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ZWEI

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Lassen Sie mich eins klar stellen: Ich bin weder ein Wüstling noch ein regelmäßiger Puffgänger. Mit meinen eins-neunzig und einer halbwegs durchtrainierten Figur muss ich mich auch nicht in der Geisterbahn verstecken. Aber nach der Trennung von Ingrid und der heraufziehenden Scheidung war mein Interesse an einer neuen dauerhaften Bindung ungefähr so groß wie an einer Darmspiegelung und für One-Night-Stands ist zugegeben mein Flirtfaktor nicht groß genug. Dann lieber ein sauberer Deal: Sex gegen Cash.

Es war kurz vor eins als ich auf den Parkplatz des Moonglow einbog. Erstaunlich, wie viele Nachtschwärmer unterwegs waren. Es wimmelte von Kennzeichen aus der Provinz Girona, aber auch viele Fahrzeuge mit französischen und deutschen Nummernschildern waren vertreten. Ich entschied mich aus einer Laune heraus gegen den Parkplatz und parkte den Hummer in einer Nebenstraße unter einer Straßenlaterne, die ihren Dienst offenbar nur unwillig versah und blinkte wie ein Weihnachtsstern. Nachdem mich zwei muskelbepackte Glatzköpfe für hinreichend zahlungskräftig und wenig stunkverdächtig eingestuft hatten, was ihre beiden Gehirnzellen wohl für den Rest der Nacht an die Kapazitätsgrenze getrieben haben dürfte, konnte ich endlich das Vestibül des schmucken Etablissements betreten, welches schon bessere Zeiten gesehen haben musste und den dezenten Charme der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrtausends atmete. Nichts Böses ahnend wollte ich mir den Weg durch plüschige Vorhänge aus Pseudosamt bahnen, als sich mir eine zarte Hand um die Hüfte legte. Die Freude über die charmante Begrüßung verging indes wie eine Erektion im Angesicht von Queen Elisabeth, als ich die Eigentümerin des in rot lackierten Krallen endenden Greifinstruments als spätes Mädchen identifizieren musste, die ihr Verfallsdatum schon zu Zeiten des 2. Weltkriegs überschritten haben durfte. Die Zombiedame nötigte mir jedenfalls 15 Euros ab und drückte mir als Zeichen freundlichen Entgegenkommens eine schmuddelige Papierserviette in die Hand, die man mit ausreichend viel Phantasie als Verzehrgutschein interpretieren konnte. Nun sollte meinem Besuch im Reich der Sinne nichts mehr entgegenstehen.

Und ich war nicht einmal enttäuscht. Unter dem trägen Licht einer Diskokugel (auf welchem Flohmarkt mochte man die wohl ausgegraben haben), räkelten sich an die zwanzig leicht bekleidete Damen auf leicht verschlissenen Barhockern oder lümmelten sich in den mit rotem Samt ausgeplüschten Séparées, teilweise in männlicher Begleitung, teils auch miteinander beschäftigt. Erst mal die Lage checken, lautet die Devise der erfahrenen Partylöwen. Also lehnte ich mich locker mit dem Rücken an die Bar, wobei mein professioneller Gesichtsausdruck nur dadurch etwas litt, dass ich in einer Bierpfütze ausglitt und um ein Haar mit dem Hinterkopf den Tresen geknutscht hätte. Was natürlich zu einem gesammelten Heiterkeitsausbruch führte. Nicht schlecht für den Beginn einer Comedyshow. Ziemlich blöd für den heutigen Abend. Es konnte eigentlich nicht schlechter beginnen. Doch, konnte es. Abermals tasteten die bekannten Gic htgriffel nach mir und ich musste erkennen, dass besagte Dame inzwischen zur Barkeeperin mutiert war. Im dezenten Licht des Barbereichs musste ich auch eine Korrektur der Altersbestimmung vornehmen: zweiter Weltkrieg war unmöglich zu halten, Dreißigjähriger Krieg wesentlich wahrscheinlich. Ich fragte mich kurz, ob die Dame einer Radiokarbonbestimmung überhaupt zugänglich war.

