Читать книгу Sandsturm, Liebesstille - Bianca Savcenco - Страница 6

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Laetizia staunte jeden Tag aufs Neue, wie sonnig-strahlend, interessant und angenehm sich ihr Leben in Tripolis präsentierte. Sie fuhr jeden hellen, warmen Morgen (außer mittwochs, da hatte sie frei) mit dem Bus der Wintershall-Ölgesellschaft in die Schule. Die Atmosphäre war familiär, ihre Kollegen freundlich und hilfsbereit. Sie unterrichtete Deutsch für die Klassen 5 bis 8, wobei die 5. und 6. Klasse sowie die 7. und 8. jeweils zusammengelegt waren und trotzdem nicht mehr als sechs Kinder umfassten. Es war eine sogenannte Zwergenschule mit insgesamt nur 45 Schülern, mit hohen Schulgebühren und Spenden der Ölfirmen am Leben erhalten. Und die Schüler selber, sie kam aus dem Staunen nicht heraus, die waren das Sahnetopping: ausnahmslos wohlerzogen, ruhig, konzentriert und gehorsam (in was für einer Welt lebten die denn?).

Beate hatte ihr eine tunesische Putzfrau vermittelt, die zwar genauso wie die Libyerinnen nur Arabisch sprach, aber die Dame wusste, was zu tun war, und Laetizia sorgte sich nicht weiter darum. Sie ging jeden Abend schwimmen im warmen, ruhigen Meer und schrieb anschließend, mit Blick auf den Sonnenuntergang vor ihrem Fenster, vor Glück strotzende Mails nach Deutschland.

Einmal hatten die Eltern einer Schülerin sie zu einer Poolparty eingeladen, es hatte ihr nicht gefallen. Sie war neugierig gewesen, aber was sie vorfand, waren alte Knacker in wichtigen Positionen, blasiert daherredend, mit ihren mittelalten, auf jung gestylten Frauen (viele kannte sie von der Schule, wenn sie mittags ihre Kinder abholten), die sie mit einem Lächeln auf den Lippen argwöhnisch betrachteten. Alle schienen sich zu kennen, begrüßten sich überschwänglich, erzählten von tollen Entdeckungen und vergangenen oder kommenden gesellschaftlichen Highlights. Trotz des übertriebenen Gelächters schien niemand so richtig Spaß zu haben, vor allem schien es niemandem in den Sinn zu kommen, ins Wasser zu springen. Und so schwitzte Laetizia mit ihrem Bikini unterm Sommerkleid, offenbar die Einzige, die wirklich geglaubt hatte, bei einer Poolparty mit nächtlichen 30°C würde im Pool geschwommen werden, und traute sich nicht mehr, als ihre Beine ins laue Wasser baumeln zu lassen. Die übrigen Gäste waren freundlich zu ihr, aber auf eine herablassende, ausgrenzende Art, und sie wurde das Gefühl nicht los, dass einige Frauen sie permanent diskret beobachteten

Sie hatte noch nichts von der Stadt gesehen, da sie die ersten Wochenenden mit Unterrichtsvorbereitung beschäftigt gewesen war; ihre Einkäufe hatte sie im Regatta-Shop erledigt. Man hatte ihr gesagt, dass im Ramadan ohnehin nur Allah wüsste, wann die Geschäfte aufmachten (es sei denn natürlich nachts, nach Sonnenuntergang), und sie sollte sich Stadtbesichtigung und ähnliches für später aufbewahren. Ein älterer, nicht unattraktiver Lehrer hatte sie zu einem Ausflug nach Leptis Magna mitnehmen wollen, aber sie hatte abgesagt, weil sie nicht zu viel Nähe zu ihren Kollegen haben, Privates und Berufliches streng trennen wollte. In der Zwischenzeit hatte sie erkannt, dass das ein Fehler gewesen war, niemand schien sich hier um diese Grenze zu scheren. Viele duzten sich, die Lehrerinnen hatten auf der Party mit den Vätern ihrer Schüler geschäkert und die Mütter, die die Lehrer schon länger kannten, führten die Elterngespräche im Café statt in der Schule durch. Sie war noch einmal auf den älteren, offenbar alleinstehenden Kollegen zugegangen, aber er hatte ausweichend und unbestimmt reagiert.

Dann kam das Aid al-Fitr, das große Fest zum Ende des Ramadan, und Laetizia hatte plötzlich ein verlängertes Wochenende. Es war ihr klar, dass sie das unmöglich nur im Camp verbringen konnte, sie hätte es sich nicht verziehen, wenn sie in ihrem bequemen Ausländerleben verharrt hätte; sie musste das Land kennenlernen, dafür war sie ja schließlich da. Sie beschloss, alleine nach Leptis Magna zu fahren. Die Schule hatte ihr auch ein Auto gestellt, und der Weg nach Leptis schien leicht zu finden zu sein.

