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1.4. Klassik und Barock

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In Kunst und Architektur hub der letzte flächendeckende europäische Stil an, der Barock. Der Übergang von der Renaissance in den Barock verlief über den Manierismus Ende des 16. Jh.s in Italien. Der Ursprung des Barock lag, wie schon mehrfach betont, in Rom. Ich erinnere an die von Wölfflin genannte Jahreszahl 1580. Aber nicht nur der Ursprung, muss man sich beeilen hinzuzufügen, lag in Rom, sondern auch mancher Höhepunkt, etwa ein solcher der Barockmalerei. Für Deutschland nennt die Kunstgeschichte verbreitet die Jahrhundertmitte des 17. Jh.s als Beginn des Barock.

der Barock

VI.8.0.f.

Dem Künstler wurde ein bisher unbekanntes Maß an kreativer Freiheit gegenüber der Vorgabe der Natur eingeräumt. Anders als dann im Klassizismus waren jetzt Originalität und Eigenständigkeit gefragt. Das ging Hand in Hand mit einer weiteren Festigung der gesellschaftlichen Stellung des Künstlers. Um die Entstehung des Barock, wo alles aus dem Lot geriet und ekstatisch in die Übersteigerung explodierte, zu erklären, werden gerne ähnliche Ursachen angeführt wie für den Manierismus: die zahlreichen Krisen, der Primat des Genies gegenüber der Naturnachahmung, Sucht nach Originalität und Bruch mit der strengen Regelvorschrift. Auch wenn sich das kulturelle, wirtschaftliche und geopolitische Kraftfeld einerseits an die Atlantikküste, andererseits in den Norden verschoben hatte, wenn neben die römische Wurzel – auch in der Kunst – eine nordische trat, blieb Rom noch lange ein Kraftfeld des Geistes, das über ganz Europa strahlte. Erst ab der Mitte des 18. Jh.s übernahmen Frankreich und England die kulturelle Führung.


463 San Nicolò (18. Jh.); Noto, Sizilien


464 Sta. Croce (1695); Lecce


465 Barockkirche; Scicli, Sizilien

Stärker als die Renaissance und anders als der einheitliche Manierismus, wurde der Barock ein gesamteuropäisches Phänomen mit reicher stilistischer Differenzierung, ja geradezu eigenständiger Entwicklung von lokalen Prägungen. Was damit gemeint ist, wird deutlich, wenn man die lokale barocke Architektur in Rom, Lecce in Apulien, Noto und Ragusa auf Sizilien, in Santiago de Compostela, Paris, Süddeutschland, Russland, in Skandinavien, jene auf dem Maltesischen Archipel oder gar die Formen in der Neuen Welt (Paraguay, Mexiko, Brasilien) miteinander vergleicht. Diese lokalen Traditionen sind auch in der Bildhauerkunst und der Malerei so prägend, dass es bisweilen leichter fällt, »[…] Bilder des 17. Jahrhunderts als römisch, französisch oder spanisch zu bestimmen, als sie einem Zeitstil zuzuordnen.« Umgekehrt führt das in der Kunstgeschichte immer wieder zu Qualitätsdebatten darüber, inwieweit einzelne Künstlerpersönlichkeiten ihre lokale Tradition gesprengt und eine gesamteuropäische Wirkung erzielt haben. Eine Einschätzung, die jedenfalls für solch herausragende Figuren wie Rubens, Velázquez, Poussin oder Rembrandt gelten mag.

Hubala 1970, 12

In Rom entwarfen die Päpste, angefeuert durch das neue Selbstbewusstsein nach dem Konzil von Trient, die ehrgeizige Vision einer weltumspannenden katholischen Metropole. Die repräsentative barocke Rhetorik der Formen eignete sich sowohl für Sakralgebäude als auch für Stadtpaläste und Villen der Adelsfamilien und Kardinäle.

Die skulpturale Kunst ließ sich in den Dienst der Gegenreformation stellen. Sie war besonders geeignet, der Glaubenslehre einen greifbaren Körper zu geben. Der mystische Leib der katholischen Kirche wurde wegen seiner Haptik zu einem scheinbar bezwingenden Argument in dem mit der Reformation ausgebrochenen Wettbewerb der Konfessionen. Es war dies ein besonders reizvoller Impuls für die Kunst und spielte auf einer anderen Ebene als auf jener des subtilen mittelalterlichen Bilderstreits.