Nachdem mein bevorzugter Weißwein bedauerlicherweise nicht zur Verfügung stand („Bedaure, der Importeur hat derzeit Schwierigkeiten mit dem Zoll“), einigten wir uns schließlich auf den Ausschank einer Flasche Bier -da kann selbst so ein Schuppen nichts dran verderben. Das Glas war sogar gekühlt und auch wenn ich mir aus Gerstensaft sonst nicht viel mache, schmeckte das Zeug ganz ansprechend. Gelegenheit genug zwischen den Schlucken mal die landschaftlichen Schönheiten zu betrachten. Und da gab es einiges zu tun. Blonde, Brünette, Schwarzhaarige. Keine kleiner als eins-fünfundsiebzig (na ja, mindestens 10 cm musste man für die Stilettos wohl abziehen). Sorgfältig geschminkt, dezent gekleidet, d.h. in diesen Breiten nicht vollständig nackt. Eine Dame führte akrobatische Verrenkungen an einer Turnstange durch, die gynäkologische Einblicke erlaubten. Ich schätze, dass keines der Mädels älter als 25 war. Für meinen Geschmack erheblich zu jung, ich bin doch nicht pädophil veranlagt; viele der jungen Frauen waren allenfalls ein, zwei Jahr älter als meine eigene Tochter. Das ging nun gar nicht.

„Na, junger Mann, wie wäre es denn mit unserer Alexandra, einer waschechten Ärztin aus der Ukraine, da liegen Sie garantiert richtig.“ Augenkneifen. Wiederholung. Etwa ein Kilo Gips bröckelte aus dem Bereich zwischen Augenbrauen und Nasenflügel des Barzombies. Ich würde den Stuckateur wechseln.

„Oder hier Magda, unsere Amazone aus den Tiefen des brasilianischen Dschungels. Zum ersten Mal in Europa. Sie kann Ihnen Dinge zeigen, von denen Sie gewiss noch nie geträumt haben“. Garantiert. War die überhaupt echt?

Ich trank mein Bier aus und wollte den Abend schon unter „unerfüllte Leidenschaften“ abhaken, als ich sie sah. Hätte sich nicht gerade ein Freier erleichtert und die Tür zur Toilette offen gelassen, so dass der Schein der einsamen Glühbirne in die Nische fiel, mein Leben hätte einen anderen Verlauf genommen. Ich weiß nicht was mich in diesem Moment mehr anzog: die schlanke wohlgeformte Gestalt in dem klassisch geschnitten schwarzen Kleid, die schulterlangen blonden Haare oder das schmale Gesicht, das in einer Pose wie bei Rodin fest auf ein Buch gerichtet war. Ja, Sie haben richtig gehört. Die Frau las in einem Buch. Ich gebe zu, dass ich bis zu diesem Augenblick davon ausgegangen war, dass bücherlesende Prostituierte ungefähr so zahlreich auf diesem Planeten sind, wie Nonnen mit Brustwarzenpiercings.

Der Hausmumie war mein Interesse an ihrer bildungshungrigen Mitarbeiterin nicht verborgen geblieben, versuchte mein Augenmerk jedoch auf andere Bodenakrobatinnen zu lenken.

Vergeblich. Wer mich kennt, weiß, dass es einfacher ist, einen Supertanker eine Haarnadelkurve schwimmen zu lassen, als mich von einem Ziel abzubringen. Insbesondere wenn Hirn und Schwanz ausnahmsweise einer Meinung sind. Ich orderte ein weiteres Bier und ein Glas des Blubberwassers, das in spektakulärer Übertreibung als „Champagner Hausmarke“ bezeichnet wurde. So bewaffnet steuerte ich mein Zielobjekt an und fragte in meinem feinsten Britisch, ob sie Lust hätte mit mir ein Glas zu trinken.

Nur sehr widerwillig konnte sich die Schöne der Nacht von ihrer Lektüre lösen und auch mein charmantes Lächeln führte offensichtlich nicht zu einer sofortigen positiven Antwort. Vielmehr rückte sie die schmale Lesebrille auf ihrer entzückenden Stupsnase zurecht und musterte mich aus ihren unergründlichen schwarzen Augen. Einen Augenblick konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, auf dem Seziertisch zu liegen. Immerhin schien ich schließlich doch Gnade gefunden zu haben, denn mit einer anmutigen Geste gebot mir die Prinzessin zu ihrer Rechten Platz zu nehmen. Es wurde Zeit für meinen Eröffnungszug.

