Читать книгу Die Kinder der Sonne/Die Nomaden der Meere - Bernhard von Muecklich - Страница 16

Kapitel 7

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Luvbrassen belegen! Klar bei Leebrassen!«

Laruna hielt das Ruder mit beiden Händen und achtete darauf, dass ihre Befehle sofort befolgt wurden.

»Obacht! Jetzt! An die Leebrassen! Los, bringt es an den Wind!«

Das Segel erschlaffte kurz, als es aus dem Wind kam, dann drehte die Rah nach Lee und das Segel bauschte sich erneut vor dem kräftig aus Südwest blasenden Wind.

Es ging wieder nach Hause.

Als Tarkon an diesem Morgen wieder am Heiligtum eingetroffen war, hatte er seine Gefährten schon in Aufbruchstimmung vorgefunden, und die meisten von ihnen, darunter natürlich vor allem Laruna, Urms und Rullo, waren schon zum Strand herabgestiegen, um mit ihren Besatzungen die Boote wieder seetüchtig zu machen.

Die drei Tage ihrer Initiation lagen nun hinter ihnen, sie hatten die ihnen auferlegten Prüfungen erfolgreich bestanden, und ein jeder von ihnen hatte Gelegenheit gehabt, sich in Meditation, Gebeten und Visionen und nicht zuletzt auch im persönlichen Gespräch mit Moruns auf seinen zukünftigen Lebensweg als Erwachsener vorbereiten zu können. Jetzt segelten sie wieder zurück in ihre Heimatdörfer, um dort feierlich vor der Dorfgemeinschaft die Kleidung der Erwachsenen anzulegen und ihre Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen.

Alle waren in heiterer und ausgelassener Stimmung und freuten sich auf die bevorstehende Wettfahrt, vor allem aber lockte sie die Aussicht auf das opulente Festmahl, das sie zu Hause erwarten würde.

Auch Tarkon, der seine dunklen Gedanken mittlerweile vollständig aus seinem Herzen verbannt hatte, ließ sich nur zu gerne von der übermütigen Euphorie seiner Gefährten anstecken.

Doch bevor er zum Strand hinunterging, hatte er noch einmal Moruns aufsuchen wollen.

Er hatte die Halle gerade betreten, als seine Aufmerksamkeit auf die untersetzte Gestalt Urms’ gelenkt wurde, der einsam vor dem Kultwagen stand und die große Bronzescheibe anstarrte.

»He, was ist? Da draußen lacht die echte Sonne! Komm, sonst verpasst du noch die Abfahrt«, hatte Tarkon fröhlich gerufen und Urms in die Seite geknufft. Da erst hatte er den abweisenden und mürrischen Gesichtsausdruck des Freundes bemerkt und sich nun doch etwas beunruhigt vor ihn hingestellt.

»Was hast du? Ist dir irgendetwas passiert, was ich wissen sollte?«, war er in ihn gedrungen, doch Urms hatte nichts darauf erwidert, noch schien er Notiz von der Anwesenheit Tarkons genommen zu haben.

»Hör mal, ich bin dein Freund! Ich meine, mir könntest du doch wenigstens ...«

»Tu mir den Gefallen und verschwinde!«, hatte Urms nur, Tarkon das Wort abschneidend, gezischt, dann war er wieder in Schweigen versunken.

Mit einem verständnislosen Schulterzucken und auch ein wenig beleidigt hatte Tarkon ihn darauf stehen lassen und war zu Moruns gegangen, der sich in seine Kammer zurückgezogen hatte, um vor der Abfahrt seiner Schützlinge noch etwas auszuruhen.

Als Tarkon eintrat, lag Moruns mit geschlossenen Augen lang ausgestreckt auf seinem Bett.

