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3.1.1 Konzept

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Der Terminus DiskurstraditionDiskurstradition ist mit der Vorstellung verbunden, dass Diskurse nicht nur individuelle Realisierungen von Sprache sind, sondern dass sie durch Mustersprachliche Muster geprägt sind und deswegen Traditionen folgen. Es zeigt sich,

daß in Diskursen nicht nur einzelsprachliche Regeln zur Anwendung gebracht werden, sondern daß Diskurse notwendig ganz bestimmte Textmuster, Textschemata oder Textmodelle realisieren – eben Diskurstraditionen folgen (Oesterreicher 1997: 20).

Dieser Umstand führt dazu, dass Koch die historische Ebene in Coserius Modell des Sprachlichen doppelt, weil dieses den Diskurs lediglich auf der aktuellen Ebene der Realisierung sieht und somit die Traditionalität von Diskursen nicht erklären kann. Diese Traditionalität von Diskursen zeigt sich bei konkreten Texten anhand rekurrenter MerkmaleRekurrenz. Anhand dieser Merkmale wiederum können einzelne Texte einer Diskurstradition zugeordnet werden. Der Terminus Diskurstradition wird in der vorliegenden Studie bevorzugt verwendet, obwohl die Termini GattungGattung, GenreGenre, TextsorteTextsorte oder TexttypTexttyp ebenso zur Klassifizierung von Texten dienen. Jedoch werden bei der Einteilung nach Gattungen oder Genres häufig lediglich geschriebene und literarische Texte berücksichtigt. Der Terminus TextsorteTextsorte stammt aus der germanistischen Linguistik und wurde zunächst zur Erstellung von TexttypologienTexttypologie eingesetzt, die Texte top-downtop-down-Klassifikation nach einem zuvor festgelegten Merkmal klassifizieren. In der weiteren Entwicklung wurde der Terminus auch für Analysen verwendet, die Texte nach in ihnen enthaltenen Merkmalsbündeln klassifizieren und somit korpusbasiertkorpusbasierte Klassifikation vorgehen (cf. Adamzik 2001: 16f.). Bei weiter abstrahierenden Verfahren der Klassifikation wird häufig von Texttyp gesprochen. Während TextsorteTextsorte eher empirisch vorliegende TextmusterTextmuster beschreibt, ist Texttyp eine „theoriebezogene Kategorie zur wissenschaftlichen Klassifikation von Texten“ (Aschenberg 2003: 4). Für die vorliegende Arbeit erscheint das Konzept „Diskurstradition“ am geeignetsten. Im Gegensatz zu den Konzepten „Gattung“ oder „Genre“ werden auch nicht-literarische Gebrauchstexte berücksichtigt. Zudem erfassen die Konzepte „Textsorte“ und „Texttyp“ die einzelnen Texte und die daran ersichtlichen Konventionen eher unter dem Gesichtspunkt eines sprachlichen Produkts, während „Diskurstraditionen einen Wissensbestand unter dem Gesichtspunkt der dynamis fokussieren“ (Schrott 2015: 118), was bedeutet, dass die Dynamik von Konventionen im Vordergrund steht. Durch das Konzept „Diskurstradition“ werden zudem diskurstraditionelle Merkmale eines unterschiedlichen Komplexitätsgrads erfassbar (cf. Koch 1997: 45), die von FormelnFormel über TexttraditionenTexttradition bis hin zu DiskursuniversenDiskursuniversum reichen und somit auch für die korpusbasierte Textanalyse verwendet werden können. Bei der Analyse einzelner Textexemplare ist eine erhebliche Varianz zu erwarten, da Diskurstraditionen häufig komposit sind und mehrere Muster mischenDiskursmustermischung (cf. Oesterreicher 1997: 31). Die Varianz zwischen den einzelnen Textexemplaren ist wiederum Ausgangspunkt für den Wandeldiskurstraditioneller Wandel von Diskurstraditionen, der anhand von Serien historischer Textexemplare nachvollzogen werden kann (cf. Aschenberg 2003: 8; Große 2017: 45; Kabatek 2015: 62; Oesterreicher 1997: 32). Diskurstraditionelle Merkmale können somit aus einzelnen Textexemplaren abstrahiert werden, wobei sich die RegelnDiskursregel, nach denen die Muster gebildet werden, nach kommunikativen BedingungenKommunikationsbedingungen und gesellschaftlich-kulturellen Normenkulturelle Norm richten:

