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Die abweisende Gletscherlandschaft des dritthöchsten Berges der Welt, Kangchendzönga

Memsahb sah nicht gerade wie eine Bergheldin aus: Sie war zierlich und adrett und schien eher für die Salons der Intellektuellen ihrer Heimatstadt Breslau als für die Härten einer Expedition gebaut zu sein. Als die Expedition vorüber war, sprach sie über ihre Freude, zu heißen Bädern und weichen Betten zurückzukehren. „Pudern konnte ich mich allerdings nicht, denn ich war einfach schwarz geworden – so dunklen Puder gibt es sicher gar nicht.“39 Hettie stammte aus einer bekannten Familie jüdischer Industrieller und war Meisterin im Damentennis. Sie scheute sich nicht, soziale Konventionen hinter sich zu lassen und die körperlichen Anforderungen und die Unbequemlichkeit einer Himalaya-Expedition auf sich zu nehmen. Dass sie drei junge Kinder zuhause zurückließ, um ihren Mann bei der Erfüllung seines Lebenstraums, dem Bergsteigen im Himalaya, zu begleiten, wurde von vielen argwöhnisch betrachtet. Aber es war erst nach der Expedition, als Memsahb erfuhr, wie negativ die Engländer ihre Teilnahme gesehen hatten. Smythe hatte mehrfach gewarnt, dass Frau Dyhrenfurth nur für Probleme sorgen würde. Als einzige Frau sei sie den Anforderungen des Expeditionslebens nicht gewachsen. Nach und nach belehrte sie ihn eines Besseren. Andere Expeditionsmitglieder hingegen respektierten sie sehr und profitierten von ihren großen organisatorischen Fähigkeiten, die sie selbst ihren alltäglich zu meisternden Aufgaben als Mutter und Hausfrau zuschrieb.40 Pallas zählte zu ihren stärksten Unterstützern; er fand sie warmherzig und fröhlich.


Hettie Dyhrenfurth

Von ihrem zweiten Basislager aus hatte die Expedition Zugang zu mehreren unbestiegenen Bergen, der höchste davon der Jongsong Peak (7483 m). Sein Gipfel war das Dreiländereck von Tibet, Nepal und Sikkim und wartete mit seinen eigenen Herausforderungen auf: starke Winde, Hängegletscher, Eiswände und weicher Schnee, in dem Bergsteiger wie Träger bis zum Bauch versanken. Der bevorstehende Monsun, missmutige Träger und zur Neige gehende Lebensmittel drängten zu einem schnellen Aufstieg. Während sie aufgrund tobender Stürme einige Nächte lang festsaß, hatte die führende Seilschaft Schneider, Hoerlin, Smythe und Wood-Johnson keinerlei Brennstoff mehr – nicht einmal, um Tee zu kochen. Sie ernährten sich von Schokolade und Plum-Pudding. Am 3. Juni riss der Himmel auf und die vier begannen den Gipfelaufstieg von Lager 3. Am Ende hatten nur Pallas und Erwin die Kraft, den höchsten Punkt zu erreichen. Es war der damals höchste bestiegene Berg der Welt.41


Die Fahnen von Schwaben und Tirol wehen 1930 auf dem bis dahin höchsten bestiegenen Berg der Welt.

Mein Vater schrieb später: „Es ist schwer, die Gefühle zu beschreiben, die uns beim Betreten des Gipfels erfüllten. Vorherrschend war zunächst sicher die Freude über den errungenen Sieg; bald überwog aber die Bewunderung der erhabensten Aussicht, die wir je gesehen haben. […] Nirgends waren wir dem Glauben der Bergvölker – ähnlich dem der alten Griechen und Römer – näher als hier: Auf den höchsten Bergen der Erde ist der Sitz der Gottheit.“42 Die beiden „Jungs aus Hall“ – mein 27 Jahre alter Vater aus Schwäbisch Hall und der 24-jährige Erwin Schneider aus Hall in Tirol – hissten die Flaggen ihrer jeweiligen Bundesländer auf dem Gipfel. Fünf Tage später begrüßten die Flaggen sechs weitere Expeditionsmitglieder, die ebenfalls den Gipfel bestiegen.43 Fünf Jahre später schrieb ein erfahrener Bergsteiger, der Nationalsozialist war, einen giftigen Brief, in dem er meinen Vater verunglimpfte, er habe nicht den „Mut“ gehabt, auf diesem Gipfel des Sieges die deutsche Flagge zu hissen.44 Die spaßige und freundschaftliche Geste von meinem Vater und Schneider war offenbar 1935 ein Schlag ins Gesicht des in Deutschland überhandnehmenden Nationalismus gewesen.


