Читать книгу Mitternachtsnotar - Bettina Kerwien - Страница 8
Die Bombe
ОглавлениеIm Dunkeln berührt mich etwas. Es ist glatt und klebrig. Ich lieg im Bett und hab eine Flasche im Arm. Das passiert vielen Frauen, aber bei mir ist es eine Flasche Eierlikör. Was für ein Ausrutscher. Zugegeben, das kann sich nur jemand wie ich leisten, dessen Leben in den letzten Monaten ein einziger Exzess der Nichtigkeit gewesen ist. Zu viel gearbeitet – die Ausrede ist auch nicht neu.
Warum bin ich eigentlich wach? Weil das Handy klingelt. Wo ist es? Keine Ahnung. Ich streck mich, meine Knie tun weh von den High Heels. Ich bin 31, ich bin zu alt für diesen Zirkus. Aber ich trag noch immer das Parfüm, das ich letztes Jahr im Duty Free aufm Flughafen Singapur gekauft habe. Guter Stoff. Er flüstert den ganzen Abend: Baby, ich gehör nur dir! Eine Menge Kerle glauben das. Weil sie es glauben wollen. Und sie zahlen cash. Denn ich bin eine Ex-Stewardess mit Escortjob-Problemen.
Problem Nummer eins: Ich brauch die Kohle. Dringend. Also schweb ich elegant und stilsicher von Termin zu Termin, dabei immer – lyrisch gesprochen – auf der Flucht vor mir selbst. Ich versuch wie verrückt, eine bestimmte Telefonnummer zu vergessen. Da hilft es ungemein, wenn man jeden Abend ausgeht.
Problem Nummer zwei: Escort heißt bei mir Escort – ich bin eine Gesellschaftsdame. Na ja, Dame ist vielleicht zu viel gesagt. Jedenfalls essen gehen, küssen vielleicht, aber dann ist auch fini. Oft genug sind meine Kunden Jedermänner mit Knallchargenpathos, die mich schon während der Vorsuppe nach einem Blowjob fragen und aus denen ich, wenn ich männerfeindlich veranlagt wäre, gern noch bei Tisch sechs Sorten Scheiße herausprügeln würde. Aber für ein paar Hunnis am Abend hat man über die Fürsorgepflicht hinaus auch gewisse Erziehungsaufgaben.
Das Handy klingelt noch immer. Berlin ist unberechenbar – von wegen. Man muss nur das Unmögliche einkalkulieren, dann hat man Berlin ausgecheckt. Und das Unmögliche bin ich. Oder vielmehr, es ist in mir drin. Ich überrasch mich jedenfalls selbst damit, dass ich das Telefon aus dem Chaos auf dem Nachttisch hervorkram und kristallklar sag: »Liberty Vale.«
»Ich rufe dich nicht freiwillig an«, sagt eine Mädchenstimme.
Wanja, meine anadoptierte Schwester. Sie ist vierzehn, meine Mutter hat sie aus einem rumänischen Kinderheim gerettet. Da war sie fünf Jahre alt. Wanja ist unsere Familienprinzessin, und sie ist so angenehm wie eine Stielwarzenvereisung. Also sag ich erst mal nichts. Ich setz mich auf. Mein Gehirn schwankt wie ein Leichtmatrose.
»Willst du uns eigentlich komplett blamieren?«
Ich bin siebzehn Jahre älter als Wanja, aber sie ist immer sehr streng mit mir.
»Denkst du auch mal an uns? Familienehre und so?«
»Das machst du doch schon.« Ich komm langsam in Schwung. »Arbeitsteilung.«
»Arbeit?« Wanja kriegt sich nicht mehr ein. »Seit du letztes Jahr Weihnachten deinen Stewardessjob gekündigt hast, weißt du doch gar nicht mehr, was das ist, du Nacktschnecke!«
Ich drück die Eierlikörflasche noch ein bisschen fester an mich. Escortmodel, da denkt man immer: Wenig Aufwand, viel Geld. Jedenfalls haben sich meiner Mutter und ihrem zweiten Mann, der für eine wertkonservative Partei im Deutschen Bundestag sitzt, vor Peinlichkeit je ein hübsches Gehänge Hämorrhoiden ausgestülpt. Sicher rutschen sie deshalb immer so seltsam auf den Stühlen herum, wenn ich ihnen in die Augen seh.