Abbildung 1:

Modell einer Diskurstradition (eigene Darstellung)

Auf der Ebene der Einzeltexte werden Diskurstraditionen an rekurrenten MerkmalenRekurrenz sichtbar. Wie der Terminus nahelegt, geht es darum, Konventionen von Diskursen zu erfassen. Von Diskursen wird gesprochen, weil hier die diskursiv-kulturelle Geformtheit der Sprachprodukte im Vordergrund steht und keine einzelsprachliche Perspektive auf Texte eingenommen wird, welche häufig Texte als komplexeste Ebene einer Einzelsprache ansieht.1 Es werden sprachübergreifende Gemeinsamkeiten von Diskursen herausgearbeitet. Diese Konventionen müssen sich zudem nicht unbedingt auf die MusterDiskursmuster ganzer Texte beziehen. Diskurstraditionen können von verschiedener Komplexität sein. Sie reichen von FormelnFormel, über Text- oder DiskursgattungenGattung bis hin zu DiskursuniversenDiskursuniversum (cf. Koch 1997: 45). FormelnFormel werden häufig zu Beginn oder am Ende eines Textes verwendet und verweisen auf ganze Text- und DiskursgattungenGattung wie die Formel Es war einmal auf ein Märchen, Gehet hin in Frieden auf eine Predigt oder Im Namen des Volkes auf ein Gerichtsurteil. Text- und Diskursgattungen sind durch ein ganzes Bündel rekurrenter MerkmaleRekurrenz gekennzeichnet. Beispielsweise wird in einem Kochrezept der Name des Gerichts in der Überschrift genannt, woraufhin eine Zutatenliste mit Mengenangaben folgt. In einem Fließtext werden häufig mithilfe von Infinitiven Instruktionen zur Zubereitung eines Gerichts angegeben, die von Zeitangaben begleitet sind. Einen noch höheren Komplexitätsgrad als Text-/Diskurstraditionen weisen DiskursuniversenDiskursuniversum auf, in denen Text- und Diskursgattungen gruppiert werden können. CoseriuCoseriu, Eugenio unterscheidet die DiskursuniversenDiskursuniversum Alltag, Fiktion, Religion und Wissenschaft (cf. Schlieben-Lange 1983: 140; Kabatek 2015: 63), wobei das Verhältnis des sprechenden Subjekts zu den beschriebenen Objekten als Einteilungskriterium dient:

Im Gegensatz zu feinmaschigeren Einteilungen, die etwa Bereiche wie die Jurisprudenz, die Mathematik oder die Philosophie als eigenständige Diskurs- oder Redeuniversen bezeichnen, bezieht sich diese Einteilung auf die grundlegenden semiotischen Verhältnisse, die jedem Sprechen zugrunde liegen, wobei sie das Verhältnis von Subjekt und Objekt als fundamentales Einteilungskriterium heranziehen: Im Universum des Alltags spricht das Subjekt aus subjektiver Perspektive über die Objekte; im Universum der Fiktion spricht das Subjekt über Objekte, die als nicht existent angenommen werden und einer ‚geschaffenen‘ Welt der Phantasie entsprechen; im Universum der Religion (oder des Glaubens) wird über eine ‚andere Welt‘ gesprochen, die nicht überprüfbar ist und dennoch als existent vorausgesetzt wird; und schließlich, im Universum der Wissenschaft, werden die Objekte als Objekte in ‚objektiver‘ Sicht beschrieben (Kabatek 2011: 95f.).

