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aa) Exkurs: Zur Gefährlichkeit von Cannabis

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Die überhitzte Diskussion rund um die Gefährlichkeit von Cannabis ist in Anbetracht ihres Ertrags für die gesetzgeberische Ausgestaltung wenig zielführend. Die Gefährlichkeit in bestimmten Belangen wird nicht ernsthaft in Abrede gestellt, ebenso wenig, wie der Umstand, dass mit Alkohol eine Substanz existiert, die nicht minder gefährlich sein dürfte, aber dennoch nicht verboten ist.[287] Dass es sich im Wesentlichen um eine ideologisch geführte Diskussion handelt, macht sich daran bemerkbar, dass die Autoren gegenläufiger „Lager“ (und diesbezüglich sind auch Fachleute angesprochen) im Hinblick auf die mitgeteilten Befunde/Symptome bzgl. der Schädlichkeit von Cannabis meist sehr nah beieinander liegen bzw. gar überschneiden. Zum Teil wird sogar auf dieselben Studien verwiesen, dennoch werden gänzlich andere Schlüsse gezogen, was darauf zurückzuführen sein mag, dass etwaige die eigenen Thesen relativierende Aussagen verborgen werden oder man ihnen ausgehend vom Standpunkt keine Bedeutung beimisst bzw. schlicht nicht wahrnimmt.[288] Die WHO hat in ihrem Bericht zur Neubewertung der Gefährlichkeit von Cannabis im Jahr 2018 die Wirkungen und Gefahren des Cannabiskonsums zusammengefasst,[289] wobei die zentralen Ergebnisse den bereits geschilderten Umschwung im Bezug auf die Verkehrsfähigkeit von Cannabis(produkten) weiter befeuert haben und letztlich auch in die Empfehlung mündeten, dass Präparate, welche auf reinem Cannabidiol (CBD) basieren, in den internationalen Drogenkontrollabkommen nicht mehr gelistet sein sollten.[290]

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Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit von Cannabis[291] ist schon aufgrund der Legitimation des Verbots zwischen akuten Rauschwirkungen und den Langzeitfolgen (insbesondere Entstehen einer Abhängigkeit) zu differenzieren, auf die sonstigen Faktoren (konkrete Drogenart – Haschisch oder Marihuana[292] –, Zustand des Konsumenten, Gewöhnung, situativer Kontext, Beikonsum etc.[293]) wurde bereits hingewiesen. Außerdem wird zwischen den unterschiedlichen Wirkungsbereichen (Gehirn, Hals/Lunge, Kreislauf, Muskulatur) differenziert, da die akuten wie auch Langzeiteffekte vom jeweiligen Wirkbereich der Droge abhängig sind. Die akute Rauschwirkung von Cannabis (Euphorisierung einerseits, Sedierung andererseits[294]), welche die Wahrnehmungs-und Konzentrationsfähigkeit erheblich beeinträchtigen und im Einzelfall auch zu Halluzinationen führen kann (häufig abhängig vom konkreten THC-Gehalt[295]), wird nicht mehr ernsthaft bestritten.[296] Die Droge wirkt eher beruhigend, sodass sie kaum aggressives Verhalten hervorrufen könnte,[297] doch sind unvorhersehbare Reaktionen in Form von Gewaltausbrüchen und Situationsverkennung nicht ausgeschlossen.[298] Todesfälle, die ausschließlich auf Cannabiskonsum zurückzuführen sind, wurden nicht bekannt;[299] neuere Thesen in diese Richtung wurden heftig kritisiert und zurückgewiesen, da Kausalität und Koinzidenz vermengt würden.[300]

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Da Cannabis nicht selten kumulativ mit anderen Substanzen konsumiert wird, spielt die Koinzidenz häufiger eine Rolle; Risikoprognosen und Vermutungen lassen sich somit aufstellen, ohne dass sie als vollkommen abwegig zurückgewiesen werden können. Der Nachweis der konkreten Wirkweise von Stoffen ist auch im Zeitalter evidenzbasierter Forschung bekanntermaßen ein grundsätzliches Problem der Medizinforschung,[301] mithin kein durchschlagendes Argument gegen eine behauptete Gefährlichkeit. In „reißerischen“ Zusammenfassungen der Ergebnisse ernst zu nehmender Studien werden nicht selten Assoziation, Koinzidenz und Kausalität vermengt und die Hauptaussagen der Studie aus dem Zusammenhang gerissen. So führt sich die auf rechtspolitischer Ebene beschriebene „Immunisierung“ auf Ebene der empirischen Cannabisforschung fort, wenn lediglich vorgebracht wird, dass das Gegenteil der eigenen These nicht belegt sei.[302]

