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Kapitel 3

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Ping!

Der Facebook Messenger! Die Gespräche wurden intensiver, sowohl in ihrer Quantität, wie auch in der Qualität.

Philipp wusste inzwischen von meiner verstorbenen Hündin Lilo, meiner Meisterin, meinen beiden Golden Retriever Mädels Shannon und Easy, er wusste, dass ich drei große Söhne habe, dass mein Mann Andi immer unterwegs ist, wir alle zusammen drei Jahre in Kalifornien gelebt haben und ich mit meinem jüngsten Sohn zurück gekommen bin, um mich um meinen dementen Vater zu kümmern, der jetzt gerade in diesen Tagen ins Heim gekommen war. Ich konnte meine Nöte und Bedenken mit Philipp teilen und verstehe bis heute nicht wirklich, wieso man so offen mit einem völlig Fremden reden kann.

Andi war inzwischen in den USA und Philipp und ich tippten vor allem abends stundenlang. Aus Sätzen wurden Texte. Ich vertraute ihm und es begann ein gegenseitiges Öffnen. Selbst wenn ich den Chat nachverfolge, kann ich im Nachhinein oft gar nicht mehr sagen, was mich bewog, das ein oder andere zu erzählen. Ich denke, umgekehrt war es genauso. Plötzlich wusste ich Dinge, die Philipp geprägt hatten. Ich werde sie hier nicht breit wälzen, das steht mir nicht zu.

Die Tiefe wurde durch das Medium relativiert. Ein Chat kann jederzeit jäh abgebrochen werden, weil einem etwas anderes dazwischenkommt oder die direkte Antwort ausbleibt. Auch Themawechsel sind deutlicher als in Diskussionen vis-a-vis. Ob das der Grund war, dass ich eine Weile brauchte, zu verstehen, was mit mir passierte, oder weil ich gar nicht reflektierte? Ich weiß es nicht.

Ping!

Ich tippte und machte mir kaum Gedanken warum.

Irgendwann sprachen wir über Beziehungen. Philipp erzählte, dass um ihn herum viel geheiratet wird und er sich lieber einen Hund angeschafft hat. Frustriert? Stolz? Genervt? Keine Ahnung! Wenn die Emoticons fehlen, tut man sich schon mal schwer, Gefühle in kurzen Sätzen zu deuten.

Ich:

Bist du frustriert?

Er:

Nein... , ich habe ja immer die Chance... , nur füllt mich nichts aus. Ich verbringe meine Zeit einfach lieber mit Django als mit anderen. Ab und an sehnt man sich aber schon danach, aber ist eher selten. Jetzt bald heiratet wieder einer meiner besten Freunde und ich gehe wieder allein hin .

-lachender Smiley-

Ich:

Kann ich so gut verstehen. Aber Menschen sind auch wichtig. Ein Hund nimmt den Teil, den du übrig hast, um zu sorgen. Du bekommst Vertrauen zurück. Du bekommst keine Widerworte, keine Diskussion, keine Reibung.

Hund ist einfach. Mensch ist schwer.

Er:

Yap... es muss aber erst mal jemand geben, der sich damit abfindet die Nummer 2 zu sein .

Ich:

Wenn es der Richtige ist, ist er nicht Numm er 2, das ist was anderes. Das passiert auf verschiedenen Ebenen.

Er:

Ja eig entlich gibt es keine Nummern, jedoch muss man viel e Kom promisse bei mir eingehen, bin richtig schwierig, e gal, habe immer betrogen z.B., bin schnell gelangweilt, unzufrieden, gaaanz schlimm, autonom , ich habe mir das Vertrauen selber genommen .

Klin g ich verbittert?

Ich:

Da s Vertrauen zu dir selbst? Du klingst traurig hinte r einer Fassade von Stärke.

Er:

Nein, das s jemand mal mit mir das macht, was ich jahrelang mit anderen g emacht habe.

Ich:

Verstehe!

Er:

Ich habe mir immer die Leute so zusammengestellt, dass e s perfekt war . Sprich , hatte i mmer mehrere gleichzeitig. Dabei strebte ich immer nur nach der einen Sache, das Ehrliche und Große. Aus diesem Grund freue ich mic h, wenn ich Personen sehe, die jahrelang zusammen sind , sich noch küssen und lieben und geme insam was aufgebaut haben. Ich habe es nie geschafft , dabei hatte ich immer tolle Freundinnen.