Anhand konkreter Einzeltexte können abstrakte DiskurstraditionenDiskurstradition in allen drei Komplexitätsgraden analysiert werden. Was auf der Textoberfläche als Muster erscheint, wird durch DiskursregelnDiskursregel erzeugt (cf. Lebsanft/Schrott 2015: 40):

Diskurstraditionen oder diskurstraditionelle Kennzeichen sollen hier vorläufig bestimmt werden als normative, die Diskursproduktion und Diskursrezeption steuernde, konventionalisierte Muster der sprachlichen Sinnvermittlung (Oesterreicher 1997: 20).

Die DiskursregelnDiskursregel geben „Anleitungen zum Sprechen in konkreten Situationen“ (Schrott/Völker 2005: 12), sie sind „bereits auf Typen von Situationen bezogen“ (Koch 1987: 34). Sie treten zu den Regeln der historischen Einzelsprachenhistorische Einzelsprache hinzu (cf. Koch 1987: 34). Im Gegensatz zu den SprachregelnSprachregel ist ihr Bewertungsmaßstab nicht die Korrektheit der sprachlichen Formen, sondern die Angemessenheit in der jeweiligen Situation (cf. Coseriu 1994: 58). Diskursregeln bestimmen sowohl das sprachliche als auch das nichtsprachliche Material und determinieren beispielsweise die spezifische Anordnung des Stoffes (dispositio), die Rhythmisierung des Sprachmaterials oder die Bezüge zwischen sprachlichen und anderen semiotischen Codes (cf. Koch 1997: 47; Kabatek 2015: 63). Zudem bewirken die Diskursregeln eine „nicht-deterministische Realisierung der Diskursmuster“ (Oesterreicher 1997: 30), was bedeutet, dass einzelne Texte auch mit Diskursregeln brechen können, wodurch der kommunikative Erfolg nicht unbedingt beeinträchtigt wird und in einigen Fällen sogar besondere Stileffekte erzeugt werden können. Ebenso sind diese Freiheitsgrade bei der Weiterentwicklung von DiskurstraditionenDiskurstradition entscheidend:

Jede konkrete Realisierung eines Einzeldiskurses ist theoretisch immer schon der Ort der Möglichkeit der Fortbildung von Diskursregeln (Oesterreicher 1997: 31).

Das Potential eines einzelnen Textes, DiskursregelnDiskursregel weiterzuentwickeln, wird im Schema mit kleinen Pfeilen symbolisiert, die zeigen, dass die Tendenzen pro Einzeltext in unterschiedliche Richtungen gehen können. Erst die Analyse wiederkehrender Veränderungen in einem Textkorpus kann Aufschluss über die Entwicklung einer Diskurstradition geben.

Dadurch, dass Diskurstraditionen bereits auf konkrete Kommunikationssituationen ausgerichtet sind, stehen sie in enger Verbindung zu den universellen Parametern der Kommunikation, die jeden erdenklichen Kommunikationsakt charakterisieren:

Was Diskurstraditionen angeht, ist damit aber nun behauptet, daß diese in einem präzisen Sinne selbst schon kommunikativ-konzeptionell determiniert sind, daß sie also selber je schon konzeptionelle Zusammenhänge spiegeln, die sich aus unterschiedlichen Konstellationen der skizzierten Kommunikationsbedingungen und Verbalisierungsstrategien ergeben, daß sie sich mithin in einem ganz fundamentalen Sinne auf das Nähe-Distanz-Kontinuum beziehen lassen. Dies bedeutet, daß kommunikativ-konzeptionelle Kriterien immer schon in die Definition von Diskurstraditionen einfließen, den Diskurstraditionen gewissermaßen eine konzeptionelle Grundstruktur einzeichnen (Oesterreicher 1997: 24).

