Читать книгу Sandsturm, Liebesstille - Bianca Savcenco - Страница 10

7

Оглавление

Bevor Claire losfuhr, trat sie hinaus in den Garten, um nach dem Wetter zu sehen. Sie hatte am Abend zuvor wieder einen fürchterlichen Streit mit Hermann gehabt. Und jetzt war sie den ganzen Morgen damit beschäftigt gewesen, die Verletzungen von allen Seiten zu begutachten, mal in mildem, versöhnlichem Licht, dann wieder im harten Schein der Empörung. Ihr Kopf schien vom vielen Denken angeschwollen zu sein, alles Blut hatte sich dort angesammelt.

Der Pool schimmerte grünlich, bestimmt hatte Joseph vergessen, das Algenmittel hineinzugießen! Aber dafür war jetzt keine Zeit mehr. Es war ruhig, sie blickte auf die von Bougainvillea gesäumte Mauer. Ein warmer Wind umschmeichelte ihre nackten Beine, sie schloss kurz die Augen, wollte ihren Kopf auch in den Wind legen. Der wurde jedoch plötzlich von einem kalten Hauch, vom Meer kommend, rau angeblasen. Das liebe ich so, dachte sie, berührt von der Poesie des Naturschauspiels. Das gibt es nur in Libyen. Nord- und Südwind, die miteinander kämpfen. Durch ihre Haare pustete der salzige Atem des Meeres, um ihre Beine spielte, wie der Schwanz einer trägen Katze, die Luft der Sahara. Der Nordwind wird den Südwind gleich zurück in die Wüste schicken, er hat schon fast gewonnen.

Sie öffnete wieder die Augen, es fröstelte sie. Sie ging ins Haus, um sich eine lange Hose anzuziehen, das war ohnehin angemessener für die Altstadt. Und sie packte noch eine dünne Jacke ein für Frau Hamm, die den Wetterwechsel bestimmt nicht bemerkt hatte.

Sie mochte sie. Ihre sorglose Sexiness auf der Feier, die Unbeschwertheit ihrer Jugend, ihren Mut. Claire war auch einmal so gewesen. Immerzu lachend. Auf eine zauberhafte Art Unruhe verbreitend. Sie erkannte sich wieder, ohne Bitterkeit. Es gab eben für alles eine Zeit. Eine Zeit der Verrücktheiten, eine Zeit der Verantwortung. Ein Gedanke kam auf (Gefühle ließ sie nicht so schnell zu, mit ihren Gefühlen musste sie sorgfältig haushalten): wie es war, als sie das Leben noch mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit bestaunt und in Spiellaune Wegmarken gelegt hatte, nach denen sie sich nun richten musste. Spiellaune. Wegmarken. Nun ja.

Sie hatte früh geheiratet, obwohl sie das nie vorgehabt hatte. Aber als sie Hermann kennengelernt hatte, wusste sie, dass er der Mensch war, mit dem sie näher zu sich selber finden konnte. Er hatte Lücken gefüllt, die im Dunkeln an ihr genagt hatten. Er hatte Schneisen der Ordnung geschlagen in ihr inneres Chaos und ihr eine Beziehung auf Augenhöhe geboten, in der sie nicht das Püppchen geben musste, sondern stattdessen nächtelang mit ihm diskutieren konnte. Hermann war ein ambitionierter Student der Politikwissenschaft gewesen, mit hohen Ansprüchen an sich und seine Mitmenschen. Er hatte die Welt sehen und sie verändern wollen, für ihn ein durchaus pragmatischer, realisierbarer Vorsatz. Er hatte sich beim Auswärtigen Amt beworben, und als er dort nicht genommen wurde, war er beim Goethe-Institut gelandet. Seit 12 Jahren lebten sie nun ununterbrochen im Ausland: Elfenbeinküste, Äthiopien, Kenia, Rumänien und schließlich Libyen.

*

„Du machst doch gar nichts“, hatte er gesagt. „Schaff du doch mal was!“ Als Hermann das zum ersten Mal vor Jahren in einem Streit herausgepresst hatte, war sie sprachlos gewesen. Im ersten Moment nur vor Verwunderung, dann vor bitterem Entsetzen. Sie hatte sich verteidigt, hatte versucht herauszufinden, ob er das wirklich dachte. Ja, das dachte er. Was er meinte, war, dass sie nicht so arbeitete wie er.

