Читать книгу Sandsturm, Liebesstille - Bianca Savcenco - Страница 9
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ОглавлениеSie lag auf dem Bauch, die Augen geschlossen, und ließ sich von der Sonne die Wasserperlen von ihrem Rücken aufsaugen. In ihrem Gehirn flatterten die Gedanken hin und her und machten sie schwindelig. Laetizia versuchte, sie zu fassen, gelangte aber nicht durch das Dickicht von überlagerten Gefühlen (wirren Gefühlen) und Körperimpulsen wie Erregung, Müdigkeit, Kopfdröhnen. Ihr wurde so flau im Magen, dass sie sich aufsetzen musste. Sie überblickte den Regatta-Strand. Heute war etwas mehr los, einige Familien mit kleinen Kindern hielten sich im flachen Wasser auf, sie hörte russische und französische Wortfetzen. Es war ein heller Tag, sie hatte versucht, ihren Kater mit Schwimmen zu vertreiben, aber es hatte nicht viel geholfen (das Meer war dafür zu warm).
Einen Kater, wann hatte sie das letzte Mal einen Kater gehabt? Sie wollte hier doch wirklich anders auftreten, sich nicht von ihren Launen leiten lassen, die ihr manchmal stark und schnell ins Blut schossen; hatte sie sich gestern wirklich als deutsches Feministinnen-Supergirl aufgespielt und dem Taxifahrer Dellen in die Tür getreten? Ogottogott. Und dann straightaway dieses hohe Tier angegraben? Obwohl, das war ja irgendwie lustig, und dann das Gesicht seiner Frau – sie nahm sich ja schon sehr zurück, im Vergleich zu Berlin; niemand würde hier die Codes der erotischen Neckereien verstehen, dessen war sie sich sicher, selbst in Berlin trieb Laetizia sie manchmal derart auf die Spitze, dass die Männer nicht wussten, wie sie sie zu nehmen hatten: waren ihre Koketterien eine offene Einladung oder nur ein Scherz?; es konnte so oder so ausgehen.
Ein weicher Ball schlug ihr ins Gesicht, ein blondes Mädchen lief ihm hinterher. Es wirkte nicht schuldbewusst, sagte aber trotzdem artig:
„Entschuldigung.“
„He, du sprichst ja Deutsch, wie heißt du?“
„Marlene.“ Die Kleine blickte sie interessiert an und sagte dann bestimmt: „Ich kenne dich.“
„Ach ja, und woher denn?“
„Von der Schule. Du bist neu. Und ich bin schon viel länger im Kindergarten als du. Kann ich etwas von deiner Cola haben?“
„Darfst du denn schon Cola trinken?“
„Ja klaro. Mama hat nur vergessen, welche einzukaufen.“ Sie schlürfte zufrieden aus Laetizias Dose. „Du bist viel cooler als die anderen Erwachsenen. Sonst gibt mir keiner Cola.“ Sie grinste spitzbübisch und Laetizia musste lachen. Eine Frau erschien hinter dem Mädchen, sie war vielleicht Ende 30, groß und blond, mit eng stehenden grünen Augen und einer leicht schiefen Nase. Ein runder Bauch, ein runder Po. Sie war Mutter, sie war bestimmt Ehefrau, sie hatte Falten auf der Stirn. Sie trug Verantwortung und einen etwas zu knappen Bikini, schob beim Stehen die Hüfte nach vorne, wie sie es vielleicht als junge Bohnenstange schon gemacht hatte. Für Laetizia verkörperte sie die Reife einer erfahrenen Frau, den süßen Schmerz des unperfekten Lebens. Sie war anziehend.
„Oh, ich hoffe, meine Tochter hat sie nicht belästigt.“ Das war eine charmant altmodische Einstellung, wann immer Kinder sie in der Vergangenheit tatsächlich belästigt hatten, war kein Elternteil davon unangenehm berührt gewesen.
„Ich bin Claire Brunner“, stellte die Frau sich vor. „Sie sind die neue Lehrerin, hab ich recht?“
„Ja, Laetizia Hamm. Aber Ihre Kinder unterrichte ich nicht, oder?“
„Nein, die sind fünf, sieben und neun. Aber ich habe Sie schon gelegentlich auf dem Schulhof gesehen. Und gestern Abend auf der Party. Sie haben toll ausgesehen.“
Laetizia blickte ihr forschend ins Gesicht. Frau Brunner strahlte sie an. Es schien ein ehrliches Kompliment zu sein, ohne einen bissigen Unterton, keine giftige Wolke unausgesprochener Mehrdeutungen hinter sich herziehend. Claire Brunner fuhr lachend fort:
„Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, warum Sie mich nicht wahrgenommen haben. Das geht allen Neuankömmlingen so. Man kennt niemanden, steht aber selbst absolut im Fokus. Wie gefällt es Ihnen? Ah, das ist heiß hier! Wollen Sie uns unter meinem großen Schirm Gesellschaft leisten? Mein Mann ist gerade nicht da… Nein, lassen Sie das Handtuch, kommen Sie einfach kurz rüber.“ Frau Brunner war vorangeschritten und Laetizia folgte ihr zu einem gemütlichen Lager unter einem weitgespannten blauen Sonnenschirm. Viele Handtücher – mehr als nötig – waren auf einer großen Flechtmatte ausgebreitet, darauf Spiele, Barbies, Bücher, ein angebissener Apfel. Eine Plastikschale mit Trauben, eine andere mit Karotten- und Gurkenschnitzen. Zwei Mädchen spielten daneben im Sand, Marlene wühlte in einem Korb.
