ich hatte genug.
»Jason, ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass du mir Komplimente machst, und freue mich wirklich dich kennenzulernen, aber ich bin gerade nicht in Stimmung für einen Flirt. Bitte entschuldige.«
Ich wusste nicht einmal, was in dem Moment in mich gefahren war. Hatte ich Angst? Konnte es sein, dass ich mich mit meinen 34 Jahren doch noch Hals über Kopf in einen Typen verliebte, den ich nicht einmal kannte? Nach allem was mir bevorstand, wollte ich jedenfalls nicht riskieren, meine Energie an einen Mann zu verschwenden.
Jason stand sichtlich verwirrt da, als ich den Mädels auf die Toilette folgte. Ich kam mir blöd vor, fühlte, wie meine Beine zitterten, aber ich konnte einfach nicht bei ihm bleiben. Ich machte die Tür auf und seufzte laut.
Mel und Julie, die sich gerade ihren Lippenstift nachzogen, schauten mich verwundert an.
»Emi, was ist mit dir?«, fragte Mel.
»Gar nichts. Der Typ geht mir nur auf die Nerven.«
»Der Typ geht dir auf die Nerven?«, fragte Julie in einer etwas zu schrillen Tonlage.
»Ja, er geht mir auf die Nerven und ich habe keine Lust darauf, meine Situation noch zu verkomplizieren.«
»Aber Jason hat doch kein Wort mit dir gewechselt«, warf Julie irritiert in die Runde.
»Er kam zu mir, als ihr weg wart, und fing sofort damit an, zu beteuern, welch schöne Augen ich nicht hätte.«
Julie war sichtlich enttäuscht. Ich wollte sie nicht verletzen. Das war nicht meine Absicht. Aber ich konnte sehen, dass sie es nicht gerade mit Wohlwollen aufnahm, dass er sich für mich interessierte.
»Julie, ich will nichts von dem Typen. Bitte schau nicht so. Ich habe keine Lust auf eine Beziehung, einen One-Night-Stand oder Sonstiges«, versuchte ich ihr zu versichern.
Doch zu spät. Sie war enttäuscht und das konnte man deutlich sehen. Dazu musste man kein Hellseher ein. Zurück am Tisch packte sie ihren Drink und machte sich auf zur Bar, um mit Luis, dem Kellner, zu quatschen. Auch in Ordnung, dachte ich. Nach einer Zeit würde sie sich schon wieder beruhigen.
Lukas, der die etwas angespannte Situation bemerkte, trat an Jasons Seite und verwickelte ihn in ein Gespräch.
Ich versuchte hingegen, meine Aufmerksamkeit von ihm abzuwenden und ging mit Mel ebenfalls an die Bar zu Julie.
Plötzlich spürte ich wieder dieses unvermittelte, zarte, federleichte Streifen an meinem Rücken.
Ich zuckte zusammen. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass Jason hinter mir stand.
»Emilia, mir wird es hier zu voll. Möchtest du nicht doch vielleicht auf einen kurzen Spaziergang mit rauskommen?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Den ganzen Abend kreisten meine Gedanken um diesen Typen. Warum nur? Was hatte er an sich, dass mich derart meinen Verstand verlieren ließ?
»Also gut. Lass uns eine Runde an die frische Luft. Kann ja nicht schaden.«
Ich gab meinen Freunden Bescheid, bezahlte meine Drinks und holte meinen Mantel. Draußen war es immer noch kühl während der Nacht und von Sommer war noch keine Spur.
Jason öffnete mir die Tür und geleitete mich hinaus.
»Warum bist du so unnahbar, Emilia?«, fragte er mich, als wir ein paar Schritte gegangen waren.
»Unnahbar? Ich bin doch nicht unnahbar!«
Ich musste aufpassen, dass meine Stimme nicht zu aufgesetzt klang.
»Ach, komm schon, Emilia. Wir wissen doch beide, dass du so tust, als würdest du mich nicht wollen.«
»Tatsächlich, mache ich das? Und wenn es so ist? Wenn ich dich tatsächlich nicht will?«, fragte ich mit fester Stimme und wunderte mich dabei über mich selbst.
»Dann würdest du wohl kaum mit mir mitten in der Nacht rumlaufen. Nicht wahr?«
Er hatte recht. Ich würde nicht mit ihm hier sein, wenn ich es nicht eigentlich wollte und wenn ich nicht Lust auf Mehr hätte. Aber was würde daraus schon werden? Eine Nacht und das war‘s? Das konnte ich mir auch schenken. Das war etwas, das ich im Moment nicht brauchen konnte. Ich musste meinen Fokus beibehalten. Eine Nacht mit einem Mann konnte bei mir Dinge auslösen, die alles durcheinanderbrachten. Dieser Mann würde das mit einem Fingerschnipsen hinbekommen. Das war mir glasklar.
Jason nahm meine Hand und holte mich aus meinen Gedanken in das Hier und Jetzt zurück.