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Als widerlegt kann man nur die in den siebziger Jahren verbreiteten Horrorszenarien betrachten, wonach Marihuana die Ausschüttung des Sexualhormone bei Männern und Frauen beeinträchtige, das Immunsystem erheblich schädige,[303] oder als Einstiegsdroge fungiere.[304] Diese sog. Step-Stone-Theorie ist für sich schon gesehen unergiebig, da sie nur denjenigen Teil betrifft, der überhaupt auf härtere Drogen umgestiegen ist; hier ist aber die Feststellung, ob Cannabis allein verantwortlich für diese Entwicklung war, das geringste Problem. Das Hervorrufen des Amotivations-Syndroms[305], Auswirkungen auf die Psyche überhaupt[306] oder die These von der Ursächlichkeit des Cannabiskonsums für Psychosen und Schizophrenie[307] ließen sich ebenfalls nicht bestätigen (andere Studien stellen gerade aufgrund der fehlenden Evidenz die Vermutung auf, dass der Grund für den Cannabiskonsum eine bereits bestehende Psychose bzw. genetisch angelegt sein kann[308]). Während mangels Nachweises klassischer Symptome (insbesondere Toleranzentwicklung) eine physiologische Abhängigkeit nach den ICD bzw. DSM-Kategorien eindeutig nicht bejaht werden kann,[309] geht man überwiegend von einer psychischen Abhängigkeitswirkung aus.[310]

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Umgekehrt dürfte es ebenso als gesichert gelten, dass langjährige, regelmäßige Marihuanakonsumenten Defizite der höheren Hirnfunktion zeigen (gemeint ist die ausführende Hirnfunktion);[311] hingegen ist es wiederum diesbezüglich umstritten, ob diese Schädigungen von Dauer sind mithin auch bestehen bleiben, wenn der Konsum vermindert oder gar vollständig aufgegeben wird.[312] Wohl fast ausnahmslos wird dies für den Konsum im Jugendalter bejaht,[313] wonach der frühe Cannabiskonsum zu einer Verminderung der kognitiven Leistung sowie zu einem verringerten Intelligenzquotienten führen kann.[314] Ebenso wird – ähnlich wie beim Nikotin und Zigarettenrauchen – auf ein besonders großes Risiko für die Lungen- bzw. die Atemwege hingewiesen,[315] ein erhöhtes Krebsrisiko ist bis heute allerdings ebenso nicht festgestellt.[316] Unter dem Strich wird man schon im Hinblick auf die Toxizität des Stoffes und auch seine Langzeitfolgen zugestehen müssen, dass der Stoff keinesfalls vergleichbar mit gefährlichen Narcotica wie Heroin oder Kokain ist[317] und lediglich das regelmäßige Rauchen (wie das Zigaretten- und Wasserpfeifenrauchen eben auch) zweifellos schädlich wirkt.[318]

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Damit lässt sich festhalten, dass die bisherigen Forschungsergebnisse ausreichen, um Cannabis als „gesundheitsschädlich“ zu bezeichnen, aber auch nicht mehr. Eine endgültige Festlegung ist weder zu erwarten (in Anbetracht des Umstands, dass die Frage durch das Aufkommen der Frage auf dem rechtspolitischen Tableau „ausgeschlachtet“ wurde), noch zielführend im Hinblick auf die geführte Debatte, zumal eine erhöhte Gefährlichkeit schon wegen des (in der überwiegenden Bevölkerung noch funktionierenden) Selbstschutzmechanismus einer Verbreitung der Droge eher entgegenwirken dürfte. Das spricht dafür, etwaige Feldversuche u.a. in dem Gesetzesentwurf von Böllinger/Ambos u.a. angestimmt werden,[319] zuzulassen. Darüber hinaus muss man sich losgelöst von empirischen Fallstudien und der konkreten Einordnung der Droge die wichtige Frage stellen, welchen Gefährlichkeitsgrad bzw. welches Schädigungspotenzial die Droge überhaupt aufweisen müsste, um solch ein umfassendes Verbot zu legitimieren. Denn auch Alkohol lässt sich als „gefährliche Droge“ bezeichnen. Mit anderen Worten: Man muss sich über den Maßstab verständigen, der das Totalverbot legitimiert. Was soll entscheidend sein: Bestimmte Symptome? Die akute Rauschwirkung? Das physiologische oder psychische Abhängigkeitspotential? Die kulturelle Akzeptanz der Droge[320] oder alle Faktoren kumulativ? Gerade die stetige Gegenüberstellung der Drogenprohibition einerseits und des legalen Alkohols andererseits hat den Blick für diese Frage etwas verstellt, müsste sie doch eigentlich gerade zu dieser führen.

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