Ich:

Diese Menschen sind extrem kompromiss bereit und streben NICHT nach Perfektion. Diese Menschen können verzeihen und mit Verletzungen leben. Diese Menschen sind nicht eitel .

Er:

Und ic h bin genau das nicht!

Ich:

Mhm

Er:

Und nu habe ich die Scheiß-Ega l-Haltung .

Ich:

Ich habe betrogen und ich bin betroge n worden. Beides genau einmal. Man zerbricht fast dran, aber eben nur fast. Man versucht , sich g egenseitig zu heilen. Es geht. Ich bin ein f urchtbar nachtragender Mensch u nd sehr verletzlich. Aber es geht. Bloß ein zweites Mal würde ich wahrscheinlich ni cht überleben. Ist übr igens schon lange her.

Er:

Wow

Philipp unterbrach mit einem Foto von seinem verstorbenen Hund. Ich belächelte den geschickten Themenwechsel. Aber er versicherte mir, dass es nur so ein Einschub war und fragte nach.

Er:

Wer, wann, wo wurde betrogen?

Ich:

Mhm. Ich habe meinen Mann betrogen, als der dritte Sohn noch nicht geboren w ar, also das ist 19 Jahre her. Matthias ist einfach passiert. Es h at im Prinzip ähnlich angefangen wie das hier. Gute Gespräche, die direkt in die Tiefe gehen. Das ist das, was ich in meiner Beziehung nicht bekomme. Dafür b in ich empfänglich. Und zack! Es ging ne Weile. Irgendwie fühlt man sich schuldig, will nix aufs Spiel setzen und weiß gar nicht, wie gefährlich das ist. Ich hab's Andi gesagt, er hat's mir verziehen, aber es hat Spuren hinterlas sen. Bei mir mehr als bei ihm. Paar Jahre später hat er mich betrogen . Mit ner gemeinsamen Freundin , Coco . Hier zu Hause, ich war auch da. K ann man sich nicht vorstellen. Ich bin fast wahnsinnig geworden. Was dann passiert ist, kann ich nicht erzählen, habe ich auch immer noch nicht verarbeitet. Es hat Monate gedauert, bis ich wieder einigermaßen die Alte war. Es steckt immer noch tief in mir. Ich werde nie wieder lügen. Da s habe ich mir nach meiner Affä re geschworen. Und ich w erde auch nicht mehr betrügen. Wir müssen uns vertrauen k önnen und das tun wir.

Was passiert hier gerade? Ich erzähl dir Dinge, die ich sonst keinem erzähle. Ich habe bisschen Schwierigkeiten da s Ganze hier nachzuvollziehen.

Gefährlich!

Wir einigten uns darauf, dass es einfach gut tut, mal mit jemandem zu quatschen, der nicht involviert ist. Ein Bauchgefühl, dazu gehört Sympathie und Vertrauen und Philipp zumindest war der Meinung, er könne Privates, Berufliches und Sportliches trennen und unsere Gespräche nicht mit auf den Hundeplatz nehmen. Ich zweifelte leise. Ich glaubte, dass ich das nicht könne, aber das sagte ich nicht.

Das Gespräch ging weiter, wir wechselten beide das Medium, vom Handy zum Laptop bzw. i-Pad, damit man nicht nur mit dem Zeigefinger tippen konnte.

Ich:

Es gibt genug Ehen, die zerbrechen , und wir sind auch no ch nicht alt. Ganz alt . Flirtereien, Sex oder ne Mischung aus beidem k önnen eine t iefe Beziehung nicht ersetzen. Das macht man sich in dem einen kribbelnden Moment, wo die Situation spannend und e rregt ist, nicht klar.

Er:

Ja... , der Reiz, aber hast recht, es ist es nicht wert und danach fü hlt man sich nur mies.

Ich:

So isses. Man kann sich Schmerzen nicht vorstellen. Und dann hat man den Salat .

Er:

Das ist es alles n icht wert... , das Risiko... , man ris kiert eine Freundschaft und man riskiert , ei ne „ intakte" Beziehung zu verlieren.