»Ich hab nicht gekündigt«, klär ich Wanja auf, »sondern kurz vorm Take-off die Notrutsche einer 747 ausgelöst. Mach das erst mal nach, Prinzessin.«
»Du bist einfach komplett durchgeknallt.«
»Das war Notwehr.« Ich weiß gar nicht, warum ich mich verteidige. Wahrscheinlich Restalkohol. »Und ein Akt weiblicher Selbstbestimmung. Dieser Harry Konig …«
»Immerhin ein Schauspieler, der den Oscar gewonnen hat.«
»Dieser versoffene Drecksack wollte mich begrapschen. Dann hat er mir die ganze Erste Klasse vollgepisst. Mit Absicht.«
Ich hör Wanja mit der Zunge schnalzen, so ein südosteuropäisches Laisser-passer-Geräusch.
»Na gut«, geb ich zu, »vielleicht war ich etwas mit den Nerven runter. Jedenfalls konnte ich nichts mehr von dem einstecken, was der Typ ausgeteilt hat.«
»Wenn dir das wichtiger ist als das Bild, das unsere Familie in der Öffentlichkeit abgibt.«
»Konig wollte mich fertigmachen. Ich musste da raus. Das war ich mir einfach schuldig.« Ich krieg kalte Füße. Im Dunkeln angle ich nach meinen Socken.
»Kapier doch mal, ich hör mir das jeden Tag in der Schule an!«
Die Hormone. Wanja weiß nicht nur alles, sie findet auch alles peinlich. »Chill einfach, Prinzessin.«
»Mama hat sich so vor den Nachbarn geschämt.« Wanjas Stimme bebt auf einmal vor Gefühligkeit. »Und falls du jetzt darauf spekulierst, dass Papa dir die zweihunderttausend Euro Schadenersatz gibt, auf die dich die Airline verklagt hat – wir haben das im Familienrat diskutiert, das kannst du dir abschminken!«
»Bevor ich von Horst Geld annehm, verkauf ich lieber meine Organe.«
Wanja lacht böse. »Warum versuchst du’s nicht gleich als Leihmutter? Ist doch wie dein jetziger Job, nur konsequent weitergedacht.«
Sie hat gewonnen. Ich kann das zugeben. »Du wirst mir wirklich immer ähnlicher, Prinzessin. Warum rufst du an?«
»Na ja.« Sie tönt ihre Stimme ab, à la Schauspielschule. »Ich wollte nur Bescheid sagen. Wahrscheinlich wirst du dich bald eh nicht mehr über mich ärgern müssen.«
»Ach herrje!«
»Nächste Woche schreibe ich eine total wichtige Englischklausur«, jammert sie. »Ich brauche eine gute Note, sonst ist meine Versetzung gefährdet.«
»Familienehre, hm?« Ich spiel mit dem rosa Balconette-BH, der auf meinem Nachttisch liegt. »Bist doch sonst nicht so ein Minderleister. Worum geht’s denn?«
»Der Rabe von Edgar Allen Poe.«
»Oh, und ich dachte, ich soll dem Englischlehrer meinen Körper anbieten.«
»Das könnte ich zur Not selbst.«
»An dir ist doch nichts dran.«
Kleine Pause, großes Geständnis. »Mama und Papa haben sich Prospekte von Internaten schicken lassen«, fistelt Wanja.
Erwachsenwerden kann einem das Herz brechen. Entweder man checkt die Regeln des Zusammenlebens und spielt das Spiel mit oder nicht. Wanja war bisher immer die Elite in Person. Sie hat nix übrig für Problemiker. Nun ist sie plötzlich selbst einer.
»Auweia. Ich spiel die Hauptrolle im Notrutschenskandal, und wenn du jetzt auch noch absteigst«, sag ich, »dann sind nicht nur eins, fix, drei das I-Phone und das Taschengeld weg, sondern dann ist Schluss mit Berlin. Politik kann der Horst ja überall machen. Ihr zieht in die Provinz, wo euch keiner kennt – in Frankfurt/Oder soll es ja ganz viel Leerstand geben.«
Ich hör Wanja Luft holen. Sie hat jetzt mein Zimmer in einer feudalen Altbauwohnung mit hohen Decken, Eichenparkett und Dienstmädchenkammer. Zusammen unter einem Dach gewohnt haben wir nie. Ich hatte mich schon abgeseilt, als sie einzog. Aber wir haben so oft Weihnachten zusammen gefeiert, dass ich die Familienprinzessin auswendig kenn. Ich kann sie aufblasen wie’n Frosch.