»Ah, Tarkon!«, hatte er ihn begrüßt. »Bist du wieder gekommen, um Fragen zu stellen?«

»Ja ... äh ... nein, ich wollte vielmehr ...«

»Du wolltest dich persönlich von mir verabschieden und mir Dank für meine Ratschläge sagen, nicht wahr?«

Für einen Moment musste Tarkon ziemlich verblüfft dreingeschaut haben, denn Moruns hatte laut zu lachen angefangen, während er gleichzeitig mit einem Satz von seinem Bett aufgesprungen war.

»Tarkon, Tarkon, du bist wirklich von besonderer Art!«, hatte er immer noch lachend gesagt. »Ich muss zugeben, dass ich sehr gespannt darauf war, dich kennen zu lernen, nach allem, was ich von deinem Vater und zuletzt noch von deinem Großvater über dich erfahren habe.«

Die letzten Worte Moruns’ hatten Tarkon aus seiner anfänglichen Verlegenheit gerissen und stattdessen seine Neugier geweckt. Zum einen fragte er sich natürlich, welches Interesse der Erwählte gerade an ihm hatte, denn ihm war im Nachhinein sehr wohl die besondere Aufmerksamkeit aufgefallen, mit der Moruns ihn die drei Tage über bedacht hatte. Zum anderen ergab sich hier vielleicht die Gelegenheit, etwas über das Schicksal seines Vaters zu erfahren, nachdem Moruns erwähnt hatte, dass er den Verschollenen gekannt hatte.

Moruns schien die Gedanken Tarkons erraten zu haben, denn er war unvermittelt wieder ernst geworden und hatte ihn eine Weile nachdenklich, die gefalteten Hände vor den Lippen, betrachtet.

»Ich hatte dir – wie übrigens auch den anderen – bereits zu verstehen gegeben, dass du von mir weder Hinweise auf deine Bestimmung noch eine Deutung deiner Visionen, die dir hier zuteil wurden, zu erwarten hast. Aber da du dich bei den Prüfungen, die euch hier auferlegt wurden, auf so außergewöhnliche Weise bewährt hast, erscheint es mir notwendig, dir jetzt schon etwas über dich zu offenbaren, was du bei allen Entscheidungen, die du zukünftig treffen wirst, immer beachten solltest.

Man hat euch gelehrt, dass unser Volk schon seit Menschengedenken an dieser Küste beheimatet ist. Aber das entspricht nicht der Wahrheit, denn ursprünglich lebten unsere Vorfahren in den waldreichen Tälern, die sich zwischen den hohen Bergen im fernen Süden erstrecken. Vielleicht reichten die Erträge des kargen Bodens nicht mehr für die Ernährung aller aus, vielleicht kamen fremde Eroberer, niemand weiß es. Auf jeden Fall verließ irgendwann ein großer Teil des Volkes die heimatlichen Täler und machte sich auf den beschwerlichen Weg nach Norden auf, weil fahrende Händler ihnen erzählt hatten, dass es dort reichlich Land mit fruchtbaren Böden und saftigen Wiesen für das Vieh gäbe. Aber ihre Wanderung sollte lange dauern, denn immer, wenn sie gutes Land gefunden hatten, mussten sie feststellen, dass dort schon andere Völker siedelten, die ihren Besitz gut zu verteidigen wussten.

Schließlich gelangten sie an diese Küste, doch auch hier trafen sie auf Menschen, die in Dörfern lebten und Ackerbau trieben. Diese Menschen aber kannten nicht den Gebrauch von Metall, sondern fertigten ihre Geräte aus Holz und Feuerstein. Auch das Pferd war ihnen unbekannt. Ihre Toten begruben sie in Kammern, die sie aus mächtigen Steinen erbauten, und darüber türmten sie Erde. Du kennst ja die Reste dieser gewaltigen Grabstätten.

Unsere Vorfahren, durch die lange und entbehrungsreiche Zeit ihrer Wanderschaft kampferprobt geworden, hatten nun beschlossen, auf jeden Fall hier zu siedeln, zumal ihnen das Meer das natürliche Ende ihrer Landsuche aufzeigte. Und so begannen sie Krieg gegen die Steinleute zu führen, da diese nicht bereit waren, ihr Land mit den Neuankömmlingen zu teilen.

