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2.6 Gegenwart und Digitalisierung

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Im Verlauf des 20. Jahrhunderts diente die Encyclopædia Britannica zwar immer noch als Modell, der nationale Fokus weitete sich jedoch um eine europäische und internationale Perspektive. Die Gegenwart enzyklopädischer Werke ist durch ein Nebeneinander vielfacher Traditionen geprägt. So entstand von 1970 bis 1978 La Grande Encyclopédie Larousse, eine alphabetische Enzyklopädie, deren Inhalte nicht mehr aktualisiert werden. Bekannt ist das Haus Larousse vor allem für seine enzyklopädischen Wörterbücherenzyklopädisches Wörterbuch. Zu nennen wären hier ältere Werke wie das Grand dictionnaire encyclopédique Larousse (1982–1985) oder der Nouveau Larousse encyclopédique (1998). Ungebrochen ist der Erfolg des Petit Larousse illustré (seit 1905), der einen sprachlichen und einen enzyklopädischen Teil beinhaltet und durch seine reichhaltige Illustrierung einen hohen Unterhaltungswert bietet. Ebenso beliebt sind die enzyklopädischen Wörterbücherenzyklopädisches Wörterbuch des Hauses Hachette wie das Dictionnaire Hachette: langue, encyclopédie, noms propres. Eine reine Enzyklopädie im Stil der Encyclopædia Britannica ist die Encyclopaedia Universalis (ab 1990), die eine gezielte Auswahl von LemmataLemma in handbuchartigen Abhandlungen enthält. Die Artikel stammen von ausgewiesenen Experten, die stellenweise ihre Meinung äußern (cf. Rey 2007: 221). Neben den alphabetischenEnzyklopädie– alphabetische Enzyklopädien erscheinen in Frankreich thematischeEnzyklopädie– thematische Bände, die in einem weiteren Sinne als Enzyklopädien bezeichnet werden können, wie beispielsweise der Quid (1963–2007) oder die Encyclopédie Alpha (1969–1974).

Auch in Italien wurde die Tradition der Enzyklopädien nach der Schaffung nationaler Werke fortgesetzt. Unter anderem wurden Referenzwerke in denjenigen Verlagshäusern produziert, die im 19. Jahrhundert gegründet worden waren, wie beispielsweise die Enciclopedia Hoepli (1955–1968). In den 1970er Jahren entstand die Enciclopedia europea des Hauses Garzanti ebenso wie die experimentelle Enciclopedia Einaudi (1977–1984). Letztere enthält eine sehr selektive Auswahl von Stichwörtern, zu denen philosophische Abhandlungen von Experten gegeben werden (cf. Carnazzi/Fedriga 2002: 71). Ein relativ junges Werk ist Nova. L’enciclopedia UTET aus dem Jahre 2001, die kürzere Einträge und hochwertige Abbildungen beinhaltet. Neben den Enzyklopädien wird in Italien ebenso wie in Frankreich die Tradition der enzyklopädischen Wörterbücherenzyklopädisches Wörterbuch fortgeführt. Die bekanntesten hierunter sind die Werke des Istituto dell’Enciclopedia Italiana und die Enciclopedia Zanichelli: dizionario enciclopedico di arti, scienze, tecniche, lettere (2003).

Die weitere Entwicklung der Enzyklopädien ist eng mit der Entwicklung der Computertechnologie und des World Wide WebWorld Wide Web verbunden. Diese unterzogen den Markt für Enzyklopädien einem tiefgreifenden Wandel, der bis heute andauert. Im Jahre 1985 fand mit Windows 1.0 die erste grafische Benutzeroberfläche für das Betriebssystem MS-DOS Verbreitung und machte somit auch für Laien die Arbeit mit dem Computer attraktiv. Für dieses System sind auch die meisten Enzyklopädien auf CD-ROMEnzyklopädie– auf CD-ROM konzipiert. Als erste Enzyklopädie dieses Typs gilt die Academic American Encyclopedia von Grolier aus dem Jahre 1985, am erfolgreichsten war jedoch Encarta von Microsoft (1993–2009). In der Folge wurden CD-ROM-Ausgaben der etablierten Enzyklopädien erstellt, wie beispielsweise die Encyclopædia Britannica auf CD (1994), die Encyclopaedia Universalis auf CD (1995–2012), die Encyclopédie Multimédia Hachette (1999–2007), die Treccani mit CD, Omnia (bis 2010) und Gedea von de Agostini. Zumeist wurden die CD-Versionen den Printausgaben beigegeben und erweiterten das Angebot um multimediale Inhalte wie Audiodateien, Bilder, Videos und Wörterbücher (cf. Fuertes-Olivera 2013: 1072). Da diese Versionen nach dem Modell der PrintenzyklopädienEnzyklopädie– Print-~ konstruiert wurden, lösen sie keinen Transformationsprozess aus:

encyclopedias on CD-ROM and/or DVD, which have also been called electronic encyclopedias, have not had any real impact on a theory of e-lexicography, as most if not all of them are ‘faster horses’, as Tarp (2011) calls lexicographical works made available on electronic platforms that are constructed by following the theoretical principles developed for elaborating printed reference tools (Fuertes-Olivera 2013: 1070).

