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II. 3. Gottlieb Fichte
ОглавлениеII. 3. 1. Die grünen Gläser
Die Zahl der Studien über von Kleists Fichtelektüre ist wesentlich überschaubarer als die zu Kant oder Rousseau. Eine Nahtstelle, zumal der Name nirgendwo auftaucht, aber die neue Kantianische Philosophie auf ihn verweist, zudem ab 1806 eine persönliche Bekanntschaft vorliegt und er in Berlin die aufgenommenen Vorlesungen Fichtes gehört haben muss, da er Interna vor der schriftlichen Veröffentlichung kennt. Einer der Vertreter der These, dass es sich gar nicht um eine Kant-sondern eine Fichtekrise gehandelt hat ist Ernst Cassirer, dessen Hauptargument darin besteht, dass Fichte in „Die Bestimmung des Menschen“, das Januar 1815 publiziert wird, als neue Kantianische Philosophie bezeichnet und erstmals eigene Wege geht, obgleich Kant sich noch zu Lebzeiten von Fichtes Auslegung distanziert. Fichte selbst gibt jedoch vor, sein System nur mit anderer Rhetorik zu vertreten und der Erfolg gibt ihm Recht: die Popularität des Königsbergers setzt erst mit Fichte und der Frühromantik ein. Novalis, Hölderlin und von Kleist sind um die Jahrhundertwende an der Tat und Fragen der praktischen Vernunft sowie der Ästhetik (Urteilskraft) stärker interessiert als an der reinen Vernunft, die beim Ding an sich „stehen bleibt“ (Fichte)
Grüne Gläser, die Augen ersetzen, spielen bei von Kleistkeine Rolle, die Farbe, ist primär Vorstellung ein Spezifikum Fichtes. Grüne Brillengläser werden zur Schonung der Augen empfohlen, u. a. von Goethe, der als Kulturminister für Fichtes Karriere verantwortlich zeichnet und ihm während des Atheismusstreites die anfängliche Unterstützung entzieht, das Heine in „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ rügt, da am Gottesvertrauen Fichtes ebenso wie Kants keine Zweifel bestehen können. Inhaltlich kommt Fichtes Wissenschaftslehre, die er aus „Die Bestimmung des Menschen“ entwickelt, von Kleist näher bzw. seinem Naturell entgegen. In der 1799 publizierten und von Kleist zumindest in groben Zügen bekannten, wahrscheinlich aber komplett durchgearbeiteten „Verantwortungsschrift gegen die Anklage des Atheismus“ lautet der Passus: „Was wir erblicken, ist immer das erste [spontanes Handeln]; das Instrument, gleichsam das gefärbte Glas, durch welches hindurch wir unter gewissen Bedingungen es allein erblicken können, ist die Einbildungskraft; und in diesem gefärbten Glase verändert es seine Gestalt, und wird zum zweiten [zum ausgedehnten Stoff].“41
Bezüglich Fichtes Gleichnis Fichte rekurriert von Kleist nicht auf komplexe optische Apparaturen, sondern auf Alltagserfahrungen, zumal er seine Worte in seinem Bildungsanspruch an die Verlobte richtet: „Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urtheilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün — und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzuthut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört.“
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kamen grüne, gelegentlich auch blaue Brillen zum Schutz gegen direktes Sonnenlicht auf. Farbige Gläser wurden auch gegen wissenschaftliche Einwände auch um die Jahrhundertwende verkauft 42. Eine religiöse Protestbewegung, die Apparate nur aus ökonomischen Interesse zu veräußern, existierte, so dass katholische Prediger grüne Brillen als Metapher für Unmoral oder für Unverbindlichkeit der Aufklärung verwendeten. Künstler betrachteten die Gläser als Symbol für den falschen Schein. Während der Französischen Revolution wurden die Brillen als unnatürlich stigmatisiert und als Bekenntnis zum Ancien Régime gewertet. Die Frühromantik knüpfte daran an, erst während der Wiener Restauration erfreuten sie sich wieder der Beliebtheit: Gläser wurden von Hoffmann mehrfach symbolisch für den Übergang in eine andere Welt verwendet.
