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FÜNF

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Auch wenn der Tag schon den verlockenden Duft des Frühlings trug und die Sonne sich alle Mühe gab: meinen Blues konnte das nicht vertreiben. Da hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen und begegne auf den letzten Metern meiner Traumfrau unter kinoreifen Bedingungen. Und nun war sie weg. Die Regie in meinem Leben war nur etwas für ausgeprägte Masochisten.

Ich holte das Quad aus der Garage und bretterte durch die Berge, um in einer kleinen abgeschiedenen Bucht nackt schwimmen zu gehen. Eigentlich mache ich mir nichts aus Freikörperkultur, aber das gehörte noch zu den Dingen auf meiner Liste, die ich noch nicht versucht hatte, also wollte ich es abhaken. Die Sonne schickte sich an in den Pyrenäen zu versinken und das Wasser hatte sich als eiskalt erwiesen, als ich völlig durchgefroren von meinem blödsinnigen Experiment zurückkehrte. Ich erwog, gegen den Schmerz in meiner Magengegend eine weitere Malaaxil einzuwerfen und entschied mich dagegen. Stattdessen tat ich etwas, dass ich fast ein halbes Jahr nicht mehr getan hatte: ich schnürte meine Laufschuhe, fuhr zum Strand hinunter und trabte in der Dämmerung eine halbe Stunde an der Wasserkante entlang. Längst waren die violetten und purpurnen Schatten auf dem Canigó verschwunden und hatten den Berg und die angrenzenden Gipfel an die Dunkelheit abgegeben, als ich ziemlich kaputt, aber immerhin etwas ruhiger nach Hause zurückkehrte. Der Elektroofen verbreitete eine angenehme Wärme und nach einer ausgiebigen Dusche schwang ich mich in eine ausgefranste Jeans und ein bequemes Poloshirt. Da ich keine Lust verspürte, das Haus noch einmal zu verlassen, öffnete ich eine weitere Flasche Prado Rey und legte die Jazz Samba von Stan Getz und Tom Jobim auf. Die Entscheidung für Omelette mit Schinken oder Pizza fiel zugunsten der italienischen Spezialität aus. Ich hatte gerade das Handy aus meinem Rucksack gepult und ging in Gedanken die Liste der zwingend erforderlichen Bestandteile durch, die ich beim ortsansässigen Pizzaschmied zu ordern gedachte, als das Telefon auch schon von selbst nervös zu vibrieren begann.

Ein Anruf, der mein Leben komplett auf den Kopf stellen sollte.

„Jan, bist Du das?“

„Montse ?!?“ Ich konnte nur stammeln, denn damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Steine fliegen nach oben, die Erde ist doch eine Scheibe – alles in Ordnung, aber Montse ruft mich an? Hatte sie ihre Pläne geändert? Wollte sie Fidel Castro gegen Jan Castro eintauschen? Stand ein ETA-Terrorist neben ihr und hielt ihr eine Kanone Kaliber 32 an die Schläfe? In diesem Moment schossen mir eintausend Gedanken durch den Kopf.

„Jan, es tut mir leid. Ich brauche Deine Hilfe. Jetzt. Bitte komm sofort. Und nimm den Hummer – es geht um Leben und Tod.“

Spontane Auffassungsgabe und rationales Verhalten unter Stress gehört üblicherweise nicht zu den Charakterzügen, die mir spontan einfallen, wenn ich mich beschreiben sollte. In diesem Fall antwortete ich jedoch nur:

