Читать книгу Die Liebhaberin - Barbara Voors - Страница 13

Skeppsskär

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»Sie hat ihren Sohn weggeschickt. Welche Mutter tut so etwas?«

»Es gibt dort wohl auch einen Vater?«

»Wirklich typisch für einen Mann wie Sie, die Partei der Frau zu ergreifen.«

»Ich ergreife für niemanden Partei, ich erhebe einfach einen Einwand.«

»Egal wie, es ist banal.«

»Du kannst gehen, wenn du willst.«

»Das ist mir klar, aber ich möchte, daß Sie mir zuhören, bis diese Messe vorüber ist. Betrachten Sie es als Schwäche meinerseits. Vielleicht eine zu lange Zeit der Einsamkeit und Planung. Jemand, dem man es erzählen kann, der es nicht weiterträgt.«

»Das werde ich nicht tun.«

»Wieder ein herrlicher Tag heute. Diese hier scheint mir die schönste Insel zu sein. Ruhe, Frieden und dann die Boote.«

»Mir gefällt es hier.«

»Aber Sie wohnen nicht hier.«

»Nein, ich wohne mit meiner Tochter außerhalb der Stadt.«

»Noch jemand? Eine Frau?«

»Da ist im Moment niemand.«

»Aha, ein tragischer Hintergrund.«

»Das sind deine Worte. Alle haben wir unser Päckchen zu tragen. Du auch?«

»O ja, aber ich weiß nicht, ob ich davon reden will.«

»Wovon willst du sonst reden?«

»Schauen Sie, ein Schwanenpaar direkt hier unten. Endlich offenes Meer. Jetzt fliegen sie auf! Genau gleichzeitig, viele Jahre Training. Wie graziös und würdevoll. Wie anders doch als wir Menschen. Findest du, daß du mit Würde älter wirst?«

»Jetzt sagst du nicht mehr ›Sie‹.«

»Nein, ich weiß nicht warum, manchmal gerate ich aus dem Takt. Vielleicht habe ich ein größeres Publikum erwartet, statt dessen habe ich nur dich gefunden.«

»Ist es ausreichend?«

»Ich weiß nicht, ich hatte mir wohl ein großartigeres Szenario vorgestellt.«

»Zum Beispiel?«

»Ich wollte ein Exempel statuieren. An Molly. Das ist nur ein Name.«

»Und wer ist diese sogenannte Molly?«

»Mir liegt nicht daran, sie zu einer komplexen Gestalt werden zu lassen. Es gibt sicher eine Menge Erklärungen, doch zählt nur das, was wir tun. Laß uns statt dessen über sie reden als sei sie eine ... Ich suche jetzt nach Worten.«

»Nimm dir soviel Zeit, wie du brauchst.«

»Der Frühling ist da, nicht wahr? Drinnen in der Stadt, wo ich wohne, ist er nicht zu spüren. Aber hier duftet die Erde. Die Leute haben Stühle aufs Achterdeck der Boote gestellt, in der Hoffnung auf ein paar zeitige Sommersprossen, die Matratzen liegen zum Lüften draußen, um die Wintermuffigkeit zu vertreiben. Die Sonne wärmt, siehst du, wie sie sich dort unten auf dem Steg sonnen?«

»Du hast gesagt, du suchst nach Worten.«

»Ja sicher. Bei ihrem Tod könnte man schreiben »Ein Nachruf über ein verfehltes Leben.«

»Ein solches gibt es nicht.«

»Das ist nicht dein Ernst! Sind bestimmte Leben nicht weniger wert als andere? Soll man ihr Leben zum Beispiel mit dem eines Sozialarbeiters in einem Slumgebiet gleichsetzen können?«

»Das ist meine Meinung.«

»Ich glaube dir nicht. Welche Verantwortung haben wir als Menschen? Sollen wir unser Leben mit dem geringstmöglichen Widerstand und dem größten Maß an Egoismus leben dürfen?«

»Natürlich nicht, aber es ist nicht an uns zu richten.«

»Du irrst dich. Ich verurteile sie, es gibt Rachegefühle. Diese Frau bekam einfach alles, und, was das Schlimmste ist, sie würdigt es nicht einmal. Sie vergeudet ihr Leben und ihr Talent, als sei beides nichts wert. Und ich, die so naiv gewesen bin, ihre Hand zu halten. Ich verlor mein Leben und ein weiteres dazu, indem – nein, ich will nicht erzählen –, und vermutlich hat diese Frau im Laufe von fünfzehn Jahren der Sache kaum einen Gedanken gewidmet.«

