Читать книгу Sandsturm, Liebesstille - Bianca Savcenco - Страница 5

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Als Laetizia an einem sehr heißen Sommertag, Ende August 2010, aus ihrem Flugzeug stieg, um ihre Stelle als Aushilfslehrerin an der Deutschen Schule Tripolis anzutreten, stellte sich bei ihr ein befriedigendes Gefühl ein. Manche Kommilitonen hätten wohl versucht, diese spezielle Stimmung mit der Freude zu erklären, aus dem Dunstkreis des allmächtigen westlichen Kulturimperialismus zu treten. Aber an diesem Begriff hing ein Rattenschwanz an politischen Konnotationen, und so tiefgründig politisch-sozialkritisch wollte sie gar nicht sein, das war ein glitschiges Terrain! –

Vielleicht würde sie das später noch präzisieren können, Laetizia war froh, den Gedankengang nicht rechtfertigen zu müssen, aber in diesem Augenblick war sie von der Freude erfüllt, sich in einer tatsächlich sehr fremdartigen, von der westlichen Denkweise noch nicht verunreinigten Welt zu befinden. Sie bedauerte, dass die europäisch-amerikanische Lebensart vielen Ländern der Welt ihren Stempel aufgedrückt und die autochtone Kultur soweit verwässert hatte, dass sie sich dem Fremden bereits in einer sauberen und genießbaren Form präsentierte, der abstoßenden Spitzen genauso wie der Tiefe beraubt. Umgekehrt fühlte sie sich von der Bilderflut erdrückt, die es in Deutschland von jedem noch so unerschlossenen Land gab: und seien es Fotografien afghanischer Kämpfer oder der letzten Ureinwohner des Amazonas, es waren Bilder, die sich anbiederten, überall aufdrängten. Sie selber hatte schon vor Jahren aufgehört, zu fotografieren. Es überlagerte und verdarb ihr nur den sinnlichen Eindruck.

Von Libyen gab es kaum Bilder oder Nachrichten (es duldete keine ausländischen Journalisten), es war jahrzehntelang verschlossen gewesen und war selbst jetzt nur nach Durchlaufen eines schwierigen Visaverfahrens und zum Teil nur mit Geleitschutz zu bereisen. Es war ein weißer Fleck in Laetizias Wahrnehmung gewesen, und das hatte sie enorm gereizt. Dort gab es gewiss keine Authentizitäts-Kitsch-Produktionsindustrie, die für Touristen Intensitätsgefühlshäppchen fertigte („Wenn Sie von dieser Stelle den Sonnenuntergang fotografieren, werden Sie einen unvergesslichen Moment erleben.“ „Genießen Sie die reichen Aromen der Landesküche bei einer einzigartigen traditionellen Mahlzeit und lassen Sie sich verzaubern von der einmaligen Schönheit der Landschaft und der Herzlichkeit der Einheimischen.“…)

Dort musste sie gar nicht erst versuchen, von anderen schon erlebte und geschilderte Erfahrungen zu überschreiben – es gab niemanden in ihrem Freundeskreis, der ihr bereits eine anthropologische Analyse hätte liefern können; keine Bilder, Emotionen, an denen sie die Stärke oder Authentizität ihrer Empfindungen hätte messen können, überhaupt nichts, womit sie ihre Eindrücke vergleichen musste!

Es war nicht ihr erster Aufenthalt in Tripolis, sie hatte Anfang April ein zweiwöchiges Praktikum an der Schule absolviert, und da der Schulvorstand verzweifelt nach neuen Lehrern gesucht hatte - niemand, wirklich niemand hatte nach Libyen kommen wollen - war der Vorstandsvorsitzende auf die Idee verfallen, ihr einen Vertrag als Assistenzlehrerin anzubieten. Das war unüblich und auch nur ein Provisorium, aber Laetizia war genau die Richtige für spontane und ungewöhnliche Vorschläge. Ihr Lehramts-Studium hatte sie ohnehin gelangweilt und sie war sich nicht sicher gewesen, ob sie es fortführen sollte. Ihr Liebesleben war ihr über den Kopf gewachsen, in den letzten Monaten hatte sie mit drei Männern jongliert, einer neurotischer als der andere, sie hatte wirklich genug davon. Aber das hier war etwas ganz Neues. Diesmal durfte sie sich ins Leben werfen, bei einem richtigen Erwachsenenspiel mitmachen: mit Verantwortung, Arbeitsvertrag, gesellschaftlichem Status, möblierter Wohnung am Strand und solchen Sachen. Männer würden dabei keine Rolle spielen. Sie hatte kein Faible für arabische Männer und die deutschen waren alle verheiratet. Umso besser. In diesem Spiel sah Laetizia sich in der Rolle einer ernsthaften jungen Frau, die endlich das Stadium des jungmädchenhaften Dauerverliebtseins überwunden und sich den wesentlichen Dingen des Lebens zugewandt haben würde.

„Wie war dein Flug?“, fragte Beate, eine ältere Kollegin aus der Schule, während sie ihr half, ihren Kofferwagen durch eine partout nicht weichen wollende Menschenmenge zu manövrieren. Alte Männer in weißen Jellabas, jüngere in Jeans und Lederjacken, schwarz verhüllte Frauen mit Mädchen im Rosa-Tüll-Dress auf dem Arm standen dicht gedrängt und beobachteten sie interessiert, fanden es aber anscheinend nicht von Belang, ihnen Platz zu machen.