„Ich heiße Miles.“

Glänzender Einstand, Phantasiefaktor bei mindestens 10 %. Meine Eltern haben mich übrigens auf den schönen Namen Jan getauft, aber aus irgendeinem dämlichen Grund hielt ich es für geschickter, an diesem Ort eine anonyme Persönlichkeit zu sein.

„Olga.“

Wir reichten uns artig die Hand, als hätten wir uns gerade in der Kongressbibliothek bei der Betrachtung der Unabhängigkeitserklärung kennen gelernt. Obschon Olga dort besser hingepasst hätte, als an diesen Ort. Sie hatte ein fein geschnittenes Gesicht, volle Lippen und ein kleines Kreuz schmiegte sich in die Falte zwischen ihren Brüsten. Diese Frau war schön. Wie alt mochte sie sein? 30? 35? Jedenfalls deutlich älter und für mich deutlich attraktiver als der Kindergarten an der Bar.

„Können wir uns auf Englisch unterhalten?“

Mein Vater war gebürtiger Katalane, meine Mutter kam aus Amsterdam. Und nachdem ich einen guten Teil meiner Jugend in Barcelona verbracht hatte, ist mein Castellano eigentlich fließend, aber so einen Sprachvorteil gibt man ja nicht gerne gleich aus der Hand – oder?

„Natürlich. Ich habe ein paar Jahre Englisch auf der Schule gehabt.“

Es muss eine gute Schule gewesen sein, denn ihre Aussprache war ohne jenen süßen Akzent, den Slawinnen gewöhnlich an den Tag legen, wenn sie sich in fremden Sprachen versuchen.

„Was machst Du hier?“

Abermals packte ich ein Alter Ego aus, das ich für solche Gelegenheiten entwickelt hatte. Ich erzählte ihr, dass ich Art Director sei und das Lay-out für eine Reihe von Modezeitschriften mache. Das kommt immer gut an. Frauen mögen Männer, die sich mit Mode auskennen und trotzdem nicht schwul sind – auch wenn sich das erfahrungsgemäß häufig ausschließt. Ich beschrieb meinen Tagesablauf, den Stress mit Redakteuren, die nicht pünktlich ihre Arbeiten ablieferten, Photographen, denen die Kontaktabzüge verloren gegangen sind, Models, die herumzicken, weil der Schampus zwei Grad zu warm war – kurz: ich haute so richtig auf die Kacke. Tatsache ist, dass die Geschichten gar nicht weit von der Realität waren, schließlich hatte ich zwei Semester an der Designhochschule in Amsterdam studiert und in der Moderedaktion von Cosmopolitan volontiert. Wenn das keine gute Basis für einen kleinen Hochstapler ist.

Wir machten noch ein wenig Small Talk, leerten die Gläser und ich ließ meine Hand testweise über ihre Schenkel streichen. Dann wurde es Zeit für die Fragen aller Fragen:

„Was hältst Du davon, wenn wir es uns auf Deinem Zimmer etwas gemütlich machen?“

„Warum nicht. Wie lange möchtest Du Dich denn verwöhnen lassen?“

Die Stimme war ein Gurren, eine Verlockung. Hier wurden des Mannes Samenstränge unter vollständiger Umgehung sämtlicher noch funktionsfähigen Gehirnzellen unmittelbar angeregt. Wie viele Scheinchen dürfen´s denn sein? Ich stammelte etwas von einer dreiviertel Stunde und Olga nannte einen Preis, der für den Kauf eines Kleinwagens sicher angemessen gewesen wäre. Ohne Nachzudenken wechselten verschiedene größere Scheine ihren Besitzer. Mit einem Hüftschwung, wie ihn nur Frauen in hochhackigen Pumps zu Stande bringen, stöckelte Olga zur Bar und kehrte mit dem Schlüssel zum Paradies in der Hand zurück. Ihrem bezaubernden Lächeln hatte ich nichts mehr entgegenzusetzen und wahrscheinlich folgte ich ihr mit hechelnder Zunge, wie ein Schoßhündchen auf dem Weg zum Lieblingsknochen.

Doch ganz so einfach sollte es nun doch nicht werden. Kaum hatten wir die Schleuse in den Bereich des Etablissements hinter uns gelassen, der den horizontalen Freuden vorbehalten war, war abermals Maut zu entrichten. Diesmal in Form eines Mütterchens aus dem fernen Russland, welches in Zellophan eingeschweißte Bettlaken und Handtücher anzubieten hatte. Olga übersetzte aus irgendeinem Transuraldialekt:

„7 Euros“

„He, ich dachte, das sei jetzt all-inclusive“ versuchte ich aufzubegehren.

