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2.5 Zeitalter nationaler Enzyklopädien

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In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkte die Encyclopædia Britannica modellbildend, was auf den Erfolg der 11. Auflage zurückzuführen ist. Auf dieser Basis bildeten sich die Merkmale moderner Enzyklopädien heraus, welche die Abfassung in der Landessprache, die alphabetische Anordnung der Stichwörter, Experten als Autoren, die Biografien lebender Persönlichkeiten, grafische Elemente wie Illustrationen, Karten, Pläne, an die Artikel angehängte Bibliografien, einen Index mit Personen- und Ortsnamen, Supplemente zur Aktualisierung und zahlreiche sowie adäquate Verweise im Text umfassen (cf. Collison 1966: 199). Mit der Erwartung, dass moderne Enzyklopädien in der Landessprache abgefasst sind, leitet die Encyclopædia Britannica gleichzeitig das Zeitalter nationalsprachlicher Enzyklopädien ein (cf. Collison 1966: 199). Im Gegensatz zu den vorhergehenden Jahrhunderten wurden im 20. Jahrhundert Enzyklopädien lediglich dann übersetzt, wenn es ausschließlich um technisch-wissenschaftliche Inhalte ging, die als allgemein gültig angesehen wurden. Alle weiteren Inhalte wurden kulturell adaptiert (cf. Rey 2007: 215). Die elfte Auflage der Britannica besaß jedoch noch keinen national oder ideologisch eingeengten Fokus, sondern sie wollte ein Referenzwerk für alle anglophonen Sprecher sein:

The articles in the Encyclopaedia Britannica, however, are of course not limited to personages of the British Islands. Not only biographies here included the great men and women of French, German, Italian, Belgian, Dutch, Russian, Scandinavian, Japanese, and other foreign nationalities, as well as of those of the ancient world, but the same standard of selection has been applied to American and British Colonial biography as to English, Welsh, Scottish and Irish […] It thus completes its representation of the English-speaking peoples, to all of whom English history, even in its narrower sense, is a common heritage, and in its evolution a common example (Encyclopaedia Britannica 1910: xvi).

Dem Vorbild der Encyclopædia Britannica folgten auch die Grande Encyclopédie von Marcellin BerthelotBerthelot, Marcellin (ca. 1900) und die Enciclopedia universal ilustrada europeo-americana (1905) (cf. Collison 1966: 201).

Es entstanden jedoch in der Folge Werke, die, wie die Große Sowjetische Enzyklopädie, einer Staatsideologie verpflichtet sind. Eine der bekanntesten unter diesen ist die Enciclopedia italiana di scienze, lettere ed arti (1929–1939) von Giovanni TreccaniTreccani, Giovanni und Giovanni GentileGentile, Giovanni, die den italienischen Faschismus offen unterstützt:

Il clima che ha reso possibile un’opera come questa, alla quale non parve in passato possibile in Italia pensare, è il nuovo spirito esploso con l’avvento del Fascismo, che scosse idee e sentimenti e accese una passione inestinguibile di rinnovamento e di affermazione della potenza dell’Italia nel mondo (Treccani/Gentile 1929–1939: xii).

Sie ist als Nationalwerk Italiens konzipiert („illustrare il nostro paese e il nostro tempo“; Treccani/Gentile 1929–1939: xiii), mit dem Ziel, kulturell zu anderen Ländern aufzuschließen:

un’enciclopedia italiana, tutta italiana, nata dalla stessa letteratura nostra, originale insomma e da potersi paragonare a quelle che dal secolo XVIII in poi hanno avute le altre grandi nazioni di Europa e di America, fino ad oggi mancava (Treccani/Gentile 1929–1939: xi).

Insbesondere sollte den italienischen Verhältnissen Rechnung getragen werden, indem die kunsthistorische Bedeutung des Landes in Bildern illustriert wird. In Abkehr vom reinen Rationalismus der französischen Enzyklopädisten sollte das Werk die Fantasie der italienischen Leserschaft anregen:

E secondo il genio italiano abbiamo voluto che l’Enciclopedia fosse riccamente illustrata, e parlasse agli occhi e alla fantasia oltre che al pensiero, e presentasse il maggior numero possibile delle immagini che descrive o ricorda, paesaggi e persone, esseri naturali od oggetti d’arte, quadri, sculture, edifizî, e congegni e strumenti ed armi e scritti e frontispizî di libri rari e famosi (Treccani/Gentile 1929–1939: xvi).

Trotz einer teilweise erstaunlichen Internationalität der Artikel (cf. Collison 1966: 207) nimmt die Enzyklopädie überwiegend eine italozentrische Perspektive ein (cf. Carnazzi/Fedriga 2002: 74), was an der Überdimensionierung des Artikels Italia mit 359 Seiten offensichtlich wird. Die offene Unterstützung für das faschistische Regime findet im Artikel fascismo, der größtenteils von GentileGentile, Giovanni verfasst und von Mussolini unterzeichnet wurde (cf. Carnazzi/Fedriga 2002: 74), ihren Niederschlag. Trotz der ideologisch belasteten Inhalte wird das Werk bis heute fortgeführt. Der Kernbestand der 35 Bände wurde durch 17 Appendix-Bände erweitert, die der Aktualisierung der Inhalte dienen. Dies führte jedoch dazu, dass in der heutigen Republik Italien Enzyklopädieartikel aus der Zeit des Faschismus im Umlauf sind (cf. Carnazzi/Fedriga 2002: 75). Die meisten Inhalte zu Ländern und Kulturen sind entweder veraltet, oder Einträge zu historisch-politischen Schlüsselwörtern wie Italia, italianitàitalianità, nazione, guerra, razza sind ideologisch belastet (cf. Schafroth 2012: 427).

In Frankreich entstand in diesem Zeitalter die Encyclopédie française von Lucien FebvreFebvre, Lucien, die zwar der französischen Kultur verpflichtet, jedoch nicht ideologisch gefärbt ist. Die Enzyklopädie ist thematisch organisiert und präsentiert in eigenständigen Bänden Themen wie La physique (1955) oder Le ciel et la terre (1956). Jeder dieser Bände enthält einen bibliografischen Anhang und einen eigenen Index (cf. Collison 1966: 209f.). Außerdem entstanden im 20. Jahrhundert weitere nationale Enzyklopädien wie die Grande enciclopédia portuguesa e brasileira (1935–37), die Enciclopedia Românici (1939), das Mexican Diccionario enciclopédico U.T.E.H.A. (1953), die Encyclopédie belge (1934), The encyclopedia of Canada (1935–49) oder die Encyclopedia Canadiana (1957–58) (cf. Collison 1966: 225).

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