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1.5.7. Russland und Osteuropa

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Im Schatten der Rivalitäten in Europa begann der Aufstieg Russlands. Das Land war orthodox geprägt, die Kirche verfügte über große Macht. Seit 1547 herrschten Zaren. Diese für das damalige Europa ungewöhnliche Herrschaftsform ist vielleicht am ehesten aus dem platonisch-byzantinischen Hintergrund und dem Fehlen einer mit dem übrigen Europa vergleichbaren nachhaltigen und tiefer verankerten Aufklärung zu verstehen. Die enge Verbindung der Zarenherrschaft mit der Kirche wurde kaum hinterfragt.

Russland war geprägt von einer durch verschiedene Kriege bedingten dynamischen Expansion an den Außengrenzen und einer gleichzeitigen Erstarrung im Inneren. Im 17. Jh. packte der nur kurz regierende, dem Westen zugeneigte Fjodor III. einige Reformen an und führte den Krieg gegen die Osmanen zu einem vorläufigen vorteilhaften Ende. Die Bedrohung aus dem Balkan schwächelte mittlerweile. Der Serail war durchzogen von undurchschaubaren Intrigen. Die Armee des Osmanischen Reichs hatte an Schlagkraft eingebüßt, aber sie stand einem zersplitterten Europa gegenüber. Daher musste sich Zar Peter I. wieder mit den Osmanen beschäftigen und der spätere Russisch-Österreichische Türkenkrieg (1736–1739) führte im Frieden von Belgrad 1739 unter Kaiserin Anna zu einer Schwächung Russlands.

Peter I., seit 1682 Zar, rief sich 1721 zum ersten Kaiser von Russland aus und führte das – nicht zuletzt durch die Abschottungspolitik der Kirche – rückständige Land aus dem Mittelalter in die Neuzeit. Gegen den Widerstand des alten Rus machte er es zu einem Mitspieler in Europa. Der Zar bereiste Frankreich (Ludwig XV. war gerade sieben Jahre alt und Peter soll ihn bei einem Empfang zum Erstaunen der Umstehenden zupackend geherzt haben), England und die Niederlande. Er interessierte sich für moderne politische Ordnungsmodelle, für zeitgemäße Verwaltungsstrukturen und knüpfte Handelskontakte. Man sagte ihm einen unbändigen Wissensdrang nach und in der Tat ließ er bei den Reisen kaum ein Museum, eine Wunderkammer oder eine Bibliothek aus. Gleich nach seiner Rückkehr gründete er 1724/25 die russische Akademie der Wissenschaften in der Stadt an der Newa.


480 Winterpalast, Akad. d. Wiss. an der Newa, Kolorierter Kupferstich (1753); ER

Bereits 1703 hatte das erste niederländische Handelsschiff im neuen Hafen der von Peter I. zu Verteidigungszwecken gebauten Peter-und-Paul-Festungsanlage auf einer Insel vor der Newa-Mündung festgemacht. 1712 designierte er St. Petersburg zur neuen Hauptstadt. Sie war – nach dem Generalplan von Alexej Andrej Kwassow von italienischen und französischen Baumeistern umgesetzt – europäischer und moderner als Moskau. Das vorwiegend aus alten Holzhäusern bestehende Moskau galt Peter als Symbol des rückständigen und unaufgeklärten Russland. Schließlich beanspruchte St. Petersburg die Nachfolge Konstantinopels als drittes Rom. Als Hofarchitekten fungierten einige Zeit der Fontana-Schüler und Studienkollege von Filippo Juvarra, Nicola Michetti, und der Schweizer Architekt Domenico Trezzini, der einige der köstlichsten Bauten wie die Peter-und-Paul-Festung und die dazugehörige Kathedrale realisierte. Man darf dies als einen schönen Beleg für die rege internationale Verflechtung im Barock werten. Auf diese Weise schwenkte das Riesenreich mit einem spätbarocken Baustil auch architektonisch sichtbar in die europäische Entwicklung ein. Alexander Puschkin nannte die Stadt ein »Fenster nach Europa«. 1918 verlegten die Bolschewiken die Zentrale wieder nach Moskau (das von Katharina großzügig umgebaut worden war, darunter der Kremlpalast), denn das imperiale Petersburg (von 1914 bis 1924: Petrograd; von 1924 bis 1991: Leningrad) war mit der aristokratischen Zeit verbunden.