Durch die Abschaltung des ARPANets im Jahr 1990 wurde der Weg für das kommerzielle Internet freigegeben. Einer der beliebtesten Dienste ist das World Wide WebWorld Wide Web, das im Frühjahr 1993 entstand und auf Tim Berners-LeeBerners-Lee, Tim zurückgeht. Im Zuge dieser Entwicklung gingen die Verlagshäuser dazu über, Webauftritte für ihre Enzyklopädien zu konzipieren. So sind die Webausgaben der Academic American Encyclopedia ab 1995, der Britannica ab 1995, der Treccani ab 1996 und der Universalis ab 1999 verfügbar, wobei der Zugang häufig über ein Abonnement gekauft werden muss. Die Webausgaben der PrintenzyklopädienEnzyklopädie– Print-~ sind der Web 1.0Web 1.0-Technologie verpflichtet, die noch keinerlei Partizipationsmöglichkeiten beinhaltet. Im Jahre 1995 wurde die Wikitechnologie, eine Web 2.0Web 2.0-Anwendung, erfunden, welche das kollaborativeKollaboration Erstellen und Teilen von Wissensinhalten ermöglicht. Auf dieser Technologie basiert WikipediaWikipedia, die im Jahre 2001 von Jimmy WalesWales, Jimmy und Larry SangerSanger, Larry gegründet wurde und als kollaborative Plattform zur Erstellung einer frei zugänglichen Enzyklopädie konzipiert ist:

Wikipedia is first and foremost an effort to create and distribute a free encyclopedia of the highest possible quality to every single person on the planet in their own language. Asking whether the community comes before or after this goal is really asking the wrong question: the entire purpose of the community is precisely this goal (Wales 2005).

Das nichtkommerzielle Projekt Wikipedia wirkte in der Folge als disruptive Technologie (cf. Flavin 2017: 38), welche die traditionellen PrintenzyklopädienEnzyklopädie– Print-~ aufgrund der Kostenlosigkeit und des einfachen Zugangs fast vollständig aus dem Markt drängte und Standards für digitale EnzyklopädienEnzyklopädie– digitale setzte:

Zehn Jahre nachdem der US-Amerikaner Jimmy Wales den Startschuss zur Online-Enzyklopädie Wikipedia gab, sind die Print-Enzyklopädien weitestgehend aus den Buchhandlungen verschwunden. Was ist geschehen? Die Verlage hinter den etablierten Enzyklopädien haben mit steigender Bedeutung des Internets ihre Werke ins Web gestellt. Sie haben es aber versäumt, die Enzyklopädien dem Internet anzupassen (Stöcklin 2012: 110).

Die Reaktionen der etablierten Verlage auf WikipediaWikipedia fielen unterschiedlich aus. Die gedruckte Ausgabe der Universalis wurde ab 2012 eingestellt ebenso wie die des Brockhaus und der Britannica. Diese Enzyklopädien bieten auf ihrer Internetplattform kostenpflichtige Abonnements an. Einen anderen Weg ging das Haus Larousse, das ab 2008 eine Plattform lancierte, auf der kostenlose Inhalte zur Verfügung gestellt werden. Das ursprüngliche Konzept, einen Teil der Artikel durch CrowdsourcingCrowdsourcing erstellen zu lassen, wurde jedoch zugunsten des Autorenprinzips wieder zurückgenommen. Wiederum einen anderen Weg gingen die italienischen Verlage. De Agostini bietet mit der Seite sapere.it ein kostenloses Wissensportal an, das neben einer Enzyklopädie und Wörterbüchern auch Spiele beinhaltet. Im Gegensatz zu vielen anderen etablierten Verlagen setzt das Istituto dell’Enciclopedia Italiana weiterhin auf die gedruckte Ausgabe der Enciclopedia Treccani, die einen großen Teil des Umsatzes ausmacht. Begleitet wird die Printversion von einem kostenlosen Onlineangebot auf der Seite treccani.it und einer App für die mobile Konsultation. Angesichts der Entwicklungen im Bereich der PrintenzyklopädienEnzyklopädie– Print-~, aber auch im Bereich der Onlineauftritte nationaler Enzyklopädien stellt der Fall der Enciclopedia Treccani eine Ausnahme dar. Die hohe Akzeptanz der Printenzyklopädie in Italien hängt einerseits mit einer verlangsamten Entwicklung und einer schlechteren digitalen Infrastruktur im Land zusammen, andererseits aber auch mit der außergewöhnlichen kulturellen Bedeutung der Enzyklopädie. Denn nicht nur die Printausgabe, sondern auch der Internetauftritt erfreut sich großer Beliebtheit und erreichte im Jahre 2014 10 Millionen Nutzer, was zwar im Vergleich zur italienischen Wikipediaausgabe sehr gering, im Vergleich mit den Auftritten anderer Verlagshäuser jedoch enorm ist.

Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache

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