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Skeppsskär

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»Der Blick auf die zugefrorene Bucht ist heute wundervoll. Schauen Sie, wie die warme Luft aus dem Gaswerk quillt, sie wirkt wie ein Qualmstreifen am klaren, blauen Himmel. Die Autos auf der anderen Seite des Eises, sehen Sie, wie langsam sie fahren? Die Glätte hat sie überrascht – obwohl der Winter doch ein stets wiederkehrendes Phänomen ist –, und die Menschen auf den Bürgersteigen bewegen sich äußerst konzentriert, die Blicke mal zu den Eiszapfen, dann wieder auf den rutschigen Gehweg gerichtet. Von hier aus hat man das Ganze im Überblick. Sehen Sie, wie sehr die Leute fürchten, die Eiszapfen könnten ihnen auf den Kopf fallen? Ich meine, wie groß ist diese Wahrscheinlichkeit wohl?«

»Legen Sie das Fernglas weg.«

»Warum haben Sie es dann hier?«

»Zum privaten Gebrauch.«

»Und das hier ist nicht privat?«

»Nein, alles andere als das. Bitte, nehmen Sie jetzt Platz. Und übrigens, wir werden ›du‹ sagen.«

»Wissen Sie, wer ich bin? Ungeheuer angesehen und maßlos vermögend – was für ein lächerlicher Ausdruck, denn wenn man etwas messen kann, dann doch bestimmt ein Vermögen – und zum ersten Mal zu Hause seit ...«

»Das spielt alles keine Rolle, das lassen wir außerhalb dieses Zimmers. Du bist also zurückgekommen, um zu bleiben, richtig?«

»Ja, da gibt es etwas, was ich tun muß. Kann ich offen mit Ihnen reden? Ja, also, mit dir

»Deshalb bist du doch gekommen.«

»Sind Sie sich im klaren darüber, daß diese Sache hier einer unablässigen Beichte gleichen wird, während zur selben Zeit etwas Furchtbares geschieht? Nein, sagen Sie nichts. Ich will, daß Sie sich nicht mehr einmischen, als unbedingt notwendig ist. Ich strebe auch keine Buße oder Verzeihung an, dazu ist es zu spät. Diese Totenmesse ist seit langem geplant. Ich bin hier, um diese Messe zu überwachen, ja auch, um bei ihrer Aufführung dabei zu sein, wenn die Zeit reif ist. Ich finde, das Material, das ich zur Verfügung habe – kann man das von einem Menschen sagen? –, ist mehr als ausreichend. Obwohl ich dieser Molly nur ein einziges Mal begegnet bin, habe ich doch gespürt, daß man mit ihr rechnen kann, wenn es um Dramatik geht. Wir alle haben unser eigenes Bild von einer Frau wie ihr, und das meine ist dieses hier. Ich könnte noch lange so weiterreden, werde es aber nicht tun. Lassen Sie mich abwarten und die Dinge beobachten. Lassen Sie mich dafür sorgen, daß die Würfel fallen, daß die geeigneten Menschen auf der Bühne stehen, daß die Partitur einstudiert, die Instrumente gestimmt, das Publikum – das sind ja wohl Sie – eingeladen wird, dann kann das Konzert beginnen.«

»Ich würde ...«

»Bitte unterbrechen Sie mich nicht. Meine Rolle bei der Sache ist es, die schockierende Erzählerstimme zu sein. Nicht in jedem Spiel oder Werk gibt es eine solche, es sollte sie aber geben. Ich bin eine dieser Stimmen, der Sie zuhören werden, doch noch wissen Sie nicht, welche es ist. Für wen die Totenmesse bestimmt ist? Über diese Frau werden Sie bald mehr hören. Molly gleicht den meisten anderen Menschen, doch natürlich gibt es da ein paar entscheidende Unterschiede. Normalerweise bleibt es einem erspart zu erfahren, was andere Leute von einem halten, sie aber wird es erfahren müssen, wenn die kleinen Bücher kommen. Oh, geben Sie sich keine Mühe, sie hat mir auch kein Mitgefühl erwiesen. Sicher gab es mildernde Umstände: jung, naiv und unerfahren. Doch das muß sie ja wohl heute nicht mehr sein. Ich habe diese Totenmesse initiiert, und Sie werden mich bis an deren Ende begleiten. Am Anfang stehe ich hinten in den Kulissen, so ist es einfach. Dennoch bin ich es, die das Ganze vorantreibt. Die Musik, es war diese schrecklich schöne Musik, die uns zusammengebracht hat. Achten Sie auf den Chor, jetzt beginnt er zu singen, zunächst kaum hörbar, fast nur ein Flüstern im Nebel, der über dem kalten Wasser liegt. Lauschen Sie diesen Stimmen: Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis. Wieder Tränen in den Augen, das Schlucken fällt schwer, stirb mir nicht, mein Liebstes, halte aus, bleibe ...«

Die Liebhaberin

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