Wenn sie ehrlich sein sollte: es bereitete ihr Bauchschmerzen, zum ersten Mal in Libyen – wo alles ausschließlich auf Arabisch beschriftet war - Auto zu fahren, und dann noch die Stadt zu verlassen. Aber Angst stand überhaupt nicht zur Debatte, das passte nicht in ihr Selbstbild. Sie hatte vor Jahren, zeitgleich mit dem Verzicht aufs Fotografieren, beschlossen, sich vor nichts mehr zu fürchten, es war ja doch meistens grundlos und lächerlich. Seither betrachtete sie angstbesetzte Momente wie eine sportliche Herausforderung. So auch in diesem Fall: irgendwann müsste sie ja mit dem Autofahren anfangen, und ihr schwach ausgeprägter Orientierungssinn sollte auch keine Entschuldigung sein.

Sie hatte Glück, wegen des Feiertages war kaum Verkehr auf der Straße, und nach Leptis Magna musste sie nur östlich aus der Stadt hinausfahren, immer die Küste entlang.

Leptis war eine beeindruckende römische Ausgrabung, eine komplett freigelegte, riesengroße weiße Stadt. Und im Gegensatz zu vergleichbaren Sehenswürdigkeiten, wie z.B. Ephesos, menschenleer. Der Regatta-Strand verlassen, Leptis verlassen; das war wohl die Exklusivität Libyens.

Ist das nicht einzigartig, diesen Kulturschatz ganz allein in Ruhe genießen zu können, dachte sie, während sie durch die Kolonnaden streifte oder die filigrane Steinmetzarbeit auf den antiken Säulen bewunderte, darauf wartend, eine ästhetische Erfüllung zu verspüren. Sie stellte sich nicht ein. Stattdessen erwachte in ihrem Bauch eine Ungenügsamkeit, die sie unruhig machte. Sie hatte erwartet, auf viele Besucher zu treffen, die sie zweifellos lästig gefunden hätte - aber was nun? Sie war sehr unzufrieden mit sich, und wusste nicht, warum.

Auf dem Heimweg nach Tripolis suchte sie einen Strand, den Beate ihr beschrieben hatte. Um ihn zu finden, hatte sie bei der Abfahrt aus Leptis ihren Kilometerzähler eingestellt und war exakt nach 15 Kilometer an einer schmalen, unbeschilderten Straße rechts abgebogen. Nach einer Weile ging die Asphaltstraße in einen weichen Sandweg über, und Laetizia stellte, wie von Beate empfohlen, den Wagen dort ab, um zum Meer zu laufen. Sie gelangte zu einer Anhöhe und sah auf eine von Palmen gesäumte Bucht. Im feinen hellgelben Sand waren an mehreren Stellen Reste von Lagerfeuern zu erkennen, das Meer glitzerte edelsteinblau, mit weißen Schaumkrönchen auf den Wellen. Eine leichte Brise raschelte in den Palmkronen, nirgends gab es Touristen, Schilder, Imbissbuden. Nach einigen Minuten, die die Augen brauchten, um den unvermeidlichen, weiträumig verstreuten Plastikmüll aus dem Blickfeld zu löschen, konnte man sich dem leisen Charme des Ortes öffnen.

Davon war Laetizia weit entfernt. Sie war nicht annähernd in der Verfassung, Nuancen wahrzunehmen. Ihr Kopf glühte rot von dem Fußmarsch in der Hitze, ihr Herz pochte und sie stellte irritiert fest, dass sich hier, entgegen den Erwartungen, zu viele Menschen befanden. Genauer gesagt, einige Dutzend einheimische Männer, die interessiert ihre Ankunft zur Kenntnis nahmen. Was sollte das überhaupt? Beate hatte doch erzählt, am Feiertag seien alle daheim. Na, wahrscheinlich waren das die jungen Unverheirateten, die noch bei Mutti wohnten und rausgeschickt worden waren, bis das Essen fertig war. Die würden sie schon nicht auffressen. Laetizia ging mit hoch erhobenem Haupt zum Strand hinunter und versuchte, die Männer zu ignorieren. Was unmöglich war, weil deren Blicke sich an ihr festgesaugt hatten und sie nicht mehr losließen. Sie wurde unvermeidlich noch röter. Und ärgerlich. Rechts von ihr entdeckte sie zwei Zelte und davor eine Großfamilie, vermutlich südamerikanischer Herkunft, die dicke Mama im Bikini. Erleichtert, nicht die einzige Frau am Strand zu sein, ließ sich Laetizia in deren Nähe nieder, obwohl der Platz schattenlos war. Sie entledigte sich schnell ihrer langen Kleidung und legte sich hin. Da die Männer sie immer noch genüsslich lächelnd betrachteten, wagte sie es nicht, sich einzucremen; es kam ihr zu aufreizend vor.

Sie hatte sofort die Augen geschlossen, irgendwie war ihr alles zu viel. Gleißende Sonne, heiß beißende Luft, die Männer mit ihren hungrigen Blicken, auch zu viel Schönes, wie sollte sie dieses überraschende Südseepanorama bloß verarbeiten? Erst als das Rauschen der Brandung das Rauschen des Blutes in ihrem Kopf zu übertönen begann und die Hitze sie unruhig machte, öffnete sie wieder die Augen und setzte sich abrupt auf. Eine Gruppe von sechs jungen Männern war näher gekommen, hatte sich nur wenige Meter neben ihr niedergelassen, und einige hatten ihr Handy auf sie gerichtet. Machten die etwa Fotos von ihr? Nein, noch schlimmer: nach den Bewegungen ihrer Handys zu urteilen, filmten sie sie!