Dorf um Dorf wurde von den Unsrigen überfallen, die Bewohner, Männer, Frauen und Kinder, wurden rücksichtslos niedergemetzelt und die Häuser in Brand gesteckt. Natürlich leisteten die Steinleute erbitterten Widerstand, aber die Bronzewaffen unserer Ahnen, vor allem die ihnen ebenfalls unbekannten scharfen Schwerter, waren ihren primitiven Steinbeilen und Speeren im Nahkampf weit überlegen.

In ihrem blinden Siegesrausch trieben unsere Vorfahren die überlebenden Steinleute wie Vieh vor sich her bis ins Meer, wo sie dann jämmerlich ertranken. Nur wenigen gelang die Flucht in ihren kleinen und kaum seetüchtigen Einbäumen, die sie zum Fischfang benutzten.

Dabei geschah es, dass ein alter Mann sich aus der dem Tode geweihten Schar in den Fluten löste und mit ausgebreiteten Armen langsam wieder auf die am Strand harrenden Reihen der Unsrigen zustrebte und sich dicht vor ihnen hinstellte.

»Ihr habt uns unser Land genommen und zuletzt unser Leben. Dafür verfluche ich euch!«, hatte er ihnen mit brüchiger Stimme zugerufen. »So, wie ihr uns im Meer ertränkt habt, wird der Tag kommen, da das Meer zu euch kommt und euch dieses Land wieder nimmt und eure Nachkommen unter sich begraben wird. Nur wenige von euch werden dieses Unheil überleben und auch sie, wie deren Nachkommen, werden für lange Zeit Gefangene des Meeres bleiben. Fried- und ruhelos werden sie von Küste zu Küste irren und dabei ständig die furchtbaren Schrecken des Krieges erfahren.

Und selbst wenn die Heimatlosen irgendwann doch wieder eine neue Heimat finden sollten, werden sie sich nicht lange daran erfreuen können, denn fremde Heere werden über sie herfallen und ihre neu entfachten Herdfeuer wieder zum Erlöschen bringen.

Und wie nur noch die steinernen Gräber unseres Volkes dereinst an uns gemahnen werden, so werden zuletzt auch nur eure Grabhügel übrig bleiben und daran erinnern, dass es euch gegeben hat!«

Nachdem der Alte dies verkündet hatte, wandte er sich um und schritt stumm und unbehelligt von unseren Kriegern, die unter dem Bann der fürchterlichen Prophezeiung wie gelähmt waren, wieder zurück in die Wellen, die schon bald über seinem weißhaarigen Kopf zusammenschlugen.

Die Zeit verging, aber der Fluch des alten Mannes blieb in unserem Gedächtnis bewahrt und wurde von den Ältesten unseres Volkes über die Generationen hinweg zur mahnenden Erinnerung weitergegeben.

So kam es, dass unser Volk sich mehr und mehr mit den Gesetzen des Meeres vertraut machte und von den Seehändlern der südlichen Meere die Kunst des Schiffbaus erlernte, um, sollte jemals diese Katastrophe über uns kommen, den Gewalten des Meeres nicht ganz hilflos ausgesetzt zu sein.

Nun mehren sich aber die Zeichen, dass der unheilvolle Tag nicht mehr so fern ist, an dem sich die düstere Weissagung des Alten erfüllen soll.

Immer häufiger werde ich von unheilvollen Visionen heimgesucht, in denen ich eine gewaltige Flutwelle schaue, die unaufhaltsam auf unsere Küste zurast und, alles Leben unter sich begrabend, über unser Land hinwegbrandet.

Ich sehe die Überlebenden mit langen Wagentrecks und auch mit ihren Schiffen nach Süden fahren, einem ungewissen Schicksal und einer ungewissen Zukunft unter einer heißen, fremden Sonne entgegen.