„Das war vor der Globalisierung, Schätzchen. Heute hat die Geschäftsleitung den Wäscheservice outgesourced. Subunternehmer, verstehst Du? Gib ihr zehn Euros, sie muss davon leben.“

Widerstrebend wechselte erneut ein Schein seinen Besitzer. Mit einem weiteren hinreißendem Hüftschwung stöckelte meine Belle de Nuit den resopalgepflasterten Flur entlang und steuerte auf unser Liebesnest zu, das den verheißungsvollen Titel „Arte de Seducción“ trug, was wohl so viel wie Kunst der Verführung bedeuten sollte. Tatsächlich machte die Kemenate nicht einmal den erwarteten plüschig-muffigen Eindruck: stabiles Wasserbett, ein kleiner Jacuzzi in der Ecke, wenngleich die stattliche Kollektion von Dildos, Peitschen und Handschellen neben einem Andreaskreuz an der Wand vermuten ließ, dass das Türschild auf der Rückseite vermutlich noch die Aufschrift „Folterkammer“ aufwies und ein weiteres Arbeitsgebiet des Unternehmens abdeckte. Olga verriegelte die Tür und ich wollte mich sogleich an die Entriegelung ihres kleinen Schwarzen machen, da mein Vizepräsident schon zu voller Bedeutung angewachsen war, als sie sich abrupt umwandte und meine Hände ergriff. Jegliches Interesse, alle Verführung war aus ihrem Blick gewichen, stattdessen schauten mich zwei außerordentlich ernste schwarze Augen an. Mir schwante: das läuft anders als erwartet.

„Ich brauche Deine Hilfe“

„Oh, Schätzchen, ich bin sehr gerne hilfsbereit, wenn es darum geht, die Bedürfnisse einer schönen Frau zu befriedigen. Vielleicht fangen wir damit an, dass ich Dich aus Deinen Kleidern befreie …“

Kläglicher Versuch, den Zug wieder auf das richtige Gleis zu setzen. Vor allem vollends vergebens und nicht mal komisch. Mit dem Blick den ich erntete hätte man eine Kompanie Zinnsoldaten schock­gefrieren können.

„Burro! Könnt ihr Kerle mal mit etwas anderem als Eurem Schwanz denken? Ich meine es verdammt ernst. Ich stecke in der Scheiße – problemas enormes, comprendes? Du siehst ehrlicher aus als der Rest der Typen, die hier sonst abhängen und deshalb brauche ich Dich.“

„He, das ist gut und schön, aber ich habe die 200 Piepen nicht für eine Samariternummer bezahlt.“ Witziges Wortspiel, wie geht denn diese Stellung?

„Dein Geld bekommst du wieder, aber jetzt geht es um Leben und Tod und Du als echter caballero wirst doch eine hilflose Frau nicht schutzlos ihrem Schicksal überlassen? Du nicht, das sehe ich Dir an …“

Schmollmund. Augenaufschlag, leichtes Vorbeugen, um den mehr als ansehnlichen Balkon ins rechte Licht zu rücken – großes Kino, Applaus für die Hauptdarstellerin. Hat diese Masche eigentlich in den letzten tausend Jahren einmal nicht funktioniert? Scheiße, keine Nummer. Geld futsch und dafür darf Jan Castro jetzt den Beschützer der Dirnen und Waisen geben. Na großartig.

„Also gut. Wo ist das Problem?“

„Ich muss hier raus.“

„Definitiv kein Problem. Da ist die Tür, den Gang bis zum Ende, dann den Schildern „Exit“ folgern.“

„Definitiv sehr wohl ein Problem, denn ich bin weder freiwillig hier, noch kann ich hier einfach heraus spazieren. Und ich muss hier weg!“

„Hm, also einfach dieses gastliche Etablissements zu verlassen kommt bei der Geschäftsleitung eher schlecht an?“

„So kann man es auch sagen. Vor allem die beiden Gorillas am Eingang könnten schlagkräftige Gegenargumente haben.“

Ich dachte kurz nach: Die Kameraden mögen sich zwar eine Gehirnzelle teilen müssen, die Fäuste hatten jedoch das Format von Vorschlaghämmern und spontan kam mir der Gedanke, dass ich doch nur die Tür aufmachen, bona nit sagen und mit meinem Hummer verschwinden könnte. Allein, aber heil, wohlgemerkt. Stattdessen musste meine vernunftbegabte linke Gehirnhälfte entgeistert mit ansehen, wie ihre Kollegin von der anderen Seite begann, alternative Fluchtpläne zu entwickeln.

