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Juni (9)

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»Ja!?«

»Guten Tag, Frau Pelletier. Mein Name ist …«

»Ich kaufe nichts!«, antwortet die Gegensprechanlage.

»Darum geht es nicht, ich möchte nur …«

»Irgendein Freikirchler-Geschwafel brauche ich noch weniger.«

»Keine Angst. Ich möchte nur …«

»Sind Sie schwerhörig? Hauen Sie ab!«, überschlägt sich die Stimme. »Lassen Sie mich einfach in Ruhe.«

»Frau Pelletier. Ich möchte wirklich nur …«

Klick. Der Lautsprecher hat sich verabschiedet.

Heute lasse ich mich nicht abwimmeln, erinnert sich Wim an seinen Vorsatz, den er vor dem ersten Klingeln getroffen hat.

»Wenn Sie nicht sofort verduften, rufe ich die Polizei!«

»Herrgott noch mal! Jetzt hören Sie mir verdammt noch mal zu und lassen Sie mich ausreden! Ich bringe Ihnen nur etwas zurück, was Ihnen gehört!«, entgegnet Wim und ist selbst erstaunt über seine aggressive Reaktion.

Wer »Gott« und »verdammt« im gleichen Satz erwähnt, kann nicht übertrieben religiös sein. Ihr Zögern verrät ihm, dass ihre Fassade zu bröckeln beginnt. »Legen Sie es doch einfach in den Milchkasten«, gibt sie sich noch nicht geschlagen.

»No way!«

»Fremdsprachen ziehen bei mir nicht!«

»Même pas du français avec un accent? Et vous n’êtes pas curieuse de savoir ce que je veux vous rapporter?«

»Nein! Ich besitze weder wertvolle Dinge, noch vermisse ich etwas.«

»Außerdem bewundere ich Sie!«, versucht es Wim mit dem Trumpfass.

»Sie sind ja hartnäckiger als Spam-Mails, die einem ein Millionenerbe versprechen.«

»Mit dem Unterschied, dass ich kein Spam bin. Oder hat schon jemals einer bei Ihnen geklingelt?«

»Sie geben wohl nie auf!«

»Doch!«

»Dann sind wir uns ja einig.«

»Aber nicht heute!«

»Hä?«

»Heute gebe ich nicht auf. Nicht, bevor Sie mir zwei Minuten zugehört und das Teil persönlich entgegengenommen haben.«

»Die zwei Minuten sind längst vorbei, Sie Halsabschneider!«

»Ich habe kein Messer und kann kein Blut sehen.«

»Zweiter Stock.«

Mit einem müden Surren meldet sich der Türöffner.

Die Arme vor der Brust gekreuzt, steht sie zentral im Türrahmen. Zwei Haarnadeln bändigen ihre halblangen, mehr grauen als dunkelbraunen Haare. Kein Make-up, angespannte Gesichtszüge, wache Falkenaugen, Hände, die vermutlich viel über harte Arbeit erzählen könnten. Schwarzes, für ihre Statur zu großes Sweatshirt, schwarze Jeans, schwarze Socken. Einzig das kleine Grübchen in der linken Wange will nicht so recht zum ernsthaften Bild passen.

Ohne Worte überreicht Wim den Schal.

»Woher haben Sie den?«

»Von der Infoveranstaltung im Congress Center, die Sie fluchtartig verlassen haben. Was ich übrigens durchaus verstehe.«

»Ich erinnere mich nicht an Sie. Wie haben Sie mich gefunden?«, fragt Lisa nüchtern.

»Ich saß hinter Ihnen. Nicht auffallen ist eine Spezialität von mir.«

»Kam mir grad eben nicht so vor. War’s das?«

»Nein. Der Schal war ehrlich gesagt nur der Türöffner. Ich möchte Ihnen gratulieren.«

»Warum tun Sie’s nicht einfach und verduften dann wieder?«

»Herzliche Gratulation! Ich bewundere Ihren Mut, den Sie an dieser PR-Show für das Honeymoon-Projekt bewiesen haben. Sie waren die Einzige, die es gewagt hat, kritische Fragen zu stellen.«

Das rund 55 Kilo leichte Bollwerk lehnt mittlerweile am Türrahmen. Die Arme bleiben vor der Brust, aber die versteinerte Mimik entspannt sich leicht.