Er überträgt die Stimmung des Grotesken und Unheimlichen vom funkelnden Grün der Brillen auf grün funkelnde Augen. Nachdem die Brillen selbst seltener geworden sind, bedarf es ihrer nicht mehr, um die mit ihnen verbundenen Angstgefühle zu aktivieren, oder das Motiv droht gar unverständlich zu werden.
Im April 1799 immatrikuliert sich von Kleist an der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt Oder. Der Skandal um Meinungs-und Gewissensfreiheit, der mit Fichtes Demission endete, ist brandaktuell. Fichtes Bild vom farbigen Glas steht im Zusammenhang des Nachweises, dass Gott eine stoff-zeit- und raumlose, intelligible Größe ist, folglich unterschiedlich vorgestellt werden kann.
Alles Denken beruht auf eine Konstruktion des Ich, Gott wird zum Produkt der Einbildungskraft (nicht der Fantasie). Dabei konfigurieren sich zwei Arten von Schemata: Handeln und ausgedehnten Stoff. Handeln inkludiert den ersten, ursprünglichen Grund für eine Ereignisreihe; es erfolgt spontan außerhalb der Reihe von Ursachen und Folgen und ist übersinnlich, sprich intelligibel. Fichte heißt es intellektuelle Anschauung, um sie gegen Kants sinnliche Anschauung, Zeit und Raum, abzugrenzen. Alle Materie bleibt als ausgedehnter Stoff sinnlich innerhalb der Kausalreihe.
Das spontane Handeln, bei Kant noch spontanes Vermögen der Vernunft, erweist sich als Alleinstellungsmerkmal des Menschen, das moralische Handeln und alle Erkenntnisprinzipen initiiert. Sinnliches Vorstellungsvermögen und Einbildungskraft sind für Fichte ein und dasselbe. Sämtliche Anschauung der Objektwelt (Materie) basiert auf ursprünglich spontanen Denkakte. Wir sind immer auch das, was uns als Gegenstand gegenübersteht; das Ich ist das Ding an sich selbst. Handeln muss zunächst Gegenstände wahrnehmen und sinnliches Vorstellungsvermögen durchlaufen, um zum höheren, spontanen Denken zu gelangen. Bei diesem Durchgang wird es gemäß der sinnlichen Anschauung räumlich und zeitlich modifiziert und erscheint daher als Gegenstände.
Es sind auch andere Quellen für die Gläser denkbar, vor allem Klingers43 anspruchsvoller Roman „Der Kettenträger“ (1796), der darin Positionen Kants, Fichtes und Rousseaus zu vermitteln sucht. Der relevante Passus lautet: „Vielleicht weil jeder glaubt, er habe den größten Splitter der Wahrheit in seinem Systeme; sein Glas, wodurch er, zum Beispiel, alle Gegenstände grün sieht, sey das untrügliche“.
Auch Brentano verwendet für seinen Roman „Godwi“ ein Glas-Gleichnis: „Das Romantische ist also ein Perspectiv oder vielmehr die Farbe des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes durch die Form des Glases."44 Gestalt gilt Brentano als Grenze des Gedachten, das Ungestaltete ist das Unbegrenzte. Da der Roman bereits 1798 gestaltet wird und von Kleist den Fichteaner Brentano kennt (ihre Freundschaft endet im Disput über die Berliner Abendblätter) ist anzunehmen, dass er die Wendung vor der Veröffentlichung des zweibändigen Briefromans kennt. „Das grüne Glas ist das Medium der Sonne.“
Fichte hat sein Bild definitiv von Kants „Träume eines Geistersehers“, wo die Gläser das Verhältnis zwischen Diesseits und Jenseits verrücken. Auch Fichte hat wohl ein Teleskop vor Augen, was den Bezug zu Gott aufrechterhält. Von Kleist deutet es als Glasaugen um. Selbst wenn es sich um ein Missverständnis handelt und nicht um dichterische Freiheit, so bleibt die Verschiebung von Erkenntnis elementar. Für von Kleist ist die moralische Seite der Wahrheit von der epistemologischen getrennt.