„Ich könnte Dich in einen Teppich einwickeln und heraustragen.“ Sehr unauffällig, außerdem hätte man in der Badematte nicht mal eine Liliputanerin verstecken können. „Nein, besser – Du täuschst einen Herzanfall vor oder wir legen Feuer …“

Aus dem Umstand, dass Olga die Augen spektakulär zur Decke verdrehte und dabei vermutlich bei einer himmlischen Macht nachfragte, warum sie ihr geraden einen angetrunkenen Vollidioten als weißen Ritter geschickt hatte, gelangte ich zu dem Schluss, dass meine Fluchtplanvariationen wohl eher auf wenig Gegenliebe stießen.

„Nein, wir nehmen einfach den Hinterausgang.“

Klar, natürlich, das wäre auch eine Möglichkeit. Nun wagte ich aber einen Einwand.

„Mit Verlaub, Prinzessin, da ist doch bestimmt ein Haken dabei. Wer bewacht denn diesen Ausweg? King Kong, Godzilla, gibt es Fallgruben, wilde Tiere … gibt es vielleicht etwas, das ich wissen sollte?“

„Nein, es ist einfach das Klo. Aber es gibt ein Fenster auf halber Höhe und das führt in den Hof. Kein Problem.“

„Schön zu hören, aber wenn die Nummer so einfach ist, warum bist dann immer noch hier.“

„Zwei Gründe: wohin und womit.“

Das Problem wurde größer. Jan Castro befreit nicht nur versklavte Zwangsprostituierte, sondern steuert auch noch das Fluchtfahrzeug. Wahrscheinlich würde ich die Dame auch noch außer Landes bringen, mit einer neuen Identität ausstatten und mit einer hinreichenden Menge kleiner Dollarscheine versorgen müssen, damit sie ein neues Leben in Buenos Aires anfangen kann. Na ja, sage noch einer ich hätte an diesem Abend nichts zu erleben gehabt … Mein Name ist Bond, Jan Bond.

„Komm, wir müssen uns beeilen, Deine Zeit läuft bald ab.“

Wie wahr, wie wahr. Auf dem Flur herrschte rote Notstrombeleuchtung. Die Rummsmusik aus der Bar drang nur gedämpft hinüber. Auch unsere Subunternehmerin hatte sich zurückgezogen – ich hoffte nur, dass sie nicht gerade eine Zigarettenpause auf dem Klo einlegte. Aber die Luft war rein (na ja) und so hatte ich nach langer Zeit wieder einmal das Vergnügen, eine Damentoilette in weiblicher Begleitung aufzusuchen. Das Ergebnis war ähnlich akrobatisch wie in früheren Tagen, denn bumsen auf dem Klodeckel hat eigentlich nichts Romantisches. Meine Kletteraktion war eher nicht bühnenreif – es sei denn man schwärmt für Slapstick: mit Kopf und Händen voran und gekrönt durch einen Hundehaufen, in dem ich zielsicher meine Landung machte. Junge, dir klebt die Scheiße an den Fingern – wie wahr, wie wahr …

Entweder hatte Olga die Nummer schon ein paar Mal geübt, wahrscheinlicher war jedoch, dass ihr graziler Körperbau die Pluspunkte ausmachte, jedenfalls landete sie geschmeidig in den erwartungsvollen Armen ihres Ritters. Zu meiner großen Freude durfte ich dabei feststellen, dass das Manöver auch bei ihr Spuren hinterlassen hatte. Ein Träger ihres Kleides war abgerissen und gewährte nun Einblicke auf Dinge, von denen ich vor wenigen Minuten noch gehofft hatte, sie mehr als nur in Augenschein nehmen zu dürfen.

