Читать книгу Die Kinder der Sonne/Die Nomaden der Meere - Bernhard von Muecklich - Страница 17

Kapitel 8

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Mit vielen gegenseitigen Segenswünschen und in bester Stimmung hatten sich die Gefährten voneinander verabschiedet, bevor die Schiffe wieder Kurs auf die bereits in Sichtweite voraus liegende Küste nahmen. Zuvor hatten sie darüber beratschlagt, ob sie noch auf Urms und seine Leute warten sollten, um gemeinsam die Heimfahrt anzutreten. Am Ende aber waren sie einhellig übereingekommen, dass dieses Unterfangen sinnlos sei, da das havarierte Boot sich nur mit Ruderkraft bewegen konnte, sodass sie frühestens bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause ankommen würden. Auch war kein Unwetter zu befürchten, welches die sichere Heimkehr der Havaristen beeinträchtigen könnte.

Nachdem sie noch ein kurzes Stück nebeneinander gesegelt waren, drehte Rullos Boot nach Norden ab, während Laruna auf südöstlichen Kurs ging.

Noch einmal winkten sie sich zu, dann ging Rullos Boot über Stag und war schon bald nur noch ein kleiner Punkt am Horizont.

Laruna nützte die gerade einsetzende Flut aus und steuerte das Schiff bis dicht an die Küste heran, wobei sie sorgsam darauf achtete, dass sie die tückischen Untiefen der Brandungsregion querab in Luv ließ.

Durch die auflandigen Winde getrieben, kamen sie gut voran und erreichten am späten Nachmittag die kleine Bucht, hinter deren Dünen das heimatliche Dorf gelegen war.

Kurz bevor die Bucht sich ihnen an Backbord öffnete, hatte Laruna an den Landmarken, die in regelmäßigen Abständen über die hohen Uferdünen ragten, erkannt, dass sie ihrem Ziel schon sehr nahe waren. Sie hatte daher befohlen, das Segel einzuholen und die Riemen auszubringen.

Als sie dann die schmale Fahrrinne in die Bucht hineinruderten, sahen sie zu ihrer freudigen Überraschung, dass sich offenbar nahezu das gesamte Dorf zu ihrer Begrüßung am Strand eingefunden hatte.

Sobald das Schiff in den seichten Gewässern der Brandungszone auf Grund gelaufen war, sprangen alle über Bord und zogen mit Hilfe der johlend herbeieilenden Dorfjugend ihr Fahrzeug bis ganz auf den Strand herauf, wo sie es wieder mit Pflöcken und Tauen sicherten.

Natürlich wurden die Ankömmlinge während dieser Arbeiten von den neugierigen Mädchen und Jungen mit Fragen überschüttet – sie hatten sich ja vordem genauso verhalten –, aber, in Anlehnung an ihre Vorgänger, schwiegen sie über Vorgänge auf der Insel. Dagegen berichteten sie umso lebhafter von dem Ablauf und Ausgang ihrer stürmischen Wettfahrt.

Nachdem sie das Schiff ordentlich vertäut hatten, verebbte das Lachen und Erzählen, und sie bereiteten sich darauf vor, nun vor die Dorfversammlung zu treten, um in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen zu werden, was ja zugleich den krönenden Abschluss ihrer Initiation bildete.

Flankiert von ihren Angehörigen und all den anderen, die sie am Strand empfangen hatten, machten sie sich in einer lockeren Prozession auf den Weg zurück ins Dorf, und während die Heimkehrer still und in sich gekehrt einhergingen, stimmten ihre Begleiter einen feierlichen Gesang an.

Als sie dann allein durch das weit geöffnete Tor des Versammlungshauses geschritten waren – ihre Angehörigen wie auch die übrigen Dorfbewohner blieben nach altem Brauch vor dem Tore stehen –, wurden sie schon von Beruns und den übrigen Mitgliedern des Ältestenrates, die vor dem langen Ratstisch an der Rückwand der Halle Aufstellung genommen hatten, erwartet.

Auf dem Tisch waren die neuen Kleidungsstücke ausgelegt worden, die sie während der nun folgenden Zeremonie aus den Händen der Ältesten empfangen würden. Ihre alten Kleider, die Kleider ihrer Jugend, hatten sie auf der Insel zurückgelassen. Nackt waren sie zurückgekehrt, um die Tracht der Erwachsenen anzulegen, nachdem sie offiziell in deren Reihen aufgenommen sein würden.