In ihrem Modell setzen Koch/Oesterreicher insgesamt zehn Parameter2 an. Die Mischung der jeweiligen Parameterwerte ergibt das konzeptionelle Profil3 einer Diskurstradition. Die Parameter und ihre Werte charakterisieren „das kommunikative Handeln der Gesprächspartner im Verhältnis zueinander und im Blick auf die sozialen, situativen und kontextuellen Gegebenheiten“ (Koch/Oesterreicher 2007: 350). Parameter (1) unterscheidet, ob der Kommunikationsakt öffentlichÖffentlichkeit oder privat stattfindet. Ein öffentlicher Kommunikationsakt ist für eine Vielzahl von Rezipienten zugänglich, während ein privater Kommunikationsakt einen eingeschränkten Adressatenkreis erreicht. Im Modell von Koch/Oesterreicher korreliert Privatheit mit dem Nähepol, weil davon ausgegangen wird, dass bei steigender Anzahl der Rezipienten die direkte Beteiligung am Kommunikationsakt abnimmt und deswegen die Distanz zunimmt (cf. Koch/Oesterreicher 1985: 20). Parameter (2) unterscheidet, ob sich die Kommunikationspartner kennenVertrautheit und auf ein gemeinsames Wissen und gemeinsame Kommunikationserfahrungen zurückgreifen können, oder ob sich die Kommunikationspartner fremd sind. Ein hoher Grad der VertrautheitVertrautheit wird dem Nähepol zugeordnet, während die Fremdheit der Partner für das Distanzsprechen typisch ist. Parameter (3) beschreibt, in welchem Maße die Kommunikationspartner ihren EmotionenEmotionalität freien Lauf lassen (Nähesprechen), oder ob sie diese kontrollieren (Distanzsprechen). Parameter (4) charakterisiert den Grad der Handlungs- und SituationseinbindungHandlungs- und Situationseinbindung. Dieser Parameter „referiert […] auf die „Nähe“ der Kommunikationspartner zum situativen Kontext“ (Zeman 2016: 268). Beim Nähesprechen befinden sich die Kommunikationspartner in einem gemeinsamen Kommunikationsraum:

In der gesprochenen Sprache befinden sich die Partner in einer face-to-face-Interaktion (physische Nähe und gemeinsames Handeln) und/oder kommunizieren über Elemente des situativen Kontexts oder setzen sie als selbstverständlich voraus (Koch/Oesterreicher 1985: 20).

In Situationen des Distanzsprechens befinden sich Sprecher und Rezipient häufig nicht in einem gemeinsamen Kommunikationsraum und beziehen sich somit nicht auf eine gemeinsame Situation oder simultan erfolgende Handlungen. Parameter (5) beschreibt den Referenzbezug des Kommunikationsakts „bei dem entscheidend ist, wie nahe die bezeichneten Gegenstände und Personen der Sprecher-origo sind“ (Koch/Oesterreicher 2011: 7). Entscheidend ist dabei die „Anwesenheit oder Abwesenheit des Referenzgegenstandes“ (Koch/Oesterreicher 2011: 7). Referenzielle Distanz liegt beispielsweise bei Erzählungen über die Vergangenheit vor, da diese auf raum-zeitlich entfernte Ereignisse und Personen referiert (cf. Koch/Oesterreicher 2008: 207). Parameter (6) beschreibt sowohl die räumliche als auch die zeitliche Nähe der KommunikationspartnerNähe– der Kommunikationspartner, wobei bei einem Face-to-Face-Gespräch sowohl räumliche als auch zeitliche Nähe gegeben sind, während bei einem Telefonanruf zwar die zeitliche, nicht aber die räumliche Nähe gegeben ist, und dieses deswegen ein wenig in Richtung des Distanzpols verweist. Parameter (7) fokussiert den Grad der KooperationKooperation, also die Möglichkeit des Rezipienten, bei der Produktion des Diskurses mitzuwirken:

Kommunikation ist immer auch Kooperation. Hierbei sind allerdings in der gesprochenen Sprache Produktion und Rezeption direkt miteinander verzahnt: Produzent und Rezipient handeln miteinander Fortgang und auch Inhalt der Kommunikation aus; der Rezipient zeigt begleitende sprachliche und nichtsprachliche Reaktionen und kann jederzeit eingreifen, rückfragen (‚Rückkopplung‘). Demgegenüber sind in der geschriebenen Sprache Produktion und Rezeption – auch dort, wo sie gleichzeitig verlaufen (Vortrag) – voneinander ‚abgekoppelt‘; dies bedeutet, daß der Produzent die Belange der Rezeption von vornherein berücksichtigen muß (Koch/Oesterreicher 1985: 20).