Auch Tieck, mit dem von Kleist später in Dresden zusammentrifft, benutzt das Gläser-Gleichnis in seiner Komödie „Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Geschmack“ (1799), indem er den Stallmeister die Worte in den Mund legt, „Als ich letzthin die Optik studirte, bemerkt' ich, daß es etliche unterschiedliche Farben gäbe, als roth, blau, grün und so weiter“. Der Verweis auf Fichte findet durch den Protagonisten gleichen Vornamens Gottlieb Betonung. Der Stallmeister will die neue Wissenschaft studieren, um sich nochmals „von vorne erziehen zu lassen.“ Diese Wendung variiert von Kleist in Variation für seinen Essay „Über das Marionettentheater“.
Das Motiv, von vorne beginnen zu müssen, taucht auch in Lessings „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780) auf, das von Kleist vertraut ist und in engem Zusammenhang mit „Nathan der Weise“ steht. Da Gott „einem jeden einzeln Menschen sich nicht mehr offenbaren konnte, noch wollte: so wählte er sich ein einzelnes Volk zu seiner besonderen Erziehung; und eben das ungeschliffenste, das verwildertste, um mit ihm ganz von vorne anfangen zu können.“45
Summa summarum repräsentiert die Analogie der bunten Gläser einen Verweis auf die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, aus denen eine Einheit geformt werden kann und muss. Die substantielle Einheit liegt dabei im Ich. Der Zweck der Verschiedenheit liegt in der Meinungsbildung, dem Austausch von Möglichkeiten und der schrittweisen Annäherung an die nicht sichtbare Wahrheit dahinter. Wahrheit und Bildung streben jedoch auseinander und eine systemische Einheit bzw. Synopse gerät zunehmend ins Wanken. Mit Fichte intensiviert sich die Bedeutung von Meinungs-und Gewissensfreiheit.
II. 3. 2. Doppelgänger - Motiv und Ich-Spaltung
Bereits „Die Bestimmung des Menschen“ (Dezember 1800) ist im Kunstgespräch-Dialog gehalten, der u. a. den Essay „Über das Marionettentheater“ auszeichnet. Cassirer, der sich vornehmlich auf dieses Werk für seine Theorie der Kantkrise stützt, bezieht lediglich die ersten beiden Teile Zweifel und Wissen ein. Dass mit 1801 ein Wendepunkt hinsichtlich der Emanzipation Fichtes von Kant einsetzt und sich auch von Kleist mehr der Subjektphilosophie anschließt, die dem Wollen und der Tat mehr Bedeutung schenkt, ist naheliegend. Kants Kritik der praktischen Vernunft wird zum Drehpunkt seiner und Fichtes Reflexion, da sie die Grundlage für das Miteinander und dem Aufbau der Gesellschaft bilden. Fichte nimmt Anstoß an dem Ding an sich, bei dem Kant stehen bleibe als unhintergehbar und sucht im Ich das Subjekt als höchste Instanz zu etablieren; nur was Ich ist auch Ding an sich, da dieses ein reines Konstrukt der Vorstellung bzw. der Einbildungskraft ist und vom Ich gesetzt wird.
Fichtes Anspruch besteht darin, Kant zu vollenden; es ist sein erstes Werk nach dessen Tod und arbeitet direkt seiner „Wissenschaftslehre“ zu, die zur Jahrhundertwende die populärste im gesamten deutschsprachigen Gebiet wird. Die Metapher vom rollenden Rad der Geschichte in seiner dynamischen Entwicklung und einer Welt, die auch ohne Gottes Segen auskommt, ist nachhaltig für von Kleist. Ebenso die Vorlesungen, die er 1806 in Berlin hält und die von Kleist mit seinem Vorgesetzen Freiherr vom Stein zu Altenstein und Chamisso besucht, so dass ihm der Satz „ES kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht“ aus den Vaterländischen Vorlesungen bereits vor der schriftlichen Publikation bekannt ist. Gerade der nationale Charakter und Patriotismus Fichtes, die in „Reden an die deutsche Nation“ 1808 kulminiert und die Rhetorik lösen Enthusiasmus in von Kleist aus.
