Читать книгу Variationen einer Buchstabenaffäre - Barbara Ikier - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеIch schreibe nicht nur Blödsinn, ich denke ihn ununterbrochen. Alles muss raus, fast wie beim Ausverkauf, nur schade, dass mein Kopf das am liebsten nachts macht, wenn mein Körper eigentlich schlafen sollte.
Ping!
Er:
Guten Morgen! Kein Wecker , der gek lingelt hat , und schön vom Z witschern der Vögel wach gewo rden. Angen e h m ... Du wars t mitten in der Nacht wach? Nicht gut geschlafen?
Ich:
Genau! Guten Morgen? Eigentlich war ich die halbe Nacht wach. Dur st, Klo, Kopfschmerzen und jede Men ge wirres Zeug im Kopf. Habe in meinem Kopf das Buch de r Variationen einer Buchstabena ffä re geschrieben. Das Ding wird bestimmt nen Bestseller.
Er:
Darf ich die Buchbeschreibung auf ’ m Buchrücken lesen ?
Ich:
Hahahahaha, nach ’ m Kaffee.
Wir unterhielten uns noch ein Weilchen, beide noch im Bett. Er kuschelte mit Django und ich mit meinen Mädels. Die Nacht war die Hölle. Irgendwann in der Nacht schmiegte Easy mal ihren Kopf an meinen, als wollte sie sagen: „Nu beruhig dich mal, ich will schlafen.“
In der Nacht hatte ich den Gedanken, doch mal meinen Körper zu verlassen, um die Diskussion zwischen Kopf, Herz und Unterleib zu beenden. Gewaltenteilung des eigenen Egos. Das würde ich gern können.
Mein Kopf gibt einfach keine Ruhe, er denkt ununterbrochen. Das macht er manchmal ganz schön laut. Das Herz fängt dann an, noch lauter zu schlagen, wahrscheinlich will es sich so bemerkbar machen und sagen: „Hör auf zu denken, das bringt doch nichts.“ Den Unterleib regt die Diskussion zwischen Herz und Hirn an. Er zuckt dann, ohne eigentlich wirklich eine eigene Meinung zu haben. Wahrscheinlich ist es mehr eine Übersprungshandlung des Körpers, um vom Streit der anderen beiden abzulenken.
Wie soll man denn da schlafen?
Ich kochte mir Kaffee und hielt mein Versprechen:
Ich:
Variationen einer Buchstabena ffä re
Es beginnt mit einem normalen Chat zwischen ihr, verheiratet, und ihm, Single. Das Ende kann sich der Leser aussuchen.
Die Autorin schafft es, mit nur einem Anfang fünf absolut verschiedene Geschichten zu schreiben. Humorvoll, aber auch mit Tiefgang, steuert sie ihre Protagonisten mal in eine absolute zwischenmenschliche Katastrophe oder sie bleibt auf den seichten Pfaden des Erträglichen, ohne dabei allerdin gs Spannung einbüßen zu lassen.
Sie schafft mit ihrem Werk , den Leser zu unterhalten, zu fesseln und ihm zu zeigen, was kleinste Entscheidungen für we itreichende Folgen haben können. Ob Happy End, Drama oder surrealistische Satire: Variationen einer Buch stabena ffä re ist jeden Letter Wert.
Die Variationen blieben zunächst in meinem Kopf. Philipp war schon von dem Buchrücken beeindruckt. Für mich war es Satire.
Die Idee, wirklich ein Buch zu schreiben, schwelt schon lange in mir. Eigentlich wollte ich ein Buch darüber schreiben, wie Andi und ich mit unserem geliebten Auto John Fremont, ein Honda Odyssey, benannt nach einem amerikanischen Entdecker, die USA durchqueren. Von dem Abenteuer, ein altes Auto zu kaufen, mit ihm durch die Wüste zu zockeln, wo es kaputt geht, aber uns noch den Gefallen tut, bis kurz vor eine Werkstatt zu fahren. Wir erleben viel mit ihm und statt John Fremont wie geplant in New York zu verkaufen, beschließen wir, ihn zu behalten, um weitere Abenteuer mit ihm zu erleben. Tatsächlich fuhr Andi ihn in nur drei Tagen zurück zur Westküste, wo er alle paar Wochen von ihm bewegt wird, wenn er auf Business Trip in San Jose ist. Dieses Buch habe ich nie geschrieben, weil meine geliebte Hündin Lilo ein paar Wochen nach unserem famosen Urlaub starb. Erst trauerte ich furchtbar und dann konzentrierte ich mich auf Easy, unseren neuen Familienzuwachs. Ich hatte einfach keine Ruhe mehr zu schreiben.
