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Comeback

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Es muss ja irgendwann sein. Hartes Licht, keine Wolke am Himmel, es ist ein Sommertag mitten im Frühling. Ich bin wach, ich hab mein Modelkleid reinigen lassen, ich hab mir die Nasenhaare mit dem Milchaufschäumer epiliert.

Ich hab Wanja den Raben von Poe erklärt. Hoff ich zumindest. Statt mich zur Belohnung Unter den Linden ins Café Einstein zu setzen, geh ich zur Studienberatung für Rechtswissenschaftler in die Dahlemer Van’t-Hoff-Straße. Das ist eine Villengegend, in der sich in den letzten zehn Jahren bis auf ein paar Neubauten für die Freie Universität nicht viel getan hat. Die Unigebäude haben allerdings nicht mehr den graffitibekritzelten Sponticharme der Jahre nach der Wiedervereinigung. Stattdessen Glas und Beton, und auch in der Studentenschaft ist mehr Zug drin.

Bei der Beratung sitzt mir nicht der vor zehn Jahren noch übliche picklige Asta-Vertreter gegenüber, sondern eine perfekt geschminkte Frau Anfang zwanzig im Kostüm und mit Kopftuch, aber ohne Akzent. »Hast du denn die Zwischenprüfung bestanden?«, fragt die Perfekte sehr freundlich.

»Klar.«

Das Nichtbestehen der vorlesungsbegleitenden Zwischenprüfung führt zur sofortigen Zwangsexmatrikulation, das weiß sogar ein Silver Surfer wie ich. Aber hey, ich hab ja nicht hingeschmissen, weil ich zu blöd war, sondern wegen Horst Lustenberger.

Horst Lustenberger, der zweite Mann meiner Mutter, ist ein verdienstvolles Mitglied des Deutschen Bundestages. Niemand außer mir kann sich daran erinnern, dass er während des Berliner Bankenskandals im Jahr 1999 in die Parteikasse gegriffen hat. Ich hatte damals gerade ein Studentenpraktikum in der Parteizentrale absolviert, weil der Horst ja etwas für mich tun wollte. Schlechtes Timing.

Während des Praktikums teilte mich der Justiziar zur Abteilung Haushalt und Finanzen ein, da herrschte nämlich Personalnot. Also saß ich da, Wilhelmstraße 60, Zimmer 006, und sortierte Belege. Im Nebenzimmer saß der oberste Buchhalter der Fraktion, der Büroleiter. Das war seit sechzehn Jahren ein gewisser Mister Unauffällig in Person. Morgens sah ich ihn ins Büro huschen und abends wieder raus.

Als es schließlich losging mit dem Skandal, riefen zuerst Parteikollegen an. Dann die Innenrevision. Und zum Schluss nur noch Journalisten. 1,5 Millionen Mark waren auf schwarzen Kohl-Konten aufgetaucht. Irgendwann ging ich nicht mehr ans Telefon. Und am nächsten Morgen hängte sich der unauffällige Herr am Heizungsrohr auf. Seither bin ich durch mit der Politikerbagage im Allgemeinen und dem Horst im Besonderen.

Denn als Horst Lustenberger mit seiner Saftgulasch-Attitüde und seinem klebrigen Geld in mein Leben trat, war es zu spät – ich war schon sechzehn. Meine Mutter und ich zogen zu ihm, Beletage im Altbau am Spreeufer, KPM-Geschirr, handgenähte Bettwäsche, Gardinensteif, Kristalllüster, ständig roch es nach Bratensoße. Plötzlich saß ich jeden Abend um sieben mit dem Horst am Tisch. Meine Mutter und er glutzerten sich über die Kunstblumen hinweg so pubertär an, dass sogar die Rinderbrust auf den Bandnudeln rot wurde. Mit bebenden Nasenflügeln gestand der Horst beim Sonntagsfrühstück, was er sich vom Leben noch wünsche: »Wenn ich dich adoptieren würde, Libby, dann wären wir doch eine richtige Familie.«

Was natürlich ausgeschlossen war. Ich lass mich doch nicht von einem etablierten Presssack adoptieren. Und erst recht nicht, wenn der das will. Da merkte ich dann, wie mir plötzlich zwischen weichem Ei und Kuchenbrötchen ein Rückgrat wuchs. »Sorry, Horst«, sagte ich, »nichts gegen dich, aber ich will einfach nicht Liberty Lustenberger heißen. Das bin ich irgendwie nicht.«

Das hat so was Deterministisches, wie Lolo Ferrari. Ich heiß lieber wie mein richtiger Vater, Vale wie in vale of tears, Tal der Tränen. Eine Art selbsterfüllende Prophezeiung, denn der Horst nahm die Absage natürlich trotzdem persönlich. Wir stritten nicht direkt, aber er wurde so ruhig wie ein Rumpsteak nach dem Abbraten, und meine Mutter schluchzte ins Zwiebelgehackte. Fünf Jahre später adoptierten die beiden Wanja und versuchten ihr Erziehungsglück bei ihr.

Jedenfalls, als ich den Horst damit konfrontierte, dass er bei den Schwarzkonten seine Finger im Honigtöpfchen hatte, da sagte er: »Na, wenn das so schlimm ist, dann wirst du ja auch keine finanzielle Unterstützung mehr von mir haben wollen.«

Wollte ich nicht. Danke, Horst Lustenberger. Du hast es mir ermöglicht, als Flugbegleiterin die Welt zu sehen. London, Rio, Tokio. Kein schlechtes Leben. Aber es fehlte ein bisschen an Substanz.

Ich bewerb mich für einen Studienplatz im Herbstsemester. Dann geh ich die Brümmerstraße runter zum U-Bahnhof Thielplatz. Studieren war ja schon immer Frustrationstoleranztraining. Aber hey, Schuldrecht zweites Semester: Auch seine Seele kann man nur einmal abtreten. Dann doch lieber gewinnbringend. Liberty Vale. Rechtsanwältin. Fachanwältin für Strafrecht. Ich seh schon den Gesichtsausdruck von Horst vor mir, wenn ich die Visitenkarte vor ihm auf den Tisch knall. Und jetzt brauch ich dringend was zu trinken.

Mitternachtsnotar

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