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2.4 Bürgerliches Zeitalter

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An die Stelle des Modells der Encyclopédie trat das KonversationslexikonKonversationslexikon, das maßgeblich durch die Werke aus dem Hause Brockhaus geprägt wurde. Ab 1809 erschien die erste Auflage unter dem Titel Konversations-Lexikon oder kurzgefasstes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeit. Im Gegensatz zur Encyclopédie, in der gesellschaftskritisch das präsentierte Wissen hinterfragt wurde, liegt das Ziel des Konversationslexikons darin, knapp, präzise und neutral Wissen zu vermitteln, das für eine breite Bevölkerungsschicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs ermöglicht:

Indem ich es versucht habe, durch gegenwärtige Erklärung der in das gemeine Leben übergegangenen wissenschaftlichen Kenntnisse und Begriffe die Theilnahme an einer lehrreichen Unterhaltung und zu gleicher Zeit die Benutzung schätzbarer Schriften zu erleichtern, haben mir im Allgemeinen folgende Grundsätze vorgeschwebt (Brockhaus 1809: vii).

Der Erfolg des Konversationslexikons basierte auf der einfachen Lektüre, dem homogenen Charakter, der Kürze und der Anonymität der Artikel (cf. Rey 2007: 198). In der Folge verbreitete sich das Konversationslexikon sehr schnell in weiteren germanischsprachigen Ländern wie Norwegen, Dänemark und Holland und erreichte wenig später romanischsprachige Länder wie Frankreich, Italien und Spanien. Der Einfluss dieses Lexikontyps reichte bis Ungarn, Russland und in die USA (cf. Rey 2007: 198). In Frankreich dominierte zu Beginn des Jahrhunderts noch die Encyclopédie méthodique von PanckouckePanckoucke, Charles, wurde jedoch durch Werke kleineren Formats abgelöst, wie beispielsweise durch die Encyclopédie portative (cf. Rey 2007: 203). Sukzessive entstanden auch im Hexagon Werke wie die Encyclopédie moderne, ou Dictionnaire abrégé des sciences, des lettres et des arts (1823–1832) von CourtinCourtin, Eustache Marie Pierre Marc Antoine, die sich am englischen und deutschen Vorbild orientieren und einer breiten bildungshungrigen Bevölkerungsschicht den Zugang zu aktuellem und anwendungsbezogenem Wissen ermöglichen möchten:

Il fallait donc, comme en Allemagne, comme en Angleterre, mettre l’Encyclopédie à la portée de toutes les fortunes; il fallait que les citoyens industrieux pussent connaître les conquêtes de l’industrie, que la classe studieuse pût apprécier les progrès des connaissances humaines (Courtin 1827–1832: v).

Am Konversationslexikon orientierten sich ebenfalls das Dictionnaire de la conversation et de la lecture (1833–1851) oder die Encyclopédie des gens du monde (1833–1845). In Anlehnung an den Brockhaus beanspruchen beide Werke für sich, dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts ein zuverlässiges Orientierungswissen zu liefern und lehnen die kritische Methode der Enzyklopädisten ab:

Nous osons croire que le Dictionnaire de la Conversation et de la Lecture sera au milieu de ce chaos de passions, d’erreurs et de préjugés, un guide plus sûr que tous ceux qu’on a pu jusqu’à ce jour offrir au public (Duckett 1832–1851: 3).

Im Gegensatz zu den Enzyklopädisten, die gesellschaftliche Regeln hinterfragen, wurde das Nachschlagewerk im 19. Jahrhundert als „œuvre de sociabilité et de civilisation“ (Artaud 1833–1844: iii) gesehen, das den Lesern ermöglicht, in der bestehenden Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Auch in Italien entstanden Nachschlagewerke, die dem Modell des KonversationslexikonsKonversationslexikon folgen wie die Enciclopedia italiana e dizionario della conversazione (1838–1852). Auf einer ÜbersetzungÜbersetzung der englischen Brockhausausgabe in das Italienische basierte die Nuova enciclopedia popolare (1841–1851) und die neue Auflage Nuova enciclopedia popolare italiana (1863–1870) von Giuseppe PombaPomba, Giuseppe, dem Begründer des Verlags UTET (Unione Tipografico Editrice Torinese). Die Werke PombasPomba, Giuseppe, aber auch die Manuali Hoepli und die Biblioteca Nazionale Le Monnier, waren in der Gestaltung ihrer Einträge, aber auch des Preises, für ein breites Publikum gedacht (cf. Carnazzi/Fedriga 2002: 78):