Der Begriff Lebensplan stamm gleichfalls von Fichte, wenngleich in folgender Formulierung nicht substantiviert: „Die erste Handlung der Selbsttätigkeit eines Menschen lautet: Es kommt darauf an, dass ein mündiger Mensch einen Plan für sein Leben entwirft. Einen solchen Plan habe ich längst entworfen.“46 In seiner anschließenden Rede „Über die Würde des Menschen“ lässt er verlautbaren: „Der Mensch wird Ordnung in das Gewühl und einen Plan in die allgemeine Zerstörung hineinbringen; durch ihn wird die Verwesung bilden und der Tod zu einem neuen herrlichen Leben rufen.“ Diese Zeilen könnten aus der Feder von Kleists stammen, aber zu dieser Zeit fühlt er sich noch nicht zum Dichter berufen. Zu diesem Zeitpunkt aber verlässt er die Armee und nimmt sein Studium auf. Er ist zwanzig Jahre, bildungshungrig, sein Geist formbar.
Durchaus vorstellbar, dass „Die Bestimmung des Menschen“ nach der er selbst forscht, seinen Nerv wie den der meisten jungen Leute seiner Zeit trifft. Allerdings könnte die Fichte-Lektüre auch zeitversetzt und damit nach der Kant-Krise eingesetzt haben. Von zentraler Bedeutung ist die, in der Bestimmung durch den Dialog auch formal erfüllte, Identitätsproblematik und Zweiteilung des Menschen. Bereits Kant verweist darauf, dass jeder Gut und Böse in seiner Seele und nie ein Absolutes davon in sich trägt, weshalb er auf eine höhere metaphysische Instanz (Gott) rechnet, die dem Tugendhaften in seinem moralischen Gesetz beisteht. Ein literarisches Exempel für die Dopplung des Ich liefert die Erzählung „Michael Kohlhaas“ durch die Rolle der Zigeunerin, deren Identität nicht geklärt wird, deren Dokument dem Todgeweihten unversehens Macht gewährt und die als zweites Ich seiner gerade verstorbenen Frau erscheint.
Entscheidend ist Fichtes Prioritätsverschiebung von Wissen auf Handeln, von Gesinnungs-auf Erfolgsethik, die einen, dem Idealismus meist abgesprochenen, Pragmatismus inkludiert.
Februar 1801 schreibt von Kleist: „Ich meine darum, weil man beständig und immer von neuem handeln soll und doch nicht weiß, was recht ist. Wissen kann unmöglich das Höchste sein – handeln ist besser als wissen. Aber ein Talent bildet sich im Stillen, doch ein Charakter nur in dem Strome der Welt. Zwei ganz verschiedene Ziele sind es, zu denen zwei ganz verschiedene Wege führen. Kann man sie beide nicht vereinigen, welches soll man wählen? Das höchste, oder das, wozu uns unsre Natur treibt? – Aber auch selbst dann, wenn bloß Wahrheit mein Ziel wäre, – ach, es ist so traurig, weiter nichts, als gelehrt zu sein.“47 Höhepunkt der Krise, die ihn in die Schweiz treibt ist der folgende Brief an seine Schwester: „Der Gedanke, daß wir hienieden von der Wahrheit nichts, gar nichts, wissen, daß das, was wir hier Wahrheit nennen, nach dem Tode ganz anders heißt, und daß folglich das Bestreben, sich ein Eigentum zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ganz vergeblich und fruchtlos ist, dieser Gedanke hat mich in dem Heiligtum meiner Seele erschüttert – Mein einziges und höchstes Ziel ist gesunken, ich habe keines mehr.“
Der Zweifel „Du“ ist der Dialogpartner und Wegbegleiter des „Ich“. Liest man Fichtes Inszenierung eines philosophischen Dramas, so könnte darin die Ursache seiner Verzweiflung liegen, über deren Gründe von Kleist nichts sagt. „Welche Macht kann mich von dir, welche Macht kann mich von mir selbst retten?48 „Du wolltest wissen von deinem Wissen; du suchtest das Wissen da, wohin kein Wissen reicht, und hattest dich schon überredet, etwas einzusehen, das gegen das innere Wesen aller Einsicht streitet.“ Von Kleist ist folglich überzeugt, dass man sich nur selbst erziehen kann, weil nichts ins Ich hineingezwängt zu werden vermag, was nicht hinein will. Das Individuum bleibt in radikal vereinsamender Weise zurückgeworfen auf sich selbst. Es muss, um aus dieser Isolation herauszufinden, aus seinem Selbst einen Doppelgänger erzeugen.