St. Petersburg

Schließlich bestieg 1762 die deutsche Prinzessin von Anhalt-Zerbst durch einen Staatsstreich (Ermordung ihres Gatten) als Katharina II. den Zarenthron und setzte die im Westen gepflegten Ideale der Aufklärer und Enzyklopädisten auch in ihrem Reich um. Ihre aufklärerische Ambition war aber nicht so groß, dass sie nicht mit kräftiger Hand alle Bewegungen in Schach hielt, die in Opposition zu ihr standen. Insbesondere richtete sich ihre Repression gegen die Freimaurer. Die in regem Briefverkehr mit Voltaire (große Teile seines Werks ebenso wie jenes von Diderot sind bis heute in St. Petersburg), d’Alembert, Diderot, Montesquieu und anderen aufgeklärten Intellektuellen des Westens stehende Zarin verstand ihr Reich als »philosophische Monarchie«. Diderot beriet sie bei der Sammlung europäischer Kunst. 1764 gründete sie die Kleine Eremitage, wo ein Teil der angekauften Kunstwerke ausgestellt wurde. In den Siebzigerjahren erfuhr der Bau eine Erweiterung. Katharina holte italienische Baumeister, darunter Palladio-Verehrer, an den Hof und förderte den Baustil des Klassizismus, der allein ihren aufklärerischen und rationalistischen Idealen entsprach. Vielen Studenten wurden Stipendien für Aufenthalte in Rom und Paris gewährt, wo sie sich mit antiken Bauten und Theorien befassten. Ob dies alles nur ein »Potjomkinsches Dorf« (Graf Grigori Alexandrowitsch Potjomkin soll einer ihrer vielen Geliebten gewesen sein) einer ungebildeten und skrupellosen Intrigantin war, wie es Anatoli Marienhof in seinem desillusionierenden Roman beschrieb, oder mit Substanz betrieben wurde, ist umstritten. Denn die andere Seite war ihr Ehrgeiz, das Erbe des Byzantinischen Reichs und der orthodoxen Kirche anzutreten. In solchem Kontext kam es 1783 zur Annexion der Krim.

Katharina II.


481 Katharinenpalast; St. Petersburg

Marienhof 2003

Unbestritten ist, dass, aller Verehrung der westlichen Aufklärung zum Trotz, die Kluft zwischen diesen aufklärerischen Ideen und der slawisch-byzantinischen Tradition der russischen Kultur nie geschlossen wurde. Im 20. Jh. eskalierte der Streit zwischen den sogenannten Westlern und Slawophilen bei der Rezeption der Philosophen Hegel und Marx.

VIII.1.3./VIII.6.1.2./IX.2.2.7.

Glanzvoll war auch der Aufstieg Prags. Rudolf II. hatte seine Residenz beim Regierungsantritt von Wien nach Prag transferiert und damit den Grundstein für eine blühende höfische Kultur in Böhmen gelegt. Rudolf erlebte relativ friedliche Jahre – die feindlichen Mächte waren mit sich selbst beschäftigt – und er wusste sie zu nützen für die Förderung von Kunst, Musik und Wissenschaft. Karel van Mander bezeichnete ihn in seinem Het Schilderboeck als »größten Kunstliebhaber aller Zeiten« und Joachim von Sandrart, der pictor doctus, nannte ihn in seiner Academie einen »rechten Vater und Pflegvater der Künste und Künstler.«

Prag

van Mander, zit. nach Prange 2008, 491

von Sandrart, zit. nach Trunz 1992, 131

Rudolf regierte tolerant, bevorzugte Protestanten in seinem Beraterkreis, während er sich die Jesuiten vom Leib hielt. Seine Lebensgefährtin Katharina da Strada stammte aus gutem Haus mit niederländischen Wurzeln und einer großen Kunstsammlung. Sie war außerordentlich gebildet. Der Kaiser, der selbst fließend die lateinischen Bücher der Wissenschaft lesen konnte, holte eine Reihe von Künstlern und Wissenschaftlern an den Hof – darunter Tycho Brahe und Johannes Kepler – und baute an seinen Sammlungen, die eine große Bibliothek, Emblematiksammlung, Kunstsammlung und auch die in der Zeit üblichen Kuriositäten beinhalteten. Besonders angetan war Rudolf, »einer jener Sonderlinge, die der habsburgischen Dynastie so oft entsprossen waren«, von Okkultem und Hermetischem, das an seinem Hof breiten Raum fand. Auch wenn er für die Architektur weniger Interesse hatte, tat das einer regen Bautätigkeit keinen Abbruch. In Prag gab es im Jahre 1580 28 italienische und nur 7 deutsche Architekten, zehn Jahre später war das Verhältnis ausgewogen. Ermöglicht wurde dieser Bauboom durch erhebliche Privatvermögen und die hohen Einkünfte vieler Stifte der Benediktiner, Augustiner und Zisterzienser. Der Tod Rudolfs bedeutete einen tiefen Einschnitt im Kulturleben. Zudem wurde auch Prag ein Opfer des Dreißigjährigen Krieges und verödete.

Ashley 1983, 22

Bouwsma 2000, 160ff

Trunz 1992, 59 Hager 1968, 138

Auch in Polen waren überwiegend italienische Künstler und Architekten am Werk. Das Land geriet an mehreren Fronten durch Russland, Schweden und die Türken in schwere Bedrängnis. Dennoch taten sich immer wieder Förderer der Kultur hervor, etwa Sigismund III. Wasa, in dessen Zeit die von Jesuiten geführte Gegenreformation viele sakrale Bauwerke hervorbrachte, meist von Italienern gebaut und gestaltet. Der heldenhafte Türkenbezwinger vor Wien, Jan Sobieski, verhalf als König Johann III. dem Barock zu einem großen Auftritt in Polen. »Sein Versailles« war das Palais Wilanów bei Warschau. Unter Augugst II. und August III., die als polnische Könige auch Kurfüsten von Sachsen waren und bereits Dresden großzügig gestaltet hatten (»Elbflorenz«), wurde Warschau zu einer Architekturmetropole. Ein neues Stadtzentrum und ihr Versailles, der um 1730 errichtete Sächsische Palast (vermutlich unter Federführung Matthäus Daniel Pöppelmanns), entstanden.

Polen

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