Читать книгу Endlich Ben - Benjamin Melzer - Страница 11

Die Lunte brennt

Оглавление

Je weiter die Pubertät voranschritt, desto schlimmer wurde es. Mein Gemütszustand veränderte sich massiv. Mittlerweile war mein ganzes Leben ein einziges Minenfeld mit vielen Brandherden. Jederzeit konnte es irgendwo explodieren. Nicht nur dass ich körperlich und seelisch voller Fragezeichen und Ängste war, jetzt lieferten sich auch meine Eltern eine erbitterte Schlacht. Was lange vor sich hingebrodelt hatte, entlud sich nun umso heftiger. Von dem einstigen Vertrauen keine Spur mehr. Unsere Familie zersplitterte zusehends. Daran hatte mein Vater zweifellos einen großen Anteil. Er war unfair, cholerisch, unberechenbar. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass er sich einfach in Luft auflöste. Dass ich endlich allein wäre mit meiner Mama. Es wurde geschrien, geschubst, mit den Türen geknallt. Einmal rief meine Mutter sogar um Hilfe. Sie wollte sich ins Bad flüchten und die Tür absperren, doch mein Vater kam ihr zuvor und muss ihr dabei wehgetan haben.

»Lass die Mama in Ruhe!«, schrie ich.

Die Quittung bekam ich umgehend zu spüren, als er mir volles Rohr eine scheuerte. Reflexartig schlug ich zurück. Meine Mutter ging dazwischen und trennte uns.

Damals war ich so voller Wut, wollte meine Mutter und mich nur noch von ihm befreien. Heute frage ich mich, inwiefern mein Vater das weiterlebte, was er von seinem Vater »gelernt« hatte. Mein Opa war ein richtig harter Hund, der seine Kinder regelrecht verdroschen hatte. Auch mit schweren Bügeln samt Messinghaken? Das hatte ich mich meinen Vater nie zu fragen getraut. Ich muss etwa 13 gewesen sein, als er den Bügel zum ersten Mal einsetzte. Wahrscheinlich hatten mein wachsender Widerstand und Eigensinn ihn auf die Palme gebracht. Je älter und stärker ich wurde, desto härter wurden die Auseinandersetzungen. Ein ungleiches Machtspiel, zumal ich ein Mädchen war. Doch auch mein neun Jahre älterer Bruder hatte oft genug unter ihm zu leiden und war heilfroh, als er endlich ausziehen konnte. Von da an prasselte die geballte Ladung auf mich nieder.

Mein Vater war wie ein Brandbeschleuniger. Sobald mal ein wenig Frieden eingekehrt war, musste er Unfrieden stiften. So lebte ich jahrelang unter ständiger Anspannung. Es war zwar schön, nie Geld- oder gar Existenzsorgen zu haben, aber das Geld – sein Geld – wurde genutzt, um mich zu manipulieren, zu erpressen und in der Spur zu halten.

Wenn Freunde da waren, bellte mein Vater gerne mal »Alle Auto waschen!« oder »Kratzt mal mit dem Schraubenzieher die Fugen von der Auffahrt frei!«. Und wir hatten eine riesige Auffahrt. Danach mussten die Fugen neu mit Sand verfüllt werden. Fertig waren wir erst, wenn Vater Melzer das sagte. Der Lohn für ein ganzes Wochenende Schufterei? Für jeden eine Pizza.

Sechs Wochen Urlaub auf einem Boot in Spanien? Klingt erst mal großartig, doch wenn du morgens mit einem Schwall Wasser im Gesicht geweckt wirst, um deinen Dienst anzutreten, fühlt sich das schon nicht mehr so reizvoll an. Zuckerbrot und Peitsche. Dass ich mitfahren durfte, musste ich mir mit Knochenarbeit und Demütigung verdienen. Deck schrubben, Liegen vorbereiten, Picknickkorb packen, und zwar zackzack. Wenn’s mal nicht schnell genug ging, gab’s Zoff. Steuere ich das Boot mit der korrekten Geschwindigkeit? Schenke ich meinem Vater genug Aufmerksamkeit? Mache ich die richtigen Fotos? Sage ich die richtigen Sachen? Falls nicht, setzte es übelste Beschimpfungen.

»Du dummes Arschloch!«

Ich lebte auf einem Pulverfass mit brennender Lunte.

Die körperlichen Attacken meines Vaters gingen einher mit seelischen Grausamkeiten. Er ließ sich echt etwas einfallen, um mich zu triezen. Bis hin zur Erpressung.

»Du brauchst diesen Basketball? Kaufe ich dir, aber nur, wenn wir vorher in die neue Boutique gehen und dir ein schönes, figurbetontes Kleid aussuchen!«

Es war abartig. Da waren dann junge, hübsche Verkäuferinnen, vor denen ich mich umziehen musste. Ich litt wie ein Hund, als ich anschließend in diesem eng anliegenden Fummel durch das Einkaufscenter laufen musste. Wahrscheinlich hat sich kein Mensch etwas dabei gedacht, aber für mich war dieser walk of shame erniedrigend und verletzend.

In dieser Zeit vereinsamte ich innerlich. Tatsächlich dachte ich jahrelang, dass ich der einzige Mensch auf der Welt war, der so ein Geschlechtsproblem hatte. Da war niemand, dem ich mich hätte anvertrauen können. Ich hatte ja auch gar kein Wort dafür. Und so blieb ich ganz allein auf meinem explosiven Planeten.

Endlich Ben

Подняться наверх