Vor langer Zeit wurde von einem meiner Vorgänger in diesem heiligen Amt geweissagt, dass einst, wenn die Zeit reif ist und sich der Fluch erfüllen soll, ein Mann geboren wird, dem es beschieden sein wird, die reichen Länder des südlichen Meeres zu bereisen, weiter, als es unsere Händler jemals gewagt hatten. Und wenn er zurückkehrt, wird eine Frau an seiner Seite sein, die an den Ufern des mächtigen Stromes geboren wurde, der durch das goldene Reich jenseits des Südmeeres fließt. In diesem Land wird der männliche Aspekt der Sonne als Gott verehrt, und die Könige nennen sich stolz Söhne des Sonnengottes. Die Frau, die hierher kommen wird, ist eine Tochter aus dem Hause des Königs und trägt das Erbe ihres göttlichen Ahnherren mit sich. So wird sich in der Ehe der beiden der weibliche und der männliche Aspekt der Sonne glücklich verbinden, und aus dieser Verbindung werden Kinder hervorgehen, die die Reste unseres Volkes und seiner Kultur über das Meer in das Reich des Sonnengottes führen, um dort eine neue Heimat zu suchen.

Sie werden ein Geschlecht von Seekönigen gründen und unserem Volk einen Namen geben, welcher die Vereinigung unserer Mutter Sonne mit dem strahlenden Gott des Südens symbolisieren wird.

Ich weiß von deinem letzten Traum, und ich sage dir, dass du Ihn suchen und finden musst, auch wenn er noch so weit entfernt von hier leben sollte; denn Er ist, wie du in direkter Linie von unserer Mutter Sunna abstammst, ein reinblütiger Spross seines Gottes, und er ist dein Bruder im Geiste.

Und erst wenn du ihn gefunden haben wirst, darfst du hierher zurückkehren und eine Familie gründen.

Dies muss geschehen, damit du die Länder und Völker des südlichen Meeres kennen lernst, denn deinen Nachkommen ist es offenbar bestimmt, unser Volk dereinst in eine neue Heimat zu führen.

Vielleicht werden du und ich die Erfüllung des Fluches nicht mehr erleben, bestimmt aber unsere Kinder oder Enkel.

Und deshalb rate ich dir, alles anzunehmen, was dir auf deinem weiteren Lebensweg widerfahren wird, denn alles, was heute geschieht und dir vielleicht unverständlich, ungerecht oder gar schmerzhaft erscheinen wird, mag morgen eine verständliche Erklärung finden.

Nun geh und lebe wohl, bis wir uns wieder sehen.«

Nach diesen Worten hatte sich Moruns abrupt abgewandt, und Tarkon hatte das Zimmer nachdenklich verlassen.

Zum einen hatten die Worte des Erwählten, wie auch sein letztes Traumbild, ihm zwar unmissverständlich klar gemacht, dass sein ursprünglich gefasster Entschluss, nach seiner Rückkehr Laruna zu heiraten und den väterlichen Hof zu übernehmen, wohl für die nächste Zeit gegenstandslos geworden war, zum anderen aber konnte und wollte er sich sein zukünftiges Leben ohne die Liebe und die Nähe Larunas nicht vorstellen.

Er hatte sich an das sonderbare Verhalten Larunas erinnern müssen, was ihm während der letzten Tage so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte. Vielleicht hatte auch sie in ihren Träumen erfahren müssen, dass ihnen zunächst die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben verwehrt bleiben sollte.

Den ganzen Weg zum Strand hinunter hatte er angestrengt versucht, eine Lösung für diesen Konflikt zu finden, doch als er dann bei seinen Gefährten angelangt war, die gerade dabei waren, die Schiffe zu Wasser zu bringen und seetüchtig zu machen, hatte er, angesteckt von deren Fröhlichkeit, für sich beschlossen, dem Rat Moruns’ zu folgen und dem Schicksal einfach seinen Lauf zu lassen.

