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Doktor Selma

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Also rein in die Schuhe, Socken brauch ich nicht. Mantel ist linksrum. Auch egal, ich will ja nicht zur Modenschau. Unterlagen mitnehmen? Nur die Vorladung. Hab eh sonst nichts.

Draußen ist es eigentlich zu kalt für meine Schlafanzughose. Kann sein, kann auch nicht sein, dass mich alle anstarren. Aber ich muss ja nur einmal über die Turmstraße. Der braun-grüne Altneubau an der Ottostraße ist nicht gerade ein Architekturdenkmal. Im Schaufenster der türkischen Fahrschule im Erdgeschoss sehe ich eine verwahrloste Schönheit zum Eingang huschen.

Ich kenn das Haus gut. Sonst fahr ich immer in den dritten Stock. Das ist das Büro von Susis Escortagentur »Die Berlinerin«. Die Jobs, die mir dieses Etablissement vermittelt, haben mich im Leben wirklich weitergebracht. Danke, Susi. Ich frag mich, was du mit all den Provisionen gemacht hast, die ich dir schon erflirtet und erknutscht hab. Wenn du sie nicht für ein Kinderhospiz gestiftet hast, hol ich sie mir irgendwann wieder. Wenn ich nicht mehr ganz so fertig bin.

Das Holz in einer Ecke der Fahrstuhlkabine ist feucht, es stinkt. Oder bin ich das etwa? Ich drück die Zwei: Doktor Selma Ehrlich, Rechtsanwältin. Mit dem Finger zieh ich nach, was jemand ins Tableau geritzt hat: Hurntöschta21. Luft anhalten, zweiter Stock. Der Gestank steigt nicht mit mir aus.

Ich klingel. Es summt, die Tür springt auf. Dahinter alles schnieke, so weiß-glatter Designlook, softes Licht, Kunst. Ein Typ hinter dem Empfang. Dunkel, Haare lockig, zurückgegelt, weißes Hemd, offener Kragen. »Bitte?«, fragt er.

»Guten Tag, Meista«, sag ich und zieh die Nase hoch. Damit hab ich seine volle Aufmerksamkeit. »Liberty Vale. Sorry, aber ich brauch jetzt mal eure Hilfe.« Der Junge hinterm Tresen ist so ein fragiler Orientbeau, vielleicht Mitte zwanzig, also ein paar Jährchen zu jung für mich. Trotzdem Ehering. Wie der mich anstarrt. Wenn der wüsste, wie flexibel ich bin. An bestimmten Körperstellen. »Bin ich jetzt Anwalts Liebling, Süßer?«, kumpel ich ihn an und knall schlitzohrig meine Versicherungskarte auf den Tresen.

Der Mann kommt hinter dem Empfang hervor. Er riecht besser als der Fahrstuhl. Nimmt die Karte. Schiebt mich zu einer Sitzecke. »Kaffee?«, fragt er.

»Wenn ihr nix anderes habt.«

»Doch, aber das zahlt Ihre Rechtsschutz nicht.«

Wenn der wüsste, was die noch alles nicht zahlt. Aber weiß er ja nicht. Er verschwindet, rumort rum. Ich zähl die Tapetenmuster, die schlingern so möbiusmäßig ineinander, ganz schlecht wird mir davon, dann ist der Hübsche wieder da. Der Kaffee ist klein, riecht aber klasse.

»Kommen Sie«, sagt er. »Seltsamerweise will Doktor Ehrlich Sie gleich sehen.«

Ich zwinker ihm zu und kipp den Kaffee runter.

Selma kommt hinter einem total zugepackten Schreibtisch hervor. Auch auf dem Boden und auf dem Sofa stapeln sich Akten. Sie lacht, als sie meinen Blick sieht. »Das muss so«, sagt sie und umarmt mich ohne Zögern, »sonst denken die Mandanten noch, man hätte weiter nichts zu tun.«

Selma ist klein, hat dunkles Haar, einen Pagenschnitt, Grübchen. Ihr Kostüm ist so seriös, dass es auch allein bei Gericht erscheinen könnte.

»Du hast einen Schlafanzug an«, stellt sie fest.

»Das ist nur …«, wie sag ich das jetzt?, »… situationsbedingt. Genau. Aber hey, sag mal, der Typ da draußen, sitzt der auf deinem Schoß, wenn du ihm diktierst?«

»Melek? Och, nö. Sie’s ’n Transgender. Nicht mein Fall.«

Wir lachen beide. Selma, weil ich reingefallen bin, ich vor allem, weil es mir peinlich ist.

»Ich bin sonst nicht Macho«, entschuldige ich mich. Offenbar bin ich zu verwirrt, um Männlein und Weiblein zu unterscheiden.

»Jetzt hör mal, Libby.« Selma lehnt sich vor. »Ich warte schon ewig darauf, dass du bei mir aufschlägst. Das ganze Viertel spricht darüber. Papa sagt, er hängt dir Essen an die Tür.«

»Ich … Nett von deinem Papa. Sag ihm das mal.« Ich will plötzlich nur noch, dass es vorbei ist. Alles. Ich nerve, und ich weiß es selbst. »Pass auf, Selma, ich hatt mal einen Traumjob. Jetzt hab ich Burnout, glaub ich. Manchmal braucht man halt Zeit für sich. Diese Zeit ist jetzt rum.« Ich schiebe ihr die Post rüber.

Sie liest. »Damit kommst du heute? Das ist morgen, Mann, morgen!« Sie schüttelt den Kopf.

»Ich kann da nicht allein hin«, murmel ich und denk: Hilf mir, Selma!

»Ganz ruhig, Libby.« Selma schiebt eine Packung Kleenex über den Tisch. »Wir machen das schon. Ich helfe dir. Niemand muss zu einer polizeilichen Vernehmung erscheinen. Und die können dich auch nicht zwangsweise vorführen lassen. Jetzt putz dir die Nase und erzähl erst mal alles. Von Anfang an.«

Selmas Souveränität versetzt mir einen Stich. Einerseits lieb ich sie dafür. Andererseits könnt ich auf ihrer Seite des Schreibtischs sitzen, wenn ich das Studium nicht geschmissen hätt. »Gib noch ’n Kaffee aus.« Ich schlag die Beine über. »Und übrigens muss ich leider gleich mal mit einem Geständnis anfangen, betreffs meiner Rechtsschutzversicherung.«

Mitternachtsnotar

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