„Kinder, das ist Frau Hamm. Sagt ihr bitte Hallo?“ Die Mädchen blickten kurz auf. Strahlende grüne Augen, sonnengedunkelte Haut, im Gesicht die Ernsthaftigkeit konzentrierten Arbeitens.
„Hallo, Frau Hamm.“ Sie steckten die Köpfe wieder zusammen und buddelten weiter.
„Möchten Sie etwas essen?“ Frau Brunner holte aus einer riesigen Kühltasche eine Tupperdose mit Fleischbällchen.
„Oh ja, danke.“ Sie kauten beide, Laetizia lobte das Essen, dann blickten sie aufs Meer hinaus. „Es ist windig heute, ganz ungewohnt.“
„Oh nein, eigentlich ist das normal.“, erwiderte Frau Brunner. „Am Meer weht immer ein frischer Nordwind, da spüren Sie nicht mal die 35°. Und in Janzour erstickt man vor Hitze. Die letzten Wochen Windstille waren nicht normal.“
„Wohnen Sie auch in Janzour?“
„Ja, ganz in der Nähe von Carmen. Wo gestern die Party stattfand, Carmen Blisshaft.“
„Ah.“ Laetizia erinnerte sich an die dunklen Straßen und den ungewöhnlichen Höhepunkt ihrer Irrfahrt durch das Viertel. Sie schüttelte den Kopf, wie um die lästigen Gedanken an die Reparatur des Außenspiegels abzuschütteln.
„Und, wie gefällt Ihnen Libyen?“, fragte Frau Brunner interessiert. „Haben Sie schon etwas vom Land gesehen?“
„Ja, ich war in Leptis Magna und in der Wüste, bei Maridat.“
„Oh la la, und das in der kurzen Zeit! Sind Sie immer so schnell? Ich versuche mich seit einem Jahr innerlich auf einen Wüstentrip vorzubereiten.“ Claire Brunner blickte sie neugierig lachend an.
Laetizia gehörte zu jenen Menschen, die schnell und schonungslos ihre Seele öffnen. So war sie einige Male nackt und schutzlos dagestanden, aber trotz manch erlittener Verletzung konnte sie sich nicht verschließen. Sie wusste nicht, ob dies irgendwann zu einer Katastrophe führen würde oder einfach dazu, dass sie sich zurückziehen und nur zu wenigen Menschen Kontakt pflegen würde, um die Anzahl der Personen, denen sie sich auslieferte, zu begrenzen. Noch war alles offen. Aber Claire Brunner würde ihre rohe Haut noch sehen, das war ihr bereits nach einigen Minuten klar. Kein Gedanke, nur eine kleine instinktive Ahnung.
„Wie war es denn, in der Wüste?“, fuhr Frau Brunner fort, nachdem sie nicht geantwortet hatte.
„Hm, seltsam. Ich konnte mich nicht darauf einlassen, glaube ich. Sie ist bestimmt wundervoll, aber ich war wohl noch nicht soweit.“, antwortete Laetizia ehrlich, und Frau Brunner lachte erneut, bevor sie erwiderte:
„Sehen Sie, das denke ich mir auch schon die ganze Zeit. Mein Mann hat mich zum Zelten am Strand überredet, und ich bin froh darum, es ist wirklich schön. Aber Wüste ist noch mal eine ganz andere Kategorie. Was ist, wenn ich davon erschlagen werde und dann erschüttert feststelle, ich muss mein Leben ändern? Dabei kann ich mein Leben aber nicht mehr ändern! Und dann ist das hier ja nicht gehobene Touristenklasse. Mal ist das Auto kaputt, dann fährt der übernächtigte Fahrer gegen den einzigen krüppeligen Baum weit und breit… Bei Freunden hat sich der Geländewagen in den Dünen überschlagen, weil die Fahrt zu rasant war… hm, naja, irgendwann werd‘ ich es wohl noch machen, inshallah!“
Die größeren Mädchen waren aufgesprungen und tänzelten unruhig vor ihnen herum.
„Mama, können wir schwimmen gehen?“
„Ja, klar -“
„Ich auch!“, rief Marlene.
„Chantal, Lilly, nehmt ihr bitte Marlene mit und -“
„Och nö!“
„Das war ja wohl klar!“, maulten die Großen.