Während ich noch drüber nachdachte, wie man wohl die Redewendung „machen wir uns vom Acker, aber pronto“ in passendes Englisch übersetzen kann, hatte Olga schon resolut meine Hand ergriffen (gottlob die saubere) und zog uns aus dem Lichtkegel der altersschwachen Funzel, die den Hof des Sündenpfuhls mäßig erhellte.

„Wo steht Deine Karre?“

Nun war es endlich an mir, die Führung zu übernehmen. Also lotste ich uns zu meinem Hummer, den ich nach kurzer Panikattacke schließlich da fand, wo ich ihn abgestellt hatte. Bei dem Versuch, die Türen mit Hilfe der Fernbedienung zu öffnen, entglitten mir die Schlüssel, die ich erst aus einer benzintriefenden Pfütze fischen musste. Dieses kleine Missgeschick quittierte mein fahrbarer Untersatz damit, dass er statt die Schlösser zu entriegeln die Diebstahlsicherung aktivierte. Sollte es noch irgendjemand wegen akuter Schwerhörigkeit entgangen sein, dass sich gerade zwei Gestalten mitten in der Nacht hier in aller Heimlichkeit vom Ort des Geschehens entfernen wollten, dann musste uns dies den Rest gegeben haben. Dachte ich jedenfalls. Immerhin gelang es mir die Kiste gleich beim ersten Versuch zu starten, worauf die wohl versehentlich eingebaute Flugzeugturbine mit entsprechendem Gebrüll zum Leben erwachte. Vor Aufregung legte ich dann noch versehentlich den Rückwärtsgang ein und schoss ein paar Mülltonnen durch die Nacht. Kurz: abgesehen davon, dass ich nicht auch noch die Sirene eingeschaltet hatte, hatte ich nichts unversucht gelassen, um uns so auffällig wie möglich fort zu bringen. Wenn ich Olgas Blick richtig deutete, dann fragte sie sich wohl gerade, ob ich mit ihren Gefängniswärtern unter einer Decke steckte. Verleiden konnte ich ihr’s nicht.

Irgendwann und irgendwie gelang es mir dann doch, den Hummer vom Hof zu bugsieren und wollte gerade auf die Nationalstraße nach Figueres abbiegen, als mich meine charmante und bis dahin schweigsame Begleitung unmissverständlich zu einer Kursänderung bewegte.

„Wir fahren nach Llers.“

„Hallo, Augenblick mal, das ist um die Ecke, da können wir gleich hier bleiben. Ich dachte, Du willst so schnell wie möglich Abstand zwischen Dich und diesen Puff bringen. Dann ist das die falsche Richtung.“

„Ich muss noch meine Sachen holen.“

„He, falls Du ein Lieblingskuscheltier hast oder Deine Wimperntusche vermisst, dann vergiss es. Ich gebe jetzt Gas, denn ich habe das verdammte Gefühl, wir sollten hier ganz fix verschwinden.“

Burro. Darum geht es nicht. Ich muss meine Lebensversicherung holen – ohne die kann auch gleich hier bleiben.“

Diesmal war es an mir, die oberen Instanzen anzurufen und zu fragen, was ich angestellt hatte, um dies hier zu verdienen. Das einzige Gute daran, ohnehin schon fast tot zu sein, ist, dass man sich nicht darum sorgt, ganz tot zu sein. Also tauchte ich in das Gewirr der Gassen von Llers ein. Zwischen alten Höfen mit Bruchsteinfassaden, aus denen Trompetenblumen und Bougainvilleas krochen, schmucken Neubauten reicher „Residentes“ und Wiesen tauchte schließlich ein Plattenbau auf, der selbst in der ehemaligen DDR noch eine goldene Zitrone für bemerkenswerte Hässlichkeit erhalten hätte – ohne Zweifel musste das unser Ziel sein.