Jetzt befanden sie sich also wieder auf der Rückreise, und da dabei gleichzeitig eine Wettfahrt zwischen den drei Booten ausgetragen wurde, arbeiteten alle an Bord sehr konzentriert, denn bei den oftmals rasch aufeinander folgenden Segelmanövern musste jeder Handgriff sitzen, um das Schiff ohne größeren Zeitverlust an den Wind zu bringen.

Larunas letzter Befehl zum Halsen wurde deshalb auch von der mittlerweile gut aufeinander eingespielten Mannschaft schnell und exakt ausgeführt, und das Schiff jagte nun in leichter Schräglage hart am Wind über die gischtenden Wellenkämme.

Tarkon verließ seinen Platz an den Brassen und begab sich zum Achtersteven, um Laruna ein wenig Gesellschaft zu leisten, denn er hatte ja in den letzten Tagen kaum Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen.

Der Schiffskörper stampfte bedingt durch den hohen Wellengang, ganz erheblich auf und nieder und Tarkon hatte einige Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

Als er sich dann endlich an der Reling und an Tauen hangelnd bis zu Laruna vorgearbeitet hatte, wurde er von ihr in unerwartet guter Laune begrüßt.

»Na, mein Schatz, das ist ein Wind, was? Wenn der anhält, gewinnen wir das Rennen spielend!«, rief sie ihm lachend zu.

Laruna stand mit leicht gespreizten Beinen am Ruder, um so die schlagenden Bewegungen des Rumpfes besser abfedern zu können.

Ihre Haare wehten ihr ums Gesicht, und ihre Augen blitzten ihn übermütig an.

»Schau, die anderen kommen kaum hinterher!«, sagte sie lachend und wies mit der Linken nach achtern.

Tarkon blickte sich um und gewahrte die beiden anderen Schiffe jeweils in Backbord und Steuerbord in ziemlichem Abstand achteraus folgend.

Die heilige Insel war am Horizont nur noch als winziger Punkt auszumachen, der schon bald verschwunden sein würde.

Dagegen tauchte voraus allmählich der schmale Streifen der heimatlichen Küste aus dem Meer auf.

Ziel der Wettfahrt war eine der Küste vorgelagerte große Sandbank, und wer sie als Erster passierte, war Sieger.

Tarkon musste schmunzeln, als er sich vorstellte, wie gerne Rullo und Urms in dieser Situation an ihren Booten die Riemen ausbringen lassen würden, um mehr Fahrt aufnehmen zu können, aber das war ihnen durch die strengen Regeln, die für das Rennen bestimmend waren, ausdrücklich verboten, es sei denn, es herrschte absolute Windstille.

Da das Boot unter dem Druck, den der kräftige Wind auf das Segel ausübte, jetzt bedenklich nach Lee zu krängen begann, befahl Laruna die Besatzung zum Ausgleich nach Backbord.

»Na, los! Das gilt auch für dich!«, sagte sie knapp zu Tarkon und wies ihm mit einer energischen Bewegung ihres Kinns die Richtung.

Tarkon beeilte sich trotz seiner leisen Enttäuschung, mit ihr wiederum kein Gespräch geführt zu haben, ihrem Befehl nachzukommen, und nachdem er seinen Platz an der Bugreling eingenommen hatte, warf er einen liebevollen Blick auf Laruna und bewunderte um ein anderes Mal ihre Überlegenheit, mit der sie das Schiff und die Mannschaft führte.

Ein jubelnder Aufschrei seiner Gefährten riss ihn unvermittelt aus seinen Gedanken.

»Da, seht! Urms’ Boot! Da geht ihr Segel!«

Tarkon reckte sich und spähte über Steuerbord nach achtern.

Tatsächlich. Jetzt konnte er es auch sehen: Die Rah von Urms’ Boot war gebrochen, und das Segel flatterte zerrissen und haltlos im Wind.

Für Urms und seine Mannschaft bedeutete dieses Missgeschick auf jeden Fall das vorzeitige Ende der Wettfahrt.