„Keine Widerrede! Ihr nehmt Marlene mit und schwimmt nicht zu weit raus.“
„Dürfen wir bei der Brücke spielen?“
„Ja, das ist okay.“
„Vielen Dank für das Essen…“, setzte Laetizia die Konversation zögerlich fort.
„Oh, Sie wollen doch noch nicht gehen? Bleiben Sie noch ein bisschen! Wollen Sie etwas trinken?“, fragte Frau Brunner. „Hier! Ein Aperol Spritz? Den habe ich eigentlich für meine Freundin Silke mitgebracht, aber sie fühlte sich nicht wohl und wollte nicht zum Strand runterkommen.“ Und fügte, als Laetizia sie abwartend anblickte, hinzu: „Silke Baumer, wohnt auch hier im Camp. Lernen Sie bestimmt noch kennen.“
Sie machte sich an der Kühltasche zu schaffen, reichte Laetizia eine rosafarbene sprudelnde Flüssigkeit in einem Kinderbecher und prostete ihr mit einem „Allahu akbar!“ zu.
Laetizia hätte fast ihren Drink verschüttet. War das nicht der Spruch, den der Imam fünfmal am Tag vom Minarett rief? Sie wollte nicht spießig oder unverständig dastehen und grinste vorsichtshalber verschwörerisch. Claire Brunner nahm einen Schluck, sah sich nach den Kindern um und lehnte sich schließlich zurück.
„So, und jetzt müssen Sie mir erzählen, was Sie von Libyen halten, von ihrem Leben hier.“
„Oh, es ist sehr interessant. Ich mag es, wenn Länder ungewöhnlich, ein bisschen sperrig sind, ich erkunde gerne Sachen.“ Frau Brunner sah sie skeptisch an.
„Und wieweit sind Sie gekommen mit dem Erkunden, abgesehen von Leptis und der Wüste?“
„Naja, nicht sehr weit, zugegebenermaßen“, antwortete Laetizia. „Ich hab einen ganz schlechten Orientierungssinn und das stellt in Libyen ja eine besondere Herausforderung dar. Außerdem hab ich den Eindruck, dass ich extrem auffalle, selbst in dezenter Kleidung. Hm, es ist schade, ich würde gerne mehr von der Kultur der Menschen erfahren… aber da komm‘ ich irgendwie gar nicht hin.“
„Willkommen im Club! Also, ich könnte jetzt natürlich sagen: lassen Sie sich Zeit, das wird schon noch kommen, nichts überstürzen, langsam für das Land und die Menschen öffnen. Was zum Teil natürlich richtig ist, vor allem bei ihrem Tempo.“ Frau Brunner lachte fröhlich auf. „Aber auch wenn Sie Libyer kennen lernen, und das werden Sie -“, sie deutete auf drei dickbäuchige Männer, die im seichten Wasser mit ihren Kleinkindern plantschten, ihre verhüllten Frauen saßen weiter entfernt unter Sonnenschirmen, „das, was Sie von den Menschen hier sehen, sind nur Schattenrisse, ihre Projektionen, je nachdem, was für ein Arabienbild Sie haben. Sie werden nie zu ihrem Kern vordringen und sie wirklich verstehen; weil sie es gar nicht zulassen.“ Sie war ernst geworden und blickte nun aufs Meer hinaus, hing kurz ihren Gedanken nach. „Sie haben doch hoffentlich keine Orientfantasien, oder? Dafür gibt es nämlich kein unpassenderes Land als Libyen! Ich habe bis jetzt nichts Prosaischeres und Banaleres gesehen. Obwohl, so eine Familienfehde, die hat es in sich. Wenn dann zugunsten der Ehre gemordet, aus Scham Selbstmord betrieben wird. Schön archaisch. Sehr leidenschaftlich. Und dann der große Verrückte mit seinen endlosen Reden und den wirren Haaren! Hach, das sind eine Menge Themen, können wir gerne noch vertiefen, wenn Sie wollen.“ Laetizia nickte. „Wissen Sie, was mir eingefallen ist?“, fuhr Claire Brunner fort, „Der Herausforderung bei der Erkundung der Gegend können wir Abhilfe schaffen. Wann haben Sie frei, Sie sind doch nur Hilfslehrerin, oder?“ Wieder nickte sie. Anscheinend wussten in dieser kleinen Gemeinschaft alle bestens über Neuzugänge Bescheid.
„Mittwochs.“
„Den ganzen Tag? Das ist ja fantastisch. Mittwochs haben alle meine Mädels AG, selbst Marlene. Und ich zeige Ihnen die Stadt, was halten Sie davon?“
„Oh, das hört sich toll an!“, antwortete Laetizia. Frau Brunner überlegte kurz mit gerunzelter Stirn.
„Wohnen Sie im Camp? Dann hol ich Sie am besten ab. Am Eingang, um zehn Uhr?“ Sie verabredeten sich für die kommende Woche, anschließend gesellte Frau Brunner sich zu ihren Kindern und Laetizia zog sich höflich auf ihr Handtuch zurück.