»Schließt das Tor!«, befahl Beruns, und sofort wurden die beiden Torflügel von außen geschlossen.

Schweigend standen die dreizehn Jungen und Mädchen nun in der nur von knisternden Fackeln erleuchteten Halle und schauten scheu, aber auch erwartungsvoll zu den weisen Frauen und Männern des Rates auf.

»Vor drei Tagen haben wir euch zu eurer Fahrt zur heiligen Insel verabschiedet, damit ihr euch dort der letzten großen Prüfung eurer Initiation unterziehen solltet«, begann Beruns seine Rede.

»Ihr seid gemeinsam den beschwerlichen Weg der Sonne gegangen, und jeder einzelne von euch hatte Gelegenheit, sich durch Meditation und Visionen auf sein künftiges Leben als Erwachsener in dieser unserer Gemeinschaft vorzubereiten. Ihr habt die Kleider eurer Jugend abgestreift und damit auch all das, was euer bisheriges Leben ausgemacht hat. Der Schmetterling beginnt sein Leben als Raupe, die hilflos am Boden kriecht und ständig Nahrung braucht. Das war eure Kindheit, die ihr sorglos und in völliger Abhängigkeit von euren Eltern verbracht habt. Dann wandelt sich die Raupe zur Puppe, die in einem harten Panzer, auf dem sich aber schon die Konturen des werdenden Tieres abzeichnen, eingezwängt mit fesselnden Fäden an einem Ast baumelt. Das war eure Jugend, während der ihr, nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen, von euren Eltern mit den oft strengen Mitteln der Erziehung mit der Welt der Erwachsenen vertraut gemacht wurdet. Zuletzt aber bricht der Panzer auf, und der fertige Schmetterling entfaltet seine schillernden Flügel, um sich damit seine weite, aber auch gefahrvolle Welt zu erobern. Ihr habt auf der Insel die zwingende Hülle eurer Jugend zurückgelassen und steht nun, nackt und rein, wie ihr einst geboren wurdet, zum zweiten Male geboren und geläutert vor uns. Unsere Arbeit an euch ist getan, und ihr werdet von nun an euren Platz in unserer dörflichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung und mit allen Rechten und Pflichten einnehmen.

Der Schmetterling mag sich, zwar frei in die Lüfte erheben und fliegen, wohin es ihm beliebt, aber oftmals verfängt er sich im Netz einer Spinne, deren feine Fangfäden er bei seinem unbekümmerten Fluge leicht übersieht! Nehmt dies als Warnung mit auf all euren Wegen, die ihr in eurem künftigen Leben noch gehen werdet, denn überall können Gefahren lauern, die euer junges und hoffnungsvolles Leben bedrohen.

Ich frage euch also zum letzten Male, ob ihr bereit und willens seid, nunmehr die Verantwortung für unsere Gemeinschaft als Erwachsene mitzutragen und alles zu ihrem Nutzen und Schutze zu tun?«

In ihrem Innersten von den ernsten und eindringlichen Worten Beruns’ bewegt und sich der feierlichen Würde dieses für ihr Leben so bedeutenden Momentes bewusst, beeideten sie ihre Bereitschaft einstimmig mit einem lauten, klaren »Ja, wir sind bereit!«

»Tretet nun zu uns herauf, ihr Frauen und Männer, und empfangt von uns eure neue Tracht!«, forderte Beruns sie daraufhin auf.

Nachdem sich die dreizehn in einer Reihe vor dem Ratstisch aufgestellt hatten, wurde ihnen die Ehre zuteil, von den Mitgliedern des Rates selbst neu eingekleidet zu werden.

Danach wurden sie von den Ältesten herzlich umarmt und geküsst, begleitet von vielen Glück- und Segenswünschen für ihr neues Leben.

Schließlich bat Beruns um Ruhe, und als diese wieder eingetreten war, ging er zum Tor und klopfte dreimal kräftig dagegen.

»Öffnet das Tor!«

Knirschend schwangen die beiden Flügel langsam wieder auf, und Beruns trat ins Freie.

»Hört und seht!«, rief er den vor dem Hause in andächtigem Schweigen verharrenden Dorfbewohnern mit weithin hallender Stimme zu.