Das havarierte Boot fiel schnell ab, und das Letzte, was Tarkon noch beobachten konnte, war, dass Urms beidrehen und die Riemen ausbringen ließ.

Tarkon wandte sich wieder um, beugte sich leicht über die Reling und hielt jetzt nach Rullos Boot Ausschau.

Überrascht stellte er fest, dass es bereits ziemlich nah achterlich aufgekommen war und nun ansetzte, Larunas Boot zu überholen.

Es war offensichtlich, dass Rullo zu der alten List gegriffen hatte, während der ersten zwei Drittel des Weges absichtlich langsamer zu segeln, um so seine Konkurrenten in der gefährlichen Sicherheit zu wiegen, dass sein Boot die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht habe, und erst im letzten Drittel die wahre Schnelligkeit seines Seglers unter Beweis zu stellen.

Mit einem geschickt ausgeführten Segelmanöver brachte Rullo schließlich sein Schiff in Luv hart querab zu Larunas Boot, sodass er ihr buchstäblich den Wind aus den Segeln nahm.

»Du verdammter Bastard, du!«, ereiferte sich Laruna. »Ich werde dich lehren! ...«

Mit einem wütenden Aufschrei drückte sie das Ruder nach Steuerbord, woraufhin das Boot ruckartig nach Backbord einschwenkte und Rammkurs auf Rullos Fahrzeug nahm.

»An die Brassen! Bringt mir das Segel nach Lee!«, rief sie mit überschlagender Stimme.

Doch es war schon zu spät.

Das Segel flappte windlos an der Rahe, und Rullos Boot schoss unbeschadet an ihnen vorbei.

»Wir sehen uns bei der Sonnenfeier, Laruna!«, hörte Tarkon Rullo höhnisch lachen.

»Wart’s ab!«, zischte Laruna. »Die Wettfahrt ist noch nicht zu Ende!«

Nachdem sie wieder auf Kurs gegangen war, nahm das Boot zwar rasch wieder Fahrt auf, doch das unbeherrschte Handeln Larunas hatte sie Zeit gekostet, sodass es fraglich erschien, ob sie den mittlerweile erheblich gewordenen Abstand zu Rullos Schiff aufholen würden.

Die beiden Fahrzeuge flogen förmlich über die Wogen, und Laruna gelang es auch, bis auf die Hecklinie zu Rullos Boot aufzuschließen, aber da war die Sandbank auch schon fast erreicht.

Die Spannung, wer den Sieg davontragen würde, war bei den beiden Mannschaften inzwischen unerträglich geworden, und sie machten sich mit anfeuerndem Gejohle und mit wüsten gegenseitigen Beschimpfungen Luft.

Aber schließlich war es doch Rullo, der mit nur einer Buglänge Vorsprung die Zielmarke passierte.

Die beiden Schiffe drehten bei und gingen längsseits.

Obwohl die unterlegene Besatzung ihre Enttäuschung offen im Gesicht trug, gratulierte sie den jubelnden Siegern.

Nur Laruna stand mit versteinerter Miene am Ruder und schaute ostentativ in eine andere Richtung.

»He, Laruna«, rief Rullo fröhlich herüber. »Jetzt sei doch kein Spielverderber! Es konnte nur einer gewinnen!«

Mit aufreizender Langsamkeit wandte sie sich ihm zu und sah ihm mit zusammengekniffenen Augen ins Gesicht.

»Ja, ja!«, herrschte sie ihn an. »Aber mit ganz miesen Tricks! Du glaubst wohl nicht im Ernst daran, dass du dich unter normalen Umständen mit mir hättest messen können, oder? Mein Boot hat nämlich nicht nur die besseren Segeleigenschaften, seine Lenkerin verfügt auch noch über weit mehr seemännisches Können als du!«

»Das mag wohl sein«, entgegnete Rullo darauf betont gelassen. »Aber wieso hat sich dann die kluge Laruna dazu hinreißen lassen, ihr Boot zu wenden und auf Rammkurs zu gehen?«

Rullo hatte mit seinen Worten den wunden Punkt bei Laruna getroffen, denn wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass sie einfach für einen Moment die Nerven verloren und sich mit diesem zeitraubenden und zudem gänzlich unnötigen Manöver letztendlich um den Sieg gebracht hatte.