Während demnach das Face-to-Face-Gespräch durch intensive Kooperation geprägt ist und durch Rückmeldungen des Kommunikationspartners aufrechterhalten wird, ist dies bei einem schriftlich fixierten Text nicht der Fall. Parameter (8) charakterisiert einen Diskurs als monologisch oder dialogischDialogizität, wobei Dialogizität die Möglichkeit meint, spontan die Rolle des Produzenten zu übernehmen:

Die Rollenverteilung zwischen den Kommunikationspartnern ist in der gesprochenen Sprache offen, und der Rollenwechsel wird ad hoc geregelt (Dialogizität). Demgegenüber zeigt geschriebene Sprache eine feste Rollenverteilung bis hin zur totalen Monologizität (Koch/Oesterreicher 1985: 19).

Parameter (9) beschreibt den Grad der SpontaneitätSpontaneität oder Geplantheit eines Diskurses. Während beim Nähesprechen die Planung der Kommunikationsakte während des Äußerungsaktes selbst erfolgt, ist beim Distanzsprechen eine längere Vorausplanung möglich, aber aufgrund der Situationsferne auch nötig, da auf keinen gemeinsamen Kontext zurückgegriffen werden kann (cf. Koch/Oesterreicher 1985: 20). Parameter (10) bezieht sich auf die Frage, ob das ThemaThemenfixierung sich wie in einem spontanen Gespräch frei entwickeln kann, oder ob dieses vorher festgelegt worden ist, wie dies beispielsweise in moderierten Talkshows der Fall ist. Jede Diskurstradition lässt sich durch eine Mischung von Werten der vorgestellten Parameter charakterisieren, wodurch sie ihr spezifisches konzeptionelles Profilkonzeptionelles Profil erhält.

Allerdings lassen sich unterschiedliche Realisierungen von Diskurstraditionen nicht vollständig durch eine Variation der Parameter und ihrer Werte erklären:

Diskursregeln sind nicht die Summe der kommunikativen Parameter, sondern es treten gesellschaftliche Funktionalisierungen und Normen des jeweiligen Diskursuniversums hinzu (Schlieben-Lange 1983: 140).4

Oesterreicher geht in seiner Definition der DiskurstraditionDiskurstradition nicht nur auf die kommunikativen Bedingungen von Diskurstraditionen ein, sondern stellt auch deren Prägung durch gesellschaftliche und kulturelle Normen heraus. Diskurstraditionen sind nach Oesterreicher:

konventionalisierte Kristallisationskerne von bestimmten Parameterwerten der oben skizzierten Kommunikationsbedingungen und mehr oder minder strikt vorgeprägten Versprachlichungsanforderungen einerseits sowie von bestimmten gesellschaftlich determinierten inhaltlich-thematischen Wissenskomplexen andererseits (Oesterreicher 1997: 25).

Dabei ist eine Diskurstradition durch die ParameterwerteParameterwert der jeweiligen Kommunikationssituation geprägt, wobei diese in der jeweiligen Diskurstradition eine kulturspezifische Umsetzung erfahren:

So ist etwa der Sprecherwechsel im Dialog ein universelles Prinzip, das in einzelnen Dialogkulturen in unterschiedlicher Weise umgesetzt wird (Schrott 2015: 123).