»Hört und seht die neuen Frauen und Männer unseres Dorfes! Mütter und Väter! Vor drei Tagen beklagtet ihr, dass euch dreizehn Kinder auf immer verlassen haben! Und das ist wahr – ihr werdet sie niemals wieder sehen!

Aber nun seht das Wunderbare: Es sind heute dreizehn junge Frauen und Männer zu uns gekommen, die in unserer Mitte ein neues Leben beginnen wollen!«

Beruns wandte sich wieder dem Eingang der Halle zu, breitete beide Arme aus und bedeutete, mit seinen Händen leicht winkend, den immer noch im Halbdunkel der Halle Wartenden herauszukommen.

Begleitet von den übrigen Mitgliedern des Ältestenrates schritten sie, angeführt von Laruna, vor das Versammlungshaus.

Jetzt, wo alle Augen erwartungsvoll auf sie gerichtet waren, fühlten sie sich auf einmal sehr verlegen und unsicher.

Tarkon versuchte, die Gesichter seiner Mutter, seines Großvaters und seines Bruders in der Menge auszumachen, aber er war innerlich viel zu aufgewühlt, um sich darauf zu konzentrieren. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen, sodass er letztlich nur noch farbige, sich bewegende Schemen um sich herum wahrnahm.

Wie aus weiter Ferne hörte er dann wieder die Stimme Beruns’ in seinen wie mit Wachs verschlossenen Ohren, während er fahrig an seiner neuen und ungewohnten Kleidung herumnestelte.

»Erkennt ihr sie?«, fragte Beruns, sich wieder an die Dorfbewohnern richtend. »Gewiss, äußerlich gleichen sie denen, die vor drei Tagen von hier weggesegelt sind. Aber die, die nun vor euch stehen, sind nicht mehr eure Kinder. Es sind erwachsene Frauen und Männer, geläutert durch den Weg der Sonne, die jetzt bereit sind, ihre Aufgaben in unserer Gemeinschaft in eigener Verantwortlichkeit zu übernehmen. Empfangt sie also freudig und mit offenen Armen!«

Tarkon und seine Gefährten hatten dieser Zeremonie von Kindesbeinen an als Zuschauende beigewohnt, aber nun, da sie selbst im Mittelpunkt dieser Feierlichkeiten standen, schien alles so unwirklich und verwirrend neu zu sein, was da mit ihnen geschah.

Mit einem Male fanden sie sich umringt von jubelnden Menschen, wurden umarmt, geküsst und mit Glückwünschen, Blumen und kleinen Geschenken geradezu überhäuft.

Wie in Trance erlebte Tarkon diesen Moment, stammelte immer wieder irgendwelche Dankesworte nach allen Seiten, ohne sich bewusst zu machen, wer ihm was gesagt oder geschenkt hatte. Das ständige Schütteln seiner Hände, das wohlwollende Klopfen auf seine Schultern wie auch die meist stürmischen Umarmungen seiner Verwandten, Freunde und der übrigen Dorfbewohner ließ er apathisch über sich ergehen, und erst der klare, helle und lang anhaltende Klang der beiden Luren, der plötzlich über ihren Köpfen von der Balustrade des Versammlungshauses herab erscholl, riss ihn aus diesem schlafwandlerischen Zustand.

Als das Lurensignal verklungen war, herrschte wieder Ruhe auf dem Versammlungsplatz, und die Aufmerksamkeit aller galt wieder Beruns, der die ganze Zeit über lächelnd und gelassen wie ein Fels in der Brandung inmitten des ganzen Trubels gestanden hatte.

»Die Initiation dieser jungen Menschen hier«, erhob er seine Stimme, »hat nunmehr ihren glücklichen Abschluss gefunden, das Sonnenfest hingegen dauert noch an. Unsere dreizehn Helden dürften nach all den Anstrengungen und dem langen Fasten auf der Insel ziemlich hungrig und durstig sein. Der Abend wird bald anbrechen. Entzündet die Feuer, bereitet das Mahl und lasst uns fröhlich bis zum Morgen feiern!«

Auf die Worte Beruns’ folgte ein zweites getragenes Lurensignal, woraufhin sich alle unter Singen und Lachen daranmachten, das Festmahl vorzubereiten.

Die Kinder der Sonne/Die Nomaden der Meere

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