Die Doppelung besteht nicht nur zwischen Ich und vermeintlichen, aber selbst erzeugten Nicht-Ich, sondern auch zwischen Gefühl und Verstand. „Ich ehre Dein Herz, und Deine Bemühung, mich zu beruhigen, und die Kühnheit, mit welcher Du Dich einer eignen Meinung nicht schämst, wenn sie auch einem berühmten System widerspräche – Aber der Irrtum liegt nicht im Herzen, er liegt im Verstande und nur der Verstand kann ihn heben.“49
Das berühmte System ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Fichtes bzw. die neuen Kantianische Philosophie. Das Höchste bei Fichte ist fortan der Wille und dieser koinzidiert mit dem Glauben. Der Glaube vereint und versöhnt Selbst und Bewusstsein, Ich und Nicht-Ich, Gefühl und Verstand, Tat und Gedanke: „Dieser Wille verbindet mich mit sich selbst; derselbe verbindet mich mit allen endlichen Wesen meines Gleichen, und ist der allgemeine Vermittler zwischen uns allen. Das ist das grosse Geheimniss der unsichtbaren Welt, und ihr Grundgesetz, inwiefern sie Welt oder System von mehreren einzelnen Willen ist: jene Vereinigung und unmittelbare Wechselwirkung mehrerer selbstständiger und unabhängiger Willen miteinander; ein Geheimniss, das schon im gegenwärtigen Leben klar vor aller Augen liegt, ohne dass es eben jemand bemerke, oder es seiner Verwunderung würdige. – Die Stimme des Gewissens, die jedem seine besondere Pflicht auflegt, ist der Strahl, an welchem wir aus dem Unendlichen ausgehen, und als einzelne, und besondere Wesen hingestellt werden; sie zieht die Grenzen unserer Persönlichkeit; sie also ist unser wahrer Urbestandtheil, der Grund und der Stoff alles Lebens, welches wir leben.“50
1806 besucht von Kleist nachweislich Vorlesungen der neu gegründeten Humboldt-Universität Unter den Linden, in der Fichte Direktor ist, bevor er von Hegel abgelöst wird. Er hört folglich die Theorien über den Handelsstaat und die Geschichtsphilosophie, vor allem die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Der Aktualitätsbezug und das Politische ist ungewöhnlich und gefährlich, denn in diesem Jahr bricht im Oktober die Preußische Armee zusammen und die Franzosen okkupieren die Stadt. Zahlreiche Gewaltorgien in von Kleists Prosa bzw. Dramen sind vielleicht Augenzeugenberichten geschuldet, es herrscht Krieg mit all seinen Kollatoralschäden. Die Reden an die deutsche Nation vom Dezember 1807 hat von Kleist sicherlich zur Kenntnis genommen, sie gelten als wichtigstes Zeitdokument. Das Ziel: ein neues Menschengeschlecht.