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Inzwischen selbst Patient: Schwarzwaldklinik Bad Rippoldsau (KAPITEL 25)

Der Kandel ist ein ebenso berühmter wie berüchtigter Berg des Schwarzwalds, zwischen Waldkirch und Freiburg gelegen, ganze 1241 Meter aufragend und damit eine der höchsten Erhebungen der Region. Die Fantasie der Menschen hat er schon immer angeregt, allerlei Sagen widmen sich den faszinierenden Felsgebilden auf der Höhe, im Inneren wurde ein See vermutet, den der Teufel mit vielerlei Listen ausbrechen und um der zerstörerischen Wirkung willen ins Tal herausströmen lassen wollte – bislang vergebens. Dass dort oben der zentrale Hexentanzplatz für alle Magier, Zauberinnen und Teufelsbündler des gesamten Schwarzwalds war, verwunderte niemand, noch dazu gab es zahlreiche geständige Hexen, die dies während der Verfolgungen bestätigten. Dass sie dies erst unter der Folter taten, sprach nach damaliger Sicht nur für ihre Verstocktheit.

Die Geschichten um den Kandel entsprechen einem beliebten Klischeebild des Schwarzwalds als unheimlicher, mystischer Region, wie es selbst international verbreitet ist; auch im englischsprachigen Raum oder bei unseren französischen Nachbarn löst der Black Forest beziehungsweise Fôret-Noire wohliges Gruseln aus und drängt Bilder von Kirschtorten, Bauernhäusern und Bollenhüten in den Hintergrund. Und ist da nicht auch viel Wahres dran? Gibt es nicht kaum einen besseren Beweis als eben den gefürchteten und eben alles andere als harmlosen Kandel? Am 30. April 1981 mitten in der Nacht brach der obere Teil des bizarr geformten Kandelfelsens ab und fiel unter lautem Tosen in die Tiefe. Was bestens zu dem Datum – es war die Walpurgisnacht – passte: In den herabgestürzten Gesteinsmassen fand sich zur allgemeinen Überraschung – oder eben auch nicht! – ein Reisigbesen. All das konnte kaum ein Zufall sein. War nun der Ausbruch des Sees aus dem Inneren zu befürchten? Er blieb den Bewohnern des Tales erspart, der Hexenbesen stellte sich, ausgerechnet, als Arbeitswerkzeug eines Experten heraus, der sich um die Sicherung des Felsens kümmern sollte. Der Kandel blieb gleichwohl seinem Ruf treu: Als es 2005 im Breisgau zu einem spürbaren Erdbeben kam, das nicht wenige Schäden an Häusern im Umland verursachte, lag das Epizentrum genau unter dem verrufenen Berg.

Schon die natürlichen Voraussetzungen tragen also einiges dazu bei, den Schwarzwald zu einem Ort zu machen, der einem manch fröstelnden Schauer über den Rücken jagt, was nicht unbedingt mit dem rauen Klima der hohen Lagen zu tun haben muss, denn auch in den Niederungen des bekanntlich äußerst sonnenverwöhnten Rheintals finden sich Plätze, die wir mit einer Mischung aus Beklemmung und Faszination aufsuchen. Ein Kloster, in dem nur Aussätzige lebten; ein Kerker, in dem womöglich Kaspar Hauser gefangen gehalten; eine Burgruine, in der eine komplette Familie auf brutale Weise ausgelöscht wurde; eine Wiese, auf der ein französischer General starb.

Jede Region hat ihre typischen, spezifischen Lost Places, jene Orte, die uns durch ihren Verfall beunruhigen und doch geradezu magisch anziehen. Natürlich gibt es auch verfallene Bauernhäuser der charakteristischen Schwarzwaldbauart, doch in ihrer Häufigkeit ein Unikum sind die vielen leer stehenden ehemaligen Luxushotels auf den Höhen, einst Herberge gut betuchten internationalen Publikums, heute gruselige Halbruinen, vom Wetter gegerbt, einsam und gut sichtbar in der Landschaft stehend. Auch Stadthotels wie in Freudenstadt, Sanatorien in Badenweiler oder einst elegante Bäder wie Boll in der Wutachschlucht oder Rippoldsau am Kniebis zählen dazu.


Gitter ins Nichts: altes Kraftwerk Rheinfelden (KAPITEL 24)


Obdachlos: Kloster Frauenalb im Nordschwarzwald (KAPITEL 14)

Eine weitere oft anzutreffende Hinterlassenschaft stammt aus einer weit weniger angenehmen Vergangenheit, den kriegerischen Auseinandersetzungen um die Pässe über das »Annäherungshindernis« Schwarzwald. Überwachsen und oft versteckt liegen Schanzen der Barockzeit nicht selten in unmittelbarer Nachbarschaft von Betonresten des ebenso nutzlosen Westwalls aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Schwarzwald und Rheintal waren als Grenzgebiete viel zu oft Schauplatz blutiger Streitigkeiten.

Aber auch die mehr oder weniger »üblichen Verdächtigen« sind natürlich in der Region zu finden: Aufgegebene Bahnstrecken, heruntergekommene Fabrikanlagen, Kirchen- und Klosterruinen, ganze verschwundene Städte, alles andere als verschwundene Hinrichtungsstätten und längst verlassene Bergwerke. Alle aber haben ihre Eigenheiten, die sie unverwechselbar machen, schließlich ist kein Lost oder Dark Place wie der andere, ob der morbide Charme nun eher seiner Geschichte oder seinem Aussehen – oder beidem – entspringt.

Bitte beachten Sie unsere Hinweise zum Aufsuchen der Orte (Verhaltensregeln für Lost Places auf S. 12), die letztlich dazu dienen, dass Sie den Ausflug zum jeweiligen Objekt buchstäblich mit Sicherheit genießen können. Und wenn Ihnen trotz (seltener) Windstille auf den Schwarzwaldhöhen oder drückender Hitze im Rheintal ein kühler Schauer über den Rücken läuft und Sie beim Gedanken an den Schwarzwald nicht mehr an Trachten und Mühlräder, sondern vielmehr an kaputte Kurhäuser und tanzende Teufel auf dem Kandel denken, dann hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt.

Lost & Dark Places Schwarzwald

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