»Emilia, ich will dich zu nichts drängen. Ich will aber auch, dass du weißt, dass du mir sofort aufgefallen bist. Das passiert mir nicht oft. Aber es ist so. Während der ganzen Zeit in der Bar, musste ich dich immerzu ansehen. Deine Augen, dein Lächeln, du …«
Ich blickte auf den Boden, als könnte ich dort eine Antwort ablesen. Unfähig etwas zu sagen.
Wir gingen still nebeneinanderher, bis wir zu einer Brücke gelangten. Sie war mit lauter Schlössern behangen.
»Was hat es mit den Schlössern auf sich?«, fragte Jason.
»Diese Schlösser symbolisieren Liebe. Pärchen hängen sie an die Brücke, schreiben ihre Namen darauf und verschließen sie. Der Schlüssel landet dann im Fluss.«
»Das ist süß. Ich wünsche mir eine Liebe, bei der ich mir so sicher sein kann, dass ich ein Schloss an eine Brücke hänge und den Schlüssel versenke.«
Wir lachten beide und schauten uns einige der Schlösser etwas genauer an. Auf vielen waren nur die Anfangsbuchstaben der Paare mit einem Permanent-Marker geschrieben. Manche waren aber künstlerisch bemalt oder sogar graviert. Wie fanden sogar eines mit E+J. Das war auf eine ganz eigene Art romantisch.
»Emilia, mein Hotel ist da vorne, kommst du noch mit hinauf?«
Ich zögerte. Wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Meine Gedanken zerrten mich hin und her. Sie trieben mich in seine Arme, während mich meine Vernunft dazu bewegen wollte, mich zu verabschieden. Mein Herz pochte und ich sah plötzlich dieses E+J-Schloss vor meinem geistigen Auge. Wie kitschig.
»Ich komme gerne mit, Jason«, brachte ich kaum hörbar heraus.
Er legte seinen Arm wie ein Beschützer um meine Schultern und führte mich zu seinem Hotel.
Es war sehr geschmackvoll. Teuer.
Der Rezeptionist beobachtete uns, blieb aber diskret, als wir gemeinsam durch die Drehtür gingen. Die beiden Männer nickten sich zu und wir gingen in Richtung Aufzug.
Pling … der Aufzug öffnete sich und Jason drückte den obersten Knopf. Selbst mir war bewusst, dass Hotels immer teurer wurden, je weiter oben man wohnt. Er hatte sich ganz oben eingebucht. Mit seiner Karte öffnete Jason die Tür zu seinem Zimmer und ein angenehmer Duft strömte mir entgegen. Das komplette Gegenteil zu seinem maskulinen Duft. Es roch eher weich, nach Vanille und einer Note Zimt. Ich fühlte mich wohl. Jason öffnete die Minibar, holte eine kleine Flasche Sekt für uns und öffnete sie gekonnt. Ich machte es mir inzwischen auf der Couch bequem und war aufgeregt. Tief atmen. Fasse einen klaren Gedanken, Emi. Es ist nur eine Nacht. Hab einfach mal Spaß. Genieß es.
Diese Worte schwirrten mir im Kopf, als Jason wieder unvermittelt von hinten an mich herantrat. Dieses Mal berührte er mich allerdings nicht beiläufig. Nicht nur im Vorbeigehen. Er stellte unsere Sektgläser ab und strich über mein Haar. Ich konnte spüren, dass er es liebte. Seine Finger vergruben sich darin und er genoss es, meine weichen Haare in seinen Händen zu spüren.
Langsam kam er an meine Seite der Couch, zog mich hoch und ich verlor mich in seinen Armen. Wir küssten uns innig. Eine seiner Hände stets in meinen Haaren, wusste er mit der anderen genau, wie er mich berühren musste. Wir atmeten heftig. Verzehrten uns nacheinander und liebten uns in dieser Nacht immer wieder.
Als ich am nächsten Morgen in seinen Armen aufwachte, war mir nicht sofort klar, wo ich mich befand und was in der Nacht zuvor passiert war. Konnte das wahr sein? War ich tatsächlich mit Jason auf sein Zimmer gegangen? Ich schämte mich. Das war nicht meine Art. Es war jetzt aber passiert und ich sollte mich schleunigst damit abfinden und zum Alltag zurückkehren. Ich hatte genug um die Ohren und musste nicht auch noch Zeit vertrödeln. Vorsichtig schälte ich meinen Arm aus seiner innigen Umarmung, um auf die Uhr zu sehen. Es war erst kurz nach sieben. An sich viel zu früh, um nach so einer Nacht aufzustehen. Ich wollte aber so schnell es ging weg. Hatte nicht vor, den Akt der letzten Nacht nochmals zu wiederholen.
Vorsichtig drehte ich mich, bis ich aus meiner Höhle, die sein Körper bildete, entkam. Kälte überströmte mich. Es fühlte sich nicht gut an, allein auf der Bettkante zu sitzen. Ich suchte nach meiner Kleidung und verschwand kurz im Bad.
Als ich mich zur Türe rausschleichen wollte hörte ich nur ein kurzes und knappes:
»Du verlässt mich schon?« von Jason.