Während ich noch mit Philipp über den Buchrücken scherzte, entwickelte sich die Idee, das Buch zum Buchrücken wirklich zu schreiben. Warum nicht. Warum nicht hier ansetzen und die Geschichte aufgreifen, in der ich gerade stecke. Philipp freute sich schon, Teil eines Buches zu werden.
Ich:
Freu dich nicht zu früh, in einer Variation bist du der durchgeknallte Psychopath .
Er:
Hallo! Psychopath ?
-zwei rote wutschnaubende Smileys-
Ich:
Oder du arbeitest eigentlich für eine Webseite und veröffentlichst da unseren Chat. Was du schreibst ist natürlich Fake, ich werd verarscht. Die Seite ist in Kennerkreisen sehr beliebt.
Aber es gibt auch den Part, wo sie ihren Mann verlässt...
Oder einfach, und das ist mir am liebsten, alles bleibt w ie es ist und sie lediglich gute Freunde werden, die Verwirrung sich verliert, und das Knistern sich legt.
Nicht böse grummeln.
Alles nur Fiktion. Ich sag doch, ich hab eine blühende Fantasie.
Und dann gibt's noch den Teil, wo sich alles irgendwie entwickelt, sich zunächst alles gut anfühlt und man dann plötzlich erkennt, dass man doch einen Schritt zu weit gegangen is t. Dieser Teil ist jetzt schon autobiografisch. Wobei nich t eskaliert. Sie spielt noch, a ber zittert schon. Sorry! Im Buch kriegt sie die Kurve nicht, die Eh e wird ein weiteres mal auf die Probe gestellt. Und wieder kehrt der Alltag zurück, und du, bitterer als vorher, musst sehen, dass du doch da mit zu kämpfen hast...
Oh traurig
Er:
Ja das Ende ist noch offen .
Bin gespannt, wie die Tage bei dir jetzt werden.
-zwinkernder Smiley-
Nachdem ich die letzte Variation geschrieben hatte, wusste ich, was ich eigentlich wollte. In Worten gedacht hatte ich es vorher noch nicht.
Mein Herz klopfte. „Was passiert hier gerade? Was tue ich? Ich schreibe auf, was ich mir nachts ausdenke und finde es so prickelnd, dass ich Gefallen daran finde, es Realität werden zu lassen?” Meine Gedanken fingen an, mich zu erregen. Ich freute mich wahnsinnig auf den Abend, in der Hoffnung, dass Andi endlich da wäre, um mir aus diesem Zustand zu helfen, erstens, um die Erregung zu stillen und zweitens, um mich irgendwie vor mir selbst zu schützen.
Philipp und ich chatteten den ganzen Samstag immer mal wieder zwischendurch, während wir mit den Hunden draußen waren, auf dem Supermarktparkplatz, wo auch immer. Wir sprachen darüber, wie wir mit Wut oder Verletzung umgehen. Ich bin ein friedfertiger Mensch, bis man meinen Wutpunkt trifft, dann raste ich aus. Wenn ich ganz still werde, ist es noch schlimmer.
Ich:
Manchmal verletzen Menschen aus Versehen...
Er:
Ja, das stimmt. Also wenn mich jemand betrügen würde, anlügen würde, würde ich tschüss sagen, ohne mich aufzuregen oder emotional zu sein.
Ich:
Das ist schade!
Lieber aufregen, kämpfen und verzeihen. Kommt natürlich auf den Menschen an.
Er:
I ch verzeihe halt nicht .
Ich:
Schade, es lohnt sich.
Er:
Naja verze ihen eventuell... Aber nicht vergessen. Es wird i mmer in einem stecken und für Unmut sorgen.
Ich:
Verges sen tu ich auch nicht. Und es sorgt immer wieder für Unmut, ja!
Er:
Also verzeiht ma n letztlich nicht wirklich .
Ich:
Ich habe wirklich verziehen. Mir tut nur die Narbe manchmal weh. Ich glaube aber, dass man neu anfangen kann, immer. Das s man im Hier und Jetzt sein sollte, n icht in der Vergangenheit.
Er:
Ich schwelge zu oft in der Vergangenheit.