Nach Fix ist deswegen nicht mehr von ‚Textsorten an sich‘ auszugehen, sondern es ist eine „spezifische kulturelle Prägung von Textsorten anzunehmen“ (Fix/Habscheid/Klein 2001: 7). In Diskurstraditionen sind folglich gesellschaftlich-kulturelle Normengesellschaftlich-kulturelle Norm gespeichert. Diese enthalten Wissen über die Angebrachtheit oder Nichtangebrachtheit eines kommunikativen Verhaltens (cf. Fix/Habscheid/Klein 2001: 7; Fix 2008d: 116), über die übliche Art der Versprachlichung, das kulturelle Prestige der Diskurstradition oder den Wert des Mediums. Zusätzlich ist in den kulturellen Normen sowohl Alltagswissen der jeweiligen Gemeinschaft als auch Wissen enthalten, das dem kulturellen Gedächtniskulturelles Gedächtnis nach AssmannAssmann, Jan zugeordnet werden kann. Kultur kann als „Gesamtheit der Formen und Muster, die zur Deutung der Welt zur Verfügung stehen“ (Warnke 2001: 253) definiert werden und Diskurstraditionen leisten einen kulturspezifischen Zugriff auf die Wirklichkeit. Dabei kann sich die KulturspezifikKulturspezifikum auch darin äußern, dass in einigen Gemeinschaften ganze Diskurstraditionen fehlen. Zudem muss eine Diskurstradition nicht unbedingt kontinuierlich vorhanden sein. Anders als eine historische Einzelsprache, die in der Regel von einer Sprachgemeinschaft kontinuierlich gepflegt wird oder ganz ausstirbt, können Diskurstraditionen diskontinuierlich genutzt werden:

Während Sprachgemeinschaften sich durch die Kontinuität idiomatischer Traditionalität stets als durchgängig existierende Gemeinschaft manifestieren, können die kulturellen Gruppierungen, die Diskurstraditionen tragen und vermitteln, sich diskontinuierlich über zeitliche Unterbrechungen hinweg konstituieren. So können etwa Gelehrte und Dichter der Antike und deren „Wiederentdecker“ in der Renaissance als eine kulturelle Gruppierung aufgefasst werden, die über Zeit und Raum hinweg kulturell-literarische Traditionen der Textgestaltung praktiziert (Lebsanft/Schrott 2015: 38).

Als eine ähnlich diskontinuierliche Gruppierung könnten die Enzyklopädisten der französischen Aufklärung und sämtliche Nachfolger, die sich auf diese berufen, wie beispielsweise die Wikipedianer, aufgefasst werden.

Existiert eine Diskurstradition in mehreren Gemeinschaften, so können Unterschiede hinsichtlich „Stil, Art der Themenentfaltung, Argumentationsweise, Autoren“ (Fix 2008d: 122) feststellbar sein. Fix führt das Beispiel deutscher und russischer Wohnungsanzeigen an, wobei die deutschen Anzeigen ausführliche Beschreibungen mit Kontaktdaten enthalten, während die russischen Anzeigen möglicherweise aus Angst vor Einbruch und Diebstahl äußerst kurzgehalten sind (cf. Fix 2008a: 143). Im Gegensatz zu den universellen Parametern der Kommunikation, die jeden Kommunikationsakt gleich stark betreffen, kann der Grad der KulturspezifikKulturspezifikum von Diskurstraditionen variieren, wobei Fix die Diskurstraditionen Wohnungsanzeige (kulturspezifisch) und Sage (global) kontrastiert:

Textsorten, die den geistig-ordnenden Zugriff auf die Welt ermöglichen, sind eher globaler Natur und weniger an die Einzelkultur gebunden. Text­sorten, die eine praktisch-ordnende Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit möglich machen, sind erfahrungsgemäß eher lokal und einzelkulturspezifisch geprägt (Fix 2008a: 144).

Diskurstraditionen stehen demnach in enger Verbindung zu universellen Parametern der Kommunikationssituation einerseits und zu gesellschaftlich-kulturellen Konventionen andererseits.

Des Weiteren bilden DiskurstraditionenDiskurstradition ein Bindeglied zwischen den genannten sprachbezogenen Bedingungen und dem Repertoire an sprachlichen Formen:

Dabei gilt es zu sehen, dass es gerade die Diskurstraditionen qua historisch vorgegebene Kommunikationsformen5 sind, die die Verbindung zwischen den formalen kommunikationstheoretischen Parametertypen und den sprachlichen Ausdrucksgestaltungen und sprachlichen Varietäten herstellen. Diskurstraditionen bestimmen daher einerseits die Wahl von sprachlichen Gestaltungen und Varietäten – sprachliche Merkmale sind andererseits direkt für bestimmte Diskurstraditionen kennzeichnend (Oesterreicher 1997: 24).