„No!“, schrie sie empört. Die Männer lachten. Laetizia sah sich hilfesuchend nach den Latinos um, aber die waren mit Essen beschäftigt. „No, stop it!“ Die Männer dachten gar nicht daran, lachten nur noch mehr und rempelten sich gegenseitig an. Laetizia betrachtete sie kurz. Alle vielleicht Anfang zwanzig, mit zurückgegelten, halblangen Haaren und einem selbstgefälligen Zug um den Mund, manche schon mit Bauchansatz. Sie sprang auf und lief zum Meer, stürzte sich gierig in das prickelnde Wasser, schwamm einige Züge und blickte sich erst dann wieder um. Da waren sie wieder, direkt neben ihr!

„Hello, hello, whats ya name? You beautiful, very beautiful!“

„Leave me alone!“, schrie sie laut. Die Männer lachten, hocherfreut über die Kommunikation. Laetizia hatte eine wütende Litanei im Kopf, aber sie hatte das Gefühl, jeder Kommentar von ihr würde sie nur noch mehr ermuntern. Also schwamm sie zuerst im Zickzack hin und her und dann weiter ins offene Meer hinaus, viele Minuten lang, in der Hoffnung, sie dadurch abzuschütteln. Sie blieben tatsächlich zurück und balgten sich im brusttiefen Wasser wie kleine Jungs, riefen ihr aber immer wieder etwas zu.

Als sie zu ihrem Handtuch zurücklief, lagen sie auch wieder im Sand, zückten ihre Handys und riefen durcheinander:

„You bitch!“

„You are so hot!“

„Ah, sexy, sexy!“ Einer machte obszöne Bewegungen mit der Zunge und alle lachten erhitzt. Die Großfamilie neben ihr reagierte nicht. Laetizia zog sich, ohne sich abzutrocknen, hastig ihre Tunika und die Leinenhose über ihren nassen Bikini, packte ihre Sachen zusammen und flüchtete vom Strand, im Kopf eine brennende Ohnmacht.

Im Auto wurde sie ruhiger und ärgerte sich über ihre nasse Hose und das nasse Bikini-Oberteil, das sich hellblau unter ihrer weißen Tunika abzeichnete. Hoffentlich musste sie nicht irgendwo aussteigen, so würde sie garantiert wieder alle Blicke auf sich ziehen! Ihre Haut fühlte sich trotz Klimaanlage weiterhin heiß an, sie hatte sich vermutlich einen Sonnenbrand zugezogen. Als sie an einer Ampel anhalten musste, betrachtete sie sich im Rückspiegel. Tatsächlich, das totale Tomatengesicht!

Sie fuhr geistesabwesend ein Stückchen vor, weil das vor ihr haltende Auto nach einer kurzen Wartezeit weitergefahren war, über Rot, unter großem Gehupe in die viel befahrene Kreuzung hinein. Sie schüttelte den Kopf, heute wunderte sie gar nichts mehr. Da registrierte sie im rechten Augenwinkel ungewöhnliche Bewegungen auf dem Bürgersteig, eine aufgebrachte, schnell näher kommende Menschenmenge. Nein, wieder nur Männer, ärmlich gekleidet, zerlumpt, zum Teil barfuß, manche mit weißen Fetzen auf dem Kopf, die wohl mal Turbane gewesen waren. Brüllende, ineinander verkeilte Körper. Wutverzerrte dunkelhäutige Gesichter, ein sehr roter Mund, die Masse schob sich hin und her, eine hart vorschnellende Faust, jemand fiel zu Boden. Jetzt rannte ein Mann weg, auf die Ampel zu. Die anderen hinterher, ein Stein flog, noch mehr Steine, über ihr Autodach, Laetizia duckte sich, der Mann rannte an ihr vorbei. Hinter ihr hupte es durchdringend, Steinhagel, Laetizia gab zitternd Gas.

In ihrer Wohnung angekommen, legte sie sich aufs Bett und weinte. Danach duschte sie lange. Vom Fenster ihres Wohnzimmers konnte sie den Sonnenuntergang über dem Meer sehen. Alle Töne des Harmonieregenbogens, von rosa bis hellblau. Wie schmerzhaft friedlich und weich er aussah, durfte er so lügen? Sie legte eine CD von Shakira auf und tanzte, tanzte obsessiv bis zur Erschöpfung. Sie würde sich doch nicht von einigen Männern fertig machen lassen, ob sexuell unterversorgt oder von weiß der Geier was für Aggressionen besessen, das wäre ja gelacht! –

Dennoch war da dieser Haarriss in ihrer Rolle, die sie sich für Libyen zugelegt hatte. Obwohl sie nicht verstand, warum.


Sandsturm, Liebesstille

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