Er hatte viele Kinder haben wollen, sah sich von einer Kinderschar umringt. Aber es war eher die Vorstellung, sich fortzupflanzen, das Bild einer großen Familie, das ihn berückt hatte, nicht die tatsächliche, permanente Anwesenheit von Kindern. Er wollte es nicht hinnehmen, dass sie sein Leben veränderten, und er tat es auch nicht. Er verniedlichte die Arbeit, die sich für Claire ergab und wies de facto jede Erziehungsverantwortung von sich. Er stellte die Mühen der Erziehung und des Alltagsleben als nicht der Rede wert dar, zu banal und langweilig, um sich darüber auszulassen.

Claire war seiner Meinung gewesen, wollte seine Haltung teilen. Sie kam aus einer Künstlerfamilie, war Grafikdesignerin. Sie wollte ihre Wahrnehmung der Welt in Zeichnungen reflektieren, sich mit anderen Künstlern austauschen, wollte mit Hermann in Cafés und auf Empfängen über Kunst und Politik debattieren – allein, die Kinder und der Alltag forderten ihren Platz ein. Umso mehr sie versuchte, mit charmanter Lässigkeit die niederen Aufgaben des Lebens zu ignorieren, umso häufiger stellten sie ihr Stolperfallen. Dann war der plötzlich der Kühlschrank leer und der Wassertank auch. Es gab keine saubere Wäsche mehr im Schrank, die Kakerlaken flitzten durch die Küche, die Kinder bekamen eines nach dem anderen Malaria, Typhus, Denguefieber. Und Hermann war verärgert, denn natürlich erwartete er, dass der Alltag funktionierte. Er erwartete nicht, dass Claire funktionierte, er wollte sie auf Augenhöhe behalten - aber er konnte es partout nicht ertragen, wenn Alltagssorgen ihn behinderten.

Haushaltshilfen waren nur bedingt eine Lösung. Es war nicht so, wie Claire es sich vorgestellt hatte, wie sie es aus Büchern kannte, dass nämlich eine gute Hausfee alles fest im Griff hatte. Das Personal, das sie auftreiben konnte, war langsam und unzuverlässig, erledigte Anweisungen, aber übernahm weder die Haushaltsführung noch ein Fünkchen Verantwortung – zumal Hermann, der schnell in die Leitungsebene aufgestiegen war, ein großes, offenes Haus wollte, das immer bereit sein musste für zahlreiche Gäste.

„Was machst du denn schon?“ hatte Hermann gestern erneut gefragt, laut, aggressiv. Er kritisierte nicht ihre Hausarbeit oder ihre Mutterrolle, er ignorierte sie einfach. „Ich meine richtig arbeiten! Täglich ins Büro fahren! Du weißt doch gar nicht, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen, jeden Tag Verpflichtungen zu haben. Was würdest du denn machen, wenn du mich nicht hättest?“

*

Ah, da stand sie ja schon, auf der Straßenseite gegenüber des Camp-Eingangs, in Fahrtrichtung zur Innenstadt.

„Hallo, Sie müssen sich nicht hier hinstellen, auch wenn das einfacher ist für mich. Hier werden Sie doch nur belästigt.“

„Ja, hallo, danke“, antwortete Frau Hamm während des Einsteigens. „Puh, ja. Ich bin die ganze Zeit angehupt und angesprochen worden. Es ist so nervig! Geht es Ihnen auch so?“

„Hm, ja. Ich stell‘ mich aber auch nicht an die Straße, ha, ha…. Ich habe mich zum Teil daran gewöhnt. Und es ist hilfreich, Ehefrau und Mutter zu sein, da hat man gleich einen anderen Stand. Ich habe anfangs zum Gemüsehändler, in den Supermarkt, in die Medina, überall hin meine Kinder mitgenommen. Und plötzlich höre ich nicht mehr, dass der Verkäufer krank vor Liebe nach mir ist, nein, alle werden sie höflich und überschütten die Kinder mit Süßem, und mich mit Komplimenten, weil ich so etwas Tolles zustande gebracht habe; zwar keinen Sohn, aber immerhin blonde Töchter! Da weiß man schon sofort Bescheid über den Stellenwert der Frau in der Gesellschaft, auch ohne kulturelles Vorbereitungsseminar, haha! Nee, im Ernst, ist leider wirklich so. Wenn man als Frau nicht diesen Familienstatus hat und alleine unterwegs ist, ist man so etwas wie ein freilaufendes Tier. Man gehört nirgends hin, hat keinen Mann oder Verwandten im Hintergrund, niemanden, der einen beschützen könnte. Und das ist das einzige, was zählt. Eine mächtige, einflussreiche, ehrverteidigende Familie. Außerdem glauben sie sowieso, dass Ausländerinnen alles Schlampen sind.“ Sie lachte noch einmal fröhlich auf, bot Frau Hamm das „Du“ an und erklärte ihr, dass sie ihr nun zuerst die Medina zeigen und anschließend im Hafen Fisch einzukaufen gedachte.