Die DiskursregelnDiskursregel wählen aus dem vorhandenen sprachlichen, aber auch nicht-sprachlichen Material die nach Situation und Kultur angemessenen Formen aus. Sprachliche Formen in Diskurstraditionen sind dadurch von einer doppelten Historizität geprägt, nämlich von derjenigen der Einzelsprache und derjenigen der DiskurstraditionDiskurstradition (cf. Lebsanft/Schrott 2015: 33). Die Tatsache, dass in Texten, die durch die gleichen ParameterwerteParameterwert gekennzeichnet sind und die den gleichen kulturellen Normen unterworfen sind, auch ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten gewählt werden, führt zur „Verfestigung bestimmter Strategien und Formen der Versprachlichung“ (Frank-Job 2003: 20).

Diese verfestigten Muster werden in verschiedener Weise an einzelnen Texten sichtbar. Kabatek unterscheidet in seinem Vorschlag zur Analyse von Diskurstraditionen in Bezug auf die Form Diskursformen, Diskurszonen und Diskursformeln und in Bezug auf den Inhalt Diskursdomänen, Diskursthemata und Diskursmotive (cf. Kabatek 2015: 62). Die Diskursform wird am Aufbau des Textes ersichtlich, Diskurszonen wie Anfang oder Ende eines Textes stellen markante Bereiche für Diskurstraditionelles dar, bei Diskursformeln liegt eine (teilweise variierende) Wiederholung sprachlichen Materials vor. Die Diskursdomäne bezeichnet den Wirklichkeitsausschnitt, auf den sich die Inhalte der Diskurstradition beziehen, wie beispielsweise den Bereich der Mathematik oder des Gartenbaus, das Diskursthema bezeichnet das dominante Thema eines Textes, Diskursmotive sind Topoi, mit denen bestimmte Wissensbestände verbunden sind und die systematisch in einer Diskurstradition eingesetzt werden. Einen anderen Ansatz präsentiert Fix, die „Texte als komplexe Sprechakte betrachtet“ (Fix 2008c: 68) und deswegen Textproposition (der propositionale Gehalt des Textes), Textillokution (die dominante Sprachhandlung) und Textlokution (die sprachlichen Mittel der Formulierung) unterscheidet. Die Analyse der sprachlichen Mittel kann dabei Phänomene unterschiedlicher Komplexität behandeln, die sich zudem auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems verorten lassen (cf. Große 2017: 52). Bei formal-grammatischen Elementen besteht jedoch die Problematik, dass ihre Interpretation Schwierigkeiten bereiten kann:

Man kann die Häufigkeit der Wortarten, der Tempora, der Modi, des Passivs – um die bei Textsortenstudien am häufigsten untersuchten Phänomene zu nennen – bestimmen. Die Frage ist allerdings, was wir mit entsprechenden Befunden gewonnen haben. Teilweise sind die Ergebnisse wiederum trivial, nämlich dem Sprachbenutzer ohnehin bekannt – z.B. die Feststellung, dass in deutschen Gebrauchsanweisungen für die Formulierung der Handlungsanweisung heute der Infinitiv bevorzugt wird. Teilweise sind die Daten den Sprachbenutzern aber auch völlig unbekannt: Wer wüsste schon, wie viel Prozent Passivstrukturen in offiziellen gegenüber privaten Briefen vorkommen? […] Das generelle Problem: Bei Kategorien wie den eben besprochenen ist der sachliche Abstand zwischen Ausdrucksabsicht und grammatischem Mittel zu groß (Adamzik 2001: 18f.).

Für die Interpretation diskurstraditioneller Elemente bietet es sich somit an, diese im Zusammenspiel mit weiteren Merkmalen in einem Mehrebenen-Ansatz zu beobachten. Des Weiteren sind die kommunikativen Bedingungen ihres Auftretens und die mit den Formen verbundenen Absichten zu rekonstruieren und vor dem Hintergrund kultureller Normenkulturelle Norm zu reflektieren.

Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache

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