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c) Einzelfallkasuistik und Kurierrechtsprechung
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Bei solch einer Begründung dürfte es einen Versuch des Handeltreibens eigentlich nicht mehr geben. Dennoch hat die Rechtsprechung auch nach der Entscheidung des Großen Senats Fallgruppen benannt, in denen ein bloß versuchtes Handeltreiben in Betracht komme: zum Teil wird darauf abgestellt, ob der Täter bereits Betäubungsmittel besitzt (wenn nicht, kein unmittelbares Ansetzen), was im Widerspruch dazu steht, dass der Anbauprozess als Teilakt des Handeltreibens anerkannt wird. Auch steht bis heute nicht fest, ob bereits ernsthafte Angebote ausreichen oder es zu Gesprächen gekommen sein muss. Warum ausgerechnet das fehlgeschlagene Bemühen, als Rauschgiftkurier zu agieren, einen Versuch darstellen soll,[148] bleibt fraglich; selbst wenn man den Versuch als solches ausblendet, kommt man nicht um eine Abgrenzung zum Bereich strafloser Vorbereitung umhin. Eine neuere „Errungenschaft“ der Rechtsprechung, als frühesten Bereich des unmittelbaren Ansetzens den Anbau der Betäubungsmittel anzusehen (so dass das bloße Anmieten eines Hauses zum Zwecke des geplanten Anbaus von Cannabis eine straflose Vorbereitungshandlung darstellt[149]) ist zwar in ihrer restriktiven Wirkung zu begrüßen. Die „Sperrwirkung“[150] des Anbautatbestands mutet aber zufällig an, wenn man bedenkt, dass in anderen Fällen mit weitaus weniger „Realisierungspotential“ ein vollendetes Handeltreiben bejaht wird. Jedenfalls zeigen sich – was zu begrüßen ist – vor allem in der neueren Rechtsprechung mittelfristige Auswirkungen der Entscheidung des Großen Strafsenats in Form einer grundsätzlich gesteigerten Tendenz, straflose Vorbereitungshandlungen in größerem Umfang als zuvor anzunehmen. Immer häufiger ist zu lesen, dass Handlungen „weit im Vorfeld des beabsichtigten, noch nicht näher konkretisierten Drogenumsatzes“ weder vollendetes noch versuchtes Handeltreiben darstellten. Als relevante Fallgruppen sind zu nennen: Bloße Anfragen, denen es ggf. auch an der Ernstlichkeit mangelt, Kuriervorbereitungen, Transport und Ankauf von Utensilien, die dem späteren Handeltreiben dienen sollen usw.[151] Auch der Antritt einer Fahrt in der Absicht, am Zielort Betäubungsmittel zu erwerben, soll nach einer neueren Entscheidung des Fünften Strafsenats noch kein (versuchtes) Handeltreiben darstellen, es sei denn, dem Täter ist am Zielort ein zuverlässiger Händler bekannt.[152]
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Diese restriktiven Tendenzen ändern freilich nichts an der wachsweichen Anwendung der „AT-Dogmatik“, die sich auch im Bereich der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beobachten lässt. Da eine Einheitstäterschaft als Ergebnis der Eigenhändigkeitsformel in Anbetracht der im Raum stehenden Sanktionen für die zahlreichen „kleinen Fische“ weder praktizierbar noch gewünscht ist, hat sich sehr früh (also bereits vor der berüchtigten „Kurierrechtsprechung“, vgl. im Folgenden) eine Einzelfallrechtsprechung etabliert, die sich nicht an der tatbestandlichen Ausführungshandlung und somit nicht an Tatherrschaftskriterien orientiert, sondern die Tathandlung in den Kontext des Gesamtumsatzgeschäfts stellt. Diese Tendenz wurde durch die bereits zitierte Entscheidung des Großen Senats begünstigt, indem der Rückgriff auf die Beihilfe (oder genauer: auf die obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 StGB) zur Methode erhoben wurde. Sie mündete kurze Zeit später in die einprägsam als „Kurierrechtsprechung“ bezeichnete Entscheidung des 2. Strafsenats,[153] wonach Personen, denen in der Abwicklung des „Gesamtgeschäfts“ eine eher untergeordnete Rolle zukommt (dies treffe auf Kuriere regelmäßig zu), als Gehilfen einzuordnen seien. Ähnlich wie bei der „Hemmschwellentheorie“ (beim Tötungsvorsatz) musste die höchstrichterliche Rechtsprechung kurz danach mehrmals klarstellen, dass der Rückgriff auf das „Schlagwort“ nicht genügt, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob nicht vielleicht doch eine Mittäterschaft vorliegt, mag der Beteiligte auch nur „Kuriertätigkeiten“ vorgenommen haben.[154] Schon diese Rechtsprechung lässt vermuten, dass das Schlagwort keinesfalls eine auf Anhieb bessere Zuordnung ermöglicht, sondern bei genauerem Hinsehen als plakativ-kasuistische Hülle fungiert, die im Einzelfall das „Schlupfloch“ der unvorhersehbaren Gesamtbewertung nicht beseitigt,[155] sondern allenfalls die Anforderungen an die tatrichterlichen Darstellungsanforderungen modifiziert.