„In 25 Minuten bin ich da.“

Ich schaffte es in 20 Minuten, wobei ich vermutlich alle bisherigen Geschwindigkeitsrekorde auf dieser Strecke eingestellt hatte – freilich unter vollständiger Missachtung jeder, aber auch wirklich jeder Verkehrsregel. Kurz: ich fuhr nicht nur wie eine Sau – ich war eine. Ich beschleunigte den H3 auf der graden Strecke bis auf 200 km/h und die Ausweichmanöver, zu den mich der gottlob spärliche Gegenverkehr nötigte, hätten auch einem Formel-1-Fahrer Ehre gemacht. Als ich auf den Hof schoss, zeigte die Uhr 21.15 an. Die Tür stand offen, Montse lief auf den Wagen zu, als sei endlich der Messias erschienen. Ich sprang aus dem Hummer und ließ vor Aufregung die Schlüssel stecken. Meine Empfindungen schwankten zwischen unheimlicher Freude, sie wieder zu sehen und Sorge. Dass Ihr Anruf nicht aus Sehnsucht nach mir erfolgt war, daran gab es keinen Zweifel. Die verlaufene Wimperntusche hatte schwarze Rennstrecken auf ihre Wangen gezeichnet und die Augen waren voller Tränen. Montse war ganz offensichtlich nur einen Windhauch von einem Nervenzusammenbruch entfernt. Drinnen hörte ich ihre Großmutter schluchzen.

„Was ist passiert“ rief ich. Sie sagte nur ein Wort: Dani. Ich wartete erst gar keine näheren Erklärungen ab, sondern nahm sie bei der Hand und spurtete mit ihr ins Haus. Der Junge lag auf einer improvisierten Couch, der Oberkörper entblößt. Seine kleine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Montses Großmutter kühlte seine Stirn mit einem Lappen. Sanft schob ich sie zur Seite und ließ mich neben ihn nieder. Der Junge fieberte stark und hatte das Bewusstsein verloren. Der Puls war flach und kaum zu spüren. Wahrscheinlich war der Blutdruck auch stark abgefallen. Vorsichtig hob ich ein Augenlid an und konnte nur das Weiße sehen. Dani war ins Koma gefallen. Während meiner Militärdienstzeit hatte ich eine Ausbildung als Sanitäter gemacht und im Laufe meiner Auslandsreportagen auch einige Male mit Schwerverletzten zu tun gehabt. Zwei Sachen waren mir sofort klar: der Junge stand am Rande des Todes und die Sache war für mich mehrere Nummern zu groß.

„Dani war heute Nachmittag spielen und abends wurde ihm auf einmal schwindlig. Dann bekam er Fieber“ berichtete Montse mit tränenerstickter Stimme. „Dann ist er bewusstlos geworden und jetzt … jetzt atmet er nicht mehr richtig. Jan, was sollen wir tun? Dani stirbt!“

Das war nicht die Montse, die ich vor nicht ganz einem Tag kennen gelernt hatte und die ihrem Peiniger die High-Heels in die Eier gerammt hatte. Das war eine junge Frau, die schreckliche Sorgen um einen kleinen Jungen hatte.

„Habt Ihr einen Arzt gerufen?“ Das war ja wohl die nächstliegende Frage. Montses Großmutter nickte kraftlos. Der Dorfarzt sei aber wohl über das Wochenende nach Barcelona zu Verwandten gefahren.

„Verdammt, das ist doch keine Entschuldigung. Für solche Fälle gibt es einen Notarzt. Jetzt haben wir viel Zeit verloren, wertvolle Zeit. Montse, pack’ Dani in eine warme Decke. Nimm ihn auf den Schoß und schnallt Euch auf dem Rücksitz des Hummers an. Und schwing Deinen Hintern!“ Montse tat was ich ihr aufgetragen hatte – auch etwas Neues für mich.

„Señor Jan, was haben Sie vor?“ Es war das erste Mal, dass Montses Großmutter das Wort an mich richtete. Ich musste daran denken, dass ich noch nicht einmal wusste, wie ihr Name war. Scheiß drauf – jetzt war keine Zeit für Höflichkeiten.

„Señora, soweit ich das beurteilen kann, hat der Junge hat einen Schock, der auf das Atemzentrum wirkt. Wenn wir ihn nicht innerhalb der nächsten halben Stunde in ein Krankenhaus schaffen, wird er sterben.“

Dios mio“, war ihr einziger Kommentar zu dem sie das Kreuz schlug. Wenn das überhaupt noch möglich war, dann war auch die letzte Farbe aus ihrem Gesicht gewichen.

„Was kann ich tun?“

„Señora, wenn Sie beten können, dann beten Sie. Und ich hoffe, dass Sie einen besseren Draht zu dem alten Mann da oben haben als ich.



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