Читать книгу Semana Santa - Bernat Fabre - Страница 3
EINS
ОглавлениеDie Nacht war kalt und sternenklar. Die Sichel des Monds spiegelte sich in den sanften Wellen, die an das steinige Ufer schlugen. Ich schaute mit der Trägheit, die einen nach einem guten Essen oder noch besserem Sex überfällt, über die romantische kleine Bucht. Es war kurz vor Ostern. Und ich dachte über das Sterben nach.
Nicht dass Sie jetzt glauben, ich sei ein braver Kirchgänger, der sich mit dem kalendarischen Nahen der Wiederkehr von Kreuzigung und Auferstehung des Herrn ernste Gedanken über die Vergänglichkeit des Lebens macht. Weit gefehlt. Im Gegenteil: nur zu gerne hätte ich mich mit dem Thema allegorisch, metaphorisch, spirituell oder sonst wie distanziert beschäftigt. Die Wahrheit indes war, dass mich der Gedanke sehr persönlich betraf. Krebs. Genauer gesagt Magenkrebs. ‚Sehr schade, Herr Castro, da kann man nicht viel machen. Sechs Wochen, vielleicht zehn. Machen Sie das Beste draus.’ Der Nächste bitte.
Nun saß ich im besten Restaurant der Welt, dem El Bulli über der kleinen Bucht Cala Montjoy, im äußersten Nordosten der iberischen Halbinsel, wo die Küste das Adjektiv „wild“ noch verdient und sich die Pyrenäen in das Mittelmeer stürzen, als hätten auch sie ein unerträgliches Schicksal, dem sie ein Ende machen wollten. Eigentlich ist es unmöglich, im El Bulli einen Tisch zu bekommen. Es heißt, die Zahl der Reservierungsanfragen sei pro Jahr siebenstellig – Tendenz steigend. Ich hatte eine ganze Reihe Tickets einlösen und etliche große Scheine opfern müssen, um doch Einlass in die heiligsten Hallen der Küchenkultur zu finden, vermutlich als einer der letzten Gäste, kurz bevor das Restaurant ab dem Sommer für lange Zeit seine Pforten schließen sollte. Also hatte ich mir von Ferrán Adria, dem mein Vater noch vor vielen Jahren als Jungkoch Trinkgeld gegeben hatte, das Degustationsmenü mit zwanzig Gängen kredenzen lassen. Sie mögen jetzt Bilder des Großen Fressens vor Augen haben, aber keine Sorge: der Maestro serviert Ikebana auf dem Teller einschließlich eines Tütchens voll Orangenblütenduft, damit die Nase auch was zum Entspannen hat. Anschließend hätte ich gut und gerne noch einen Big Mac einwerfen können; mit Fritten natürlich.
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, der Mond, die Bucht, die Wellen und die Schmerzen, die mich am kommenden Morgen wieder wecken würden. Eine Weile erwog ich, mir nach dem vorzüglichen Rotwein noch eine klasse Zigarre zu gönnen. Ich verwarf den Gedanken wieder, schließlich schadet Tabakqualm der Gesundheit. Außerdem bin ich zeitlebens Nichtraucher gewesen, warum auf die alten Tage damit anfangen? Rauchen ist allerdings das einzige Laster was mir abgeht. Folglich ging ich die Alternativen durch: Essen und Trinken hatten wir schon, Spielen macht mir keinen Spaß, was dann folglich schnurstracks die Gedanken auf das weibliche Geschlecht bringt. Frauen. Guter Gedanke. Der limbische Teil meines Gehirns zauberte unmittelbar Vorstellungen von üppigen Blondinen vor mein geistiges Antlitz, die verführerisch gewandet auf hochhackigen Pumps vor mir flanierten und die Strapse blitzen ließen. Tja, eben Männerphantasien – leicht zu durchschauen und mental einfach gestrickt. Andererseits zeigte die Uhr deutlich an, dass es zügig auf Mitternacht zuging und Männer meines Alters nun eigentlich Pyjama und Zipfelmütze ergreifen sollten. Andererseits, wenn Du merkst, dass die Lebensuhr nicht mehr länger langsam tickt, sondern die Zahlen mit der Geschwindigkeit eines Ventilators rückwärts laufen, dann bekommen Begriffe wie „später“ und „schlafen“ eine ganz andere Bedeutung. Bekanntlich gilt, wer früher stirbt ist länger tot.
Also zahlte ich die stattliche Zeche und begab mich zu meinem fahrbaren Untersatz, der aus der Summe der Nobelklassekarossen und Sportwagen im Ferrari-Look herausragte, wie Pferdescheiße aus Dagobert Ducks Goldspeicher. Zugegeben, ich hätte den Hummer H3 wenigstens waschen können, aber inzwischen setzte sich meine anarchistische Ader immer stärker durch und mir machte es Spaß, den Erwartungen meiner Umwelt gerade nicht zu entsprechen. Also startete ich den Motor, ließ die Batterie Flakscheinwerfer aufleuchten und rollte bedächtig vom Parkplatz, wobei der Hummer eine Lautstärke entfachte, die auch einem anrückenden Panzerbatallion alle Ehre gemacht hätte. Wie bitte? So eine Kiste verbraucht doch eine Unmenge Benzin? Allerdings. Grob gerechnet, würde mich das Teil binnen Jahresfrist verarmen lassen, aber nach den aktuellen Perspektiven musste ich mir darüber wohl keine Sorgen machen. Und was die globale Erwärmung anging, hatte ich derzeit andere Sorgen. Retten wir die Welt mal im nächsten Leben. Problematischer in diesem Augenblick waren zwei ganz andere Dinge: Die Strecke vom El Bulli zurück in die Stadt ist kurvig wie ein Alpenpass und dabei völlig unbeleuchtet. Meine Promille eingerechnet also eine gute Gelegenheit, den Sensenmann auf die Schippe zu nehmen und noch ein bisschen eher die Seiten zu wechseln. Abgesehen davon stellte sich die ganz praktische Frage, welches Sündenbabel denn noch zu dieser nachtschlafenden Stunde dem sexhungrigen Manne Entspannung bieten könnte. Ich ging gedanklich die Liste der Möglichkeiten durch, welche selbst in der Hochsaison erstaunlich kurz ist. Die nächste Location wäre das Tucan in Castello de Ampurias gewesen, wenn die Guardia es nicht vor einem halben Jahr hoch genommen hätte. Drogen hieß es – vielleicht auch nur schlechtes Karma. Also blieb nur das Moonglow übrig, ein komfortabler Puff direkt gegenüber der Autobahnauffahrt Richtung französische Grenze. Das war gut und gerne 40 Minuten zu fahren, also gab ich Stoff.