mystischer Leib

Trotz dieser Anwendbarkeit des Barock für die Gegenreformation kann diese nicht als zentraler Träger oder gar als Auslöser des Barock angesehen werden. In der Musik schufen große Figuren des Protestantismus wie Heinrich Schütz, Georg Friedrich Händel oder Johann Sebastian Bach barocke Kunstwerke und der Barock in bildender Kunst und Architektur blühte auch in protestantischen Gebieten. Ebenso mahnt der Vergleich verschiedener barocker Kulturen, etwa jener von Süddeutschland und Österreich des 18. Jh.s mit Frankreich oder Preußen, zur Vorsicht gegenüber einer solchen Gleichschaltung. Aufklärung und Libertinage hier, Katholizismus mit Jesuitentheologie und üppigem Wallfahrtswesen dort. Hier prallen geradezu unvereinbare Lebensanschauungen unter dem gleichen Kunst- und Kulturstil aufeinander. Freilich schwenkte das aufgeklärte, sich dem Rationalismus und Empirismus öffnende Frankreich bald auf die Linie des Klassizismus ein. Um 1700 hatte der Barockstil den Geruch des Katholischen endgültig verloren. Er war zu einem europäischen Stil geworden, dessen höfische Eleganz und Repräsentationsmetaphorik sich eher mit Friedenshoffnungen verband. Umgekehrt ist auch die Meinung nicht haltbar, dass die Gegenreformation die Entwicklung der bildenden Künste ernsthaft behindert hätte. Selbst in den calvinistischen Niederlanden, wo es einen heftigen Bildersturm gegeben hatte, entwickelte sich die Kunst wieder kräftig. Es war naturgemäß weniger eine sakrale als mehr eine profane Kunst, weil der Bedarf an kirchlichen Kunstwerken nicht mehr groß war.

Luther selbst stand der Kunst neutral gegenüber, unterschied sich damit kaum von der Amtskirche. Er verurteilte den Bildersturm 1521 in Wittenberg. Allerdings war er sensibel gegenüber einer Instrumentalisierung der Kunst als Propagandainstrument für die unheilige Allianz von Kirche und Staat. Auch durften Bildern und Geräten keine magischen Kräfte zugeschrieben werden. Sie mussten einzig der Belehrung und Erbauung dienen und durften nicht zur Verehrung missbraucht werden. Und schließlich sollte neben das Bild das Wort treten mit dem Ziel, das Bild letztlich zu ersetzen. Denn das eigentliche Bild war für die Protestanten das durch das Wort evozierte geistige Bild. Trotz dieser Programmatik gab es manche lutheranische Kirche mit so reicher Ausstattung, dass sie ebenso gut von der katholischen Seite hätte verwandt werden können.

VI.2.0.

Werner Hofmann hat vor diesem Hintergrund 1983 mit einer von ihm kuratierten Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle (Luther und die Folgen für die Kunst) eine prägnante These exponiert. Demnach habe Luther durch die Indifferenz gegenüber dem Bild dieses auf eine frühe Rezeptionsästhetik hin befreit und damit Kunst in ihrer eigentlichen Rolle gestärkt. Calvin und Zwingli, die Bilder aus den Kirchen entfernen ließen, hätten damit einen Akt der »Befreiung« solcher Kunst gesetzt. Zudem habe der protestantische Primat des Wortes die Bilder auf den Weg ihrer Entsinnlichung gebracht bis hin zur abstrakten Kunst des 20. Jh.s, während die katholische Tradition die Grenzüberschreitung inaugurierte, die bis zur Blasphemie, zum Surrealismus oder Wiener Aktionismus reichte.

Hofmann Werner in Kat. 1983, 47

IX.2.1./IX.5.2.6.4.

Nicht ganz zu Unrecht hat Günter Rombold mit Hinweis auf die Komplexität der Entwicklung der Kunst die These Hofmanns trotz grundsätzlicher Sympathie für sie relativiert. Die modernen Kunstströmungen sind wohl um einiges differenzierter zu sehen; der Umschlag von abstrakter in sogenannte konkrete Kunst ist ein solches Beispiel. Zudem dürften die Unterschiede in der Bildauffassung zwischen Luther auf der einen und Calvin und Zwingli auf der anderen Seite schärfer gewesen sein als Hofmann das sieht. Für Luther erstreckte sich – anders als bei Calvin und (dem sehr musikalischen und mit sämtlichen Renaissance-Instrumenten vertrauten) Zwingli, die bei ihrer Ablehnung der Bilder blieben – die Freiheit des Christenmenschen letztlich auch auf die Benützung von Bildern. Dieser hat sozusagen auch im Hinblick auf das Bild »das letzte Wort.« Zuletzt regte Luther sogar eine Bebilderung der Bibel mit dem biblia-pauperum-Argument an. Es ist vielleicht erwähnenswert, dass es von Luther etwa fünfhundert zu seinen Lebzeiten gemalte Porträts gibt, während von Zwingli kein einziges unstrittiges erhalten ist. Über Rombold hinausgehend könnte man die bei aller Relativierung bedenkenswerte Überlegung Hofmanns in den größeren Zusammenhang der gegenkulturellen Aspekte von Inkarnation und Pneumatologie im Christentum eingliedern.