„Halt an. Zwei Minuten - länger brauche ich nicht. Und wenn doch, solltest Du besser schnell abhauen.“

Und schon war Olga im schmutzigen Hauseingang verschwunden. Zwei Minuten. Welche Frau ist in der Lage, Ihre Habseligkeiten in zwei Minuten zusammen zu raffen? Was meinte sie überhaupt mit „Lebensversicherung“? Ich schaute abwechselnd aus dem Fenster und auf meine Uhr. Inzwischen würde man im Moonglow wohl festgestellt haben, dass man einer geschätzten Mitarbeiterin verlustig gegangen war. Was mochte das bedeuten? Würde nun die bewaffnete Kavallerie ausrücken? Durchkämmten Bluthunde die Umgebung? War die Autobahn gesperrt worden? Viele Fragen, aber keine Antwort. Die zwei Minuten waren längst verstrichen. Mir wurde allmählich mulmig. Mein schlechtes Bauchgefühl wurde auch sofort bestätigt, als im Grandhotel die Lichter angingen und laute Stimmen zu hören waren. Was hatte Olga gesagt, sollte ich tun, wenn sie nicht rechtzeitig zurück wäre? Motor starten, Gas geben, abhauen. Was hatte ich auch mit der Nutte zu tun? Das war jedenfalls mein erster – vernünftiger – Impuls. Allerdings ließ mein angeborener Ritterinstinkt diese Option nicht zu. Und da es mich ja ohnehin nur das Leben kosten konnte … ich glaube, das erwähnte ich schon.

Also murmelte ich mierda und legte die kurze Distanz zum Empfangsbereich der einladenden Nobelherberge im Schweinsgalopp zurück. Die Tür ließ sich widerspruchslos öffnen und lud zum Besuch des Treppenhauses ein. Dort verschlug es mir buchstäblich den Atem, denn allem Anschein nach diente es auch gleichzeitig als Kloake, was einen tief schürfenden Einblick in die sozialen Beziehungen der Belegschaft gewährte. So geräuschlos wie möglich arbeitete ich mich nach oben, bedacht darauf Exkrementen und Müll so gut es ging auszuweichen. Die Stimmen wurden lauter und nun konnte ich den sanften Tonfall meiner hinreißenden Abendbekanntschaft ausmachen. Die Szene, die sich mir Sekundenbruchteile später enthüllte, hatte etwas von „King Kong und die weiße Frau“: Olga tobte vor Wut und schrie sich die Stimme aus dem Hals, was vermutlich darauf zurückzuführen war, dass sie ein muskelbepackter Gorilla mit mongolischen Gesichtszügen und unfeinen Manieren von hinten umklammerte. Während Olga in unterschiedlichen Sprachen passende Vergleiche zwischen den Vorfahren ihres Peinigers und der einheimischen Tierwelt zog, war ein zweiter Halbaffe – offenbar schien es hier ein Nest zu geben – damit beschäftigt, seine Wunden zu lecken. Jedenfalls verzierten fünf blutrote Streifen sein liebreizendes Antlitz – offensichtlich hatte ihm die Tigerin ihre Krallen durch die fiese Visage gezogen. Auch wenn Olga die beiden Herren bei einer Partie Bridge oder dem Studium der London Times gestört haben sollte, so verhalten sich keine Gentlemen. Mein unerwartetes Erscheinen führte zu einer kurzzeitigen Einstellung aller Kampfhandlungen, in der die beiden halbdebilen Muskelprotze sich darüber klar zu werden versuchten, was dies denn nun wieder zu bedeuten hatte. Ich beschloss, die Analyse etwas zu beschleunigen. Dazu versetzte ich dem Gorilla einen Aufwärtshaken, der auch Mike Tyson Ehre gemacht hätte – mit dem Unterschied allerdings, dass dieser danach nicht das Gefühl gehabt hätte, sich alle fünf Finger gebrochen zu haben. Dabei machte ich mir die geistige Notiz, dass ich wieder etwas getan hatte, was ich mir mein ganzes Leben gewünscht hatte: einem echten Arschloch die Fresse zu polieren. Immerhin führte dies dazu, dass der Ärmste nun jegliche Vorsicht fahren ließ und sich völlig ungeschützt in die Reichweite einer wütenden Version von Lara Croft begab. Olga nutzte die Situation jedenfalls eiskalt, lehnte sich in den Armen ihres Peinigers zu dessen Überraschung zurück, nur um Schwung zu holen und die Spitze ihres Stilettos mit Wucht auf der 12 jenes Bedauernswerten zu platzieren, der schon ihre Krallen und meine Faust zu kosten das Vergnügen gehabt hatte. Man hörte förmlich wie seine Eier bis zu den Mandeln geschossen wurden und diese Musik zauberte ein zufriedenes Lächeln auf Olgas aufgeplatzte Lippen. Dieser Baum war gefällt. Inzwischen war Gorilla 1 unter dem Druck der Ereignisse zu dem Entschluss gekommen, seine Gefangene kurzfristig sich selbst zu überlassen und sich einem leichteren Opfer – also mir – zuzuwenden. Drehe keiner Frau den Rücken zu, besonders dann nicht, wenn sie schlechter Stimmung ist. Und Olga war definitiv nicht gut gelaunt. Zwei wuchtigen Schwingern konnte ich noch mehr aus Zufall als durch Geschicklichkeit ausweichen. Dann stolperte ich in der Rückwärtsbewegung über den Typen, den Olga kurz zuvor entmannt und auf die Bretter geschickt hatte. Ich sah schon mein letztes Sekündchen gekommen, als der Halbaffe zum finalen Hieb ausholte. Stattdessen aber wurde sein Blick von einem Augenblick zum anderen glasig und er knickte mit unterirdischem Grunzen ein, um seinem unsanft entschlummerten Kumpel Gesellschaft zu leisten. Hinter ihm stand Superwoman und prüfte die Unversehrtheit der gusseisernen Bratpfanne mit der sie ihr zweites Opfer des Tages erlegt hatte.