Lo scopo della Enciclopedia nostra […] è di usufruttare il meglio di tutte le Enciclopedie finora apparse, compendiarlo in forme perspicue, accessibili a tutte le intelligenze, e con uno sviluppo di dottrine informate d’ogni più alto spirito d’imparziale verità renderlo necessaria all’indotto, e non inutile al dotto (Pomba 1863–1870: viii).

Die Vermittlung von Wissen an breite Bevölkerungsschichten war auch das Anliegen des Grand Dictionnaire universel du XIXe siècle (1817–1875) von Pierre LarousseLarousse, Pierre. Der eigentliche Beitrag dieses Werks zur Geschichte der EnzyklopädikEnzyklopädik liegt jedoch darin, dass das Werk den Erfolg der enzyklopädischen Wörterbücherenzyklopädisches Wörterbuch mitbegründete, in denen Sprach- und Sachinformationen enthalten sind. Im Grand Dictionnaire universel dient die SprachinformationInformation– sprachliche als Ausgangspunkt:

Le Grand Dictionnaire universel du XIXe siècle étant, avant tout, le dictionnaire de la langue, la partie lexicographique a reçu des développements qu’on cherchait vainement ailleurs […]: sens propres, sens par extension, par analogie ou par comparaison, sens figurés purs, sont nettement déterminés par des exemples qui font rigoureusement ressortir les nuances et les délicatesses des diverses acceptions (Larousse 1866–1890: lxv).

Jedoch wurden auch EigennamenEigenname und FachterminiTerminus in das Nachschlagewerk aufgenommen und die Einträge wurden mit enzyklopädischen InformationenInformation– enzyklopädische angereichert. Dabei wurde auf eine systematische Abdeckung verschiedener Wissenschaften geachtet, die im Vorwort thematisiert wird:

Ainsi, nous avons entièrement parcouru le vaste cercle des connaissances humaines; pour chaque branche, nous avons établi une statistique précise, qui embrasse tout les progrès des lettres, des arts et des sciences, jusqu’au moment où nous écrivons; en sorte que le Grand Dictionnaire universel est l’image vivante, la photographie exacte, une sorte de grand-livre où se trouve consigné, énuméré et expliqué tout ce qui est sorti des inspirations du génie, de l’intelligence, des études, de l’expérience et de la patience de l’homme (Larousse 1866–1890: lxxiii).

Das enzyklopädische Wörterbuchenzyklopädisches Wörterbuch ist ein Produkt der „rencontre de la tradition du dictionnaire et la vogue des encyclopédies portatives inaugurée en Allemagne“ (Rey 2007: 208). LarousseLarousse, Pierre lieferte jedoch keine objektive Darstellung der enzyklopädischen InformationenInformation– enzyklopädische, sondern präsentierte diese von einem persönlichen Standpunkt aus und stellte sich in die kritische Tradition von BayleBayle, Pierre:

le Grand Dictionnaire universel du XIXe siècle regarde le Dictionnaire historique et critique comme un de ses plus glorieux ancêtres (Larousse 1866–1890: xxii).

In der Folge wurde das enzyklopädische Wörterbuchenzyklopädisches Wörterbuch auch für die Werke in anderen Ländern zum Modell. In Italien orientierte sich Giovanni Battista MelziMelzi, Giovanni Battista am Grand Dictionnaire universel, an dem er während seiner Zeit in Paris selbst als freier Mitarbeiter beteiligt war. Zurück in Italien publizierte er nach dem französischen Vorbild 1896 den Nuovissimo Melzi, ein enzyklopädisches Wörterbuchenzyklopädisches Wörterbuch, das einen sprachlichen und einen enzyklopädischen Band beinhaltet.

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