Rombold 1988, 42ff

IX.2.1.1..

Hofmann Werner in Kat. 1983, 50

IV.3.5.

Eine wichtige Stellung nahm im 18. Jh. das Theater ein: das große Welttheater, das Calderón so meisterhaft literarisch bespielte, und die Commedia dell’arte, das italienische Lebensspiel. Schein und Wirklichkeit gingen ineinander über wie in den damals verbreiteten Spiegelkabinetten oder auch so, wie Architektur und bildende Kunst ineinander flossen. Der preußische Schriftsteller und Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched stieß eine Reform des Theaters an. Das Stegreiftheater sollte durch theatertaugliche Dramentexte und feste Spielstätten mit professionellen Schauspielern abgelöst werden. Er erhielt einige Zeit Unterstützung für sein Anliegen von der Prinzipalin eines Wandertheaters, Caroline Neuber, die – eine bemerkenswerte Neuerung – ihre Schauspieler ausbildete, ihnen eine feste Anstellung gab und sich um eine feste Spielstätte bemühte. 1737 inszenierte sie das Stück Vertreibung des Harlekins, in dem es um die Vertreibung des alten Stegreifklamauks und mit ihm des üblen Rufs, den Schauspieler damals hatten, ging.

Theater

1.5.1.

Die neuen Drucktechniken im Buchdruck stießen analoge Verfahren im Bereich der Kunst an. Im 17. Jh. wurden der Stahlstich und die Radierung entwickelt, mit denen bereits Dürer experimentiert hatte. Sie erlebten ihre große Zeit ein Jahrhundert später. Zuerst dienten sie als Mittel zur Vermarktung von Gemälden. Spätestens mit Rembrandt waren diese Techniken zu einem eigenständigen Genre der Kunst geworden. 1798 erfand der in Prag geborene Schauspieler und Schriftsteller Alois Senefelder die Lithografie (griech. lithos/Stein, graphein/schreiben). Auch sein Interesse war ursprünglich nicht künstlerischer Art, vielmehr suchte er nach einem preiswerten Druckverfahren für Literatur und Musiknoten. Er trug die Zeichnung mit fettreicher Tusche auf Solnhofer Plattenkalk auf, feuchtete die nicht wasserabweisenden Teile der Platte an und brachte Farbe auf, die durch Aufpressen auf ein Papierblatt übertragen wurde. Der Name Lithografie für die neue Technik, die Senefelder in seinem Vollständigen Lehrbuch der Steindruckerey (1818) beschrieb, tauchte um 1800 in Frankreich erstmals auf. Erste lithografische Notendrucke stammen von Mozart. Schon bald verwandte man das Verfahren auch für künstlerische Drucke. Das Verfahren erlebte im 19. Jh. einen gewaltigen Aufschwung, weil es wesentlich effizienter war als die mühselige Arbeit an der Kupferplatte.

VI.2.0.

1.5.5.

Lithografie

Um die Wende ins 18. Jh. verschob sich das Gewicht nach Frankreich, wo die Kunstakademien ein neues Kunstideal, jenes des Klassizismus, zu verbreiten begannen. Zwar eroberte sich Frankreich dabei die Führungsrolle, doch der Klassizismus lebte von den Rückgriffen auf das antike Erbe Roms und Athens. Der Klassizismus war eine den Barock ablösende neue Stilrichtung. Dennoch riss die Kontinuität der Klassik seit der Renaissance nie ab. Insofern wäre zu überlegen, ob man nicht zwischen einer ursprünglichen Klassik und einem eher romantisch zu nennenden Klassizismus unterscheiden sollte. Ich habe diesen Gedanken in 4.2. näher ausgeführt.

Klassik und Klassizismus

Anders als in der Renaissance, wo die einzelnen künstlerischen Disziplinen Abstand voneinander wahrten, fand der Barock seine Stärke in der Versammlung der Künste in einem Gesamtkunstwerk. Auch wenn dieses Konzept in Diskussion geraten ist, wird es häufig verglichen mit einem großen Welttheater.

3.3.

Der besprochene Zeitabschnitt endete mit der Französischen Revolution 1789, einem Ereignis, das einen nachhaltigen Einschnitt und zugleich ein markantes Kennzeichen europäischer Kulturgeschichte darstellt. Kaum irgendwo sonst auf der Welt hat eine kulturelle Region eine derart lange und zugespitzte Aufklärungsgeschichte hinter sich, wie dies Europa geschafft hat.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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