Olga war somit bester Laune als wir diesmal vergleichsweise geräuschlos das Weite suchten. Ihr Blick erinnerte mich jedenfalls verdächtig an meinen Kater, wenn er wieder einmal die Wurst vom Frühstückstisch stibitzt hatte.

„Hast Du Deinen Kram?“

Olga klopfte auf ihr Handtäschchen und antwortete:

„Ja. Nichts wie weg von hier.“

Nichts lieber als das. Einer Eingebung folgend, wahrscheinlich aber nur aufgrund der Aufregung, vergaß ich die Scheinwerfer einzuschalten. Ansonsten wäre das im Anmarsch befindliche Überfallkommando wohl gewarnt gewesen und hätte uns den Weg versperrt. So aber schoss der Hummer wie Nightrider auf die Straße und hätte die beiden Vans gerammt, die nun mit quietschenden Reifen auswichen, umdrehten und die Verfolgung aufnahmen.

Jetzt wurde es wirklich eng. Angeblich sollte der Hummer 220 km/h bringen – Zeit das auszutesten. Die Ausfallstraße nach Figueres war schnurgerade – die entgegengesetzte Richtung zur französischen Grenze schien mir die schlechtere Wahl zu sein – also gab ich Gummi und rückte das Gaspedal durch, bis das Bodenblech Beulen bekam. Einen der Vans konnte ich rasch abhängen, doch der andere klebte an unserem Hintern wie Fliegen an einem Pferdeapfel. Plötzlich gab es einen Knall und der Seitenspiegel löste sich in einem Splitterregen auf. Diese Arschlöscher schossen auf uns.

„Nun tu doch was!“

Auch Olga war nun dabei, ihre Gelassenheit zu verlieren.

„Und was?“

„Woher soll ich das wissen? Du bist doch der Mann.“

Typisch Frau.

„Entschuldigung, aber ich muss mich gerade daran gewöhnen, dass auf mich geballert wird. Das ist eine neue schwerwiegende Erfahrung.“

Allmählich wurde auch ich ziemlich sauer. Wie entkommt man einer Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd? Was hätte Bruce Willis jetzt getan? Mir viel nichts Besseres ein, als voll auf die Bremse zu treten. Olga und ich wurden in die Sicherheitsgurte gepresst, unser Verfolger krachte auf das Heck und die Anhängerkupplung des Hummers drang dicht oberhalb der Stoßstange in die Innereien des Motors ein, wie Olgas Stilettos in die Hoden des Gorillas kurz zuvor. Der Erfolg war vergleichbar: Der Hummer wurde zwar zum fliegenden Fisch, landete nach einigen Meter jedoch wieder sicher auf allen vier breiten Rädern, unser Verfolger geriet indes ins Schleudern, der Pistolero wurde vom explodierenden Airbag durch das Seitenfenster gequetscht, und schließlich landete der ganze Van im Straßengraben. Ich gab wieder Gas und eine Minute später verschwanden wir im Gewirr der mittelalterlichen Gassen von Figueres.

„Du kannst das Licht jetzt einschalten“

war Olgas ganzer lakonischer Kommentar. Nun ja, James Bond konnte sich jetzt auf den Weg nach Hause machen.


Semana Santa

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