»Ich kann nicht folgen.«

»Weil du nicht das ganze Bild vor Augen hast. Aber du bist hier, um zuzuhören, Sie sind hier, um zuzuhören. Ich bin eine von diesen Stimmen, das habe ich gesagt, und Sie dürfen sich aussuchen, welche.«

»Wirst du das ganze Bild, wie du es nennst, vor mir ausbreiten?«

»Nach einem Muster zu suchen, wo es keins gibt, das ist es, was die Menschen wahnsinnig macht, so ist es doch? Aber sie wird viele Chancen erhalten, weit mehr, als sie mir eingeräumt hat.«

»Du hast zuvor von Rache gesprochen.«

»Du vergißt nichts. Ich auch nicht, aber ...«

»Komm zur Rache.«

»Du unterbrichst mich ständig! Ja, warum nicht, dann zur Rache. Berichtige mich nicht, höre einfach nur zu. Eine zivilisierte Gesellschaft überläßt die Rache den Gerichten. Dann nennen wir es nicht mehr Rache, dann heißt es Gerechtigkeit und Gleichheit für alle vor dem Gesetz. Aber dennoch ist es eine Art Rache, nur daß sie in einer strikten, ritualisierten Form abläuft. Zuerst redet er, dann sie, es folgt die Sachdarstellung, welche Beweise haben wir, wer ist das Opfer, und wer ist der Täter? Und danach wird das Urteil gefällt aufgrund größtmöglicher Erfahrung und hoffentlich auch völlig unparteiisch. Aber dennoch üben wir Rache. Eine Gesellschaft rächt sich an denen, die sich nicht im Rahmen dessen halten, was festgelegt worden ist. Wir werden es ihnen zeigen, hängt sie auf, erschießt sie! Nun ja, nicht gerade hier. Aber wir überlassen die Rache denen, die sie auf eine zivilisiertere Form durchführen können, mit etwas weniger Gebrüll und mehr Sachlichkeit. Nicht wie im normalen Leben. Aber jetzt meine Frage: Was tun wir mit privaten Kränkungen? Keine unwesentliche Frage. Wie wird ein bösartiger Mann, eine ungetreue Ehefrau, ein Freund, der Verrat begeht, bestraft? Wie straft man jemanden, der dich vor Trauer krank werden läßt, so krank, daß du dein Kind verlierst? Wie straft man jemanden, der einfach in dein Leben spaziert und eine Wüste hinterläßt? Wo existiert ein solches Rechtswesen?«

»Ist dir das passiert?«

»Das habe ich nicht gesagt. Halte dich an die Sache, halte dich hier raus! Schau, jetzt ist das Schwanenpaar wieder zurück. Früher einmal war ich ein Teil eines solchen Paares. Wo bin ich stehengeblieben?«

»Beim Rechtswesen.«

»Genau. Ich bin in diesem Fall sowohl Richter als auch Ankläger, völlig rechtswidrig natürlich. Ich lege die Beweise vor, und ich urteile. Eigentlich vertrete ich auch den Vollzug, da ich die Strafe vollstrecke. Die Totenmesse. Sie wird den Verstand verlieren oder etwas anderes. Wir werden sehen, davon weiß ich nicht mehr als du.«

»Und was ist mit dem Rechtsanwalt? Wer verteidigt sie?«

»Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Du klingst überrascht.«

»Ja. Ich meinte, alles berücksichtigt zu haben. Nun, dann mußt du wohl der Anwalt sein. Aber nur in diesem geschlossenen Raum.«

»Selbstverständlich.«

»Dann sind wir uns einig. Ich werde gehen. Was tut man jetzt, genießt die Frühlingssonne und macht Pläne für den Sommer? Sonnenschein im Blick und nackte Füße auf weichem Rasen? Ist es nicht genau das, was Familien zusammen tun?«

»Ich weiß nicht, ist es so?«

»Ich habe keine Erfahrungen.«

»Aber viele Vorstellungen?«

»Vielleicht. Bis bald.«

Die Liebhaberin

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