Schneider und Hoerlin müde nach ihrer Besteigung des Jongsong Peak

Im Basislager wurde Pallas’ und Erwins Erfolg mit einigen Runden Rum gefeiert. Die überglückliche Seilschaft plante sofort die Besteigung eines weiteren Gipfels, des Dodang Nyima (7150 m), der zwar etwas niedriger als der Jongsong Peak war, dafür aber technisch schwieriger.45 Nach zwei Tagen Erholung von der Besteigung des Jongsong Peak brachen sie zum Dodang auf und untermauerten damit ihren Ruf als „unersättliches“46 Paar mit „unerschöpflicher Energie“.47 Abermals kamen ihnen ihre ergänzenden Fähigkeiten zugute und ihre unterschiedlichen Stile hielten sich die Waage: Erwins Impulsivität und Beweglichkeit mit Hoerlins Bedächtigkeit und Beständigkeit. An einem kritischen Punkt, der Überkletterung eines schwierigen Überhangs, bemerkte Erwin „zu [des] Freundes seelischer Beruhigung“: „Pass auf, Pallas, gleich werde ich fliegen!“48 Der Moment der Anspannung ging vorüber, mein Vater hielt fest das Seil, mit dem er seinen Partner sicherte. Schneider „flog“ nicht, doch sowohl beim Auf- wie auch beim Abstieg wurden beide nur knapp von etlichen Lawinen verfehlt. Mit typischer Bescheidenheit, die niemandem etwas vormachte, spielte die erschöpfte Seilschaft nach der Rückkehr ins Basislager die Gefahr herunter und berichtete der versammelten Mannschaft von ihrem Erfolg. Mit Tee und Keksen wurden die beiden Bergsteiger gefeiert.

Es war Zeit für die Expedition, zusammenzupacken. Weil sie unbedingt noch ein weiteres Königreich besichtigen wollten, führte ihr Rückweg nach Darjeeling durch Sikkim. Als die Gruppe sich der Hauptstadt Gangtok näherte, wurden sie auf einem Aussichtspunkt von den Dienern des Maharadschas empfangen. Im Schlepptau hatten sie Rennpferde aus dem Reitstall des Herrschers, welche die Bergsteiger auf direktem und schnellem Weg in die Stadt hinabtrugen – ein Abenteuer, welches ihnen mehr Angst einjagte als das Abseilen von jeder Felswand. Am selben Abend bewirtete sie der Maharadscha mit einem üppigen Festmahl in seinem Palast. Es gab viel zu feiern: Pallas und Schneider hatten einen neuen Gipfelrekord aufgestellt. Hettie hatte den Höhenrekord für Frauen gebrochen. Und von den sieben Siebentausendern, die bis zu diesem Zeitpunkt bestiegen worden waren,49 waren allein drei auf das Konto der IHE gegangen. Die Expedition hatte einen bislang unkartierten Gletscher entdeckt und weitere interessante wissenschaftliche Entdeckungen gemacht. Ein weiteres Novum war die Fertigstellung des Films, „Himatschal – Thron der Götter“, der heute als historisch wichtige alpine und kulturelle Dokumentation gilt. Niemals zuvor war eine Kamera im Himalaya den Bergsteigern bis auf einen Gipfel gefolgt und hatte jeden ihrer Atemzüge und Schritte verfolgt.50 Zur damaligen Zeit wurde er ein Klassiker. Gleichzeitig hatte die Expedition auch negative Seiten: Es hatte ein Todesopfer gegeben, Fehler wurden gemacht und nicht alles war reibungslos verlaufen. Vor allem aber blieb der Kangchendzönga unbestiegen.

Smythe blickte mit besonders schlechten Gefühlen auf den Berg zurück: „Der Kangchendzönga ist mehr als unfreundlich; er ist durchdrungen von einem blinden, vernunftlosen Hass gegen Bergsteiger … er unterliegt keinem Gesetz … und zählt zu den gefährlichsten, verzweifeltesten Bergflanken der Welt.“ Seine Schwierigkeiten nahmen mit der Zeit nicht ab. Als der Leiter der erfolgreichen Everest-Erstbesteigung 1953, Sir John Hunt, gefragt wurde, „Was kommt als Nächstes?“, antwortete dieser: „Kangchendzönga … die technischen Probleme der Kletterei und die objektiven Gefahren sind nochmals eine Stufe höher als jene, denen wir am Everest begegneten.“ Zwei Jahre später und 25 Jahre nach dem Versuch der IHE wurde der Kantsch von einer britischen Expedition bestiegen. Aus Respekt vor dem Glauben der Einheimischen hielten die Bergsteiger einige Meter unterhalb des Gipfels an. Für diesen Moment waren die Götter besänftigt.

Courage. Im Schatten des Nanga Parbat 1934

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