Ich blieb abrupt stehen. Fühlte mich ertappt. Spürte einen Stich in meinem Herzen.
Scheiße. »Ähm, ja, ich muss los. Meine Tochter kommt am Vormittag nach Hause und ich muss vorher noch ein paar Dinge erledigen. Ich wollte dich nicht wecken«, stammelte ich hilflos. »Emilia, bitte komm nochmals kurz zu mir rüber. Können wir uns wenigstens vernünftig voneinander verabschieden?«, bat er mit einer einladenden Geste. Er war mittlerweile aufgestanden, zog seine Hose an und blieb mit freiem Oberkörper vor mir stehen. Dieser Oberkörper konnte sich sehen lassen. Stark und etwas gebräunt. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Der Anblick machte mich schwach. Ich war hin- und hergerissen. Schon wieder. »Also gut. Ich bleibe noch kurz.« »Du hast gesagt, du hast eine Tochter?«, fragte er mit fester Stimme. Ich konnte nicht ausmachen, ob er das gut fand oder es ihn vollends abschreckte und er nur höflich sein wollte indem er mich bat, noch kurz zu bleiben. »Ja, sie heißt Leah und ist 13 Jahre alt. Ein kleiner Wirbelwind aber das Süßeste, was es auf dieser Welt gibt«, schwärmte ich von meiner Tochter. Seine Gesichtszüge wurden weich aber auch nachdenklich. »Wo ist der Vater deiner Tochter?« »Er lebt nicht in der Stadt. Wir haben ein gutes Verhältnis und Leah besucht ihn alle paar Wochen. Mehr ist da aber nicht. Wir waren zu verschieden.« »Das tut mir leid, Emilia.« »Muss es nicht. Es ist besser so. Leah war noch sehr klein, als wir uns trennten. Wir beide kennen es nicht anders. Wir sind ein perfekt eingespieltes Team und vermissen nichts.« Das muss gesessen haben. Jason versuchte, etwas Zeit für seine Antwort rauszuschlagen, indem er sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. Er dachte nach. Das konnte ich sehen. »Und du hattest nie das Gefühl, jemand an deiner Seite zu brauchen? Du wolltest nie deine Verantwortung teilen?« Wie kommt er denn jetzt auf so etwas? Kannte er die Situation? Konnte er nachvollziehen, wie es war, sein Kind allein großzuziehen? »Nein, wollte ich nicht. Dazu hatte ich nicht das Bedürfnis. Warum fragst du, Jason?« »Ach, nur so«, wich er aus. »Komm schon, das kaufe ich dir nicht ab. Warum fragst du?« »Sieh mal, bei mir lief es nicht immer so gut. Ich komme nicht aus einem reichen Elternhaus. Mir ist nichts zugeflogen. Ich musste für alles, was ich jetzt besitze, sehr hart kämpfen. Als ich noch zur Schule ging, war mein einziges Ziel, es einmal besser zu haben. Mir und meiner Mom eine einfachere Zukunft zu schenken. Sie hat ihr Leben lang so hart gearbeitet, um mir alles zu ermöglichen. Eine gute Schule, Sprachkurse, Sport in meiner Freizeit und anschließend das Wirtschaftsstudium. Ich bin ihr so viel schuldig und konnte sehen, wie sie die Kräfte oftmals zu verlassen drohten. Deshalb frage ich. Ich kenne diese Situation sehr gut und bewundere jede Mutter, die ihr Kind allein großzieht.« Wow … ich war erstaunt. Er wirkte in der Bar so selbstsicher und so, als würde er kein anderes Leben kennen. Vorurteile, dachte ich bei mir und gab mir selbst eine kleine Rüge. Dennoch wollte und konnte ich mich nicht auf etwas Längeres einlassen. Ich versuchte, mir meine Gedanken und die Bewunderung ihm und seinen Taten gegenüber, nicht anmerken zu lassen. Ich fand es faszinierend, dass er es aus einfachen Verhältnissen zu etwas gebracht hatte und seiner Mutter nun alles zurückgab, was sie für ihn geopfert hatte. »Ich finde es schön, dass du so sehr für dich und deine Mom gekämpft hast. Bewundernswert. Was Leah und mich angeht, kann ich mich nicht über unsere Situation beklagen. Wir gehen unseren Weg und planen gerade einen großen Schritt, der unser Leben auf den Kopf stellen wird. Das ist auch der Grund, warum ich mich nicht auf mehr mit dir einlassen kann. Ich muss fokussiert bleiben und mich auf Leah und mich konzentrieren. Ich hoffe, du kannst das verstehen.« Mit diesen Worten stand ich auf, nahm meinen Mantel, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ging, ohne mich nochmals umzudrehen. Dieser Schritt fiel mir wahnsinnig schwer. Jason hatte etwas Besonderes. Er war nicht einfach irgendein Mann, der mit Frauen spielte und sie dann fallen ließ. Das konnte ich spüren. Dennoch wollte ich dem ein Ende setzen, bevor es meine Pläne durchkreuzen konnte. Leahs und mein Weg stand fest und ich war entschlossen, ihn ohne Umwege zu gehen.