Er sagte, mit zwanzig sei das ok, man will ja noch etwas erleben, aber später würde man ja vernünftig. Ich widersprach. Denn nach Jahren der Langeweile, wenn die Kinder einen nicht mehr brauchen, geht es eventuell erst richtig los. Man hat vielleicht was verpasst. Wir theoretisierten und mir fielen kaputte Beziehungen im Bekanntenkreis ein.

Dann fragte Philipp, wie das bei uns damals war. Eine gemeinsame Freundin? Ob ich sie erwischt hätte, in flagranti. Nein, nicht direkt. Ich wollte nicht darüber schreiben. Ich sagte Philipp, dass ich das nur erzählen könne, schreiben ginge nicht, es zerriss mich immer noch. Es wäre eine hollywoodreife Geschichte, aber es täte mir leid, da müssten wir schon persönlich reden. Das will ich nicht tippen!

Ich merkte, wie nah mir das ging und äußerte den Verdacht, dass Philipp irgendwie Sinn für mich machte. Er wühlte Verdrängtes auf. Er schüttelte das ab, wolle er keinen Sinn machen oder wolle er Verdrängtes nicht aufwühlen? „Ich will das nicht“, sagte er. Wahrscheinlich meinte er das Aufwühlen.

Das Gespräch bewegte mich sehr, mehr als mir lieb war. Den eigentlichen Betrug hatte ich verziehen. Was dieser in mir auslöste, hatte ich jedoch nie verarbeitet. Allein der Gedanke, dass in mir Unverarbeitetes sein könnte, verdrängte ich. Ich kann sehr gut die Themen wechseln, wenn ich nur mit mir selbst spreche.

Der Chat ging weiter. Was ist Liebe, wie geht man mit Verletzung um. Ich hatte das Gefühl, dass Philipp nicht verstehen kann, warum man sich Seitensprünge verzeiht und warum man bereit ist, Verletzungen hinzunehmen und zu behandeln.

Er war der Meinung, dass er sich kalt umdreht, wenn ihm jemand Schmerzen zufügt. Ich kann das nicht beurteilen, will ich auch gar nicht. Das muss ja jeder für sich selbst herausfinden, merkte aber an, dass er eventuell über ein Verliebtsein noch nie hinaus gekommen wäre und wahre Liebe noch nicht gespürt habe.

Er:

Liebst du?

Was ist Liebe?

Ich:

Oh ja, ich liebe. Und zweifle täglich daran.

Liebe ist der Schmerz , den man fühlt, wenn man sich nicht mehr hat. Nicht auf Reisen. Endgültig. Liebe ist der Teil, der in dir stirbt, wenn der, den du lieb st, stirbt.

Der Schmerz als meine Mutter starb, das war der gleiche Schmerz, den ich hatte, als ich dachte , es ist aus zwischen Andi und mir. Ich glaube fest daran, dass dieser Schmerz Liebe ist. Sie ist nur so oft unsichtbar im Alltag.

Er:

Und dann überkommt es einen auf einmal und man merkt, ja , ich liebe ihn über alles, eine Geste, eine Mimik reichen oft aus, dass es einen überkommt, ein Gedanke... z. B. die Person zu verlieren oder was man a lles zusammen gemeistert hat ?

Ich:

Ja, ja und ja !

Und dann sitzt man sich am ungedeckten Tisch gegenüber, jeder starrt in seinen Laptop und man fragt sich, ist das Liebe? Dass man nicht mal ein Gespräch f ührt? Und genau das ist Liebe. Das s man monatelang nebeneinander her lebt, um dann irgendwann wieder die Kurve zu kriegen. Mit oder ohne Grund. Mit oder ohne Sex. Liebe ist and ers als verliebt sein.

Und nicht immer schön !

Aber intensiv!

Philipp ließ mich über Dinge reflektieren, die ich so für mich noch nie formuliert hatte. Außer in den großen Krisen meiner langjährigen Beziehung, machte ich mir darüber keine Gedanken. Die Leichtigkeit, mit der ich das formulierte, zeigte mir jedoch, dass ich nicht überlegen musste. Ich wusste, dass ich liebe. Ich hatte immer Angst davor, Andi zu verlieren, ein stets präsentes Gefühl, das ich im Allgemeinen aber nicht zuließ. Es ist eine negative Definition, und das für etwas so Großartiges wie Liebe. Es muss auch eine positive geben. Sollte sie mir noch in den Sinn kommen, werde ich es Euch wissen lassen.

Variationen einer Buchstabenaffäre

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