„Gut. Aber gottseidank war ich eine der Letzten und konnte so den Anderen Richtung Ausgang folgen“, antwortete Laetizia aufgekratzt, „das ist ja wirklich ein Glücksspiel, was würden sie sich denn abbeißen, wenn sie wenigstens am Flughafen einiges auf Englisch beschriften würden? Naja, und einer der fünf Kontrolleure hatte irgendwas an meinem Visum zu monieren, aber da wir uns nicht verständigen konnten, war das Problem auch irgendwann gelöst. Und mein Koffer kam ewig nicht, ich wusste ja nicht mal, an welchem Band ich warten sollte und bin immer hin- und hergelaufen.“ Sie waren aus dem Flughafengebäude hinausgetreten und liefen über die Straße. „Hey, das Wetter ist ja super hier!“ Beate blickte sie skeptisch an und antwortete:

„Super? Das ist so heiß, dass du nach fünf Minuten in der prallen Sonne umfällst!“

Laetizia hatte den letzten Satz laut ausgerufen und begeistert ihre Arme ausgestreckt, nun hatten sich einige Männer auf dem Parkplatz umgedreht. Sie musterten sie grinsend von oben bis unten und riefen ihnen etwas auf Arabisch zu.

„Was haben sie gesagt, Beate, kannst du das bitte übersetzen?“

„Nein, nichts freundliches. Komm, steig‘ lieber ein“, knurrte diese. „Man sollte meinen, dass die sich zumindest im Ramadan etwas zurückhalten“, fuhr sie fort, während sie ihr Auto millimeterweise Richtung Ausfahrt lenkte. Laetizia sah Beate verblüfft zu, wie diese die anderen Stoßstangen, zwischen denen sie eingekeilt war und die sie wegzuschieben drohten, ignorierte und sich stoisch – und im Zeitlupentempo - vorwärts bewegte. Sie war beeindruckt von Beates Gelassenheit hinterm Steuer, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Also griff sie den Gesprächsfaden wieder auf.

„Ach, ihr habt ja gerade Ramadan! Und, wie ist das so?“, fragte sie.

„Na, wie soll’s schon sein! Kopfschmerzen hab ich den ganzen Tag, weil ich zu wenig schlafe und zu spät esse!“

„Aber du fastet doch gar nicht, oder?“

„Nein, aber, meine Liebe“, gab Beate leicht gereizt zurück, „ meine ganze Family fastet, und jeden Abend gibt es Festessen, und das muss ja jemand kochen, gell? Und in der Schule gibt es schon die ersten Sitzungen…. Die werden schon sehen, was sie davon haben, die Schule so früh beginnen zu lassen, Ende August und mitten im Ramadan! Da ist doch sowieso niemand auf der Spur.“

Sie hatten endlich das sture Gedrängel und Gehupe des Parkplatzes hinter sich gelassen und fuhren auf einer breiten Straße.

Laetizia hatte vergessen, wie dreckig Libyen war. Wenn sie es irgendwie hätte beschreiben müssen, wäre ihr nur Müll in verschiedenen Ausprägungen eingefallen. Cola-Dosen, Plastiktüten, Essensabfälle, Möbelskelette. Dann einige Ziegen, die an dornigem Gestrüpp knabberten, in der Ferne weidende Kamele, und wieder Abfallhaufen. Plastikflaschen, rostendes Metall, ein blutiges Schafsfell, Alufolie, Hühnerknochen, kaputtes Geschirr, die Trommel einer Waschmaschine. Orangenplantagen.

Ein dreckig-braunes Dorf. Was gab es in den kleinen Läden zu kaufen? Oder waren es Werkstätten? Ein Auspuff war auf ein Schild gemalt, dahinter konnte man in eine dunkle Höhle blicken. Der Metzger war am großen, frisch geschlachteten Rinderkopf zu erkennen, der hoch über dem Ladeneingang aufgehängt war.

Kinder rannten unvermittelt auf die Straße und Beate bremste fluchend. Junge Männer lehnten untätig an den Häuserwänden, Frauen waren kaum zu sehen. Sie verließen das Dorf wieder und Laetizia rief plötzlich erfreut:

„Oh schau mal, wie schön. Was blüht denn da um diese Jahreszeit?“

Mitten in staubiger Umgebung schienen einige Bäume große, strahlend-weiße Blüten zu tragen.

„Was? Hahahahaha, hahahahaha. Laetizia, Schätzchen, guck mal genauer hin. Da blüht was, hahaha, hahahaha! Das ist ja zu komisch!“

Als sie nahe daran vorbei fuhren, erkannte Laetizia, dass ihre vermeintlichen Blüten aus Müll bestanden. Die verdorrten Äste der Bäume waren übersät mit weißen Plastiktüten und Hunderten Fetzen von Toilettenpapier; anscheinend standen sie in einer Windschneise, die stetig den Dreck vom Dorf hinüberwehte.

„Oh!“

Die Schule hatte Laetizia eine kleine möblierte Wohnung in einem ummauerten und bewachten Compound angemietet, das sie hier Camp nannten. Nachdem sie im April bei einem Lehrer in einem libyschen Viertel gewohnt hatte, in dem man nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen konnte, wusste sie den Komfort des Camps zu schätzen.

Noch bevor sie ihre Koffer auspackte, ging sie hinunter an den Strand, der menschenleer war. Ob es den anderen Campbewohnern wohl zu heiß war? Zu viele Steine? Nicht idyllisch genug? Egal, was kümmerten sie die anderen. Ein unendlicher Himmel, das Mittelmeer vor der Haustür, die Zukunft spannend - sie würde sich ganz bestimmt von nichts und niemandem ihre Laune vermiesen lassen. Ach, das war einfach zu herrlich!


Sandsturm, Liebesstille

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