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Prolog
ОглавлениеDie Welt, so Kleist, „ist eine wunderliche Einrichtung“ (Brief eines Malers an seinen Sohn) oder eben eine gebrechliche („Michael Kohlhaas“). „Der Fokus von Kleists Darstellung liegt weniger auf dem Seelenzustand seines Protagonisten als vielmehr auf »der gebrechlichen Einrichtung der Welt«, die nur weniger Un-und Zufälle bedarf, um vollends aus den Fugen zu geraten. Diese Gebrechlichkeit zeigt sich auch in Kleists Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ als die Verworrenheit, die entsteht, sobald jemand versucht, einen fertigen Gedanken »auszudrücken« – und allgemeiner als das Problem des Übergangs vom Gedanken zur Sprache überhaupt.“1 Essayist und Kleist-Preisträger László Földényi spricht in seiner Biografie „Im Netz der Wörter“ (1999) daher zurecht von „sprachlichem Wahnsinn“, wenn er die schreckliche Gegensätzlichkeit und Spannung betont.
Dem gegenüber stehen die von Bernhard Greiner akzentuierte Würde und Erhabenheit, die er in seiner Studie „Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants: Studien zu Goethe und Kleist“ (1994) anführt, welche die Kantkrise für den Sonderweg von Kleists zwischen allen Literaturepochen zentriert und ihn weder der Romantik noch der Klassik zuzurechnen lassen, sondern unverwechselbarem Wiedererkennungswert zuspricht.
„Das Streben nach Wahrheit ist Kleist wichtiger als das Anhäufen und Anwenden des Wissens; es geht allein um die Wahrheit selbst, nicht um ihren Gebrauchswert.“2
Spät fühlt er sich zum Dichter berufen, noch später zum Journalisten. Sein poetisches Schaffen währt nicht eine Dekade.
Er dichte nur, weil er es nicht lassen könne, schreibt Kleist August 1806 an seinen Freund aus alten Militärtagen von Lilienstern aus der Kantstadt Königsberg. Niemand weiß, ob er es ironisch meint oder doch sarkastisch. Mythisch ist sein Tod, theatralisch und minutiös inszeniert; sein ganzes Leben scheint darauf ausgerichtet, sein Werk feiert das Sterben.
Gestorben wird seinerzeit viel, auf den Schlachtfeldern und der kollektive Suizid gehört zum guten, zum ehrenhaften Ton. Die folgende Auseinandersetzung erfolgt bewusst in zeitlichem Abstand zu dem Jubiläum 2011, die eine Flut von Biografien, Essays und Forschungsbeiträgen zeitigte. Die Arbeit richtet sich, wie alle Grenzgänger-Monografien vorher, auf etwa 300 Seiten an interessierte Literaturliebhaber mit Sinn für Philosophie und ist durch die zahlreichen Querverweise auch für Forscher interessant, denn alles zu kennen oder sich daran zu erinnern, gelingt nur den Wenigsten und man muss nicht alles wissen, so lange man weiß, wo es steht.
Der erste kurze Teil fasst Aspekte aus dem Leben von Kleists zusammen, der konsequent mit seinem Adelstitel benannt wird, weil sein Denken nicht vom aristokratischen Stand zu trennen ist, insbesondere nicht seine Auffassung von Ehre und Würde. Aus einem Vortrag in der Reihe „Zwei an einem Abend“, die seelenverwandte Dichter mit jeweils einem Text präsentierte, stammt der Beitrag über Puschkin. Auf weiterführende Komparatistik wurde weitgehend verzichtet, weil sich von Kleist schwer anderen Werken zuordnen lässt. Das anschließende Kapitel handelt über Gedanken, die der Dichter seinen mutmaßlich wichtigsten philosophischen Quellen verdankt und ohne die er wohl nicht die künstlerische Laufbahn eingeschlagen hätte.
Von den sieben Dramen, sieht man vom Fragment „Robert Guiskard“ ab, wurden fünf zur näheren Betrachtung ausgewählt, die dem eigenen Plus-Minus Schema entsprechen und die Familienmit Geschichts-und psychologischem Drama verknüpfen. Von Kleists Stücke entziehen sich einer klaren Zuordnung, selbst Gattungsbegriffen wie Trauerspiel und Tragikomödie. Sie sind an Shakespeare angelehnt und halten sich grob an die Aristotelische Dramaturgie, doch sie erfüllen nicht das Kriterium einer eindeutigen Moral noch das Kriterium nach Kohärenz; stattdessen implementiert er Bedeutungsvielfalt und Transgression. Fiktion und Realität treten in einen Diskurs, der weder zu romantischen noch zur klassischen Rezeptionsästhetik gehört und die eine Aufhebung von Identifikation inkludiert.3
Dabei erfolgt eine kurze Erläuterung zur zeitlichen Einordnung, den Begleitumständen und der Intention, eine äußerst kurze Inhaltsangabe und Interpretation nach diversen Schwerpunkten. Die beiden Komplementärwerke sind die Frauen Penthesilea und Käthchen sowie die Protagonisten Hermann und Friedrich von Homburg. Die Familie Schroffenstein repräsentiert das einzige reine Familiendrama.
Nach selbigen Prinzip wurden sieben Erzählungen untersucht. Auch hier tritt die Sekundärliteratur in den zweiten Rang und wird nur in Ausnahmefällen zitiert, der Hinweis auf thematische oder argumentatorische Überschneidung muss genügen, da sich die Monografie als eigenständige Reflexion versteht. Die Plus-Minus Gegenüberstellung besteht zwischen Verlobung und Erdbeben, Findling und Marquise von O, Cäcilien-Legende und Zweikampf. Die Novelle „Michael Kohlhaas“ steht nicht nur aufgrund ihrer Länge für sich, da sie mindestens drei Themen in sich vereinigt (Recht, Rache, Gottessuche).
Abschließend finden zwei Essays eine Würdigung. Den Schlussstein liefert eine Rezeption Nietzsches und Kafkas eine Form von Komparatistik und Einordnung, die zu den vorab untersuchten Grenzgängern erfolgt.