Ich:
Leb mal lieber jetzt.
Marcel Pagnol sagt: Menschen haben Schwierigkeiten glücklich zu sein, weil sie die Vergangenheit besser sehen, als sie war, die Gegenwart schlechter als sie ist und die Zukunft rosiger , als sie sein wird.
Dieser Spruch hängt in der Küche meiner Mutter, auf nem kleinen vergilbten Zettel. Ich finde ihn so wahr.
Er:
Das könnte bei mir zutreffen. Mhhh
Ich:
Hab in Amerika totale Probleme mit Heimweh gehabt am Anfang. Ich habe mein altes Leben so vermisst. Das bremst , dem „ Jetzt" G uten Tag zu sagen. Diese Erfahrung war sehr interessant für mich, erstens neu, zweitens hat sie mich verändert. Ich glaube , ich kann den Augenblick jetzt mehr genießen. Das macht die Sache auch leichter durch doofe Zeiten zu kommen. Ist nicht logisch. Geht aber...
Deine Geschichte wird immer länger, deine Zukunft kürzer. Das Jetzt ist stabil!
Das Jetzt ist stabil. Stimmt das? Im Umfang, ja! Es ist nur ein Moment, immer, aber dafür sehr mächtig. Im Jetzt entscheidet sich alles. Und nicht, indem wir großartig die Zukunft planen, sondern eben mit all den kleinen Entscheidungen, die wir so zwischendurch treffen.
Wie gehe ich mit der Situation um?
Da ist ein Typ, der mir zuhört und mit mir redet. Wenn mich was anturnt, dann das. Es erregt mich und ich weiß ganz genau, was passieren kann, denn es ist nicht das erste Mal. Ich habe aus der Vergangenheit gelernt und bilde mir ein, indem ich Andi alles sofort erzähle, der beginnenden Katastrophe den Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne dabei auf das aufregende Prickeln zu verzichten. Das ist kein Plan im eigentlichen Sinn, mehr ein Versuch oder eine verrückte Idee. Ich will also dem „Jetzt” Guten Tag sagen und weder auf die Chats mit Philipp verzichten, obwohl ich weiß, dass ich mich verliebt habe und er eine potentielle Gefahr für meine, wie ich denke, glückliche Ehe ist, noch will ich wirklich etwas riskieren. Das klingt unmöglich. Ich scheine jedoch naiv genug zu sein, daran zu glauben, dass es geht, wenn man nur ehrlich ist und kein einziges Gefühl verbirgt und zwar sowohl Andi als auch Philipp gegenüber. Ich glaube schlicht und einfach an das, was ich mir ausdenke. Es muss funktionieren. Ich möchte trotz der Anzeichen mit Philipp weiter chatten und werde versuchen, Andi gegenüber ehrlich und stabil zu sein. Wenn mein Körper aufgrund der Situation anfängt zu oszillieren, dann habe ich einen wunderbaren Mann, der glücklich sein wird, wenn er mitschwingen darf.
Meine körperliche Erregung ist ja nicht angeregt durch den Körper eines anderen Mannes, sondern durch den mehr oder weniger intellektuellen Austausch. Eigentlich ist das doch wie Musik oder ein schöner Film. Es spricht ja auch nichts dagegen, durch schönen Input von außen erregt zu sein und dann dieses Gefühl weiter zu entwickeln mit dem Menschen, den man liebt.
Ich freute mich auf Andi, ich hatte seit Monaten mal wieder richtig Lust, mit ihm zu schlafen. Nicht die Lust, die ich Sonntag morgens verspüre nach einem Traum, an den ich mich nicht richtig erinnern kann, der lediglich die Durchblutung meiner Vagina angeregt hat und ich deshalb einfach mal eben Befriedigung suche. Nein, ich hatte wirklich Lust, mit ihm zu schlafen, mit Andi, als meinem Mann und nicht als Dummy für den Typen, in den ich mich auf einer reinen Wortebene verliebt hatte.
Mein Gewissen war rein. Vielleicht zum ersten Mal überhaupt. Normalerweise habe ich immer wegen der komischsten Dinge ein schlechtes Gewissen. Ich schäme mich oft für meine Gedanken, weiß gar nicht warum. Diesmal war das anders. Ich ließ sie zu, alle! Kein einziger jämmerlicher Versuch sie zu verdrängen. Die Wirkung war ungeheuerlich.