»Ach, weißt du was«, zischt sie, »vergiss es!« Und sie legt auf.
Dieses Bittersüße, Unberechenbare steckt halt in jeder Berlinerin. Ich hätt ja zum Beispiel auch nicht gedacht, dass ich mal die Orientierung im Leben verlier. Eigentlich wollte ich Juristin werden. Das Gute an meinem Notrutschenskandal ist, dass ich zu diesem Berufszweig jetzt wieder mehr Kontakt habe: Ich könnt eine ganze Kanzlei beschäftigen. Nur leider nicht bezahlen. So ist Berlin. Es spielt mit deinen Hoffnungen und lässt dich am Ende zerstört zurück.
Ich steh vom Bett auf. Eigentlich will ich mit der Zukunft ja nichts mehr zu tun haben. Besonders kurz nach dem Aufstehen. Aber durch das gekippte Fenster hör ich die Stimme des freien Moabit im Hof krakeelen: »Vallah, Liberty, sie’s Bombe. Sie’s swietest Fame Bitsch eva. Schwöre!«
Alle Augen auf mich: Ich bin’s, Liberty »Libby« Vale. Also known as »die Bombe«. Du wolltest ein kühles Berliner Kindl, und da bin ich. Warum ich so seltsam heiße? Kurzversion: Weil mein richtiger Papa Amerikaner ist, Sherlock. Ansonsten bin ich so amerikanisch wie Sauerkraut. Durch meine kleine Auseinandersetzung mit Oscarpreisträger Harry Konig hab ich es zu einer gewissen lokalen Berühmtheit gebracht.
Draußen Gerangel. Das Geräusch einer Mülltonne, die umfällt.
»Piss dich ma, Nuttensohn! ’sch seh nisch.«
»Sie’s ieber krass! Rutsch ma!«
»Was, was, was? S’los?«
»Sch’ mach dich Karankenhaus!«
Und ich mach das Fenster zu. Was die Jungs dabei für Sekundenbruchteile durch die Gardine geflasht kriegen, ist hundert Prozent made in Berlin. Aber ich fühl mich schon einen Mikromillimeter besser. Weil ich meine kleine Schwester abgefiedelt hab. Und weil mich ein paar Minderjährige stalken. Ich sprüh wirklich vor Lebensfreude.
Dabei haben diese Kids unten im Hof mehr Ehrgeiz als ich. Verdienen sich in Ümit Ehrlichs Süpermarket im Erdgeschoss mit Regaleinräumen ein paar Öros. Und in den Pausen belauern sie meinen Balkon im ersten Stock. Auch Pubertät. Die wissen wirklich alles.
Der Wecker auf dem Nachttisch blinkt im Halbdunkeln. Ich leg das Handy zurück zwischen die Detektiv-Conan-Mangas, die Retro-Superman-Comics, die Aspirin und die Ohrringe. Das Display leuchtet immer noch wie ein Grablicht. Da ist noch ein letzter Strich für den Handy-Akku, und da ist noch ein letztes Foto im Fotoalbum. Ein Gesicht, so scharfkantig und fragil wie ein Glasmosaik. Martin Sanders. Privatdetektiv. Ein Mädchen kann in einem einzigen Leben sehr viele Fehler machen.
Ich geh ins Bad. Es ist still in der Wohnung. Nur meine Oberschenkel klatschen Beifall. Ich vermiss einfach alles. Meine langen blonden Haare zum Beispiel, die ich mir für den einzigen Job, bei dem ich je mit Sanders zusammengearbeitet hab, abschneiden lassen musste. Die kurzen Strähnen stehen ab wie ’ne Pelzmütze. Kämmen sinnlos. Vor dem Spiegel frag ich mich, ob es etwas nützen würde, wenn ich mir die restlichen Haare einfach ausreißen würde.