Überrascht, nicht unterbrochen zu werden, fährt Wim fort. »Obwohl ich schon lange nicht mehr hier lebe, stehe ich den Tourismusplänen für Grindelwald ebenfalls skeptisch gegenüber. Trotzdem hätte ich es niemals gewagt, vor so vielen Menschen eine Frage zu stellen respektive das Risiko einzugehen, von der Mehrheit ausgebuht zu werden oder all die feindseligen Blicke aushalten zu müssen. Dafür bewundere ich Sie!«

»Bevor Sie in Tränen ausbrechen und sich an meiner Brust ausweinen, gehen Sie jetzt besser wieder. Danke für den Schal.«

Ohne Grußwort schließt sich die Tür vor seiner Nase. Nicht aufgeben, jetzt, wo du schon so weit gekommen bist. Zeig’s deinem inneren Schweinehund. Beweise Mut, beschwört ihn die Du-hast-nichts-zu-verlieren-Stimme. Diese ergreift zwar ab und zu das Wort, hat aber in Wims bisherigem Leben meist den Kürzeren gezogen. So hartnäckig wie heute kennt er sie kaum. Zielstrebig klopft seine Faust an der Tür.

»Da wär noch was«, hört er sich mit überraschend fester Stimme sagen.

»Wenn Sie eine Therapeutin brauchen, sind Sie bei mir falsch. Ich habe selber genügend Probleme, die ich nicht auf die Reihe kriege. Entweder Sie verduften jetzt oder es gibt Ärger«!

»Okay! Ich setz mich auf die Treppe und warte auf den Ärger«, antwortet Wim durch die verschlossene Tür.

»Ingwertee mit Zitrone und einem Löffel Honig tönt gut. Heißes Getränk bei heißen Temperaturen passt.« Eine Viertelstunde später sitzt Wim in der schmalen Küche am noch schmäleren Küchentisch. Lisa ist selbst überrascht, dass sie weich geworden ist. Warum nicht? Schließlich führe ich in letzter Zeit öfter Selbstgespräche als Gespräche mit anderen Menschen. Außerdem sieht er nicht aus wie ein Vergewaltiger; und im Notfall bin ich mit einem Handgriff am Messerblock neben dem Herd, beruhigt sie sich.

Der Small Talk erschöpft sich schnell. Fragen nach Beruf, Herkunft, Familie und so weiter meidet Wim – nach dem harzigen Start absichtlich. Erst als sie das Thema der anhaltenden Trockenheit und deren Auswirkungen auf Mensch und Natur aufgreifen, ergibt sich so etwas wie ein richtiges Gespräch. Was den Klimawandel betrifft, sind sie sich einig. Den geteilten Frust über die Ignoranz – oder ist es Dummheit? – einer Mehrheit der Bevölkerung anzusprechen, wirkt befreiend. Skeptisches Abtasten weicht langsam konzentrierter Neugier.

»Sie haben gesagt, dass da noch was ist. Ich denke, es wäre nichts als fair, die Katze jetzt aus dem Sack zu lassen.«

Kommentarlos greift Wim in seine Veston-Tasche.

»Haben Sie davon gehört?«

Lisa starrt auf den Zeitungsartikel. Innert Sekunden wechselt ihre Gesichtsfarbe, die Nasenflügel weiten sich, Halsschlagader und Kehlkopf treten hervor. Mit einem von Verachtung triefendem Blick fixiert sie Wim.

Na bravo. Zurück auf Feld eins, interpretiert er.

»Wieso fragen Sie, wenn Sie es wissen? Und ich naive Kuh lasse mich von Ihrem Gesülze einlullen«, lacht sie sarkastisch über sich selbst. »Wer schickt Sie? Heinz Grob, Luke Mischler, die Gemeinde? Falls Sie ein Schnüffler vom Sozialamt sind, haben Sie sich zu früh gefreut. Denn noch bin ich kein Sozialfall. Oder sind Sie ein Journalisten-Heini, der auf eine exklusive Katastrophen-Story hofft? Je krasser und schlechter, desto besser! Das ist doch das, wonach die Gesellschaft lechzt. Hauptsache, den anderen geht’s noch dreckiger und verschissener als einem selber. Wissen Sie was? Sie sind noch viel widerlicher als die Leute, die versuchen, mir die Schuld zuzuschieben, mich langsam, aber sicher fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Hätte ich heute schon was gegessen, würde ich nichts lieber tun, als auf Ihren Schoß zu kotzen, Sie asoziales Arschloch!«

Drei tiefe Atemzüge.

»Ihnen bleiben genau fünf Sekunden, meine Wohnung zu verlassen. Außer Sie wollen die Geschichte mit einem Mord aufpeppen. Darüber werden Sie aber weder schreiben noch lesen können!«, beendet Lisa ihre Explosion, die rechte Hand zitternd am Messerblock.

»Wim Peter – Biogewürze«, steht auf der Visitenkarte neben dem Zeitungsartikel. Dann fließen die Tränen.

Schweizer Wasser

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