Ihr Ehrgeiz hatte eine vermeidbare Schlappe hinnehmen müssen, die ihr bisweilen überspanntes Selbstwertgefühl empfindlich verletzt hatte.

Tarkon, der wie die anderen das Wortgefecht der beiden Schiffsführer gespannt verfolgte, kannte Laruna zu gut, um nicht zu wissen, wie schwer es ihr unter diesen Umständen fiel, ihren Fehler einzusehen und Rullo den Sieg zu gönnen.

Am liebsten wäre er jetzt zu ihr gegangen und hätte sie in die Arme genommen, aber nach der Erfahrung, die er mit ihr bei den Klippen auf der Insel gemacht hatte, zog er es vor, damit zu warten, bis sie wieder zu Hause waren und sich eine Gelegenheit ergeben würde, endlich einmal allein und ungestört zu sein.

In Rullos Gesicht erschien auf einmal ein breites Grinsen.

Er hob seine Hände wie abwehrend halb über den Kopf und verneigte sich leicht gegen Laruna.

»Lass es gut sein, Laruna!«, sagte er begütigend. »Ich habe dich ausgetrickst, und du hast einen Fehler gemacht. Wärst du, statt mich rammen zu wollen, auf Kurs geblieben, hättest du mich leicht wieder einholen und letztlich sogar gewinnen können, denn dein Schiff ist wirklich besser als das meine, und – auch das gebe ich hier vor allen neidlos zu – du bist die bessere Schiffsführerin! Sagen wir also, es ist unentschieden ausgegangen, und wenn du willst, wiederholen wir beizeiten das Rennen.«

Es dauerte einen Moment, bis auch der Letzte sich der Bedeutung dieser unerwartet großherzigen Worte des ansonsten eher als bärbeißig geltenden Rullos bewusst gemacht hatte, aber dann begannen alle auf einmal in die Hände zu klatschen und begrüßten das Angebot Rullos mit lautstarken Rufen der Zustimmung.

Laruna stand einfach nur fassungslos und mit offenem Mund da, während ihr die Tränen über das mittlerweile schamrot angelaufene Gesicht flossen.

Als der Beifall sich gelegt hatte, wischte sie sich die Tränen ab und sprang über die Reling auf das Deck von Rullos Boot.

Sie ging zu ihm hin und ergriff seine Hände.

»Du hast mich beschämt, Rullo!«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich habe so viel Arbeit in das Boot gesteckt, weißt du. Ich wollte meinen Vater übertreffen und wahrscheinlich auch mich selbst. Deshalb musste ich um jeden Preis gewinnen! Ich gebe meinen Fehler zu und sehe meine Niederlage als Strafe für meine Hoffart an. Wenn du aber wirklich dein Angebot aufrechterhalten solltest, so werde ich es dankbar annehmen. Ich danke dir von ganzem Herzen für diese Lektion.«

Eine solche Reaktion Larunas hatte keiner erwartet, und so erhob sich ein beifälliges Raunen aus den Reihen der Gefährten, während Rullo Laruna sichtlich bewegt in die Arme schloss und sie herzhaft links und rechts auf die Wange küsste.

Für Tarkon aber, der bei dieser Szene ebenfalls mit seinen Tränen zu kämpfen hatte, gab es nur eine Erklärung für diese merkwürdige und friedliche Wendung der Dinge.

Die Ereignisse auf der heiligen Insel hatten sie alle verändert!

Es war etwas von dem Geist der Weisheit und der Erkenntnis, der während der vergangenen Tage auf so mannigfaltige Art und Weise in ihr Bewusstsein gedrungen war.

Sie waren erwachsen geworden.

Die Kinder der Sonne/Die Nomaden der Meere

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