Laetizia schien die dunklen und dreckigen Gassen der Altstadt zu mögen. Sie hatten nicht den Eingang vom Grünen Platz, sondern von der anderen Seite, vom Marc-Aurel-Bogen her, genommen. In diesem Teil der Medina gab es kein einziges Gebäude, von dem nicht der Putz abblätterte. Der Straßenbelag war uneben, aufgerissen, an vielen Stellen waren nur noch die Kanaldeckel in Beton eingefasst, und den Rest des Weges hatte sich der Sand wiedererobert. Vielerorts der beißende Gestank der Kloake. Aber Laetizia hatten es wohl mehr die Menschen angetan, die in schwarze Abayas gekleideten Frauen, die sich würdevoll, gemessen, vorwärts bewegten; die laut hämmernden Kupferschmiede. Die jungen Männer an den Webstühlen, ihre Werkstätten zur Straße hin offen, um Licht und Luft zu atmen; die Händler, die meterlange Pythonschlangenhaut, Wildkatzenfelle und unter Schaukästen aufgespießte handtellergroße schwarze Skorpione feilboten.

Einmal musste Claire sie davon abhalten, einem attraktiven, großgewachsenen Mann in hellblauer Jellaba in eine praktisch nachtschwarze enge Gasse zu folgen, sie hatte sich wohl von ihrer Entdeckerfreude hinreißen lassen. (Er blieb erstaunt stehen, als er bemerkte, dass sie ihm gefolgt war, grinste einladend und bot ihr etwas an, dass sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte.)

Das neue Café am renovierten Uhrenturm, in das jeder Libyer, der etwas auf sich hielt, einkehrte, um teuren Latte zu trinken, verschmähte sie. Lieber trank sie starken Grüntee mit Minze an einem blau-weiß gekachelten Stehimbiss, alle dort versammelten Männer einen Kopf überragend, und hätte am liebsten auch dort gegessen. Claire hätte nichts dagegen gehabt, sie mochte dieses Gefühl, auf der Straße das gleiche zu essen wie jeder beliebige Libyer, einzutauchen in die Masse. Allerdings löste es nicht mehr die gleiche Euphorie aus wie offensichtlich bei Laetizia, und die Händler boten nur Sandwiches mit Dosentunfisch an. Also überredete sie sie, in einem kleinen Restaurant mit engen Stiegen, wackligen Holztischen und erbärmlichen sanitären Anlagen Couscous zu essen, das schien Laetizias Bedürfnis nach Authentizität auch Genüge zu tun.

Als Claire wieder zuhause war und damit beschäftigt, das auf dem Fischmarkt erstandene Barschfilet ordentlich zu häuten und zu entgräten, dachte sie an Hermann: wahrscheinlich hatte er gerade viel Stress und Frust in der Arbeit, sonst würde er nicht so reden. Das war ja in Tripolis auch wirklich nicht einfach; das Goethe-Institut war geduldet, aber nicht heiß erwünscht. Hermann hatte nicht den gewohnten Status, er musste unauffällig auftreten („low profile“ wurde das genannt) und permanent den Kontakt suchen zu ihn abschätzig behandelnden Behördenvertretern. Er sollte den Weg bereiten für eine ferne Zukunft, in der das Land offen sein würde für ausländische Kulturarbeit, aber niemand in Libyen schien an diesem Vorhaben interessiert zu sein und ihm blieb nur der ferne Rückhalt der Zentrale.

Der Fisch war schlecht entschuppt und filetiert worden, Claire war lange mit ihm beschäftigt. Sie wurde zunehmend hektisch, weil die Kinder nun auch heimgekehrt waren. Chantal benötigte viel Hilfe bei den Hausaufgaben und Marlene schien etwas auszubrüten; ständig schlich sie weinerlich um sie herum.

Kurz bevor das Essen auf dem Tisch stand, kam Hermann nach Hause, wortlos, aber mit einem großen Blumenstrauß in der Hand.


Sandsturm, Liebesstille

Подняться наверх